Konsultationspapier der BAGFW zur Strategie Europa 2020

Die Strategie „Europa 2020“ wurde im März 2010 als EU-Strategie zur Förderung eines intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums auf den Weg gebracht.

 

 

A) Hintergrundinformationen zur öffentlichen Konsultation:

Die Strategie „Europa 2020“ wurde im <link http: eur-lex.europa.eu lexuriserv>März 2010 als EU-Strategie zur Förderung eines intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums auf den Weg gebracht. Sie zielt auf eine wissensgestützte, wettbewerbsfähige europäische Wirtschaft bei gleichzeitiger Wahrung der sozialen Marktwirtschaft in der EU und Verbesserung der Ressourceneffizienz. Daher wurde sie als Partnerschaft zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung konzipiert.

Die Strategie Europa 2020 ist auf fünf <link http: ec.europa.eu europe2020 europe-2020-in-a-nutshell targets index_de.htm>Kernziele in den Bereichen Beschäftigung, Forschung und Entwicklung, Klima und Energie[1], Bildung sowie Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ausgerichtet. Außerdem umfasst sie sieben Aktionsprogramme, so genannte <link http: ec.europa.eu europe2020 europe-2020-in-a-nutshell flagship-initiatives index_de.htm>Vorreiterinitiativen, in Bereichen, die als entscheidende Triebkräfte für das Wachstum gelten, nämlich Innovation, digitale Wirtschaft, Beschäftigung, Jugend, Industriepolitik, Armut und Ressourceneffizienz. Die Ziele der Strategie werden auch durch Maßnahmen auf EU-Ebene unterstützt, beispielsweise in den Bereichen Binnenmarkt, EU-Haushalt und Außenpolitik der EU.

Die Umsetzung und Überwachung der Strategie Europa 2020 erfolgt im Rahmen des <link http: ec.europa.eu europe2020 making-it-happen index_de.htm>Europäischen Semesters (jährlicher Zyklus der Koordinierung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik der EU-Länder). Im Rahmen des Europäischen Semesters einigen sich die EU-Institutionen auf allgemeine Prioritäten und die jährlichen Mittelbindungen der Mitgliedstaaten und erörtern die von der Kommission erarbeiteten und auf höchster Ebene von den Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat gebilligten länderspezifischen Empfehlungen. Diese Empfehlungen sollten dann in die Politik- und Haushaltsgestaltung der Mitgliedstaaten einfließen. Zusammen mit dem EU-Haushalt sind die länderspezifischen Empfehlungen wesentliche Instrumente für die Umsetzung der Strategie Europa 2020.

Vier Jahre nach der Einführung der Strategie Europa 2020 hat die Kommission vorgeschlagen, die Strategie einer Überprüfung zu unterziehen, und der Europäische Rat hat diesem Vorschlag am 20./21. März 2014 zugestimmt. Am 5. März 2014 hat die Kommission eine Mitteilung „Bestandsaufnahme der Strategie Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ angenommen (<link http: ec.europa.eu europe2020 pdf europe2020stocktaking_de.pdf europe2020stocktaking_en.pdf>Mitteilung und <link http: ec.europa.eu europe2020 pdf europe2020stocktaking_annex_de.pdf europe2020stocktaking_annex_en.pdf>Anhänge), in der sie vorläufige Schlüsse aus den ersten Jahren der Umsetzung der Strategie zieht. Aufbauend auf diesen ersten Ergebnissen und im Umfeld einer allmählichen Erholung der europäischen Volkswirtschaften sollten wir nun über die Ausgestaltung der Strategie für die kommenden Jahre nachdenken.

Mit diesen Fragen möchten wir Ihre Meinung dazu einholen, was aus den ersten Jahren der Strategie Europa 2020 zu lernen ist und was wir bei ihrer Weiterentwicklung zu einer Nachkrisen-Wachstumsstrategie berücksichtigen müssen.

 

B) Fragen:

1) Bilanz der Strategie „Europa 2020“ von 2010 bis 2014

Inhalt und Umsetzung

·         Was bedeutet die Strategie Europa 2020 für Sie? Was verbinden Sie hauptsächlich mit der Strategie?

Ganz allgemein ist es aus Sicht der BAGFW ein politischer Gewinn, dass der Wachstumsbegriff eine Qualifizierung erhalten hat, die Nachhaltigkeit, Inklusion und Intelligenz im Umgang mit Wachstum umfasst.

