Stellungnahme der BAGFW zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften

Der Gesetzentwurf verfolgt ausweislich seiner Begründung das Ziel, Fälle von Rechtsmissbrauch oder Betrug im Zusammenhang mit dem Freizügigkeitsrecht, im Bereich von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung sowie bei der Inanspruchnahme von Kindergeld zu verhindern und konsequent zu ahnden. Dazu soll das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche unter Berücksichtigung der Vorgaben des Unionsrechts befristet und befristete Wiedereinreisesperren im Fall von Rechtsmissbrauch oder Betrug in Bezug auf das Freizügigkeitsrecht eingeführt werden. Neben Änderungen im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz und der Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft und Heizung im Rahmen des SGB II, sollen die Steueridentifikationsnummer von Antragstellern und deren Kindern nun Voraussetzung für eine Kindergeldbewilligung werden.

Der Gesetzentwurf verfolgt ausweislich seiner Begründung das Ziel, Fälle von Rechtsmissbrauch oder Betrug im Zusammenhang mit dem Freizügigkeitsrecht, im Bereich von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung sowie bei der Inanspruch- nahme von Kindergeld zu verhindern und konsequent zu ahnden. Dazu soll das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche unter Berücksichtigung der Vorgaben des Unionsrechts befristet und befristete Wiedereinreisesperren im Fall von Rechtsmissbrauch oder Betrug in Bezug auf das Freizügigkeitsrecht eingeführt werden. Neben Änderungen

im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz und der Beteiligung des Bundes an den Kos- ten der Unterkunft und Heizung im Rahmen des SGB II, sollen die Steueridentifikati- onsnummer von Antragstellern und deren Kindern nun Voraussetzung für eine Kin- dergeldbewilligung werden.

 

 

 

Die geplanten Änderungen im Einzelnen beurteilen wir wie folgt:

 

1.  Aufenthaltsrecht für Arbeitssuchende (Art. 1 Nr.1 b)

In § 2 Abs. 2 FreizügG soll ergänzt werden, dass das Aufenthaltsrecht von EU- Bürger(innen) zur Arbeitsuche auf 6 Monate begrenzt ist, sofern sie nicht nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden (§ 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG-E).

 

Bewertung

Die geplante Änderung der Befristung des Rechts auf Arbeitsuche auf zunächst bis zu sechs Monate entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des EuGH, wie sie sich bisher in den AVwV zum Freizügigkeitsgesetz1 widerspiegelt.

Das Freizügigkeitsrecht von EU-Bürger(innen) ist allerdings als gegeben vorauszu- setzen, solange es keine berechtigten Zweifel daran gibt. Das gilt auch für das Frei- zügigkeitsrecht der Arbeitssuchenden. Der neue § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG-E könnte hingegen so verstanden werden, dass es zu einer Beweislastumkehr ab dem Zeit- punkt von sechs Monaten zu Lasten arbeitsuchender Unionsbürger(inn)en kommt. Das entspräche nicht den europarechtlichen Vorgaben.

 

Handlungsbedarf

Es muss klar gestellt sein, dass gem. Art. 14 Abs. 2 S. 2 und 3 der Unionsbürger- richtlinie (2004/38/EG) die zuständigen Behörden ausdrücklich nur bei begründeten

 

1 Art. 14 Abs. 4 b der Unionsbürgerrichtlinie und EuGH v. 26.02.1991, C-292/89 (Antonissen) RN 24. In der Verwaltungsvorschrift zum FreizügG/EU heißt es dazu in 2.2.1.3: „Begründete Aussicht, einen Arbeitsplatz zu finden, kann angenommen werden, wenn der Arbeitsuchende aufgrund seiner Qualifi- kation und des aktuellen Bedarfs am Arbeitsmarkt voraussichtlich mit seinen Bewerbungen erfolgreich sein wird. Dies ist zu verneinen, wenn er keinerlei ernsthafte Absichten verfolgt, eine Beschäftigung aufzunehmen.

 

Zweifeln im Einzelfall die Voraussetzungen des Rechts auf Arbeitsuche überprüfen dürfen. Diese Prüfung darf durch die geplante Gesetzesänderung nicht systematisch durchgeführt werden, beispielsweise bei bestimmten Minderheiten oder Staatsange- hörigen. Auch unterliegt eine entsprechende Ausreiseaufforderung den strengen An- forderungen der Art. 14 Abs. 4b und Art. 15 Abs. 3 (keine Wiedereinreisesperre er- laubt) der Unionsbürgerrichtlinie.

