Anmerkungen und Vorschläge der BAGFW zur Fortschreibung des NRP 2012: Umsetzung der sozialpolitischen Ziele der Strategie Europa 2020 im Nationalen Reformprogramm für Deutschland (NRP)

Im Rahmen des Europäischen Semesters sind die Regierungen der Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre Maßnahmen der Umsetzung der Europa 2020-Ziele in jeweiligen Nationalen Reformprogrammen (NRP) darzulegen. Für die Freie Wohlfahrtspflege ist dies ebenfalls ein Anlass, die sozialpolitischen Ziele der Strategie Europa 2020 einer Prüfung zu unterziehen. Dabei handelt es sich vor allem um drei Kernziele, die eine deutlich soziale Ausrichtung haben:

Im Rahmen des Europäischen Semesters sind die Regierungen der Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre Maßnahmen der Umsetzung der Europa 2020-Ziele in jeweiligen Nationalen Reformprogrammen (NRP) darzulegen. Für die Freie Wohlfahrtspflege ist dies ebenfalls ein Anlass, die sozialpolitischen Ziele der Strategie Europa 2020 einer Prüfung zu unterziehen. Dabei handelt es sich vor allem um drei Kernziele, die eine deutlich soziale Ausrichtung haben:

 

-     Förderung der sozialen Eingliederung, vor allem durch die Verringerung von Ar- mut,

-     Förderung der Beschäftigung,

-     Erhöhung des Bildungsniveaus.

 

Im Vorfeld zum ersten NRP hatten sich einzelne Verbände der BAGFW gegenüber der Bundesregierung geäußert. Jetzt führt die BAGFW ihre Einschätzungen und An- forderungen an das zweite NRP in der vorliegenden Positionierung zusammen.

 

 

 

I.          Förderung der sozialen Eingliederung, vor allem durch die Verringerung von Armut

 

Hierzu macht die BAGFW folgende Anmerkungen und Vorschläge:

 

Laut Eurostat sind 15,6 % der Bevölkerung in Deutschland von Armut betroffen bzw. bedroht, das sind ca. 12,6 Mio. Menschen. Von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht (neuer EU-Indikator) sind 19,7 % bzw. 16 Mio. Menschen.

 

Nach der Strategie Europa 2020 soll die Zahl der von Armut oder sozialer Ausgren- zung bedrohten Menschen um 20 Millionen verringert werden, d.h. um circa 17,4

Prozent. Wenn die Vorgaben eins zu eins auf die einzelnen Länder umgelegt wür- den, müsste Deutschland ca. 2,8 Mio. Menschen vor dem Risiko der Armut oder so- zialer Ausgrenzung bewahren. Angestrebt sind in Deutschland aber nur 660.000

Personen, weil als Indikator der Armut das Kriterium „Erwerbslosenhaushalt“ ange- wendet wird.

 

Die BAGFW teilt die Einschätzung der Kommission im Hinblick auf den zahlenmäßig begrenzten Ansatz der Bundesregierung und stellt fest, dass sich selbst bezogen auf diese Zielsetzung im letzten NRP keine konkreten Maßnahmen finden, die der Dring-

 

lichkeit des Problems und der Lebenslage der betroffenen Menschen gerecht wer- den.

 

Die BAGFW spricht sich vor diesem Hintergrund für die Bereitstellung längerfristiger Beschäftigungsangebote für arbeitsmarktferne Langzeitarbeitslose mit multiplen Vermittlungshemmnissen aus. Mit diesen Beschäftigungsangeboten sollen Langzeit- arbeitslose, die mittel- und langfristig kaum Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt haben, durch marktnahe Beschäftigungsangebote gesellschaftliche Teilhabe erlan- gen. Infrage kommt ein Personenkreis von bis zu 400.000 Personen.

 

Das vom Europäischen Rat 2007 beschlossene Anti-Armutsprogramm der aktiven Eingliederung wird vom NRP 2011 an keiner Stelle erwähnt. Dies ist zu bedauern, da es wichtige Punkte zu Themen wie aktive Arbeitsmarktpolitik (etwa lebenslanges Lernen, öffentlich geförderte Beschäftigung etc.), begleitende qualitativ hochwertige soziale Dienste und eine auskömmliche Grundsicherung beinhaltet. Die Umsetzung dieser europäischen „Active-Inclusion“-Strategie würde arbeitsmarkt-, sozial- und bildungspolitische Maßnahmen verlangen, die über die Zielsetzungen der aktuellen arbeitsmarktpolitischen Instrumentenreform hinausgehen.