 

Für die BAGFW sind vor allem die sozialpolitischen Ziele von Relevanz. Neben den Beschäftigungs- und Bildungszielen ist besonders das Armutsziel für die BAGFW entscheidend. Erstmals wurde das Thema „soziale Inklusion“ durch die Europa 2020 Strategie auf die europäische Agenda gesetzt, weshalb die BAGFW die Strategie ausdrücklich unterstützt.

 

Ziel der Strategie „Europa 2020“ ist es, Wachstums- und Beschäftigungsimpulse zu setzen. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat aber in zahlreichen Mitgliedstaaten zu einer Austeritäts- und ausgabenreduzierten Wachstumspolitik geführt. Darunter litten vor allem in den Programmländern die sozialpolitischen Ziele, insbesondere das Armutsziel.

 

Aus Sicht der BAGFW kann die Europa 2020 Strategie am Ende der Dekade aber nur erfolgreich sein, wenn sich für die Menschen „soziale Inklusion“ im Sinne des erklärten integrativen Wachstums in ihrer Lebenswirklichkeit erkennen lässt. Die wirtschaftliche Überwindung der Krise und die Verwirklichung der sozialen Inklusion müssen als zwei Seiten einer Medaille gesehen werden.

 

·         Hat die Strategie Europa 2020 Ihrer Auffassung nach etwas bewirkt? Bitte erläutern.

Die Strategie hat es zumindest geschafft, klare Zielvorgaben zu benennen. Auch die Verknüpfung mit dem Europäischen Semester ist zu begrüßen und sinnvoll. Allerdings bedarf es hierbei einer noch intensiveren Verzahnung. Eine verbesserte Abstimmung zwischen den Instrumenten der Offenen Methode der Koordinierung und dem Europäischen Semester ist notwendig. Die sozialpolitischen Vorgaben und insbesondere das Ziel zur Armutsbekämpfung: Reduzierung der von Armut bedrohten Menschen um mindestens 20 Mio. (= -25%) müssen mehr und besser in den Prozess der Nationalen Reformprogramme (NRP) integriert werden, um eine stärkere Zielverpflichtung der Mitgliedstaaten zu erreichen und dadurch mehr Verbindlichkeit sicherzustellen.

 

Die Wirkung und der Wert der Strategie liegen vor allem in der Notwendigkeit der Mitgliedstaaten, sich enger miteinander abzustimmen, und in der damit verbundenen Möglichkeit einer gemeinschaftlichen Prozesssteuerung. Dabei soll der richtige makroökonomische Reformpfad beschritten werden und sich die nationalen Wirtschaftspolitiken am Reform- und Modernisierungsbedarf ausrichten, wie er vom Jahreswachstumsbericht und den Nationalen Reformprogrammen (NRPs) beschrieben wird.

 

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich die Reformen häufig in Gebieten bewegen, in denen die Kommission keine oder eine nur teilweise Möglichkeit zur Gesetzgebung hat. Bewirkt hat die Strategie u.a. über ihren Prozess des Europäischen Semesters, dass eine stärkere politische Wahrnehmung gesamteuropäischer Zusammenhänge auf nationaler Ebene und auch eine stärkere Verbindlichkeit vor allem der Wachstumsverpflichtung erzielt wird. Die Verbindlichkeit der qualitativen Ziele leidet allerdings unter der oft eindimensionalen Ausrichtung der Mitgliedstaaten auf das wirtschaftliche Wachstum.

 

·         Hat sich Ihr Land von dem Vorgehen anderer EU-Länder in den Europa-2020-Kernbereichen beeinflussen lassen? Bitte führen Sie Beispiele an.

Hierzu liegen uns keine Erkenntnisse vor. Nach unserem Eindruck ist dies nicht der Fall.

 

·         Sind die Interessenträger in Ihrem Land ausreichend in die Strategie Europa 2020 eingebunden? Sind Sie selbst in die Strategie Europa 2020 eingebunden? Würden Sie sich gern stärker beteiligen? Falls ja, wie?

Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat das deutsche Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die Sozialverbände bei der Erstellung der jährlichen Fortschreibung des NRP einbezogen. Die Fristsetzungen sind jedoch – auch durch die Terminsetzung des Europäischen Semesters – immer noch zu eng. Ohne entsprechende Vorarbeiten und Begleitung durch vorhandene administrative Strukturen in den Organisationen, die den europäischen Prozess verfolgen, wäre eine Mitwirkung kaum möglich. Oft müssen Rückmeldungen innerhalb weniger Tage (in 2014 waren es lediglich 2 Werktage!) bei den Ministerien eingehen. Wir fordern daher eine Frist von mindestens 10 Werktagen, um eine angemessene Zeit für eine ordentliche Konsultation der Organisationen der Zivilgesellschaft sicherzustellen.

