Einschätzungen und Positionen der BAGFW zur Anwendung der EU-Beihilfevorschriften

Die BAGFW begrüßt grundsätzlich das Anliegen der der Kommission, durch eine Änderung der EU-Beihilfevorschriften über Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) zu mehr Rechtssicherheit beizutragen. Die nachfolgenden Positionen beziehen sich dabei auf folgende Dokumente:

Die BAGFW begrüßt grundsätzlich das Anliegen der der Kommission, durch eine Änderung der EU-Beihilfevorschriften über Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) zu mehr Rechtssicherheit beizutragen. Die nachfolgenden Positionen beziehen sich dabei auf folgende Dokumente:

 

-     Mitteilung über die Anwendung der Beihilfevorschriften auf Ausgleichszahlungen für die Erbringung von DAWI,

-     Beschluss über die Anwendung von Artikel 106 Absatz 2 VAEU zugunsten mit

DAWI betrauter Unternehmen,

-     Mitteilung über einen EU-Rahmen für staatliche Beihilfen in Form von

Ausgleichszahlungen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen,

-     Verordnung über die Anwendung der Artikel 107 und 108 VAEU auf De-minimis- Beihilfen an Unternehmen, die DAWI erbringen.

 

Bezogen auf die Gesamtheit des Reformpakets bedauert die BAGFW, dass die Kommission ihr mehrfach erklärtes Ziel der Vereinfachung, größeren Klarheit und stärkeren Diversifizierung der Beihilferegeln nicht erreicht hat. Im Gegenteil sind die Vorschriften zum Teil schwieriger und komplizierter geworden. Einzelne Bestimmungen erscheinen in der Praxis nicht oder nur schwer umsetzbar. Verstärkte Berichtspflichten tragen zu einem erheblich größeren bürokratischen Aufwand bei. Auch die angekündigte Entlastung lokaler Dienstleistungen wird mit der vorgelegten De-minimis-Verordnung nur sehr eingeschränkt gelingen.

 

 

 

Beschluss über die Anwendung von Art. 106 Abs. 2 VAEU auf Ausgleichs- zahlungen zugunsten mit DAWI betrauter Unternehmen

 

Artikel 1 - Anwendungsbereich

 

Art. 1 Abs. 1c) Satz 1

 

Unabhängig von deren Höhe, fallen künftig auch Ausgleichszahlungen an DAWI zur Deckung des „sozialen Bedarfs“ in den Anwendungsbereich des Freistellungs- beschlusses.

 

Allerdings schränkt der Bezug auf den „wesentlichen“ sozialen Bedarf sowie auf

„schwächere Bevölkerungsgruppen“ den Anwendungsbereich von Art. 1 Abs. 1c) ein. Dies folgt der bisherigen Argumentationslinie der Kommission, wie sie etwa in der

 

 

 

Entscheidung zum sozialen Wohnungsbau in den Niederlanden zum Ausdruck kam. Bedarfe für soziale Dienstleistungen entstehen dagegen in allen Bevölkerungsschichten. Im Übrigen deckt ein Dienst von allgemeinem sozialem Interesse immer einen „wesentlichen“ sozialen Bedarf, da er sonst keine DAWI wäre. Etwaige Luxusdienstleistungen lassen sich eher durch die Missbrauchskontrolle der Kommission ausschließen, indem die Prüfung eines offenkundigen Fehlers vorgenommen wird. Das Kriterium „wesentlich“ bringt eine unnötige zusätzliche Unschärfe in die Regelung und schränkt den Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Ausgestaltung der DAWI zu weit ein.

 

Mit der Verwendung des Begriffs der schwächeren Bevölkerungsgruppen wird der Ansatz der Kommission der Vielfalt der sozialen Dienstleistungen, die grundsätzlich allen Bürgern offen stehen, nicht gerecht. Vielmehr sollte eine universellere Beschreibung der Adressaten von sozialen Diensten verwendet werden, zum Beispiel entsprechend der Formulierung in Art. 2 Abs. 2 j) der Dienstleistungsrichtlinie (RL 2006/123/EG).

 

Statt „schwächere Bevölkerungsgruppen“ wäre aus unserer Sicht vorzugswürdig: unterstützungsbedürftige Personen. Ansonsten wären soziale Dienste wie etwa Altenpflege, Familienberatungsstellen etc. nicht unbedingt erfasst.

