Stellungnahme der BAGFW zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der gesundheitlichen Prävention (BT-Drs. 15/4833 vom 15.02.2005)

Die in der BAGFW zusammengeschlossenen Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband, Diakonisches Werk der EKD, Deutsches Rotes Kreuz, Deutscher Caritasverband, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband und Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland anerkennen grundsätzlich die Absicht der Bundesregierung, durch ein Präventionsgesetz zur Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung beizutragen.

Allgemeiner Teil

 

Die in der BAGFW zusammengeschlossenen Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband, Diakonisches Werk der EKD, Deutsches Rotes Kreuz, Deutscher Caritasverband, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband und Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland anerkennen grundsätzlich die Absicht der Bundesregierung, durch ein Präventionsgesetz zur Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung beizutragen.

 

Die hohe Zahl medizinisch kaum heilbarer, jedoch durch Prävention und Gesundheitsförderung vermeidbarer chronischer Krankheiten, das besorgniserregende Ausmaß der sozialen Ungleichverteilung von Gesundheitschancen, die Herausforderung des demographischen Wandels und gesundheitsökonomische Aspekte machen eine Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung notwendig.

 

Wir teilen die Auffassung der Bundesregierung, dass Prävention und Gesundheitsförderung gesamtgesellschaftliche Aufgaben sind. Insbesondere die Stärkung gesundheitlicher Ressourcen (Gesundheitsförderung) ist eine Querschnittsaufgabe, die weit über das etablierte Gesundheitssystem hinausreicht. Dabei kommt der Prävention und der Gesundheitsförderung in den lebensweltlichen „Settings“ (z. B. Betriebe, Kindergärten, Wohnangebote, Schulen, Krankenhäuser, Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen etc.) eine besondere Bedeutung zu. Diese Settingangebote werden in Deutschland überwiegend von den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege und ihren Mitgliedsorganisationen auf der Basis bürgerschaftlichem Engagements und dem Subsidiaritätsprinzip gemeinsam mit den Trägern der öffentlichen Wohlfahrtspflege in einem breiten Spektrum umfassend und flächendeckend vorgehalten.

 

Das besondere Augenmerk der BAGFW gilt dabei Personen und Familien, deren Lebenslage sich durch hohe Belastungen und/oder geringe Ressourcen auszeichnet und die deshalb besonders hohen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sind. Der enge Zusammenhang zwischen Lebenslage und Gesundheitschancen ist sozialepidemiologisch nachgewiesen und im Zusammenhang mit der Armutsberichterstattung breit diskutiert worden. Prävention und Gesundheitsförderung müssen deshalb einen Beitrag zum Abbau gesundheitlicher Ungleichheit leisten.

 

Dieser gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für die Prävention und Gesundheitsförderung wird der vorliegende Gesetzentwurf nicht gerecht. Besonders abzulehnen ist, dass die Finanzierung der mit dem Gesetzentwurf verfolgten Aufgaben nur einem Teil von Sozialversicherungsträgern überlassen wird und die für die öffentliche Daseinsfürsorge verantwortlichen Träger von jedweder Pflicht entbunden sind. So wird durch den Gesetzentwurf die bestehende Praxis der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung aufgelöst und einseitig auf die Kranken-, Renten-, Unfall- und Pflegeversicherung und die sie finanzierenden gesetzlich Versicherten und Arbeitgeber übertragen. Dieser Systembruch bevorzugt zudem einzelne Sozialversicherungsträger und entlastet Bevölkerungsschichten, die nicht in die Sozialversicherung einzahlen aber zugleich von den Maßnahmen des Gesetzentwurfes profitieren.