 

Bislang fanden die mündlichen Konsultationen durch das BMAS vor allem in einem Rahmen statt, in dem Verfahrensabläufe, Zeitfenster und Fragen zum Verhältnis des Europäischen Semesters zur Methode der offenen Koordinierung thematisiert werden konnten. Im Semester 2014 hatte das Konsultationstreffen keine Textgrundlage, d.h. der Entwurf des Nationalen Reformprogramms (NRP) lag noch nicht vor. Die Verbände konnten ihre Interventionen also allenfalls auf der Grundlage der länderspezifischen Empfehlungen von 2013 und ihrer Erwartungen an mögliche Schwerpunkte der Bundesregierung im NRP formulieren. Ein regelmäßiger Dialog mit dem bei der Erstellung des NRP federführenden Bundeswirtschaftsministerium findet bedauerlicherweise nicht statt.

 

Von daher schlägt die BAGFW vor, dass die Kommission, wie im Rahmen ihrer Leitinitiative der Plattform zur Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung angekündigt, einen Konsultationsleitfaden veröffentlicht, der sich z.B. am Verhaltenskodex der Strukturfondsverordnungen orientieren könnte und den Mitgliedstaaten Leitlinien für die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen an die Hand gibt. Der Leitfaden könnte sich auch an <link http: www.partizipation.at fileadmin media_data downloads standards_oeb standards_der_oeffentlichkeitsbeteiligung_2008_druck.pdf>Partizipationsmustern orientieren, wie sie etwa die österreichische Bundes-regierung vorgelegt hat.

 

 

Instrumente

·         Entsprechen die derzeitigen Ziele für 2020 den mit der Strategie angestrebten Zielen, Wachstum und Beschäftigung zu fördern? [Ziele: Beschäftigungsgrad in der Altersgruppe 20 bis 64 Jahre mindestens 75 %; Investitionen in Forschung und Entwicklung in Höhe von 3 % des BIP; Senkung der Treibhausgasemissionen um mindestens 20 %, Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien auf 20 % und Verbesserung der Energieeffizienz um 20 %; Verringerung des Anteils frühzeitiger Schulabgänger auf unter 10 % und Steigerung des Anteils junger Menschen mit Hochschulabschluss auf mindestens 40 %; Verringerung der Zahl von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohter Personen um mindestens 20 %].

Im Grundsatz kann den Zielen zugestimmt werden. Die Finanzkrise hat allerdings gezeigt, dass externe Faktoren schnell einzelne Ziele, wie etwa das der Armutsbekämpfung, gefährden. Es wird deshalb bis 2020 nicht darauf ankommen, es bei der Beschreibung der Ziele zu belassen. Es kommt vielmehr darauf an, die Verbindlichkeit der vorhandenen Strategien zu verbessern. Hierzu gehört, dass die politischen Entscheidungen in ihren Wirkungen auf die Ziele besser überprüft werden.

 

Auch wenn die angestrebten Ziele bis 2020 voraussichtlich nicht mehr zu erreichen sind, sollte man nicht generell von einem Scheitern der Strategie sprechen. Die Strategie ist komplex und in sich von Zielkonflikten zwischen wirtschaftspolitischen Strategien einerseits und sozialpolitischen Zielen andererseits geprägt. Dieser Widerspruch in den möglichen Instrumenten lässt sich nicht auflösen und führt teilweise zum Stillstand. Gleichwohl spricht sich die BAGFW für die Weiterverfolgung der 2010 gesetzten Ziele aus, denn nur so kann die Chance realisiert werden, qualitatives wirtschaftliches Wachstum zu erreichen und u.a. erfolgreiche Maßnahmen zur Armutsbekämpfung umzusetzen.

 

Im Hinblick auf die Jugendarbeitslosigkeit und die Förderung von Beschäftigung ist die Fokussierung auf junge Menschen mit Hochschulabschluss zu einseitig. Hier sollte auch die berufliche Bildung stärker einbezogen und die Ansätze der Jugendstrategie vertieft werden.