 

Art. 1 Abs. 1c) Satz 2

 

Die Regelung sollte auf Ausgleichszahlungen für Unternehmen anwendbar sein, deren Tätigkeiten „im wesentlichen“ auf die genannten Tätigkeiten beschränkt sind. Geringfügige gewerblich Nebentätigkeiten sollten die Anwendbarkeit von Art. 1 Abs.

1c) dann nicht ausschließen, wenn der Hauptzweck des Unternehmens eindeutig in der Erbringung der DAWI liegt. Diesem Gedanken trägt auch die Formulierung in Erwägungsgrund Nummer 10 (Satz 2) Rechnung.

 

Da diejenigen sozialen Dienste, die nicht von dieser Ausnahmeregelung erfasst wären, ihre öffentliche Förderung an dem Schwellenwert von 15 Mio. € messen müssen, führt dies zu einer Verschlechterung, da die Entscheidung vom 28.11.2005 einen Schwellenwert von 30 Mio. € vorsah. Dieser Wert sollte beibehalten werden.

 

Art. 1 Abs. 2

 

Der Beschluss soll nach den vorliegenden Vorschlägen der Kommission nur zur Anwendung kommen, wenn der Betrauungszeitraum auf max. 10 Jahre beschränkt wird. Lediglich bei erheblichen Investitionen vom Dienstleistungserbringer können Betrauungsakte von längerer Dauer unter den Anwendungsbereich fallen.

 

Diese Beschränkung verdeutlicht erneut die eingeschränkte Sichtweise der Kommission auf die verschiedenen Formen der sozialen Dienstleistungserbringung, die in der Regel auf Dauer angelegt ist. Gemeinnützige Dienstleistungserbringer unterliegen oftmals längeren Mittelbindungsfristen (in der Regel 25 Jahre). Deshalb würden zeitliche Befristungen zu erheblichen Unsicherheiten für die Dienstleistungserbringer führen.

 

Im Übrigen stellt sich auch die Frage, wann eine „erhebliche Investition“ vorliegt. Wenn die Regelung ermöglichen soll, dass ein Betrauungsakt nach 10 Jahren in

 

 

 

identischer Form erneuert werden kann, ist die Sinnhaftigkeit dieser zeitlichen

Begrenzung fraglich, denn sie enthält keine materielle Beschränkung.

 

Art. 3 f) - Betrauung

 

Zusätzlich zu der bisherigen Regelung in der Entscheidung 2005/842/EG muss der Betrauungsakt immer auch einen Verweis auf den neuen Freistellungsbeschluss der Kommission enthalten.

 

Hier müsste im weiteren Beratungsverfahren klargestellt werden, dass das Fehlen des Verweises nicht die Unwirksamkeit des Betrauungsaktes nach sich ziehen soll. Es wäre aus unserer Sicht unverhältnismäßig, eine derartige Rechtsfolge an diesen formellen Verstoß zu knüpfen. Der Verweis verstärkt den bürokratischen Aufwand ohne erkennbaren Mehrwert. Zudem ist eine flächendeckende Beachtung eines solchen Erfordernisses wegen unterschiedlicher Kenntnis auf lokaler Ebene auch angesichts des förderalen Gliederung Deutschlands praktisch erst langfristig umsetzbar.

 

Art. 4 - Ausgleich

 

Mit Abs. 3, Satz 2 soll den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt werden festzulegen, dass „Gewinne aus anderen Tätigkeiten […] ganz oder teilweise in die Finanzierung der Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse fließen müssen“. Dies stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Unternehmenshoheit dar. Es sollte unbedingt dem einzelnen Unternehmen überlassen bleiben, ob und in welchem Ausmaß Gewinne aus anderen Tätigkeiten in die Finanzierung der Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse fließen.

 

In Abs. 6 wird eine Kapitalrendite als angemessen angesehen, die den relevanten Swap-Satz zuzüglich eines Aufschlags von 100 Basispunkten nicht überschreitet. Dies entspricht in vielen Bereichen nicht der „Marktüblichkeit“.

 

Die Orientierung an dem Swap-Satz scheint darüber hinaus willkürlich gegriffen und steht insbesondere nicht in einem sachlichen Zusammenhang zur Tätigkeit der Dienste von allgemeinem Interesse. Darüber hinaus scheint dem Kriterium eine Orientierung an einer institutionellen Förderung zugrunde zu liegen. Eine solche Förderung gibt es in der Freien Wohlfahrtspflege jedoch nicht mehr.