Nicht oder nur wenig vorhandene Deutschkenntnisse bei EU-Bürger(inne)n dürfen nicht zu dem vorschnellen Rückschluss führen, dass keine Aussicht auf eine  Arbeit besteht. Aus unserer Beratungsarbeit vor Ort wissen wir, dass dieser Personenkreis durchaus Beschäftigung, aber vorrangig prekäre Arbeit im Niedriglohnbereich finden kann. Um die Chancen auf reguläre Arbeit und die schnellstmögliche Integration der Arbeitssuchenden in den Arbeitsmarkt zu verbessern,

sollten verstärkt Unterstützungsmaßnahmen ergriffen werden.. Hierzu gehören ins- besondere (Nach)qualifizierungsangebote.

 

 

 

2.  Wiedereinreisesperre im Fall von Rechtsmissbrauch oder Betrug (Art. 1 Nr.

5)

§ 7 Abs. 2 FreizügG soll so geändert werden, dass Unionsbürger(innen) und ihre Familienangehörigen, die ihr Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 7 FreizügG verloren haben, mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot belegt werden können (§ 7 Abs. 2

S. 2 FreizügG-E). Dies ist dann der Fall, wenn die „betreffende Person das Vorliegen einer Voraussetzung für dieses Recht durch die Verwendung von gefälschten oder verfälschten Dokumenten oder durch Vorspiegelung falscher Tatsachen vorgetäuscht hat.“ Dies wird als Regelvorschrift eingeführt („soll untersagt werden“), wenn ein be- sonders schwerer Fall, insbesondere ein wiederholtes Vortäuschen des Vorliegens der Voraussetzungen des Rechts auf Einreise- und Aufenthalt vorliegt (§ 7 Abs. 2 S.

3 FreizügG-E).

 

Wird über das Vorliegen des Freizügigkeitsrechts in strafrechtlich relevanter Weise wie z.B. durch Urkundenfälschung getäuscht, bietet die deutsche Rechtsordnung bereits Mittel. Ist Urkundenfälschung oder Betrug nachweisbar und kommt es zu ei- ner Verurteilung, kann der Verlust des Aufenthaltsrechts nach § 6 Abs. 1 FreizügG festgestellt werden. Daran knüpft ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an (§ 7 Abs. 2

FreizügG). Allerdings darf wegen der europarechtlichen Vorgaben auch eine straf- rechtliche Verurteilung für sich allein genommen nicht zum Verlust des Freizügig- keitsrechts führen, sondern es bedarf immer einer Prüfung im Einzelfall, ob eine Ge- fahr für Sicherheit und Ordnung dies rechtfertigen.

 

Das neue Einreise- und Aufenthaltsverbot soll nicht an eine strafrechtliche Verurtei- lung und eine Ausweisung anknüpfen, sondern an das Nichtbestehen oder den Ver- lust des Aufenthaltsrechts. EU-Bürger(innen), bei denen das Nichtbestehen oder der Verlust eines Aufenthaltsrechts festgestellt wurde, können sich jederzeit auf das Be- stehen eines anderen Freizügigkeitsrechts berufen, sofern sie dessen Vorausset- zungen erfüllen. Im Übrigen können sie nach der Ausreise mit Berufung auf das 3- monatige voraussetzungslose Freizügigkeitsrecht sofort wieder einreisen. Mit der Neuregelung soll nun ermöglicht werden, nach einer Verlustfeststellung „die Rück-

kehr im Einzelfall zu untersagen“2. Dies gilt aber nicht für alle Fälle einer Verlustfest- stellung, sondern nur den Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 7 FreizügG.

 

 

2 Drs. 394/14 S. 18

 

Fälle, in denen das Freizügigkeitsrecht nicht mehr besteht, weil nach 6 Monaten kei- ne Aussicht auf erfolgreiche Arbeitsplatzsuche besteht oder weil ein wirtschaftlich nicht aktiver EU-Bürger Sozialleistungen bezieht, sind nicht erfasst. Erfasst sind folg- lich folgende Fallkonstellationen:

 

§ 2 Abs. 7 FreizügG sieht vor, dass ein Freizügigkeitsrecht dann nicht besteht, wenn über das Bestehen eines familiären Verhältnisses getäuscht wird oder über die Vo- raussetzungen für das Freizügigkeitsrecht. In diesen Fällen soll nicht nur festgestellt werden können, dass das Freizügigkeitsrecht nicht besteht, sondern auch das neue Einreise- und Aufenthaltsverbot verhängt werden kann.

