Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. (BAGFW) zum Grünbuch zum territorialen Zusammenhalt Territoriale Vielfalt als Stärke KOM(2008) 616 endgültig vom 6.10.2008

Die Kohäsionspolitik der Gemeinschaft soll laut EG-Vertrag zur Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts entwickelt und umgesetzt werden, damit eine harmonische Entwicklung gefördert wird.

Die Kohäsionspolitik der Gemeinschaft soll laut EG-Vertrag zur Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts entwickelt und umgesetzt werden, damit eine harmonische Entwicklung gefördert wird. Im Lissabon-Vertrag, der sich derzeit im Ratifizierungsprozess befindet, wird der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt erweitert durch den territorialen Zusammenhalt. Damit wird deutlich, dass die Kohäsionspolitik eine neue, ergänzende (erweiternde) strategische Ausrichtung der Gemeinschaftspolitik erfahren soll.

 

Mit dem vorliegenden Grünbuch soll im Rahmen einer Konsultation ermöglicht werden, den Begriff der territorialen Kohäsion näher zu bestimmen und mögliche Auswirkungen auf die Kohäsionspolitik aufzuzeigen.

 

Die BAGFW hat sich, wie auch einzelne Mitgliedsorganisationen, an der Konsultation zu den Strategischen Leitlinien für die Kohäsionspolitik 2007-2013 beteiligt. Sie nimmt deshalb gerne die Gelegenheit wahr, auch zum Grünbuch Stellung zu nehmen.

 

 

1.      Begriffsbestimmung

 

Der territoriale Zusammenhalt wirft neue Fragen auf und verleiht anderen Fragen ein neues Gewicht.

 

-       Wie kann territorialer Zusammenhalt am besten definiert werden?

-       Um welche neuen Elemente könnte der territoriale Zusammenhalt das derzeitige Konzept des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts der Europäischen Union ergänzen?

 

Der Vertrag von Lissabon erweitert die europäische Kohäsionspolitik um die „territoriale“ Kohäsion. Aus Sicht der BAGFW stärkt dies einen integrierten Ansatz, der darauf ausgerichtet ist, die wirtschaftliche und soziale Kohäsion durch einen regionalen, infrastrukturellen Ansatz zu ergänzen. Ein solcher Ansatz sollte sich auf zwei Dimensionen beziehen. Einmal muss es um die strategische Entwicklung von Regionen, etwa hinsichtlich der Infrastruktur, gehen. Dieser auf die jeweilige Region bezogene Ansatz muss ergänzt werden durch eine externe Dimension, die die Entwicklung zwischen den Regionen und den Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Solidarität im Blick hat.

 

 

Mit dem Konzept der territorialen Kohäsion muss ein Mehrwert für die Bürger/innen erzielt werden. Es ist deshalb ein Rahmen erforderlich, in dem die verschiedenen Teile der Kohäsionspolitik im Hinblick auf eine koordinierte Strategie zusammen gefügt werden.

 

 

2.      Umfang und Reichweite territorialer Maßnahmen

 

Beim territorialen Zusammenhalt geht es darum, durch einen integrierten Ansatz Probleme auf der geeigneten geografischen Ebene anzugehen. Hierfür kann die Zusammenarbeit der lokalen, regionalen und nationalen Behörden notwendig sein.

 

-       Wie kann die EU den territorialen Zusammenhalt fördern? Wie kann ihr Beitrag unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips aussehen?

-       Inwieweit sollte die territoriale Ebene der politischen Intervention auf die Art der behandelten Probleme abgestimmt sein?

-       Sind für Gebiete mit geografisch bedingten Besonderheiten spezielle Maßnahmen erforderlich? Wenn ja, welche?

