Gemeinsame Position BAGFW, EFAS, BAG IDA und BAG Arbeit zur geplanten Instrumentenreform im SGB II, insbesondere zu öffentlich geförderter Beschäftigung

Die Bundesregierung plant, im Jahr 2011 die arbeitsmarktpolitischen Instrumente des SGB II neu auszurichten und hat wichtige ihrer Anliegen dazu bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben.

 

Die Bundesregierung plant, im Jahr 2011 die arbeitsmarktpolitischen Instrumente des SGB II neu auszurichten und hat wichtige ihrer Anliegen dazu bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Ein wesentliches Ziel der Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente soll sein, den Ermessensspielraum für die Ausgestaltung der Arbeitsmarktinstrumente vor Ort zu erhöhen, um die Integrationschancen der Menschen entsprechend der örtlichen Bedingungen zu verbessern. Arbeitsmarktinstrumente sollen effektiver und effizienter eingesetzt werden.

 

Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, die Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft Integration durch Arbeit (IDA) im Deutschen Caritasverband, der Fachverband für Arbeit und soziale Integration e.V. (EFAS) im Diakonischen Werk der EKD sowie die BAG Arbeit greifen mit dem vorliegenden Positionspapier dieses und weitere Grundanliegen für eine Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente auf und verdeutlichen die aus ihrer Sicht notwendigen Ansatzpunkte, um die öffentlich geförderte Beschäftigung fortzuentwickeln.

 

1.   Die Integrationsstrategie

 

Situation

 

Die bisherigen arbeitsmarktpolitischen Instrumente sind sehr stark maßnahmenorientiert, d.h. die Fördervoraussetzungen der einzelnen Instrumente sind sowohl bezüglich der Gruppen, für die die Instrumente vorgesehen sind, als auch bezüglich der Anwendungsdauer und -art detailliert geregelt. Auch bei der Gestaltung der Maßnahme, z. B. bzgl. des Umfangs von Qualifizierungsanteilen oder sozialpädagogischer Begleitung, gibt es wenig Spielraum. In der Praxis zeigt sich, dass die „starren“ Instrumente oftmals für die vielfältigen und unterschiedlichen Unterstützungsbedarfe zur Eingliederung in Arbeit nicht passgenau sind.

 

Auf die individuellen Bedürfnisse einzelner Leistungsempfänger kann daher vor Ort kaum eingegangen werden. Wie aus der Praxis der unterzeichnenden Verbände immer wieder gemeldet wird, kann das zur Folge haben, dass die Teilnehmer nach Beendigung der Maßnahme oft frustriert sind, weil sich ihre Chancen auf eine Vermittlung in Arbeit kaum verbessert haben. Die individuellen Problemlagen bestehen oftmals nach wie vor.

 

 

Bewertung

 

Um die Arbeitsmarktförderung zu verbessern, ist es dringend notwendig, die Förderung individueller und zielorientierter auszugestalten.

 

Lösungsvorschlag

 

Mit der vorliegenden Positionierung benennen die Verbände ein Kernanliegen für die anstehende Instrumentenreform im SGB II: Die Förderung von Langzeitarbeitslosen sollte konsequent an einer Integrationsstrategie entlang der individuellen Situation und der daraus abgeleiteten Zielausrichtung gestaltet werden. Die Eingliederungsstrategie muss daran ausgerichtet werden, was für den jeweiligen Menschen in seiner konkreten Situation angebracht ist. Hierbei können längerfristige Angebote sinnvoll sein. Die Eingliederungsstrategie wird dann nicht danach bestimmt, ob die Person bestimmte Voraussetzungen erfüllt, sondern die Maßnahme wird danach ausgewählt, ob damit ein individuelles Ziel erreicht werden kann. Um insbesondere die Förderung von Langzeitarbeitslosen mit sehr schlechten Vermittlungsaussichten in der Praxis möglich zu machen, muss auch das bisherige Finanzierungssystem geändert werden. Hier erscheint ist es dringend notwendig die passiven Leistungen, die bei einer öffentlich geförderten Beschäftigung eingespart werden, zur Finanzierung der Förderung heranzuziehen, also einen Transfer der passiven Mittel in den Eingliederungstitel zuzulassen.

 

2.   Die Rolle der öffentlich geförderten Beschäftigung

 

Situation

 

Die Instrumente der öffentlich geförderten Beschäftigung, v.a. die Arbeitsgelegenheiten unterliegen detaillierten und bundesweit gültigen Regelungen. Diese sind zum Teil gesetzlich, überwiegend aber in den Weisungen der Bundesagentur für Arbeit niedergelegt. Im Zuge der SGB II-Organisationsreform, die zum 1.1.2011 in Kraft getreten ist, werden diese für alle Jobcenter verbindlich.[1] Für Zusatzjobs gelten insbesondere als Fördervoraussetzungen die Nachrangigkeit, das öffentliche Interesse, die Zusätzlichkeit der Arbeiten, das Kriterium der Wettbewerbsneutralität und die arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit. Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante unterliegen der Nachrangigkeit und sind ebenso wettbewerbsneutral wie arbeitsmarktpolitisch zweckmäßig auszugestalten. Zu jedem einzelnen dieser Kriterien gibt es zusätzliche Umsetzungsvorgaben.