 

Täuschung über ein familiäres Verhältnis

Das Freizügigkeitsrecht besteht bei drittstaatsangehörigen Familienangehörigen dann nicht, wenn der Familienangehörige nicht zum Zweck der Wahrung der Famili- eneinheit nachzieht. Gemeint sind Fälle von Scheinehen, die regelmäßig als typi- sches Beispiel für Rechtsmissbrauch genannt werden.3

In den Fällen, in denen es sich um eine Scheinehe mit einem Drittstaatler handelt und festgestellt wird, dass ein Freizügigkeitsrecht nicht besteht, bedeutet das, dass sich der/die Drittstaatler(in) ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland aufhält und ausrei- sepflichtig ist (§ 50 AufenthG). Für eine Wiedereinreise bedürfte er/sie einer Aufent- haltserlaubnis, die nur unter den engen Voraussetzungen des AufenthG erteilt wer- den kann.

 

Täuschung über Voraussetzungen für das Freizügigkeitsrecht

Als gängige Formen dieser Art von Täuschung gilt die Fälschung von Identitäts- oder Aufenthaltsdokumenten. Aufenthaltsdokumente sind für EU-Bürger(innen) allerdings nicht Voraussetzung für das Bestehen des Freizügigkeitsrechts. Außer der Beschei- nigung für das Daueraufenthaltsrecht/EU gibt es gar keine Aufenthaltsdokumente,

die gefälscht werden könnten. Fälle, dass diese gefälscht wurden, sind nicht be- kannt.

In der Praxis relevant können Fälle sein, in denen über die Identität getäuscht wird. Drittstaatler(innen) könnten eine Identität als EU-Bürger(innen) vorspiegeln. Stellt sich die wahre Identität heraus, hätte der/die Betroffene auch ohne die Neuregelung kein Aufenthaltsrecht und wäre ausreisepflichtig. Als Drittstaatler(in) wäre die Wie- dereinreise dann nur unter den engen Voraussetzungen des AufenthG möglich.

In Betracht kommen auch Fälle, in denen ein EU-Bürger eine andere Identität an- nimmt,  weil er/sie ausgewiesen wurde. In derartigen Fällen ist der Betroffene in sei- ner wahren Identität bereits mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot belegt. Die in der Praxis relevanteste Fallkonstellation ist das Vorspiegeln falscher Tatsachen in Bezug auf bestimmte Voraussetzungen spezifischer Freizügigkeitsrechte, wie etwa die „Vortäuschung eines tatsächlich nicht bestehenden Arbeitsverhältnisses“4. Hier stellt sich allerdings die Frage, welche Folgen eine solche Täuschung über die Vo-

raussetzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für das allgemeine Freizügigkeitsrecht

hat, das ja unabhängig von derartigen Bedingungen gilt. Wird Sozialhilfe in Anspruch genommen, kann zwar auch dieses Recht verloren gehen. Da aber über das Beste- hen dieses Rechts nicht getäuscht wurde, kann das Fehlen nicht nach § 2 Abs. 7

FreizügG festgestellt werden.

 

 

3  vgl.: COM(2013) 837 final S. 9; Art. 35 Unionsbürgerrichtlinie; Begründung für den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschrif- ten (Drs. 461/12), S. 12 f.

4 Drs. 394/14 S. 17 f.

 

 

Bewertung

Vor diesem Hintergrund wird das geplante Einreise- und Aufenthaltsverbot kaum praktische Wirkung entfalten. Aus Sicht der Verbände der BAGFW stellt sich nicht nur die Frage, ob die geplante Einreise- und Aufenthaltssperre zielführend ist, son-

dern vor allem, ob sie europarechtskonform ist. Laut Gesetzesbegründung beruht die beschriebene Regelung in § 7 Abs. 2 FreizügG auf Art. 35 Unionsbürgerrichtlinie,5

der  erlaubt, Maßnahmen zu erlassen, die notwendig sind, um die durch die Richtlinie verliehenen Rechte im Falle von Missbrauch oder Betrug zu verweigern, aufzuheben oder zu widerrufen.