 

Denn neben einer adäquaten Hinführung zum 1. Arbeitsmarkt muss es ebenso er- möglicht werden, dass soziale Integration und gesellschaftliche Teilhabe stattfinden. Nicht nur der einzelne Mensch, sondern immer auch sein soziales Umfeld ist in den Blick zu nehmen. Wesentlich sind daher z. B. auch

 

-     Maßnahmen zur Gesundheitsförderung

-     Vermittlung alltagspraktischer Kompetenzen (Energiesparen; Erziehung; Ernäh- rung; Haushalten;…).

 

Angesichts des Erfordernisses einer Armutsbekämpfung sollten Maßnahmen wie die folgenden ggf. ergänzt oder entwickelt werden:

 

-     Soziale und berufliche Integration arbeitsmarktfernster Menschen mit verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit; soziale und berufliche Integration individuell beeinträch- tigter und sozial benachteiligter junger Menschen durch präventive und integrative Ansätze zur Armutsvermeidung und -bekämpfung; soziale und berufliche Integra- tion langzeitarbeitsloser Frauen;

-     Soziale und berufliche Integration Straffälliger durch Ausweitung der Qualifizie- rung und Integration arbeitsloser Straffälliger; soziale und berufliche Integration ausgegrenzter Menschen aller Altersgruppen mit besonderen sozialen Schwierig- keiten.

-     Soziale und berufliche Integration marginalisierter Bevölkerungsgruppen, wie z. B. der Roma.

 

Im NRP müssten deshalb - neben der bloßen Anzahl von Langzeitarbeitslosen - Ge- sichtspunkte berücksichtigt werden, die zu eingeschränkten Chancen am Arbeits- markt führen, wie soziale Risiken, Alter, Behinderung, Krankheit und Herkunft. Darüber hinaus spielt aber auch das familiäre oder soziale Umfeld, geringe Qualifika- tion, der Status alleinerziehend oder der fehlende Schul- oder Berufsabschluss eine für Armut bestimmende Rolle.

 

Nach Auffassung der BAGFW sollte die Bundesregierung deshalb den ihrer Berech- nung zu Grunde gelegten Indikator weiter differenzieren oder durch weitere Indikato- ren, wie materielle Deprivation oder die relative Armutsquote ergänzen. Eine Differenzierung des Indikators „Langzeitarbeitslosigkeit“ z.B. eine Ergänzung durch die Dauer des Hilfebezugs im SGB II könnte Aspekte berücksichtigen, die Ursache oder Folge von Langzeitarbeitslosigkeit sind. Das würde bedeuten, über die rein quantitative Bemessung hinauszugehen.

 

Weiteren Handlungsbedarf sieht die BAGFW in folgenden Bereichen:

 

1)  Im NRP werden Kinderarmut und Vererbung von Armut nicht angesprochen. Dies ist ein Manko. Denn der bloße Wiedereintritt eines langzeitarbeitslosen Elternteils in den Arbeitsmarkt sagt noch nichts aus über die Qualität der neuen Arbeitsstelle und ihre Wirkungen auf die finanzielle und soziale Situation der Familie.

2)  Zum Thema „Armut trotz Erwerbstätigkeit“ existieren nur unzureichende Daten, so dass die Bundesregierung hier Anstrengungen unternehmen sollte, um dies zu verbessern. Die Bundesregierung ist in diesem Rahmen aufgefordert, den von ihr gewählten Indikator der Reduzierung von Langzeitarbeitslosigkeit mit Qualität der Arbeit und mit den Impulsen, die auf die Reduzierung des Armutsrisikos wirken,

zu verbinden.

 

3)  Der Aspekt der Einkommensarmut sollte nicht vernachlässigt werden. Im NRP sollte deshalb aufgezeigt werden, in welcher Weise an Konzeptionen zur Über- windung von Einkommensarmut weitergearbeitet wird.

 

4)  Da die Inanspruchnahme von SGB II-Leistungen letztlich durch die Vermittlung in Arbeit vermindert werden soll, steht zu vermuten, dass sich angesichts der redu- zierten Eingliederungsmittel die bestehende Förderpolitik noch stärker als bisher auf die Förderung von kurzzeitigen Maßnahmen für vor allem solche Gruppen konzentrieren wird, bei denen die Eingliederungschancen am größten sind (creaming-Effekt).

