Stellungnahme der BAGFW zum Diskussionsentwurf für eine Unterschwellenvergabeordnung

BAGFW macht von der Möglichkeit Gebrauch, sich auch an der nunmehr stattfindenden Konsultation zum Diskussionsentwurf einer Unterschwellenvergabeordnung zu beteiligen.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege hat die Reform der EU-Richtlinien zum Vergaberecht sowie die Umsetzung in nationales Recht intensiv begleitet. Entsprechend machen wir gern von der Möglichkeit Gebrauch, uns auch an der nunmehr stattfindenden Konsultation zum Diskussionsentwurf einer Unterschwellenvergabeordnung zu beteiligen.

 

Soweit das Vergaberecht im Bereich sozialer Dienstleistungen außerhalb des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses und der Zuwendungsfinanzierung zum Tragen kommt, bewegen sich die Aufträge von ihrem Wert her überwiegend im Unterschwellenbereich. Entsprechend messen wir gerade dieser nunmehr vorgeschlagenen Regelung erhebliche Bedeutung bei.

 

1.         Anlehnung am GWB und der VgV:

 

Dass die Unterschwellenvergabeordnung sich weitgehend in Systematik, Begrifflichkeit und Struktur am Oberschwellenbereich orientiert, halten wir im Sinne einer in sich stimmigen Vergaberechtsordnung für sinnvoll. In Bezug auf den in § 1 Abs. 3 UVgO-E zitierten § 118 GWB verweisen wir auf unser Schreiben an Herrn Staatssekretär Sontowski vom 22. September 2016, das wir unserer Stellungnahme als Anlage beifügen.

 

Um das Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte zu vereinfachen, sind sowohl die in § 130 Abs. 2 GWB als auch die in § 65 Abs. 2 VgV vorgesehenen Regelungen zur freihändigen Ausweitung des Auftrags und zur zulässigen Höchstlaufzeit von Rahmenvereinbarungen nunmehr verallgemeinert worden. Hinsichtlich der Höchstlaufzeit von Rahmenvereinbarungen möchten wir auf folgenden Gesichtspunkt hinweisen:

 

Eine mögliche Vertragsdauer ist unzweifelhaft für den beauftragten Unternehmer vorteilhaft und bietet nicht allein diesem deutlich größere Bestandssicherheit für die künftige Arbeit. Namentlich im Bereich sozialer Dienstleistungen kommt allerdings einzelnen Anbietern wie der Bundesagentur für Arbeit nicht nur eine erhebliche Nachfrage- und Marktmacht sondern nahezu ein Nachfragemonopol zu. Insoweit bitten wir das für den Wettbewerb, zuständige Bundeswirtschaftsministerium nachdrücklich darum, im Rahmen der Evaluation der Vergaberechtsreform die Folgen dieser langfristig abgeschlossenen Verträge für den Wettbewerb genau im Auge zu behalten. Es kann nicht das Ziel des Vergaberechts sein, dass in diesen Wirtschaftszweigen exklusive Verträge mit langen Laufzeiten gut vernetzte Infrastrukturen wegbrechen lassen und gerade erfahrene aber wegen ihrer Tarifbindung im Durchschnitt teurere Anbieter vom Markt verdrängen.

 

2.         Einführung der Verhandlungsvergabe, § 8 Abs 4 und § 12 UVgO-E

 