Fraglich ist, ob sich der geplante § 7 Abs. 2 FreizügG tatsächlich mit Art. 35 Unions- bürgerrichtlinie rechtfertigen lässt. Eine Einreise- und Aufenthaltssperre ist ein mas- siver Eingriff ins Freizügigkeitsrecht und muss deshalb mit den gleichen Maßstäben gemessen werden, wie die Ausweisung. Schließlich verhindert sie wie diese die Wahrnehmung eines im Übrigen bestehenden Freizügigkeitsrechts. „Maßnahmen,

die die Freizügigkeit beschränken, sind nur zu rechtfertigen, wenn der Grundsatz der

Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. Dieser Grundsatz, der sich unmittelbar auf den

EU-Vertrag stützt, gilt für alle Grundfreiheiten.“6

 

Eine Ausweisung darf (nur) aus Gründen der Gesundheit, der Sicherheit und der Ordnung vorgenommen werden (Art. 27 Unionsbürgerrichtlinie). Art. 15  Unionsbür- gerrichtlinie sieht für Beschränkungen des Freizügigkeitsrechts, die nicht aus Grün- den der Sicherheit und Ordnung vorgenommen werden, die gleichen Verfahrensga- rantien wie für eine Ausweisung vor. Weiter sieht Art. 15 Abs. 3 Unionsbürgerrichtli- nie vor, dass Beschränkungen des Freizügigkeitsrecht, die nicht aus Gründen der Sicherheit und Ordnung vorgenommen werden (also keine Ausweisung sind), nicht mit einer Einreisesperre versehen werden dürfen. Aus Sicht der BAGFW stellt die geplante Rechtsänderung keine Maßnahme aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar, da bei den beschriebenen Fallkonstellationen keine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr erkennbar ist, die ein Grundinteresse der Ge- sellschaft im Sinne von Art. 27 Abs. 2 berührt. Dafür spricht auch, dass sie auf Art. 35

Unionsbürgerrichtlinie gestützt werden und Maßnahmen nach Art. 35 Unionsbürger- richtlinie generell keine Entscheidungen sind, die aus Gründen der öffentlichen Ord- nung, Sicherheit oder Gesundheit (vgl. Kapitel VI Unionsbürgerrichtlinie) erlassen werden.

Art. 15 Abs. 3 Unionsbürgerrichtlinie stellt mithin klar, dass eine Entscheidung, die die Freizügigkeit von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen beschränkt und nicht aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erlassen wird, nicht mit einem Einreiseverbot, also einer Wiedereinreisesperre einhergehen darf.

 

Handlungsbedarf

Die Wiedereinreisesperren im geplanten § 7 Abs. 2 FreizügG-E verstoßen nach Auf- fassung der Verbände der BAGFW demnach gegen Art. 15 Abs. 3 der Unionsbürger- richtlinie und müssen unterbleiben.

 

Sollte diese Regelung dennoch eingeführt werden, müssen zumindest die Verfah- rensgarantien nach Art. 15 und Art. 27 ff. Unionsbürgerrichtlinie beachtet werden. Das heißt, es ist in jedem Einzelfall der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wah- ren. Es dürfen keinesfalls Einreiseverbote für alle Personen in einer bestimmten Si-

 

5 Drs. 394/14 S. 17

 

tuation verhängt werden.7 Dem will der Gesetzgeber Rechnung tragen, indem § 7

Abs. 2 S. 4 FreizügG-E auf § 6 Abs. 3, 6 und 8 FreizügG verweist. § 7 Abs. 2 S. Frei- zügG-E sieht die Sperre aber als Soll-Regelung vor. Demnach würde in der Regel eben nicht auf den Einzelfall abgestellt. § 7 Abs. 2 S. 3 FreizügG-E entspricht nicht den europarechtlichen Vorgaben und muss gestrichen werden.