 

5)  Schließlich sollte die Problematik der Prävention und Reduzierung von Altersar- mut im NRP aufgegriffen und die Wirkungen einer Ausweitung des Niedriglohn- sektors und Veränderungen sozialer Standards aufgezeigt werden. Die Bundesregierung sollte Maßnahmen planen und umsetzen, nach denen auch Be- schäftigte zu Niedriglöhnen und Langzeitarbeitslose ein Leben im Alter mit einem auskömmlichen Einkommen außerhalb der Grundsicherung führen können.

 

Im Hinblick auf Langzeitarbeitslosigkeit hält die BAGFW folgende Maßnahmen für erforderlich:

 

6)  Umfassendere, das persönliche Umfeld der Zielgruppe einbeziehende ganzheitli- che Maßnahmen, insbesondere bzgl. gering Qualifizierter, Alleinerziehender und Menschen mit Migrationshintergrund, ebenso wie passgenauere Maßnahmen zur Beschäftigung und Qualifizierung, zur Aus- und Weiterbildung könnten eine bes- sere Qualität der aktiven Arbeitsmarktpolitik und somit eine effektive Umsetzung der Strategie Europa 2020 bewirken. Dazu braucht es auch ausreichende Mittel.

 

7)  Die Definition von Langzeitarbeitslosigkeit sollte so verändert werden, dass auch tatsächlich die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit gemessen wird. Dies könnte

 

dadurch geschehen, dass entweder Menschen, die an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teilnehmen, weiterhin als „Arbeitslose“ geführt werden oder indem als Indikator für verfestigte Arbeitslosigkeit die Zahl der erwerbsfähigen Hilfebe- dürftigen herangezogen werden, die länger als ein Jahr im Hilfebezug sind, dem Arbeitsmarkt grundsätzlich zur Verfügung stehen, sich nicht in schulischer oder schulähnlicher Bildung befinden und auch kein Arbeitseinkommen beziehen.

 

Ein eigener Gliederungspunkt mit der Darstellung konkreter und geeigneter Maß- nahmen zur Reduzierung der Langzeitarbeitslosigkeit – insbesondere im Hinblick auf sich in verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit befindliche Menschen und besonders be- nachteiligte Personengruppen - im NRP wäre der Wichtigkeit des Themas angemes- sen.

 

 

 

II.         Förderung der Beschäftigung

 

Vor dem Hintergrund der Europa 2020 Ziele und der länderspezifischen Emp- fehlungen der EU-Kommission aus 2011 hat die BAGFW folgende Anmerkun- gen und Vorschläge:

 

Demografischer und sozialer Wandel führen dazu, dass ein höherer Arbeitskräftebe- darf gerade auch in der Sozialwirtschaft zu Tage tritt. Der Bedarf an zusätzlichen Ar- beitskräften verteilt sich allerdings sehr unterschiedlich auf die einzelnen Branchen:

 

-     Die Dienstleistungen für ältere Menschen und hier insbesondere die Pflege und

Alltagsbegleitung werden stark zunehmen.

-     In der Kinderbetreuung wird die Nachfrage nach Arbeitskräften ebenfalls zuneh- men, wenn auch bei weitem nicht so stark wie in der Altenpflege.

-     In der Gesundheits- und Krankenpflege stagniert der Bedarf an Arbeitskräften.

-     In der Kinder- und Jugendhilfe ist nur mit einem verhaltenen Anstieg zu rechnen. 1

 

Gerade in Bereichen mit körperlich oder psychisch anspruchsvollen Tätigkeiten (bspw. in der Altenpflege) wird zudem die Aufgabe immer wichtiger, mit älter wer- denden Beschäftigten leistungsfähig zu bleiben. Neben der notwendigen Neugestal- tung der Arbeitsbedingungen in den Unternehmen, Einrichtungen und Diensten der Sozialen Arbeit und einer nachhaltigen Personalentwicklung, um Personal länger beschäftigen zu können, kommt es vor allem darauf an, neue Fachkräfte zu akquirie- ren, insbesondere aus der Gruppe der Frauen, älterer Arbeitskräfte2, junger – auch benachteiligter – Menschen, gering Qualifizierter sowie Menschen mit Migrationshin- tergrund. Die Unternehmen der Sozialwirtschaft konkurrieren dabei mit den anderen Branchen der Volkswirtschaft.