 

·         Sind Ihrer Ansicht nach einige der derzeitigen Ziele wichtiger als andere? Bitte erläutern.

Aus Sicht der sozialen Organisationen sind die soziale Integration von benachteiligten Menschen, und damit die Bekämpfung von Armut, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesserung der Bildungssysteme, besonders wichtig. Dies bedeutet aber nicht, dass wir uns für eine generelle Gewichtung der Europa 2020 Ziele aussprechen.

 

Ein jedes Ziel sollte für sich genommen zu seiner optimalen Entfaltung gebracht werden, und Zielkonflikte sollten zugunsten einer würdevollen Existenzgrundlage für die Menschen aufgelöst werden.

 

·         Halten Sie es für sinnvoll, dass die EU-weiten Ziele in nationale Ziele untergliedert sind? Wenn ja, wie lassen sich dann Ihrer Ansicht nach die nationalen Ziele am besten festsetzen? Wurden die nationalen Ziele bisher angemessen/zu hoch/nicht hoch genug angesetzt?

Eine Untergliederung in nationale Ziele ist sinnvoll, um die unterschiedlichen Systeme in den Mitgliedstaaten angemessen zu berücksichtigen. Deutschland hat sich bislang im Bereich der sozialen Eingliederung wenig ambitionierte Ziele gesetzt, da eine Beschränkung auf den Indikator „Langzeitarbeitslosigkeit“ vorgenommen wurde. Der Indikator Langzeitarbeitslosigkeit zielt zwar auf eine Zielgruppe, die besonders von Armut betroffen ist. Es war allerdings von Anfang an absehbar, dass die Reduzierung um 20 % angesichts der Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland frühzeitig, nämlich schon in 2012, erreicht würde. Deutschland muss sich daher deutlich ambitioniertere Ziele setzen, sei es bei der Zahl der Langzeitarbeitslosen oder bei anderen Personengruppen, die in besonderem Maße von Armut betroffen und von materieller und gesellschaftlicher Teilhabe ausgegrenzt sind. Außerdem sind nach Auffassung der BAGFW deutlich umfassendere sozialpädagogische und förderpolitische Maßnahmen nötig, um gerade Langzeitarbeitslosen und Menschen mit multiplen Vermittlungsproblemen zu helfen (z.B. Wohnungslose oder Suchterkrankte).

 

Die EU-Kommission hatte es ursprünglich den Mitgliedstaaten überlassen, ob sie bezüglich der Messung der Fortschritte im Bereich „soziale Inklusion“ einen, zwei oder alle drei Indikatoren anwenden.

 

Die den Mitgliedstaaten eröffnete Option, aus den drei europäischen Indikatoren einen nationalen Indikator zu wählen, wurde in Deutschland dazu genutzt, um die nationale Besonderheit der deutlichen (statistischen) Absenkung der Langzeitarbeitslosigkeit seit 2008 herauszustellen. Dies soll als spezifisch für die Politik der Armutsbekämpfung angesehen werden. Die typisch deutsche Situation könne danach nur mit dem Indikator „Langzeitarbeitslosigkeit“ dargestellt werden. Dies rechtfertige den Verzicht auf die beiden weiteren Indikatoren, denn eine Berichterstattung zur Armutspolitik gegenüber der Kommission könne sich nur auf einen spezifischen, zum jeweiligen Mitgliedstaat passenden Indikator beziehen.

 

Diese Argumentation widerspricht jedoch der nationalen Berichterstattung zur Armuts- und Reichtumslage in Deutschland (vgl. 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung: <link http: www.bmas.de de service publikationen a334-4-armuts-reichtumsbericht-2013.html>Link zum Bericht), in der alle drei Indikatoren eine wesentliche Rolle zur Bemessung der Quoten spielen.

 

Die Zahlen zur relativen Einkommensarmut in Deutschland sind nach EU-SILC von 15,2 % im Jahr 2008 auf 16,1 % im Jahr 2012 gestiegen. Die Quote der Beziehenden von Sozialleistungen nimmt seit Jahren ab. Ebenso sinken die Erwerbslosen-zahlen. In Deutschland besteht also die Situation, dass prekäre Beschäftigung (working poor) zu und Erwerbslosigkeit abnimmt. In diesem Kontext steigt aber auch das Armutsrisiko insgesamt. Eine Konzentration auf den Indikator Langzeitarbeitslosigkeit bildet diesen Zusammenhang nicht ab.