Die Verweigerung der Einreise bzw. eine Wiedereinreisesperre aus Gründen der öf- fentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit dürfte nur dann erfolgen, wenn von einem Straftäter nachweislich auch künftig eine erhebliche Gefahr für die öffentli- che Ordnung ausgehen wird (Art. 27 Abs. 2 Unionsbürgerrichtlinie). Das muss gleichermaßen für die geplante Wiedereinreisesperre nach § 7 Abs. 2 FreizügG gel- ten. Da hier an einem Verhalten unterhalb der Schwelle einer strafbaren Tat ange- knüpft wird, kann das Schutzniveau nicht geringer sein als bei EU-Bürger(innen), die strafrechtlich verurteilt wurden. Demnach ist die Einreisesperre nach § 7 Abs. 2 S. 2

FreizügG-E wegen des hohen Schutzes den das Freizügigkeitsrecht auf Basis der Unionsbürgerrichtlinie, aber vor allem des AEUV und der Rechtsprechung des EuGH genießt, auf wenige besonders schwer wiegende Fälle zu beschränken.

 

 

 

3.  Strafvorschriften (Art. 1 Nr. 6)

Mit § 9 Abs. 1 FreizügG-E wird eine Strafnorm geschaffen, wonach die Beschaffung von Aufenthaltskarten oder Aufenthaltsbescheinigungen durch unrichtige oder un- vollständige Angaben unter Strafe gestellt wird.

 

Bewertung

Die Sachverhalte, die durch diese neue Norm geregelt werden sollen, sind bereits nach jetzigem Recht strafbar. Eine Aufenthaltskarte erhalten nur Drittstaatler(innen). Hier ist illegaler Aufenthalt und Beihilfe dazu bereits strafbar. Sofern eine Urkunde gefälscht wird, ist dies als Urkundenfälschung ebenfalls bereits strafbar. Eine Be- scheinigung können EU-Bürger(innen) zum Nachweis des Daueraufenthaltsrechts erhalten. Diese Bescheinigung hat bloße deklaratorische Wirkung, das Aufenthalts- recht besteht auch ohne sie. Sofern die Bescheinigung genutzt wird, um sich wider- rechtlich Vorteile zu verschaffen, ist das als Betrug bereits strafbar.

 

 

Handlungsbedarf

Die Neuregelung ist aus diesem Grund überflüssig.

 

 

 

4.  Bekämpfung der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung (Art. 2 Nr. 1 und 2)

Zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung soll die Zusam- menarbeit zwischen den Behörden verbessert werden (§ 2 Schwarzarbeitsbekämp- fungsgesetz-E).

 

Bewertung

Für die betroffenen Arbeitnehmer(innen) stellt Schwarzarbeit oft eine hohe Belastung dar, weil sie nicht abgesichert sind. Sofern es zu Arbeitsausbeutung kommt, benöti- gen die Betroffenen Begleitung, Ermutigung und Information.

 

Handlungsbedarf

 

Aus Sicht der Verbände sollte im Fokus der Bekämpfung von Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit der Ausbau von Beratungsmöglichkeiten, besonders von Be- ratungsstellen gegen Arbeitsausbeutung und Menschenhandel stehen.

Ein wichtiges Element, um Schwarzarbeit, Scheinselbständigkeit und Arbeitsausbeu- tung effektiv zu bekämpfen, ist aber auch, dass genug Personal für Kontrollen zur Verfügung steht. Es bedarf einer „Verbesserung der Einsatzstärke der Finanzkontrol- le Schwarzarbeit des Zolls“8. Erst wenn das Risiko des Aufdeckens von illegaler Be- schäftigung groß genug ist, wird es zunehmend für Arbeitgeber(innen) unattraktiv, jemanden schwarz oder scheinselbständig zu beschäftigen.

 

5.  Kindergeldberechtigung (Art. 3 Nr.2 und 3)

§§ 62 f. EStG sollen so geändert werden, dass ab 31.12.2015 die Kindergeldberech- tigung von der Identifikation durch Angabe der inländischen Steueridentifikations- nummer oder den in anderen Staaten üblichen Personenkennzeichen abhängig ge- macht wird. Bisher reichte eine Geburtsurkunde oder eine Bescheinigung für Kinder- geldzwecke als Nachweis aus.

 

Bewertung

Die Verbände der BAGFW unterstützen das Ziel, Betrug beim Kindergeld wirksam zu bekämpfen. Das Erfordernis die Steueridentifikationsnummer oder vergleichbare Personenkennzeichen vorzulegen, lehnen sie nicht generell ab. Allerdings gibt es an der geplanten Regelung einige Kritikpunkte.