 

 

1 Mit knapp 4 % aller Erwerbspersonen (= 1,5 Mio.) ist die Freie Wohlfahrtspflege eine volkswirtschaftlich bedeutsame Branche, die in der Vergangenheit einen hohen Beitrag zum Beschäftigungswachstum geleistet hat und auch in Zukunft zu den Wachstumsbranchen zählen wird. Zu den großen Beschäftigungsfeldern zählen die Altenhilfe (400.000 Beschäftigte), die Gesundheitshilfe (375.000) und die Kinder- und Jugendhilfe (330.000).

Die Weiterentwicklung der sozialen Dienstleistungen, insbesondere in den Bereichen Pflege und Kindertagesstätten, kann das Bestreben, die Beschäftigungsquote zu erhöhen, unterstützen und sollte forciert werden.

2 Die Erwerbstätigenquote von Frauen zwischen 55-60 und 60-65 Jahren (2009: 63,1 % und 30,4 %; vgl. dazu

Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2009) ist nach wie vor niedrig. Deshalb möchte die BAGFW ihre Bemühungen um eine nachhaltige altersgerechte Personalentwicklung fortsetzen und sich u. a. an diese Beschäftigtengruppe in ihren Arbeitsfeldern wenden, um deren Beschäftigung zu erhalten und ihr Wissen und Transfer für bzw. an neue Mitarbeiter zu sichern.

 

 

Aus diesen Gründen ist es der BAGFW wichtig,

 

1)  dass die Thematik der Anpassung der Arbeitskräfte, Unternehmen und Unter- nehmer an den Wandel auch im NRP eine Rolle spielt. Dabei sollten unter ande- rem berücksichtigt werden:

-     Verringerung des Fachkräftemangels im Bereich der Sozialwirtschaft.

-     Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Privatleben/Familie und Beruf – darun- ter auch (Teilzeit-)Qualifizierungen für Alleinerziehende.

-     Maßnahmen der Fort- und Weiterbildung sollten zu einer „Strategischen

Weiterbildungsoffensive für Beschäftigte in der Sozialwirtschaft“ werden.

 

2)  Zudem sollten die Förderung des Zugangs zum lebenslangen Lernen, die Steige- rung der Fähigkeiten und Kompetenzen der Arbeitskräfte sowie die Erhöhung der Arbeitsmarktrelevanz der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung im Zusammenhang mit der Beschäftigungsförderung thematisiert und mit entspre- chenden Maßnahmen unterlegt werden. Zentrale Aspekte dieser Maßnahmen sollten die Gewinnung junger Menschen für Berufe der Sozialwirtschaft sein, die Unterstützung innovativer Projekte beruflicher Bildung sowie Unterstützungsmaß- nahmen zur Vereinfachung des Zugangs zu Ausbildungen im Pflegebereich.

 

3)  Weiterbildung könnten eine bessere Qualität der aktiven Arbeitsmarktpolitik und somit eine effektive Umsetzung der Strategie Europa 2020 bewirken. Dazu braucht es auch ausreichende Mittel.

 

4)  Im Hinblick auf die geforderte bessere Beschäftigung von Migrantinnen und Mig- ranten fordert die BAGFW: Die Förderinstrumente des Zweiten und Dritten Sozi- algesetzbuches müssen so flexibilisiert werden, dass auf die Besonderheiten bei niedrig qualifizierten Menschen mit Migrationshintergrund reagiert werden kann. Weiter besteht die Notwendigkeit, Förderangebote für Ausländer(inne)n generell zu erhöhen. Im Rahmen der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse sind für Betroffene Rechtsansprüche auf geeignete Fördermaßnahmen zur Nachquali- fizierung zu schaffen.

 

5)  Kritisch wird im Nationalen Reformprogramm die Benennung des Bundes- freiwilligendienstes als Instrument gesehen, das die Beschäftigung von arbeits- marktfernen Personengruppen durch Berufsorientierung und einen Wiederein- stieg in den Beruf fördern soll. Dem steht entgegen, dass der Bundesfrei- willigendienst vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend und von der Bundesagentur für Arbeit nicht als Arbeitsmarktinstrument einge- schätzt wird und auch eine gezielte Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in den Bundesfreiwilligendienst untersagt ist. Die Wohlfahrtsverbände sehen in dem Bundesfreiwilligendienst vor allen Dingen ein freiwilliges Angebot zum Lernen und zur Engagementförderung von Menschen. Sie wollen sich auch engagieren, um auch benachteiligten Personengruppen den Zugang zu diesen Angeboten zu er- öffnen.