Nicht nachvollziehbar ist für die BAGFW hingegen die Regelung der Verfahrensarten in § 8 und 12 UVgO: Anstatt aus dem Oberschwellenvergaberecht den wettbewerblichen Dialog i. S. v. § 119 Abs. 6 GWB und § 18 VgV und die Innovationspartnerschaft i.S. v. § 119 Abs. 7 GWB und § 19 VgV zu übernehmen sowie die freihändige Vergabe gem. § 3 Abs. 5 VOL/A fortzuschreiben, hat die UVgO-E nunmehr in § 12, die sog. Verhandlungsvergabe in Anlehnung an das Verhandlungsverfahren nach § 17 VgV gestaltet. Dieser Verhandlungsvergabe ordnet der Entwurf in § 8 Abs. 4 UVgO-E Fallgruppen zu, die im Oberschwellenbereich gem. § 14 Abs. 3 VgV als wettbewerblicher Dialog (Fallgruppen Nr. 1 bis 3 und 7, vgl. § 14 Abs. 3 VgV), bzw. bislang im Unterschwellenbereich als freihändige Vergabe gem. § 3 Abs. 5 b, c, e, f, g, j, k und l VOL/A (vgl. Fallgruppen Nr. 6, 8 bis 10, 12, 14 und 15) oder nach Maßgabe der VOF (Fallgruppe Nr. 4) durchzuführen wären. Die BAGFW bedauert insofern, dass der Diskussionsentwurf der UVgO auf eine Begründung verzichtet. Denn insbesondere diese Neugestaltung der Verfahrensmöglichkeiten im Unterschwellenbereich erscheint in keiner Weise nachvollziehbar oder sachgerecht.

 

a)     Diese neue Vergabeart bietet weder für den wettbewerblichen Dialog, für die Innovationspartnerschaft noch für die freihändige Vergabe einen adäquaten Ersatz. § 12 Abs. 4 UVgO-E macht deutlich, dass sich mögliche Verhandlungen zwar auf alle Angebotsaspekte beziehen können, nimmt aber die in den Leistungsbeschreibungen dargelegten Mindestanforderungen und Zuschlagskriterien von diesen Verhandlungen aus. Gerade die Verhandlung über Anforderungen und Zuschlagskriterien ist aber ein wesentliches Element des wettbewerblichen Dialogs, das insbesondere im Bereich der Ausschreibung von sozialen Dienstleistungen wichtig ist.

 

Die UVgO-E nimmt damit den Auftraggebern eine wichtige Möglichkeit, durch die frühzeitige Einbeziehung des Bieter-Knowhows in ein transparentes, vergabekompatibles Verfahren sachdienliche und ausschreibungsreife Leistungsbeschreibungen zu erstellen, die das Innovationspotential der Leistungserbringer aufgreifen und eine angemessene Berücksichtigung des fachlichen Fortschritts ermöglichen. Diese Möglichkeit muss gerade bei sozialen Dienstleistungen als wenngleich noch zu erprobender aber aussichtsreicher Weg zur effizienten Gestaltung von sachdienlichen Beschaffungsvorgängen gewährleistet sein. Ein Verhandlungsverfahren, in dem die Eckdaten der Leistungsbeschreibung nicht mehr verhandelbar sind, bietet zwar den Auftraggebern mehr Möglichkeiten zur einseitigen Steuerung der Beschaffung. Hingegen verwehrt sie einer Kommune, die z. B. niedrigschwellige Konzepte der präventiven Hilfegewährung im Sozialraum gestalten möchte, die Möglichkeit, im transparenten Dialog mit fachlich erfahrenen Leistungserbringern ein zielführendes Konzept zu erstellen und dabei das gerade bei den Bietern vorhandene Innovationspotential einzubeziehen. Stattdessen ist sie beim Entwurf der erforderlichen Leistungsbeschreibung auf sich selber gestellt. Fehleinschätzungen hierbei kann sie nur im Wege nachträglicher Korrekturen an der Leistungsbeschreibung korrigieren, was sowohl in zeitlicher wie auch finanzieller Hinsicht aufwändig ist.