 

Die EU-Kommission sollte sich deshalb dafür einsetzen, dass zukünftig in der nationalen Berichterstattung alle drei Indikatoren als Grundlage der Beschreibung zur Situation der von Armut und Ausgrenzung betroffenen Menschen herangezogen werden.

 

·         Welchen zusätzlichen Nutzen haben die sieben Aktionsprogramme für Wachstum gebracht? Können Sie konkrete Beispiele für die Auswirkungen dieser Programme nennen? [„Vorreiterinitiativen“: „Digitale Agenda für Europa“, „Innovationsunion“, „Jugend in Bewegung“, „Ressourcenschonendes Europa“, „Eine Industriepolitik für das Zeitalter der Globalisierung“, „Agenda für neue Kompetenzen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten“, „Europäische Plattform zur Bekämpfung der Armut“].

……

2) Anpassung der Strategie Europa 2020: Wachstumsstrategie für ein Europa nach der Krise

Inhalt und Umsetzung

·         Braucht die EU eine umfassende und übergreifende mittelfristige Strategie für Wachstum und Beschäftigung für die nächsten Jahre?

Eine übergreifende mittelfristige Strategie für inklusives Wachstum und Beschäftigung halten wir für erforderlich. Dabei muss es um eine eigenständige sozial verantwortliche Politik gehen.

 

Zugleich ist bei der strategischen Ausrichtung von „Wachstum und Beschäftigung“ den kompletten beschäftigungspolitischen Leitlinien mehr Rechnung zu tragen. Dies in dem Sinne, dass Beschäftigung nicht nur als ein Instrument zum Wachstum angesehen wird, sondern als ein zentraler Faktor für eine auskömmliche materielle Lebensgrundlage und für soziale Teilhabe.

 

·         In welchen Bereichen müssen wir vorrangig tätig werden, um ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum zu erreichen?

Der Fokus sollte vor allem auf gering Qualifizierte, Menschen mit Migrationshintergrund, Alleinerziehende, Haushalte mit Langzeitarbeitslosen gerichtet sein.

 

Wachstum setzt Innovation voraus. Innovation setzt lebensdienliche Rahmen-bedingungen für Menschen voraus, von denen innovatives und kreatives Handeln ausgeht und ausgehen soll. Der Bereich der Infrastruktur, der Daseinsvorsorge z.B. im Gesundheits- und Sozialsektor, sollte angesichts von Krise und demografischem Wandel einen innovativen Schub erfahren. Hier besteht ein großes Wachstumspotenzial.

 

·         Welche neuen Herausforderungen sollten künftig berücksichtigt werden?

Eine der größten Herausforderungen für die Europäische Union sind die wachsenden Ungleichheiten, sowohl innerhalb der Mitgliedstaaten als auch zwischen den Mitgliedstaaten. Eine Voraussetzung für die Unterstützung der europäischen Einigung durch die Bevölkerung ist das Versprechen von sich angleichenden Lebensverhältnissen und des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhaltes in der EU. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte schwindet als Folge der Krise dieser Zusammenhalt und öffnet sich die Schere zwischen reichen und armen Mitgliedstaaten. Die Vorgaben der EU im Hinblick auf die Sanierung der nationalen öffentlichen Haushalte und eine gemeinsame Wirtschaftspolitik werden für die Verschlechterungen im täglichen Leben der Menschen verantwortlich gemacht. Der Wert der europäischen Einigung für den einzelnen EU-Bürger wird nicht mehr gesehen und damit das ganze Projekt in Frage gestellt. Die EU muss auf diese Herausforderung auch mit einer Stärkung ihres sozialen Profils antworten. Deshalb sollte die Sozialpolitik im Europäischen Semester nicht wie ein Annex der Wirtschaftspolitik behandelt und ähnlich konkrete politische Empfehlungen für sie gegeben werden. Auch sollte geprüft werden, inwieweit finanzpolitischen Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, um Ungleichheiten abzubauen, und deshalb im Rahmen der länderspezifischen Empfehlungen den Mitgliedstaaten entsprechende Maßnahmen vorgeschlagen werden können.

 

Darüber hinaus stellt die Bewältigung des demografischen Wandels eine besondere Anforderung an die Europäische Union und die Mitgliedstaaten dar. Es geht um

 

-       die qualitativ hochwertige Versorgung der Menschen mit erschwinglichen Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen,

-       die Handlungsfähigkeit und Auskömmlichkeit der sozialen Sicherungssysteme,

-       die selbstbestimmte Mobilität von Beschäftigten und

-       die flächendeckende und nachhaltige Erbringung sozialer Dienstleistungen.