 

Gem. § 8 PrävG-E eröffnet das Präventionsgesetz keine zusätzlichen Rechtsansprüche neben den für die jeweiligen sozialen Präventionsträger geltenden Leistungsgesetzen des Sozialgesetzbuchs. Der Gesetzentwurf setzt in diesem Punkt allerdings gegenteilige Signale, da er insbesondere Ländern und Kommunen Wege aus der Finanzierung der Prävention und Gesundheitsförderung aufzeigt. So liegt uns aus Niedersachsen der "Entwurf eines Gesetzes über Änderungen im öffentlichen Gesundheitsdienst" vor, dessen § 4 präventive und gesundheitsfördernde Aktivitäten in den Zuständigkeitsbereich der Landkreise und kreisfreien Städte delegiert. Begründet wird dies u. a. im niedersächsischen Gesetzentwurf damit, dass der öffentliche Gesundheitsdienst künftig zunehmend die Leistungen anderer (auch Privater) initiieren und koordinieren soll.

 

Aus Sicht der BAGFW zeigt sich hier die enge Verbindung mit den Vorschriften des PrävG-E, in dem die Kommunen von ihrer Finanzierungsverantwortung für die Prävention entbunden werden. Nach den niedersächsischen Gesetzesvorschlägen sollen sie auch selbst präventive Maßnahmen erbringen und dafür Mittel der Sozialversicherungsträger erhalten. In der konkreten Umsetzung könnte das bedeuten, dass die Kommunen die Mittel der Sozialversicherungsträger für ihre Bemühungen beanspruchen, die z. B. der Selbsthilfeförderung dann fehlen werden. Bereits jetzt ist festzustellen, dass vielerorts die freiwillige Förderung von freigemeinnützigen Selbsthilfe- und Gesundheitsinitiativen, die in der präventiven Arbeit tätig sind, eingestellt oder drastisch zurückgefahren wird. Diese Tendenz wird durch das Zusammenwirken von PräG-E und niedersächsischen Bestrebungen unterstützt. Der Bundesgesetzgeber könnte dieser Tendenz entgegenwirken, wenn im Präventionsgesetz ein Passus aufgenommen würde, der das Subsidiaritätsprinzip betont und es den Kommunen untersagt, selber Aufgaben der Selbsthilfe und Prävention im Sinne des § 20 SGB V und damit auf Kosten der Sozialversicherung zu erbringen.

 

Ein weiterer Beleg für den Rückzug der öffentlichen Hand aus der Finanzierungsverantwortung für das öffentliche Gesundheitswesen und die allgemeine Daseinsfürsorge ist § 26 PrävG-E, der vorsieht, dass der Präventionsbericht der Bundesregierung durch die o. a. Sozialversicherungsträger finanziert werden soll.

 

 

Der Gefahr ausufernder Belastung der zur Finanzierung ausgewählten Sozialversicherungsträger begegnet der Gesetzentwurf in § 23 PrävG-E mit einer Beschränkung der von den Sozialversicherungsträgern für Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung zur Verfügung zu stellenden Mittel durch die Einführung von Untergrenzen. Neben den dagegen bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken über die teilweise versichertenferne Verwendung der Mittel stellt der Gesetzentwurf in seiner Begründung (Abschnitt C, Nr. 6 Finanzielle Auswirkungen) außerdem klar, dass bisher für Maßnahmen von Prävention und Gesundheitsförderung zur Verfügung stehende Gelder bei den Sozialversicherungsträgern gekürzt werden und bei einigen im Bereich der Leistungen für die medizinische Rehabilitation eingespart werden sollen. Dies betrifft insbesondere die Gesetzliche Rentenversicherung, deren Präventionsauftrag auf der einen Seite ausgeweitet wird, deren Ausgaben nach § 220 SGB VI auf der anderen Seite jedoch gedeckelt bleiben (vgl. Artikel Nr. 7, Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch, Nr. 11, Änderung des § 220).