 

Mit der von uns geforderten Erweiterung des Verfahrenskatalogs verbinden sich keine besonderen Kosten. Zum einen bleibt es letztlich dem Ermessen der Auftraggeber überlassen, ob sie nach diesem Verfahren ausschreiben. Zum anderen erscheint das Dialogverfahren nach § 18 VgV nicht aufwändiger als ein Verhandlungsverfahren. Da das Dialogverfahren für die Ausschreibung von sozialen Dienstleistungen überwiegend das sachgerechtere Verfahren ist, erweist es sich gerade unter Wirtschaftlichkeitsaspekten als sinnvoll, diese Vergabeart zur Verfügung zu stellen.

 

Gerade weil nahezu 90 % aller ausgeschriebenen Dienstleistungen unterhalb des Schwellenwertes ausgeschrieben werden, fordert die BAGFW nachdrücklich, die Vergabearten des wettbewerblichen Dialogs und der Innovationspartnerschaft auch unterhalb des Schwellenwertes aufzugreifen und jedenfalls für die Dienstleistungen nach § 49 UVgO-E zur Verfügung zu stellen.

 

b)     Zwar begrüßt es die BAGFW, dass die „günstige Gelegenheit“ (§ 8 Abs. 4 Nr. 13 UVgO-E) wieder als zulässiger Anlass eines weniger formstrengen Vergabeverfahrens (wahrscheinlich als Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb) aufgenommen worden ist. Auch hier bietet die Verhandlungsvergabe mit ihrer Bindung an die Vorgaben der Leistungsbeschreibung aber deutlich weniger Gestaltungsspielraum als die künftig entfallende freihändige Vergabe.

 

Das gleiche gilt bei der Ausschreibung von ausschließlichen Vergaben an Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und an Unternehmen, deren Hauptzweck die soziale und berufliche Integration ist (§ 8 Abs. 4 Nr. 15 a und b UVgO-E) und bei der besonderen Dringlichkeitsbeschaffung nach § 8 Abs. 4 Nr. 6 UVgO-E. Diese Fallgruppen sind für Einrichtungen und Dienste der Freien Wohlfahrtspflege besonders relevant. Aber erst die Möglichkeit, fachliche Erfahrungen und Knowhow in die Beschreibung der Leistung einzubringen, sichert in diesen besonderen Fällen eine sachgemäße und damit wirtschaftliche Beschaffung.

 

In Bezug auf die Fallgruppe Abs. 4 Nr. 15 UVgO-E weisen wir zudem auf die Richtlinien für die Berücksichtigung von Werkstätten für Behinderte und Blindenwerkstätten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vom 10. Mai 2001 (s. Anlage) hin. Die Bestimmungen der UVgO-E dürfen diese nicht unterlaufen. Vielmehr hält die BAGFW es im Hinblick auf die Formulierungen in § 118 GWB und § 8 Abs. 4 Nr. 15 UVgO-E für angezeigt, die Geltung dieser Richtlinie auf andere Sozialunternehmen zu erstrecken, deren Hauptzweck die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderung oder benachteiligten Zielgruppen ist.

 

Schließlich steht es nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 4 UVgO-E im Ermessen des Auftraggebers, diese Verhandlungsvergabe mit oder ohne Teilnahmewettbewerb durchzuführen. Auch wenn unterhalb des Schwellenwertes Bieterinteressen nicht unmittelbar geschützt sind, stellt sich die Frage, wie die transparente Entscheidung für und die angemessene Einbeziehung von Bietern in einer solchen Ausschreibung ohne vorherigen Teilnahmewettbewerb abgesichert werden soll.

 

 

 

3.         Ungewöhnlich niedrige Angebote, § 44 UVgO-E

 

Die Regelung in § 44 UVgO-E zu den ungewöhnlich niedrigen Angeboten bewertet die BAGFW als positiv. Im Umkehrschluss fehlt jedoch eine Regelung, die die Verankerung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in § 2 Abs. 1 UVgO-E konkretisiert und es der öffentlichen Hand untersagt, den Auftragnehmern ein ungewöhnliches Wagnis und unangemessene Lasten aufzuerlegen.