 

Wir schlagen vor, zur Berechnung des angemessenen Gewinns auf die bewährte

Vorschrift des Art. 5 Abs. 4 der Entscheidung 2005/842/EG zurück zu greifen.

 

Im Übrigen ist völlig unklar, wann die Verwendung der Kapitalrendite nach Abs. 7 nicht möglich sein soll und dann auf andere Indikatoren ausgewichen werden kann.

 

Art. 7 - Meldungen

 

Die Mitgliedstaaten müssen alle zwei Jahre (nach Entscheidung 2005/842/EG bisher alle drei Jahre) Bericht mit detaillierten Angaben an die Kommission übermitteln.

 

Dies halten wir für unangemessen. Die regelmäßige Berichterstattung anhand genau definierter Kriterien führt zu einem erheblichen bürokratischen Aufwand, dessen

 

 

 

Nutzen fraglich ist. Zumindest ist bei einer solchen Berichtspflicht den lokalen und regionalen Gegebenheiten Rechnung zu tragen, was den bürokratischen Aufwand dann allerdings wiederum bis auf die kleinsten entscheidenden Einheiten in einem Mitgliedstaat ausdehnt.

 

 

 

VO über De-minimis-Beihilfen

 

Die BAGFW begrüßt, dass die Kommission eine eigenständige De-minimis-Regelung für DAWI vorschlägt. Dies entspricht einer Forderung, die die BAGFW gemeinsam mit der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände zuletzt im Juni 2010 erhoben hat. Mit diesem Ansatz könnte eine Vielzahl kleiner und mittlerer Einrichtungen, bei denen eine Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Handels von vorneherein ausgeschlossen erscheint, vom Anwendungsbereich des Europäischen Beihilfenrechts und damit auch von den diese Einrichtungen häufig überfordernden Nachweis- und Dokumentationspflichten entlastet werden

 

Art. 1 Abs. 2- Geltungsbereich

 

Der Geltungsbereich der VO umfasst allerdings nur Beihilfen, die von lokalen Behörden, die eine Bevölkerung von weniger als 10 000 Einwohner vertreten, gewährt werden. Die Kommission geht davon aus, dass bei derartigen Ausgleichszahlungen der Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt und/oder der Wettbewerb nicht verfälscht wird.

 

Die Orientierung an der Einwohnerzahl, die von der jeweilig zuwendenden lokalen Gebietskörperschaft vertreten wird, halten wir in diesem Zusammenhang für sachfremd. Es ist nicht einleuchtend, dass Unternehmen, die im Hinblick auf Jahresumsatz und Ausgleichzahlung als gleich angesehen werden müssen, unterschiedlich behandelt werden, nur weil der Sitz des Dienstleistungserbringers in einer Gebietskörperschaft liegt, die mehr als 10 000 Einwohner umfasst. Das in der Mitteilung „Reform der EU-Beihilfevorschriften über Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ vom 23. März 2011 [KOM(2011)145 endg.] angekündigte Ziel, bestimmte lokale, soziale Dienstleistungen aus dem Anwendungsbereich des Beihilfenrechts auszunehmen, würde mit dieser Beschränkung weitgehend verfehlt.

 

Es ist richtig, dass Kriterien zur Eingrenzung der Beschränkung des grenzüberschreitenden Handels zu bestimmen sind. Bei der lokalen Verankerung eines sozialen Dienstes kommt es hingegen nicht auf die Einwohnerzahl der Ortsgemeinde an, sondern auf Kriterien, welche die Art der Dienstleistung beschreiben. Die BAGFW spricht sich dafür aus, die in der o. g. Mitteilung über die Anwendung der Beihilfevorschriften genannten Kriterien hierfür heranzuziehen, unter Weglassung es Begriffs „ausschließlich“ (Ziffer 35 der Mitteilung). Zudem schlägt sie folgende Kriterien vor, um die Lokalität eines Dienstes von allgemeinem Interesse zu beschreiben:

a) die Nutzer, Dienstleistungserbringer, Freiwillige, kommunale Behörde, ggf. örtliche Kirchengemeinde und andere örtliche Vereine und Organisationen sind an dem Konzept des sozialen Dienstes beteiligt;

b) der Einzugsbereich des Dienstleistungserbringers ist überwiegend regional begrenzt und es sind keine Nutzer aus grenzüberschreitender Herkunft zu erwarten;