 

Ziel territorialer Maßnahmen sollte es sein, die Chancengleichheit der Lebensbedingungen in den Regionen Europas zu steigern. Damit würde mittelbar auch die Entwicklung der Union als Ganzes gefördert. Wesentliche Elemente dieser Maßnahmen sind

 

-       eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete wirtschaftliche und soziale Entwicklung,

-       die Investition in Bildung, Wissen, Qualifikation und Innovation,

-       die Unterstützung des Angebots an Diensten von allgemeinem Interesse.

 

Öffentliche Dienstleistungen, vor allem auch soziale Dienste, leisten einen wichtigen Beitrag für eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Für die Menschen in Europa ist es von großer Bedeutung, dass sie Zugang zu qualitativ hochwertigen Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse haben. Es muss deshalb der Zugang zu diesen Leistungen der Daseinsvorsorge für die Bürger/innen gewährleistet sein, sowohl sozial im Sinne von sozialer Integration als auch regional. Von daher sind Überlegungen zur Sicherung eines allgemeinen Zugangs der Bürger/innen zu Dienstleistungen in die Diskussionen über den territorialen Zusammenhalt einzubeziehen. Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse werden im Wesentlichen lokal erbracht und sind in die nachbarschaftliche Infrastruktur eingebunden. Es ist deshalb zu berücksichtigen, dass die Verantwortung für die Festlegung, Organisation, Finanzierung und Überwachung der Leistungen der Daseinsvorsorge bei den zuständigen nationalen, regionalen und lokalen Stellen liegt.

 

 

 

3.      Bessere Zusammenarbeit

 

Eine verstärkte Zusammenarbeit über regionale und nationale Grenzen hinweg wirft Governancefragen auf.

 

-       Welche Rolle sollte die Kommission bei der Förderung und Unterstützung der territorialen Zusammenarbeit spielen?

-       Besteht Bedarf an neuen Formen der territorialen Zusammenarbeit?

-       Besteht Bedarf an neuen legislativen und administrativen Instrumenten, um die Zusammenarbeit, auch entlang der Außengrenzen, zu vereinfachen?

 

Grundsätzlich sollte das Prinzip der Subsidiarität beachtet werden. Vor diesem Hintergrund bedeutet territoriale Kooperation auch, dass den Regionen die Möglichkeit gegeben wird, eigene Vorstellungen und Strategien zu entwickeln. Rahmen hierfür sollten die gemeinsamen europäischen Leitlinien und die darauf fußenden Operationellen Programme sein. Auch der Erfahrungsaustausch der Kommunen und Regionen untereinander kann von Bedeutung sein und zur Verbesserung von Strategien beitragen.

 

Der europäische Verbund für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) sieht eine formale Beteiligung sozialer Akteure, insbesondere aus dem Bereich der Sozialwirtschaft nicht vor. Es sollte geprüft werden, in welcher Weise eine Einbindung ermöglicht werden kann.

 

Zusätzliche legislative oder administrative Instrumente scheinen gegenwärtig nicht notwendig zu sein.

 

 

4.      Bessere Koordinierung

 

Die Verbesserung des territorialen Zusammenhalts setzt eine bessere Koordinierung der sektoralen und territorialen Maßnahmen sowie eine bessere Kohärenz der territorialen Interventionen voraus.

 

-       Wie können territoriale und sektorale Maßnahmen besser koordiniert werden?

-       Bei welchen sektoralen Maßnahmen sollte bei der Ausarbeitung stärker auf die territorialen Auswirkungen geachtet werden? Welche Instrumente könnten hierfür entwickelt werden?

-       Wie kann die Kohärenz der territorialen Maßnahmen gestärkt werden?

-       Wie können die Maßnahmen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten besser aufeinander abgestimmt werden, damit sie zum territorialen Zusammenhalt beitragen?

 

Territoriale Kohäsion stellt sich als Querschnittsziel und -aufgabe der wirtschaftlichen und sozialen Kohäsion dar. Die Wirkungen der Lissabonstrategie mit ihren sektoralen beschäftigungspolitischen und eingliederungspolitischen Maßnahmen auf die territoriale Kohäsion sollte analysiert werden.