 

4.         Sonderregelung für soziale und andere besondere Dienstleistungen, § 49 UVgO-E

 

Gegenüber den Regelungen für Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich umfasst
§ 49 UVgO-E nur noch die weitgehende Freigabe der in § 8 UVgO-E vorgesehenen Vergabearten in Abs. 1 (entspr. § 130 Abs. 1 GWB und § 65 Abs. 1 VgV) und die Bestimmung über die zulässigen Zuschlagskriterien in Abs. 2 (entspr. § 65 Abs. 5 VgV). Die Bestimmungen aus § 130 Abs. 2 und § 65 Abs. 2 gelten nunmehr allgemein für Verfahren im Unterschwellenbereich (§ 15 und § 47 Abs. 2 UVgO-E) und die Abs. 2 und 3 entfallen.

 

Von den Bedenken gegen die Ersetzung des Wettbewerblichen Dialogs, der Innovationspartnerschaft und der freihändigen Vergabe durch die sog. Verhandlungsvergabe abgesehen, stellt sich in diesem Kontext die Frage, weshalb § 49 Abs. 1 UVgO-E den Auftraggebern allenfalls die Verhandlungsvergabe mit Teilnahmewettbewerb zur freien Auswahl zur Verfügung stellt. Nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 4 steht es im Ermessen des Auftraggebers, ob er diese Verhandlungsart mit oder ohne Teilnahmewettbewerb durchführt.

 

Vor diesem Hintergrund bitten wir dringend um eine Klärung des Verhältnisses zwischen den beiden Bestimmungen. Gerade der Fall der Dringlichkeitsvergabe zeigt deutlich, dass in schwerwiegenden sozialen Notlagen die Verhandlungsvergabe mit Teilnahmewettbewerb viel zu umständlich ist, um der hoheitlichen Verpflichtung zur Gewährleistung zeitnaher und sachdienlicher Versorgung von notleidenden Menschen nachzukommen.

 

Die BAGFW schlägt deshalb vor, auf die obligatorische Vorgabe eines vorgeschalteten Teilnahmewettbewerbs gerade in diesem Bereich zu verzichten.

 

5.         Rechtsschutz unterhalb des Schwellenwertes

 

Die dringenden Rechtschutzinteressen sozialer Dienstleister finden nach derzeitiger Rechtslage erst oberhalb des Schwellenwertes Berücksichtigung. Wie ein Rechtsvergleich zeigt, ist die Bundesrepublik das einzige Land in Europa, das im Unterschwellenbereich noch keinen Primärrechtsschutz kennt. Der zurzeit allein mögliche sekundäre Rechtsschutz in Form von Schadenersatz ist für die Bieter mit weitreichenden Darlegungslasten verbunden und vermag zudem nicht in gleicher Weise wie Primärrechtsschutz den eigentlichen Interessen der Bieter in Vergabeverfahren (Chance auf einen rechtmäßigen Zuschlag) Rechnung zu tragen.

 

Dieses allgemeine Bieteranliegen verschärft sich in besonderer Weise für die Anbieter von sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen: Die Vergaberechtsreform hat den Schwellenwert für diese Dienstleistungen mit 750.000 € besonders hoch angesetzt. Faktisch ist damit Primärrechtsschutz und damit das rechtzeitige Hinwirken auf korrekte Vergabeverfahren und rechtmäßige Zuschlagsentscheidungen für in diesem Bereich tätige Bieter nahezu unerreichbar.

 

Die BAGFW fordert deshalb, insoweit den Anschluss an die übrigen Mitgliedsstaaten der EU zu schaffen und auch unterhalb des Schwellenwertes den Primärrechtsschutz zugänglich zu machen.

 

Zumindest erscheint es geboten, den Bietern durch eine Informations- und Wartepflicht vor der Zuschlagsentscheidung entsprechend zu § 134 GWB ein Minimum an Schutz und die Chance zur Verhinderung von fehlerhaften Zuschlagsentscheidungen zu verschaffen.