 

Bewertung

 

Die detaillierten Regelungen führen einzeln, v.a. aber in ihrem Zusammenwirken, zu erheblichen Umsetzungsproblemen in der Praxis der öffentlich geförderten Beschäftigung. Eine gute Förderung von Arbeitslosen wird durch die engen Vorgaben behindert. So führt zum Beispiel eine enge Auslegung der Zusätzlichkeit bei den Zusatzjobs dazu, dass es häufig nicht gelingt, sinnvolle Tätigkeiten zu ermöglichen[2]. Am besten entscheiden die regionalen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsakteure in einem gemeinsamen Verständigungsverfahren über die Tätigkeitsfelder aller arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.

 

Darüber hinaus sollte der Zielkonflikt bei den Zusatzjobs aufgelöst werden: Sie sollen Arbeitslose mit Vermittlungshemmnissen schrittweise wieder an den Arbeitsmarkt heranführen. Die Integration in ein reguläres Arbeitsverhältnis ist nicht das unmittelbare Ziel der Zusatzjobs. Ihr arbeitsmarktpolitischer Erfolg wird jedoch an einer möglichst hohen Integrationsquote in den allgemeinen Arbeitsmarkt gemessen. Hier sollte die Zielmessung der Zielsetzung und Zielgruppe des Instruments angepasst werden: Nicht die unmittelbare Arbeitsmarktintegration kann Gradmesser für die Effektivität der Arbeitsgelegenheit in Mehraufwandsvariante sein, sondern Integrationsfortschritte (im Hinblick auf beispielsweise psychische und soziale Stabilisierung, Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit).  

 

Der Bundesrechnungshof hat in einem aktuellen Prüfbericht[3] darauf hingewiesen, dass es in der Praxis sehr schwierig abzugrenzen sei, welche Arbeiten zusätzlich und welche Pflichtaufgaben sind. Die Umsetzung der Kriterien der Zusätzlichkeit, des öffentlichen Interesses und der Wirtschaftsneutralität hat sich als äußerst verwaltungsaufwändig herausgestellt, ohne dass der Praxis eine rechtssichere und stringente Umsetzung gelungen sei.

 

Auch bei Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante führen die Vorgaben der Arbeitshilfen zu einem engen Anwendungsbereich. Sie können derzeit marktnah ausgestaltet werden, ohne aber den Markt beeinflussen zu dürfen.

 

Die heute geltenden detaillierten zentralen Vorgaben für alle Instrumente der öffentlich geförderten Beschäftigung behindern eine dezentrale Umsetzung der Fördermaßnahmen und deren Anpassung an die lokalen Bedingungen des Arbeitsmarktes. Zwar wird von der Bundesagentur für Arbeit empfohlen, die Fördermaßnahmen im lokalen Konsens der Arbeitsmarktakteure abzustimmen. Allerdings wird das Ergebnis eines lokalen Konsenses selbst unter Beteiligung aller relevanten Gruppen nicht zwangsläufig von den überörtlichen Prüfstellen anerkannt, sondern droht nach den Erfahrungen der Praxis auch in Zukunft immer wieder und überraschend infrage gestellt zu werden.

 

Lösungsvorschlag

 

Mit der Instrumentenreform werden die Voraussetzungen für einen dezentralen Verantwortungsrahmen zur Umsetzung der öffentlich geförderten Beschäftigung geschaffen. Vor Ort kann am besten entschieden werden, welche Zielgruppen in die öffentlich geförderte Beschäftigung einbezogen werden sollen, wie die Angebote ausgestaltet werden müssen und wie die Förderung in Einklang mit den Interessen der lokalen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gebracht werden können.

 

Auf bundesgesetzlicher Ebene soll die Steuerung im Wesentlichen über Ziele erfolgen, die mit der öffentlich geförderten Beschäftigung erreicht werden sollen. Durch eine gesetzliche Verankerung der Ziele soll sich der Gesetzgeber klar zu den Aufgaben der öffentlich geförderten Beschäftigung bekennen.

 

Den örtlichen Arbeitsmarktakteuren bleibt überlassen zu entscheiden, wie sie die gesetzlichen Ziele priorisieren und mit welchen Angeboten der öffentlich geförderten Beschäftigung sie diese Ziele umsetzen. Das Gesetz bietet nur einen offen gehaltenen Orientierungsrahmen ohne einengende Voraussetzungen. In den Handlungsanweisungen der BA wird auf weitere Fördervoraussetzungen verzichtet.