 

 

 

c) die Dienstleistung ist in keiner Weise einzigartig für die Region, bzw. den Mitglied- staat und wird nicht über die Region hinaus beworben;

d) die Erbringung der Dienstleistung ist nur erfolgversprechend, wenn dem Anbieter der lokale Kontext bzw. die örtlichen Gegebenheiten vertraut sind. Typisch für die Erbringung einer sozialen Dienstleistung ist die persönliche Zuwendung und zwischenmenschliche Verbindung zwischen den Mitarbeiter/innen der sozialen Arbeit und den Nutzer/innen. Diese kann erfahrungsgemäß am besten in Kenntnis der Sprache, örtlichen Mentalität, ethischen und religiösen Grundsätze und lokalen Strukturen erfüllt werden, folglich von örtlichen Dienstleistungsanbietern.

(Auszug aus der BAGFW-Stellungnahme zur Mitteilung KOM (2011)146 endg. vom 6. Juni 2011)

 

Die Finanzierung der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse in Deutschland erfolgt zu einem erheblichen Anteil über die Landkreise und kreisfreien Städte sowie über überörtliche Träger. Diese Finanzierungsform dient der Effizienz- und Qualitätssteigerung. Es ist deshalb nicht ersichtlich, warum gerade diese wirtschaftliche Finanzierungsform und darüber hinaus die verschiedenen Formen der Mischfinanzierung nicht mehr in den Anwendungsbereich der Regelung fallen sollen.

 

Art. 2 Abs. 2 – De-minimis-Beihilfen

 

Die Befreiung von der Anmeldepflicht ist nach den vorliegenden Vorschlägen der

Kommission weiterhin erfüllt, wenn

-     die gewährten Beihilfen 150 000 € je Steuerjahr nicht überschreiten

-     in den beiden dem Jahr der Beihilfegewährung vorangegangenen

Geschäftsjahren der durchschnittliche Jahresumsatz 5 Mio. € nicht überschreitet. Bei Überschreiten des Höchstbetrages für Beihilfen ist eine Inanspruchnahme der

VO ausgeschlossen.

 

Die vorgeschlagenen De-minimis-Schwellenwerte sind zwar im Vergleich zur allgemeinen De-minimis-Verordnung (VO 1998/2006) erhöht, bleiben aber unter dem Vorschlag von 500.000 € in drei Steuerjahren, den die BAGFW in der gemeinsamen Stellungnahme mit den kommunalen Spitzenverbänden vom Juni 2010 eingebracht hat sowie unter dem Vorschlag des AdR (2011/C259/08) von 800.000 € je Steuerjahr.

 

 

 

Mitteilung über die Anwendung der Beihilfevorschriften der Europäischen

Union

 

Die BAGFW sieht einen erheblichen Änderungsbedarf in den Formulierungen zu den Ziffern 42 und 43. Dort wird erörtert, welche Kriterien die Kommission im Rahmen der Kontrolle eines offenkundigen Fehlers bei der Einstufung einer Dienstleistung als

eine DAWI heranziehen könne. Dabei wird der offenkundige Fehler anhand eines Ansatzes zum Marktversagen näher beschrieben. Ein solcher Ansatz würde die Gestaltungshoheit der Mitgliedstaaten erheblich einschränken. Ein solches Verfahren geht über die Prüfung eines offenkundigen Fehlers hinaus und widerspricht damit der bestehenden Kompetenzordnung. Missverständlich ist insbesondere Ziffer 43. Die beabsichtigte Regelung, dass dann keine DAWI vorliegt, wenn die gleiche Dienstleistung durch gewerbliche Anbieter im gleichen Marktsegment erbracht wird

ist eine sachfremde Einschränkung der Arbeit frei-gemeinnütziger Träger und

 

 

 

widerspricht dem bestehenden, wettbewerbsorientierten System der Erbringung sozialer Dienstleistungen in Deutschland.

 

Die BAGFW spricht sich dafür aus, von diesen Kriterien für einen „offenkundigen Fehler“ abzusehen, da sie missverständlich sind und den Begriff des „offenkundigen Fehlers“ nicht klären.

 

 

 

Darüber hinaus fänden wir es hilfreich, wenn bei solch weit reichenden Regelungen eine Folgenabschätzung, etwa im Hinblick auf den Verwaltungsaufwand, vorgenommen würde.