 

Die weitere Belastung der ohnehin unterfinanzierten Pflegeversicherung ohne Gegenfinanzierungsvorschlag im PrävG-E ist in diesem Kontext überhaupt nicht nachvollziehbar. Ein Vorrang der Maßnahmen nach den anderen Leistungsgesetzen vor dem Präventionsgesetz oder anders herum ist nicht vorgesehen. Dieses Nebeneinander führt dazu, dass die Maßnahmen für Prävention und Gesundheitsförderung ausschließlich nach dem Präventionsgesetz erfolgen, dessen Finanzvolumen nach § 23 PrävG-E begrenzt ist. Diese Fehlsteuerung wird dadurch unterstützt, dass in § 4 PrävG-E der Vorrang der gesundheitlichen Prävention im Rahmen der für sie geltenden Leistungsgesetze vor Leistungen zur Besserung und Wiederherstellung der Gesundheit und zur wirtschaftlichen Sicherung bei Krankheit oder Erwerbsminderung geregelt wird. Dieses unabgestimmte Nebeneinander ermöglicht es Sozialversicherungsträgern Individualansprüche auf Rehabilitation nach den bestehenden Leistungsgesetzen mit Hinweis auf vorrangige gesundheitliche Prävention zu verweigern.

 

Ebenfalls nicht durchdacht scheint die Cofinanzierung der Prävention und Gesundheitsförderung in Lebenswelten nach § 17 PrävG-E durch die Träger der Lebenswelten. Diese Vorschrift macht es zur Voraussetzung für den Träger der Lebenswelt einen Antrag zu stellen. Zur Cofinanzierung der Maßnahmen soll nach § 17 Abs. 4 PrävG-E von dem beantragenden Lebensweltträger ein angemessener Eigenanteil verlangt werden, der sich erhöht, wenn die Leistungen in betrieblichen Lebenswelten auch der Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten oder der Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren dienen. Die Maßnahmen für Prävention und Gesundheitsförderung in Lebenswelten, auf die ggf. nach anderen Gesetzen ein Leistungsanspruch besteht, hängen gem. § 17 PrävG-E von der Finanzierungsbereitschaft der Trägers der Lebenswelten ab. Unklare Zuordnungen werden zudem die Umsetzung der mit dem Gesetz verfolgten Ziele erschweren. So kann die betriebliche Gesundheitsförderung auf Bundesebene von der Stiftung als Modellprojekt betrieben werden, auf Landesebene Gegenstand von Vereinbarungen und schließlich Strategie einzelner Sozialversicherungen sein. Durch Mehrfachzuständigkeiten wird das Ziel einer koordinierten Verfolgung prioritärer Präventionsziele erschwert.

 

 

Überhaupt nicht nachvollziehbar ist es aus Sicht der BAGFW, dass die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege bei der Erstellung von Empfehlungen zu Prävention und Gesundheitsförderung nur im Einzelfall herangezogen werden und die Interessen der Bevölkerung im Wesentlichen durch staatliche Institutionen gewahrt werden sollen. Viele dieser staatlichen Organisationen sind u. E. weder Träger der Lebenswelten noch können sie für die Umsetzung von Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung eigene Erfahrung beisteuern.

 

Im Interesse der hervorgehobenen Bedeutung von Prävention und Gesundheitsförderung für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung und die Entwicklung der Ausgaben für Gesundheit und Pflege, der die Bundesregierung durch die Vorlage dieses Gesetzentwurfes Rechnung tragen möchte, sind die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege bereit, die Absicht der Bundesregierung zur Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung durch aktive Mitarbeit zu unterstützen. Der vorliegende Gesetzentwurf für ein Präventionsgesetz ist hierfür ungeeignet und bedarf einer grundsätzlichen Überarbeitung.

 

 

Besonderer Teil

 

Im Folgenden wird auf einige Bestimmungen des Gesetzes eingegangen, für die dringender Änderungsbedarf gesehen wird.

 

Artikel 1 (Präventionsgesetz)

 

Zu § 1 (Zweck des Gesetzes)

 

In der Zweckbestimmung des Gesetzes ist auf die WHO-Begrifflichkeit der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) und damit die Konzepte von Teilhabe und funktionaler Gesundheit Bezug zu nehmen. Diese Bezugnahme hat sich im SGB IX und dessen Umsetzung bewährt. Eine interdisziplinäre Verständigung über gesundheitliche Probleme, deren Voraussetzungen und Folgen kann so besser ermöglicht werden.