 

 

Die OMK könnte dabei als Instrument genutzt werden, um die Erfahrungen der Regionen zu analysieren und zu bewerten. Dies würde z.B. voraussetzen, dass in den Umsetzungs- und Fortschrittsberichten zu den Nationalen Reformprogrammen im Rahmen der Lissabon Strategie auch Aspekte der territorialen Kohäsion beleuchtet werden.

 

 

5.      Neue territoriale Partnerschaften

 

Um den territorialen Zusammenhalt zu verbessern, können auch weitere Kreise in die Gestaltung und Umsetzung der Maßnahmen einbezogen werden.

 

-       Müssen neue Akteure, wie Vertreter der Sozialwirtschaft, lokale Akteure, Freiwilligenorganisationen und NRO, in die politische Entscheidungsfindung einbezogen werden, um den territorialen Zusammenhalt zu verwirklichen?

-       Wie kann die gewünschte Beteiligung erreicht werden?

 

Die Frage, ob andere Akteure einbezogen werden müssen, kann nur uneingeschränkt mit Ja beantwortet werden. Territoriale Zusammenarbeit umfasst alle wesentlichen Lebensbereiche. Insofern ist es nur zu begrüßen, wenn entsprechende Akteure aus allen Bereichen der Zivilgesellschaft beteiligt werden. Diese Beteiligung der verschiedenen Akteure ist nicht in allen Regionen selbstverständlich. Öffentliche Institutionen, die vielfach nach den Rechtsbestimmungen der Mitgliedstaaten primär zuständig sind, haben oft Schwierigkeiten, in einen offenen, strukturierten und verbindlichen Dialog mit anderen, insbesondere zivilgesellschaftlichen Akteuren zu treten. Ein solcher Dialog ist nicht immer erprobt. Er ist jedoch hilfreich, um die Partnerschaft in den Regionen durch einen breiter angelegten Ansatz zu unterstützen.

 

Wir weisen darauf hin, dass die transnationalen Zusammenschlüsse von zivilgesellschaftlichen Akteuren einen wichtigen Beitrag zum regionalen Zusammenhalt leisten, wie die Partnerschaften bürgerschaftlichen Engagements, z.B. die euregionalen Freiwilligenagenturen zeigen.

 

Vor allem die Organisationen und Einrichtungen der Sozialwirtschaft können einen erheblichen Beitrag zur territorialen Kohäsion leisten. Sie schaffen nachhaltige soziale Infrastrukturen an Einrichtungen und Diensten, sichern Beschäftigung und schaffen „soziales“ Kapital, das insbesondere der lokalen und regionalen Ebene zu Gute kommt.

 

Im Rahmen des OMK-Prozesses und der Bewertung der nationalen Strategien sollten Empfehlungen aufgenommen werden, wie gut strukturierte Konsultationen mit NGOs u.a. organisiert, welche Möglichkeiten für verantwortliche und transparente Einbeziehung von NGOs geschaffen und in welcher Weise Partizipation zivilgesellschaftlicher Organisationen im allgemeinen aufgebaut werden können. Dabei sollten die bestehenden Erfahrungen im Sinne von „best practice“ genutzt werden.

 

 

Aus Sicht der BAGFW wäre es zudem vorstellbar, dass auf europäischer Ebene zwischen dem Ausschuss der Regionen und dem Wirtschafts- und Sozialausschuss eine spezifische inhaltliche Kooperation zu Fragen der territorialen Kohäsion stattfindet.

 

 

6.      Besseres Verständnis des territorialen Zusammenhalts

 

-       Welche quantitativen/qualitativen Indikatoren sollten auf EU-Ebene entwickelt werden, um Merkmale und Trends beim territorialen Zusammenhalt zu beobachten?

 

Es wäre wichtig, solche Indikatoren zu berücksichtigen, die einmal die infrastrukturellen Versorgungsniveaus der Regionen abbilden und zum anderen das Wohlbefinden der Bürger/innen aufzeigen.