 

Im Positionspapier „Mehr Teilhabe durch Arbeit. Mit klaren Rahmenbedingungen einen sozialen Arbeitsmarkt schaffen“ haben die o.g. Verbände bereits die Ziele genannt, die öffentlich geförderte Beschäftigung erfüllen kann:

 

Brückenfunktion/Übergangsarbeitsmarkt: Öffentlich geförderte Beschäftigung soll dazu dienen, die Beschäftigungsfähigkeit der Menschen zu erhalten bzw. wieder herzustellen, ihre Qualifikationen zu erhalten oder zu verbessern und Langzeitarbeitslose hiermit wieder in den allgemeinen Arbeitsmarkt einzugliedern.

 

Integrationsfunktion: Zum andern soll mit öffentlich geförderter Beschäftigung auch ein sozialer Aspekt verfolgt werden, da Menschen mit besonders schweren Vermittlungshemmnissen die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht werden kann.

 

Strukturelle Funktion/Marktersatzfunktion: Schließlich spielen bei den Chancen der Integration in Arbeit in bestimmten Regionen auch strukturelle Faktoren, wie z.B. eine besonders hohe Arbeitslosigkeit eine Rolle. Hier kann öffentlich geförderte Beschäftigung ein wichtiger Bestandteil der lokalen Arbeitsmarktpolitik sein.

 

Im Zuge der Instrumentenreform müssen diese Ziele in das Sozialgesetzbuch II aufgenommen werden. Das bedeutet zugleich, dass eine derzeit zentrale inhaltliche Steuerung der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen in eine weitgehend eigenverantwortliche, dezentrale Aufgabenwahrnehmung auf örtlicher Ebene überführt wird, die lediglich einer Steuerung über Zielvereinbarungen unterliegt. Diese Zielvereinbarungen zwischen Bund und Ländern bzw. ausführenden und aufsichtsführenden Stellen müssen die gesetzlich geregelten Eingliederungsziele aufgreifen. So sollte z. B. über eine Zielvereinbarung sichergestellt werden, dass eine bestimmte Anzahl von Maßnahmen des Rahmenförderinstruments „öffentlich geförderte Beschäftigung“ den individuellen Zielen der Stabilisierung der Beschäftigungsfähigkeit dient.

 

Es wird zugleich gesetzlich geregelt, dass in dem örtlichen Beirat nach § 18 d SGB II im lokalen Einvernehmen unter Beteiligung der relevanten Arbeitsmarktakteure (insbesondere freie Träger, Gewerkschaften, Wirtschaft und Kammern) entschieden wird, in welchen Tätigkeitsfeldern, in welchem Umfang und in welcher Art Angebote der öffentlich geförderten Beschäftigung geschaffen werden. Eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote, darunter sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsangebote wie auch Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung, marktnahe und gemeinwohlorientierte Tätigkeitsfelder, Vollzeitbeschäftigungen und stundenweise Angebote können hierbei zum Einsatz kommen. Für langzeitarbeitslose Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen wären mit einem Lohnkostenzuschuss längerfristige Angebote der öffentlich geförderten Beschäftigung zu schaffen.

 

Auf Basis dieses lokal geschaffenen Rahmens muss eine individuelle Förderung durch die persönlichen AnsprechpartnerInnen bzw. das Fallmanagement ansetzen.



[1] Zum Teil wird vertreten, dass die die Weisungen der BA für ARGE-Geschäftsführer, die bei der Kommune angestellt sind, bis zum 31.12.2010 nicht verbindlich waren, sondern lediglich Handlungsempfehlungen.

[2] Exemplarische  Beispiele: Die Instandhaltung von Möbeln in sozialen Einrichtungen wird auf Möbel in Puppenstuben reduziert. In Senioreneinrichtungen ist spontanes Mundabwischen verboten, genauso wie das Wegwischen von Kaffeeflecken, weil es sich um Regelaufgaben des Pflege/Reinigungspersonals handelt. Bei den Berliner Tafeln dürfen Arbeitslose nicht bei der Speisenorganisierung/-Vergabe helfen, weil dies Satzungszwecke sind, und damit Regelaufgaben des Vereins, der wiederum aber auf ehrenamtliche Helfer zurückgreift. In Hessen hat die Innenrevision einer ARGE zwar den Einsatz von Arbeitslosen in Arbeitsgelegenheiten nicht gänzlich bei den Tafelprojekten verboten, aber verlangt, dass die Tätigkeit der Arbeitslosen auf die Begrüßung der Ankommenden beschränkt bleibt.

 

[3] Mitteilung an den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit über die Prüfung der Arbeitsgelegenheiten und Leistungen zur Beschäftigungsförderung  (§§ 16 d und 16 e SGB II) vom 12.8.2010