 

Anliegen der gesundheitlichen Prävention muss es auch sein, den Eintritt einer Behinderung einschließlich einer chronischen Krankheit zu verhindern. Dieser bislang nur teilweise berücksichtigte Sachverhalt ist durchgängig in den einzelnen Bestimmungen des Gesetzes zu beachten.

 

Zu § 2 (Gesundheitliche Prävention)

 

Die in § 2 definierten Begriffe und Maßnahmen sind auf ihre Vollständigkeit hin zu überprüfen, mit dem gesundheitswissenschaftlichen Diskussionsstand sowie mit den leistungsrechtlichen Normen und der Praxis, wie sie in Richtlinien und Vereinbarungen formuliert sind, abzugleichen.

 

 

Insbesondere im Hinblick auf die Abgrenzung von sekundärer und tertiärer Prävention bestehen aus Sicht der BAGFW erhebliche Bedenken, da sie im internationalen Vergleich von den dort bestehenden Definitionen abweichen. So wird allgemein insbesondere die Vermeidung von Folgeerkrankungen dem Bereich der sekundären Prävention zugeordnet.

 

Zu § 3 (Maßnahmen der gesundheitlichen Prävention)

 

Die Vorschrift ist dahingehend zu präzisieren, dass die Maßnahmen der Prävention barrierefrei durchzuführen sind und die erforderlichen Kommunikationshilfen vom Präventionsträger zur Verfügung zu stellen sind.

 

Die Klassifikation des § 3 kollidiert mit den begrifflichen Bestimmungen für die Vorsorge in den Begutachtungsrichtlinien des MDS und der Gemeinsamen Rahmenempfehlung für ambulante und stationäre Vorsorge und Rehabilitationsleistungen auf der Grundlage des § 111a (nun: § 111b). Danach umfasst die Vorsorge primär- und sekundärpräventive Maßnahmen. In der Klassifikation des § 3 PrävG-E werden die Maßnahmen der tertiären Prävention (z. B. Abs. 4 Nr. 1) zugeordnet.

 

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen und bewährter Begriffsbestimmungen ist es problematisch, dass in Art. 6 (Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch) Nr. 9 die Überschrift zum § 23 SGB V von „Medizinische Vorsorgeleistungen“ zu „Leistungen zur primären und tertiären Prävention von Krankheiten“ umgenannt werden und so jeder Bezug auf die Sekundärprävention ausfällt. Dieses Argument gilt auch entsprechend für den § 24 SGB V (alt: „Medizinische Vorsorge für Mütter und Väter; neu: „Medizinische Leistungen zur primären und tertiären Prävention von Krankheiten für Mütter und Väter“) sowie entsprechend für die Änderung im § 111b SGB V.

 

Ebenso ungeklärt ist, wie sich die im Gesetzentwurf aufgeführten Begriffe und Maßnahmen insbesondere zur tertiären Prävention und zur medizinischen Rehabilitation verhalten.

 

Zu Irritationen wird zudem führen, dass entgegen der gesundheitswissenschaftlichen und in der Praxis bewährten Begriffsbildung die Dimension der verhältnispräventiven sozialen Primärprävention der Gesundheitsförderung zugerechnet wird.

 

§ 3 muss eindeutig klarstellen, dass „Gesundheitsförderung“ nicht nur Gesundheitsförderung in der Lebenswelt, sondern die gesundheitsfördernde Gestaltung der Lebenswelt bedeutet.

 

Zu § 4 (Vorrang von gesundheitlicher Prävention)

 

§ 4 wird von der BAGFW abgelehnt, da er Sozialversicherungsträgern ermöglicht, antragstellenden Personen unter Hinweis auf den Vorrang der Prävention leistungsrechtliche Ansprüche zu verweigern. Der Paragraph ist deshalb zu streichen und vollständig zu überarbeiten.