 

·         Wie lässt sich die Strategie am besten mit anderen EU-Strategien verknüpfen?

Durch Kohärenzabsprachen unter den Akteuren. Dies gilt dann auch für die Europäische Förderpolitik, um Doppelförderungen zu vermeiden. Auch kann die Einbindung in eine umfangreiche Strategie der Nachhaltigkeit hilfreich sein.

 

Die Europa 2020-Strategie sollte z. B. stärker mit der Agenda des Sozial-investitionspakets und der Strategien der aktiven Eingliederung verknüpft werden. Die Prioritäten des Sozialinvestitionspakets könnten in den Rahmen des Jahreswachstumsberichts aufgenommen werden. Über Fortschritte bei der Umsetzung des Sozialinvestitionspakets sollte in den Nationalen Reformprogrammen berichtet werden.

 

·         Wodurch ließe sich die Einbindung der Interessenträger in eine Wachstumsstrategie für ein Europa nach der Krise verbessern? Was könnte getan werden, damit Ihr Land auf diese Strategie aufmerksam wird und sie unterstützt und besser umsetzt?

Zum Beispiel wäre es ein kleiner aber wesentlicher Schritt, wenn der Deutsche Bundestag eine Plenardebatte zur Ausgestaltung und zu den möglichen Wirkungen der länderspezifischen Empfehlungen für Deutschland ansetzen würde. Dies gilt auch für die anderen mitgliedstaatlichen Parlamente.

 

 

Instrumente

·         Welche Instrumente hielten Sie für geeigneter, um ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum zu erreichen?

Hierzu sollte die Kommission Expertisen unter der Fragestellung einholen, ob globale Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere der EU im Verhältnis zu den USA, China/Japan, Mercosur, allein von Wachstum abhängig ist bzw. welche alter-nativen Strategien gesehen werden.

 

·         Wie kann die EU am besten sicherstellen, dass die Strategie Ergebnisse liefert? Was sollten die Mitgliedstaaten dafür tun?

Die EU-Kommission sollte die Nationalen Reformprogramme stärker auf Übereinstimmung mit der Europa 2020 Strategie überprüfen, deutlich Defizite und Erfolge aus ihrer Sicht benennen, insbesondere bezüglich des Ziels der Verringerung von Armut um 20 Millionen Menschen bis 2020. Für die Erreichung dieses Ziels ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zwar ein wichtiger, aber nicht der einzige Faktor. Die EU-Kommission sollte im Benehmen mit dem Rat versuchen, mehr Verbindlichkeit in den immer noch unverbindlichen Charakter der Empfehlungen zu erzielen.

 

Darüber hinaus könnten in den Mitgliedstaaten während des gesamten Europäischen Semesters Runde Tische mit Beteiligung der für die Umsetzung der Strategie relevanten zivilgesellschaftlichen Akteure eingesetzt werden. Die Agenda für die Diskussion sollte einen Abgleich von NRPs und länderspezifischen Empfehlungen des jeweiligen Mitgliedstaates aus der Vergangenheit beinhalten. Auf Regierungsseite ebenso wie auf zivilgesellschaftlicher Seite sollten weniger die EU-Experten als die Experten der Politikbereiche der Europa 2020-Ziele sitzen. Es wäre über ein trial-and-error System herauszufinden, welchen thematischen Umfang eine solche Runder-Tisch-Sitzung einnehmen sollte. Entscheidend wäre, dass auf Regierungsseite die Ressorts an den Sitzungen aktiv teilnehmen, die die NRPs schreiben und die die länderspezifischen Empfehlungen auswerten.

 

·         Wie kann die Strategie die Mitgliedstaaten dahingehend beeinflussen, dass sie sich in ihrer Politik stärker auf Wachstum konzentrieren?

Die Mitgliedstaaten werden vor allem durch den globalen Wettbewerb zum Wachstum gedrängt, so dass es ganz deutlich auf die Attribute „intelligent, nachhaltig, integrativ“ ankommt, um der Strategie zum Erfolg zu verhelfen.