Von der Neuregelung sind alle Personen betroffen, die in Deutschland Kindergeld nach EStG beziehen. Das BKGG wird anscheinend nicht angepasst. Kindergeld nach BKGG wird anders als Kindergeld nach EStG nicht für Kinder, die im Ausland

leben gezahlt. Damit wird deutlich, dass die geplante Änderung vorrangig im Ausland lebende Kinder von freizügigkeitsberechtigten EU-Bürger(inne)n erfassen soll. Dies

ist ein Indiz für eine europarechtwidrige mittelbare Diskriminierung, da die Neurege- lung sich damit nicht generell gegen Betrug beim Kindergeld wendet.

Bei deutschen Staatsbürger(inne)n wird die Steueridentifikationsnummer durch das Finanzamt von Amts wegen erteilt und seit 2008 gleich nach der Geburt zugesendet. Dies ist auch für hier geborene Kinder von Unionsbürger(inne)n der Fall. Bei im Aus- land geborenen Kindernkonntederen Existenz mit einer Geburtsbescheinigung für Kindergeldzwecke oder Geburtsurkunden nachgeweisen werden. Das wäre nach der Neuregelung nicht mehr möglich. Wenn die Kinder nicht hier geboren sind oder noch im Herkunftsland wohnen, müssen sie für Kindergeld nach EStG eine Steueridentifi- kationsnummer oder ein adäquates Personenkennzeichen aus ihrem Herkunftsland angeben. Dies zu erhalten, ist für Minderheiten in einigen EU-Ländern schwierig, da Angehörige insbesondere der Roma-Minderheit nicht immer staatlich registriert wer- den. Für im Herkunftsland derart diskriminierte Personen müssen andere Nachweis- möglichkeiten zugelassen werden.  ..

Auch dass für Kinder, die im Ausland geboren sind, ggf. höhere Kosten anfallen, se- hen die Verbände der BAGFW kritisch. Insgesamt wird das Antragsverfahren für im Ausland geborene Kinder, das schon heute komplex und sehr aufwendig ist, weiter erschwert. Derzeit muss die Existenz von im Ausland geborenen Kindern durch amt- liche Dokumente wie die Geburtsurkunde nachgewiesen werden.9 Die Überprüfung

der nötigen Dokumente führt nach den Erfahrungen unserer Beratungsdienste viel-

 

 

 

8  Positionspapier des Deutschen Städtetages zu den Fragen der Zuwanderung aus Rumänien und

Bulgarien, Berlin 22.01.2013, S. 8

 

fach zu überlangen Verfahren. Es ist zu befürchten, dass diese Verfahren noch wei- ter bürokratisiert und verzögert werden.

 

Eine hinreichende Begründung für diese Neuregelung gibt es nicht. Es gibt aus Sicht der BAGFW keine Belege für das Erschleichen von Kindergeld durch EU- Bürger(innen) in erheblichem Umfang. Daher überwiegen nach dem derzeitigen Stand die Kritikpunkte.

 

Vor diesem Hintergrund werden auch die geänderten Dienstanweisungen zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz10 als sehr problematisch beurteilt. Die neuen Dienstanweisungen sehen erhebliche Änderungen bei der Prüfung der Freizügigkeitsvoraussetzungen durch die Familienkassen  vor:

Die Familienkassen sollen zwar grundsätzlich von der Erfüllung der Freizügigkeitsvo- raussetzungen ausgehen, sind aber nun seit Juli 2014 selbst zur Überprüfung der Freizügigkeit verpflichtet. Wenn der Familienkasse "im Einzelfall konkrete Umstände

bekannt" werden, "aufgrund derer Zweifel an der Freizügigkeitsberechtigung beste- hen, hat sie das Vorliegen der Freizügigkeitsberechtigung zunächst in eigener Zu- ständigkeit zu prüfen. Solche Umstände können vorliegen, wenn der Berechtigte kein Daueraufenthaltsrecht hat und er seinen Lebensunterhalt allein durch Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII sichert oder wenn er bereits zusammenhängend länger als sechs Monate arbeitslos ist. Ferner können Zweifel an der Freizügigkeits- berechtigung auch in Fällen der Verwendung von gefälschten oder verfälschten Do- kumenten oder bei Vorspiegelung falscher Tatsachen – etwa über ein tatsächlich nicht bestehendes Arbeitsverhältnis, einen tatsächlich nicht bestehenden Wohnsitz oder eine tatsächlich nicht bestehende familiäre Lebensgemeinschaft – bestehen.