 

 

 

Zu § 5 (Eigenverantwortung)

 

Dass eine gesundheitsbewusste Lebensführung und eine angemessene Beteiligung an Maßnahmen zur gesundheitlichen Prävention dazu beitragen sollen, den Eintritt von Krankheit, Behinderung und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder hinauszuzögern, beschreibt entgegen der Überschrift von § 5 PrävG-E nicht die Eigenverantwortung des Einzelnen, sondern eine Zielrichtung des Gesetzes. Als Wiederholung von § 1 PrävG-E erscheint diese Regelung insbesondere aber auch deshalb missglückt, weil die unmittelbare Verknüpfung von gesundheitsbewusster Lebensführung mit der Vermeidung von Krankheit, Behinderung und Pflegebedürftigkeit den Eindruck erweckt, als ob Krankheit, Behinderung und Pflegebedürftigkeit von den betroffenen Menschen selbstverschuldet sind. Abgesehen davon, dass diese Aussage in ihrer Allgemeingültigkeit unzutreffend ist, werden von Krankheit, Behinderung und Pflegebedürftigkeit betroffene Personen nicht als gleichwertige und für die Gesellschaft wichtige Persönlichkeiten anerkannt, sondern stigmatisiert. Angesichts des erheblichen Ausmaßes, in dem die Lebensführung von der sozialen Lage abhängt, ist der Appell der Eigenverantwortung nicht angebracht. Der § 5 ist zu streichen bzw. vollständig neu zu überdenken.

 

Zu § 6 (Verantwortung für die gesundheitliche Prävention)

 

Unsere allgemeinen Ausführungen zeigen auf, dass es der Gesetzentwurf öffentlichen Körperschaften ermöglicht, sich aus ihrer Verantwortung für Prävention und Gesundheitsförderung zurückzuziehen.

 

Um dem entgegenzuwirken, unterstützt die BAGFW den Vorschlag der Spitzenverbände der Kranken- und Pflegekassen, Abs. 1 um einen Abs. 1 a zu ergänzen:

 

„Bund und Länder verausgaben jährlich für die Belange der gesundheitlichen Prävention mindestens die Mittel, die sie 2004 hierfür aufgewendet haben. Die Mittel werden jährlich entsprechend der Steigerungsrate der Aufwendungen sozialer Präventionsträger fortentwickelt“.

 

Zu § 7 (Soziale Präventionsträger)

 

Da sich der Gesetzgeber dafür entschieden hat, den Präventionsauftrag der Sozialversicherung zu vertiefen, liegt es in der Konsequenz dieser Konzeption alle anderen Sozialleistungsträger, zumindest aber die Bundesagentur für Arbeit, in die Reihe der sozialen Präventionsträger aufzunehmen. Sozialepidemiologisch begründet ist diese Anregung durch den Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Krankheit.

 

Sollen Prävention und Gesundheitsförderung als gesamtgesellschaftliche Aufgaben begriffen werden, dann ist außerdem die private Kranken- und Pflegeversicherung in den Kreis der sozialen Präventionsträger aufzunehmen. Da auch deren Mitglieder in den Genuss gesundheitsfördernder Maßnahmen der Lebensweltgestaltung kommen, ist der finanzielle Beitrag der Privatversicherungen nur angemessen. Sollte dies nicht realisiert werden, bestehen unsererseits erhebliche rechtliche Bedenken gegen die einseitige Belastung nur eines Teils der Bevölkerung.