 

Im Übrigen ist es ein vielfältiges Thema, wie Wachstum zu generieren ist. Erst wenn die Frage nach dem Instrument für ein „Mehr“ an Wachstum beantwortet ist, lässt sich über verstärkte Konzentration auf Wachstum nachdenken. Als probates Mittel bieten die EU-Verträge ein anzustrebendes Ziel: die soziale Marktwirtschaft. Im Übrigen siehe Frage (1) zu „Instrumente“.

 

·         Sind Zielvorgaben sinnvoll? Bitte erläutern.

Grundsätzlich sind Zielvorgaben sinnvoll, um Anstöße zur Überwindung der unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Situationen in den Mitgliedstaaten zu geben. Damit kann eine gemeinsame Strategie auch einen Beitrag zur Kohäsion leisten. Zielvorgaben bleiben allerdings wirkungslos, wenn sie nicht mit konkreten Verpflichtungen und deren Kontrollmöglichkeiten verknüpft werden. Die Verbindlichkeit von Zielvorgaben ist eine wichtige Voraussetzung, wenn es um die Zielerreichung geht.

 

·         Würden Sie empfehlen, bestimmte Ziele hinzuzufügen oder zu streichen – eventuell sogar alle? Bitte erläutern.

Eine Reduzierung der Ziele wird von uns abgelehnt. Allerdings könnten einzelne Ziele vertieft und präzisiert werden, wie bereits oben zur beruflichen Bildung ausgeführt. Im Bereich der Armutsbekämpfung und der sozialen Eingliederung sind weitere Indikatoren heranzuziehen, die die Lebenswirklichkeit der betroffenen Menschen, etwa im Hinblick auf die gesellschaftliche Teilhabe, besser abbilden und damit ein zielgerichteteres Handeln ermöglichen.

 

·         In welchen Bereichen sollten die EU und die Mitgliedstaaten gemeinsam handeln? Welchen Zusatznutzen hätte dies?

Gemeinsam sollten die EU und die Mitgliedstaaten in allen von der Strategie angesprochenen Bereichen handeln. Dabei sollte die EU im Zusammenwirken mit den Mitgliedstaaten konkrete politische Zielvorgaben, gerade auch im Hinblick auf die Armutsbekämpfung, verabreden. Das Europäische Parlament, das bisher nur marginal beteiligt ist, ist sowohl bei der Erstellung des Jahreswachstumsberichtes als auch der Verabschiedung der länderspezifischen Empfehlungen einzu-beziehen. Auch die Vertreter der Zivilgesellschaft auf europäischer Ebene sollten mitwirken.

 

Die Umsetzung erfolgt durch die Mitgliedstaaten, unterstützt durch EU-Förderprogramme, insbesondere die Strukturfonds. An der Erarbeitung der nationalen Zielvorgaben in den NRP sind die nationalen Parlamente und die Akteure der Zivilgesellschaft substantiell zu beteiligen.

 

Die länderspezifischen Empfehlungen mit ihren Anknüpfungspunkten an die jeweiligen nationalen Reformprogramme können nämlich nur dann erfolgreich sein, wenn die Mitgliedstaaten eine ownership für die konkreten Inhalte übernehmen. Hier spielt wieder die Beteiligung der Zivilgesellschaft eine große Rolle, die ihre Modelle und Vorschläge zur Umsetzung der Empfehlungen in einem strukturierten Dialog mit der Regierung diskutieren können sollte.

 

Der in der Strategie angelegte Rechtfertigungsdruck gegenüber den Mitgliedstaaten, entsprechend der Empfehlungen zu handeln und wenn nicht, Gründe dafür zu benennen, wird erst dann konstruktiv und effektiv, wenn die Akteure der Zivilgesellschaft in eine partnerschaftliche Diskussion zur Strategie Europa 2020 und ihre Einzelschritte mit der Regierung eintreten können.

 

Zum Zusatznutzen des gemeinsamen Handelns zählt zudem der good practice Austausch unter den Stakeholdern (Regierungen, Zivilgesellschaft), begleitet durch Leitlinien der EU-Ebene. Damit die gewonnenen Ergebnisse dieser Austausche auch zu einem best practice werden und in einem oder mehreren Mitgliedstaaten implementiert werden können, braucht es künftig eine Öffnung des SPC für Teilnehmende aus der Zivilgesellschaft und dies nicht nur für von Regierungen herangezogene Experten.

 

 

3) Haben Sie weitere Anmerkungen oder Vorschläge zur Strategie Europa 2020?