 

 

III.        Verbesserung des Bildungsniveaus

 

Hierzu macht die BAGFW folgende Anmerkungen und Vorschläge:

 

Die BAGFW stimmt der von der EU-Kommission geäußerten Kritik zu, dass das NRP

bildungspolitische Ziele nicht ausreichend formuliert.

 

Zwar ist zu begrüßen, dass die Möglichkeiten der Kinderbetreuung in Deutschland in den letzten Jahren ausgebaut worden sind. Allerdings sind die Angebote sowohl quantitativ als auch qualitativ unzureichend. So sind gesicherte Betreuungsangebote auch in Ferien- und Randzeiten sowie flexible Betreuungszeiten im Tagesablauf als auch bei den Einstiegsterminen im Jahresablauf von großer Bedeutung.

 

Die Einführung eines Betreuungsgeldes ist problematisch, wenn es sich an die Be- dingung der Nicht-Inanspruchnahme öffentlicher Kindertagesbetreuung knüpfen soll. Für Familien mit einem geringen Einkommen würde dann hier ein Anreiz geschaffen, ihr Einkommen durch die Annahme des Betreuungsgeldes zu erhöhen mit der Folge, dass in den allermeisten Fällen Frauen vom Arbeitsmarkt fern gehalten werden. Das widerspricht dem von der Bundesregierung im NRP selbst betonten Grundsatz der Gleichstellung von Männern und Frauen.

 

Die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit und stärkere Durchlässigkeit innerhalb des Bildungssystems wären einige der Hauptelemente bei der Förderung von Beschäfti- gungsfähigkeit durch das Bildungssystem. Ein gerechteres Bildungssystem erhöht

die Zugangschancen für bildungsfernere Personengruppen und erhöht dadurch die soziale Mobilität. Deutschland sollte Maßnahmen zur Herstellung von Bildungsge- rechtigkeit im NRP aufnehmen. Dies kann zum Beispiel durch längeres gemeinsa- mes Lernen, den Ausbau von Ganztagsschulen mit multiprofessionellen Teams und den flächendeckenden Ausbau von Sozialarbeit an Schulen erreicht werden.

 

Das Problem ungenügender Bildungsabschlüsse ist in Deutschland größer als die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss der Sekundarstufe II vermuten lässt. Bis- lang ist der Erfolg beim Ziel der Senkung der Schulabbrecherquote ausgeblieben: Bereits 2007 hatte Bundeskanzlerin Dr. Merkel als Ziel die Halbierung der Schulab- brecherquote durch das Programm „Schulverweigerung – Die 2. Chance“ anvisiert, was bisher jedoch allein durch dieses Programm noch nicht gelungen ist.

 

Außerdem muss den weiterhin starken Benachteiligungen am Ausbildungsstellen- markt begegnet werden. Vor allem für Jugendliche mit niedrigen Schulabschlüssen, sozialen und individuellen Benachteiligungen und für Migrantinnen und Migranten werden nicht genügend Ausbildungsplätze bereitgestellt, so dass sie überproportio- nal häufig in das Übergangssystem gelangen.

 

Über die Verringerung der Schulabbrecherquote und die Verringerung der großen Gruppe funktionaler Analphabeten (schätzungsweise 7,5 Millionen Personen) hinaus ist deshalb die Förderung der betrieblichen Ausbildung durch eine begleitende För- derung von unterstützungsbedürftigen Jugendlichen, wie etwa im Modell der „trialen Ausbildung“, ebenso nötig wie die zusätzliche Bereitstellung von Plätzen der außer- betrieblichen Ausbildung. Weiterhin nötig sind Angebote zur Nachqualifizierung zum nachträglichen Erwerb von Bildungsabschlüssen. Der Berufsbildungsbericht 2011

 

belegt die weiterhin hohe Zahl an sogenannten Altbewerberinnen und Altbewerbern. Sinnvolle Instrumente, wie der Ausbildungsbonus oder die Teilzeitausbildung für jun- ge Alleinerziehende, sollten fortgesetzt werden.