 

 

Zu § 8 (Vorbehalt abweichender Regelungen)

 

§ 8 enthält die strukturellen Mängel, die auch § 7 SGB IX kennzeichnen. Aufgrund dieser auch im Behindertenbericht der Bundesregierung dargelegten Erfahrung geht die BAGFW davon aus, dass § 8 PrävG-E eine ähnliche Wirkungslosigkeit beschieden wird, wie der Vorschrift des SGB IX. Auch vor dem Hintergrund der Subsidiaritätsklauseln in den Leistungsgesetzen ist - die Erfahrungen der Umsetzung des SGB IX berücksichtigend – zu befürchten, dass keine Koordination stattfinden und die Leistungen nicht erbracht werden.

 

Deshalb sollte § 8 vollständig neu überdacht und überarbeitet werden. Wir verweisen hierzu auf die Eckpunkte der Koalitions-AG Behindertenpolitik zur Fortentwicklung des SGB IX.

 

Zu § 11 (Ziele und Teilziele der primären Prävention und Gesundheitsförderung)

 

In Abs. 5 sind die Beteiligungsrechte der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und der ihnen angeschlossenen Mitgliedsorganisationen unbedingt aufzunehmen. Während die Beteiligung der Beauftragten der Bundesregierung und des Robert Koch-Instituts an der Vorbereitung der Empfehlungen der Stiftung Prävention und Gesundheitsförderung ausdrücklich vorgesehen ist, werden die anderen für Prävention maßgeblichen Verbände ohne Präzisierung aufgeführt. Dabei sind gerade die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und die ihnen angeschlossenen Organisationen prädestiniert, nicht nur die Notwendigkeiten vor Ort, sondern auch die Schwierigkeiten bei der Umsetzung einer präventiv orientierten und gesundheitsfördernden Praxis zu beschreiben und Lösungsansätze zu entwickeln.

 

Wegen der Bedeutung der Stiftung Prävention und Gesundheitsförderung für die weitere Entwicklung in dem im Wesentlichen von der öffentlichen und Freien Wohlfahrtspflege abgedeckten Bereich kann die Unterrepräsentation der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtsverbände und der ihnen angeschlossenen Organisationen negative Auswirkungen auf die Akzeptanz der Stiftung und der von ihr abgegebenen Empfehlungen haben.

 

Zu § 15 (Verhaltensprävention)

 

In Abs. 3 ist Satz 1 wie folgt zu formulieren:

 

„... und unter Einbeziehung gesundheitswissenschaftlichen, ärztlichen, psychologischen und sozialpädagogischen Sachverstands sicher, dass ...“

 

Für die Entwicklung von Präventionsprogrammen ist die Einbeziehung interdisziplinären Sachverstands notwendig.

 

 

 

Zu § 17 (Prävention und Gesundheitsförderung in Lebenswelten)

 

Der § 17 bestimmt, dass Leistungen „auf Antrag des Trägers der Lebenswelt“ erbracht werden. In § 17 Abs. 3 werden Lebenswelten definiert als „für die Gesundheit bedeutsame, abgrenzbare soziale Systeme insbesondere des Wohnens, Arbeitens, Lernens, der Freizeitgestaltung einschließlich des Sports und des Spielens“. Wie unter Berücksichtigung der verschiedenen leistungsgesetzlichen Regelungen und ihrer Mitfinanzierung durch die öffentliche Hand die präventive und gesundheitsfördernde Praxis zahlreicher, vor allem auf kommunaler Ebene wirkenden Dienste und Einrichtungen u. a. im Bereich der Kinder-, Jugend-, Lebens- und Familienpflege und -beratung einschließlich der Dienste für Menschen in besonders schwierigen Lebenslagen (etwa Suchtkranke und Obdachlose) erhalten und gestärkt werden kann, lässt § 17 offen.