Den Aussagen der Mitteilung der EU-Kommission vom 5. März 2014[2] zufolge ist die Strategie Europa 2020, im Hinblick auf ihre für die BAGFW relevanten Ziele, überwiegend erfolglos: Das Beschäftigungsziel wird europaweit nicht erreicht, das Armutsbekämpfungsziel wird nicht nur nicht erreicht, sondern die Anzahl armer Menschen in der EU hat sogar zugenommen.

 

Aus Sicht der BAGFW ist es ein wichtiger Fortschritt, dass die sozialen Ziele der Strategie Europa 2020 im Europäischen Semester – wenn auch noch nicht in ausreichender Weise – mit verhandelt werden. Noch nie haben sich nicht nur die EU-Institutionen, sondern - wohl auch verstärkt durch die Krise - auch die Staats- und Regierungschefs und die Öffentlichkeit so intensiv mit der sozialen Lage in den einzelnen Mitgliedstaaten befasst. Und das ist auch richtig so, denn ohne ausreichenden sozialen Schutz wird Wirtschaftspolitik nicht erfolgreich sein.

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Die EU-Kommission weist selbst auf die wachsende Ungleichheit der Lebensverhältnisse in den EU-Mitgliedstaaten hin. Die letzten Jahre haben gezeigt, wie sehr diese Entwicklung die Unterstützung des europäischen Einigungsprozesses nicht nur in Mitgliedstaaten, die von der Krise besonders betroffen sind, gefährdet, und dass Grundpfeiler dieser Einigung, wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit, in Frage gestellt werden.

 

Das Armutsbekämpfungsziel und die anderen sozial bedeutsamen Ziele der Strategie Europa 2020 dürfen nicht aufgegeben, sondern müssen vielmehr deutlich gestärkt und im Europäischen Semester gleichrangig mit den wirtschaftlichen und haushalts-politischen Zielsetzungen behandelt werden. Dafür setzt sich die BAGFW in der aktuellen Konsultation zur Halbzeitbewertung der Strategie Europa 2020 ein.

 

Außerdem sollte die EU-Kommission noch einmal deutlich auf die drei Indikatoren zur Erfassung von Armut durch die Mitgliedstaaten hinweisen. Die Halbzeitbilanz könnte dazu genutzt werden die Indikatoren anzupassen. Die EU-Kommission sollte sich dafür einsetzen, dass alle drei Indikatoren („Langzeitarbeitslosigkeit“, „materielle Deprivation“ und „relative Einkommensarmut“) zur Messung von Armut in Europa verbindlich durch die Mitgliedstaaten berücksichtigt werden.

 

Mitgliedstaaten, die EU-Finanzhilfen in Anspruch nehmen („Programmländer“) sollten, wie alle anderen Länder auch, umfassende länderspezifische Empfehlungen erhalten. Die länderspezifischen Empfehlungen für Programmländer sollten nicht darauf beschränkt werden, die Mitgliedstaaten lediglich zur Umsetzung der getroffenen Vereinbarungen („Memorandum of Understanding“) aufzurufen. So wird sichergestellt, dass beispielsweise das Armutsziel weiter berücksichtigt wird.

 

Die EU sollte bei der Vergabe der Mittel aus den Strukturfonds (vor allem ESF) eine Quote vorgeben, welcher Anteil der Mittel von den Nationalstaaten selbst und welcher Anteil von zivilgesellschaftlichen Trägern für die Erlangung der Ziele eingesetzt werden. Dadurch würde die Zivilgesellschaft stärker beteiligt und die Effizienz der Mittelverwendung könnte gesteigert werden. Dieser Multiplikatoreffekt könnte die Erreichung der Ziele befördern.



[1] Im Januar 2014 hat die Kommission einen energie- und klimapolitischen <link http: eur-lex.europa.eu lexuriserv>Rahmen bis 2030 angenommen. Zu den wichtigsten Zielen in diesem neuen Rahmen  zählen eine Verringerung der Treibhausgasemissionen um 40 % unter den Stand von 1990, ein verbindliches EU-weites Ziel für den Anteil erneuerbarer Energien von mindestens 27 % und die Wiederaufnahme einer ambitionierten Energieeffizienz-Politik.

[2] Mitteilung der EU-Kommission zur Bestandsaufnahme der Strategie Europa 2020 vom 05.03.2014, siehe: <link http: ec.europa.eu europe2020 pdf europe2020stocktaking_de.pdf>ec.europa.eu/europe2020/pdf/europe2020stocktaking_de.pdf

 

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