 

Mit der Definition „Träger von Lebenswelten“ führt der Gesetzgeber einen neuen unbestimmten Rechtsbegriff ein, der durch § 17 unklar erläutert wird. Dies wird in der Praxis zu Rechtsunsicherheit führen. So können z. B. Alten-, Pflege- und Behinderteneinrichtungen unter den Begriff der Lebenswelt des „Wohnens“ subsumiert werden, was dann die Frage aufwirft, ob die Gemeinden zum zuständigen und antragsberechtigten Träger der Lebenswelt für Alten-, Pflege- und Behinderteneinrichtungen werden. Da die Prävention und Gesundheitsförderung von Lebenswelten vom Antrag und der Cofinanzierung des zuständigen Trägers der Lebenswelt abhängig ist, kann insbesondere bei Gemeinden, in denen mehrere Einrichtungen vorhanden sind, eine nicht unerhebliche Abgrenzungsproblematik auftreten. So stellt sich die Frage, welche Einrichtung gefördert werden soll. Dies könnte dazu führen, dass in solchen Fällen wegen der fehlenden Mittel der Cofinanzierung keine Einrichtung Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung erhält.

 

Zu § 18 (Organisation der Prävention und Gesundheitsförderung in Lebenswelten)

 

Wir verweisen auf unsere Hinweise zu § 11. In Abs. 1 sind im Hinblick auf die Gremien auf Landesebene die Einbeziehung der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und der ihnen angeschlossenen Mitgliedsorganisationen ebenso zu berücksichtigen. Auch die Landesgesundheitskonferenzen sind einzubeziehen.

 

§ 19 (Ausführung von Leistungen)

 

Abs. 3 lässt §§ 5 SGB XII und 17 SGB II unberücksichtigt, wonach diese Sozialleistungsträger vorrangig Einrichtungen und Dienste der Freien Wohlfahrtspflege in Anspruch nehmen sollen. Demgegenüber stellt § 19 die Erbringung der Leistungen in das Ermessen des Präventionsträgers, indem er darüber entscheidet, ob er selbst oder Dritte die Leistungen erbringen.

 

Unklar lässt § 19, in welchem Verhältnis die Bestimmungen zum § 17 SGB IX (Persönliches Budget) stehen.

 

 

Der letzte Satz in Abs. 2, der die Erstattung selbstbeschaffter Leistungen im Rahmen des PräG-E ausschließt, steht im Widerspruch zu § 3 i. V. m. § 15 SGB IX, der die Erstattung selbstbeschaffter Leistungen ausdrücklich ermöglicht.

 

Aufgrund dieser Unklarheiten ist die Vorschrift vollständig neu zu überdenken.

 

Zu § 20 (Wirksamkeit und Qualitätssicherung)

 

Zu Abs. 3, 4 und 5:

 

Die Fragen der Qualitätssicherung sollten u. E. nicht der Stiftung, sondern der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung überantwortet werden.

 

Zu § 23 (Aufbringung und Verteilung der Mittel für primäre Prävention und Gesundheitsförderung)

 

Mit aller Entschiedenheit lehnt es die BAGFW ab, dass die Ausgaben für Prävention zur Minderung von Leistungen durch Reduzierung von Finanzmitteln in den Bereichen Rehabilitation und Pflege führen. Wir verweisen auf unsere allgemeinen Ausführungen.

 

§ 25 (Berichterstattung der sozialen Präventionsträger und der gemeinsamen Entscheidungsgremien)

 

Die Verpflichtung zur Berichterstattung ist für verschiedene Akteure in unterschiedlichen Vorschriften des PrävG-E vorgeschrieben. Unklar lässt der Gesetzentwurf jedoch, in welchem Verhältnis die Berichte zueinander stehen.

 

Deshalb sollte § 25 überdacht werden, damit ein bürokratisches Berichtswesen verhindert wird und stattdessen ein sinnvolles, einheitliches und ineinander wirkendes System entsteht.

 

In konzeptioneller Hinsicht ist – auch im Zusammenhang mit der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (§ 9) – auf die Probleme bei chronischen Erkrankungen und Behinderung besonders einzugehen.

 

Zu Artikel 2 (Präventionsstiftungsgesetz)

 

Zu § 3 (Stiftungsvermögen)

 

Die BAGFW bezweifelt grundsätzlich, dass die Stiftungslösung der richtige Weg ist, weil auf diesem Wege Interessen, die außerhalb von Sozialversicherung und Staat liegen, Einfluss gewinnen. Die Möglichkeit der Zustiftung ist auszuschließen.

 

Grundsätzlich sei an dieser Stelle auch darauf hingewiesen, dass durch die Stiftung und ihre Gremien sowie die neu auf Landesebene zu schaffenden Gremien ein höherer Verwaltungs- und damit verbundener Bürokratieaufwand vom PrävG-E vorgegeben wird, der zusätzlich die zur Verfügung stehenden Finanzmittel belastet.

 

 

Zu § 6 (Stiftungsrat), § 7 (Kuratorium)

 

Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und die ihnen angeschlossenen Verbände chronisch kranker und behinderter Menschen sind zu beteiligen. Wir verweisen auf unsere o. a. allgemeinen Hinweise und unsere Erläuterung zu §§ 11 und 18
PrävG-E.

 

Zu Artikel 6 (Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch)

 

Bei der „Umbenennung“ von Leistungen nach dem SGB V ist generell darauf zu achten, dass der bisherige Sinngehalt durch die Umbenennung nicht verloren geht mit der Folge, dass leistungsrechtliche Bestimmungen in ihrer Substanz berührt sind. Dies scheint insbesondere für Vorsorgeleistungen des SGB V nur teilweise gelungen zu sein.

 

Zu § 20b (Betriebliche Gesundheitsförderung):

 

Das Verhältnis der in § 20b formulierten Bestimmungen zu § 84 SGB IX (Berufliches Wiedereingliederungsmanagement) ist nicht geklärt. Deshalb sollte die Vorschrift überarbeitet und präzisiert werden.

 

Zu § 20d (Förderung der Selbsthilfe)

 

Die deutliche Stärkung der Förderung der Selbsthilfe in einer eigenständigen Rechtsvorschrift ist ausdrücklich zu begrüßen. Viele Forderungen der maßgeblichen Spitzenorganisationen der Selbsthilfe wurden in richtiger Weise aufgegriffen. Die BAGFW bezweifelt jedoch, ob Abs. 3 Satz 2 tatsächlich die Förderpraxis verbessert, da durch die Aufteilung der Mittel zu 50 % in gemeinsame Förderpools und zu 50% in kasseneigener Verwaltung Selbsthilfegruppen, -organisationen und -kontaktstellen auch künftig mehr als einen Förderantrag stellen müssen. Dies stellt keinen Beitrag zum Bürokratieabbau dar. Als problematisch könnte sich zudem die Mittelverwendung in virtuellen Förderpools erweisen, da hierüber bis heute nur theoretische Überlegungen vorliegen.

 

Zu Nr. 9 bis Nr. 13, 16b und 18

 

Es sind in allen Änderungsformulierungen, die die §§ 23, 24, im Dritten Kapitel die Überschrift des Vierten Abschnitts, sowie die §§ 25 und 26 betreffen, die Wörter „von Krankheiten“ zu streichen.

 

Begründung: Die Formulierungen würden zu einer Verminderung des Leistungsanspruchs führen, da die GKV als Rehabilitationsträger nach dem SGB IX auch zu Leistungen verpflichtet ist, die die Vorbeugung und Früherkennung von drohender Behinderung sowie der Pflegebedürftigkeit mit einschließt (vgl. §§ 4, 26, Abs. 1, 27 und 30 SGB IX).

 

 

 

Zu Artikel 9 und 11: Änderung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch und Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch

 

Die beabsichtigten Änderungen des SGB IX und des SGB XII in Nr. 1 und 2 sind aus Sicht der BAGFW nochmals zu überprüfen. Sie haben zum Ziel in den entsprechenden Paragraphen des SGB IX den Krankheitsbezug herauszunehmen. Diese Änderungen führen nach Auffassung der BAGFW zu einer Einschränkung des Leistungsspektrums des SGB IX.