Bei der Prüfung der Freizügigkeit kann die Familienkasse die zuständige Ausländer- behörde hinzuziehen. (...) Zu einer mit aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen verbun- denen Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts nach dem FreizügG/EU sind ausschließlich die Ausländerbehörden befugt.11Falls nach dieser Prüfung das Bestehen der Freizügigkeitsvoraussetzungen nicht angezweifelt wird, soll Kindergeld

dann nur für sechs Monate bewilligt werden, dann erneut geprüft werden und wiede- rum nur für sechs Monate bewilligt werden.12

 

Bewertung

Zunächst ist die Zuständigkeit der Familienkassen zur Prüfung der Freizügigkeitsvo- raussetzung problematisch, ebenso wie bei den JobCentern und Krankenkassen. Dass die verschiedenen Sozialträger, u.a. auch die Familienkassen, nebeneinander dafür zuständig sein sollen, wird in der Praxis zu erheblichen Problemen nicht nur beim Rechtsweg führen. Umso wichtiger ist, zu beachten, dass das Bestehen des Freizügigkeitsrechts in der Regel vorauszusetzen ist.

Weiterhin sind die Regelbeispiele, bei denen Zweifel am Bestehen des Freizügig- keitsrechts geltend gemacht werden, dafür teilweise ungeeignet. Die Lebensunter- haltssicherung aus eigenen Mitteln ist nur bei wirtschaftlich nicht aktiven EU- Bürger(innen) Voraussetzung des Freizügigkeitsrechts. EU-Bürger(innen) verlieren den Status als Erwerbstätiger bereits nach einem Jahr Erwerbstätigkeit nicht mehr, auch wenn sie arbeitslos werden. Es kann deshalb nicht generell bei längerer Ar- beitslosigkeit oder dem Bezug von Sozialleistungen vermutet werden, dass das Frei- zügigkeitsrecht entfällt. Mit den hier genannten Kriterien ist zu befürchten, dass die

 

10 <link http: www.bzst.de de steuern_national kindergeld_fachaufsicht familienkassen dienstanweisung>Dienstanweisungen zum  <link http: www.bzst.de de steuern_national kindergeld_fachaufsicht familienkassen dienstanweisung>Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (DA-KG) Stand 2014

11 Dienstanweisungen zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz, Stand 2014, A.3.5 (2).

 

Familienkassen künftig alle Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen nach SGB II oder XII überprüfen. Das widerspräche dem Gebot, in der Regel vom Bestehen des Freizügigkeitsrechts auszugehen. Hier bedarf es einer europarechtkonformen Kon- kretisierung der „konkreten Umstände“, die Zweifel am Freizügigkeitsrecht auslösen können.

 

Die Regelung, das Kindergeld nur für sechs Monate zu bewilligen, ist europarecht- widrig. Ausländische EU-Bürger(innen) sind beim Zugang zu Kindergeld Deutschen gleichgestellt (Art. 4 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Ziff. j VO 883/2004). Es darf daher nicht an- ders als bei Deutschen befristet werden.

 

 

 

6.  Art. 4: Änderung des SGB II

Die Bundesbeteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizung im SGB II im Jahr

2014 wird erhöht.

 

 

Bewertung

Die Verbände der BAGFW begrüßen diese Entlastung der Kommunen.

 

 

7.  Art. 5: Änderung des SGB V

Gem. § 20d Abs. 3 S. 2 SGB V-E sind die gesetzlichen Krankenkassen künftig ver- pflichtet, die Impfstoffkosten für minderjährige EU-Bürger(innen) zu übernehmen, deren Krankenversicherungsstatus noch nicht geklärt ist und die nicht privatversi- chert sind.

 

 

Bewertung

Die Verbände der BAGFW begrüßen diese Entlastung der Kommunen.

 

 

 

Fazit:

Nachweise für einen übermäßigen Missbrauch des Freizügigkeitsrechts durch Er- schleichung oder Täuschung, die den vorliegenden Gesetzentwurf rechtfertigten, konnten weder im Rahmen des Zwischen- noch des Abschlussberichts des Staats- sekretärsausschusses vorgelegt werden.13 Vielmehr geht auch die Bundesregierung laut Gesetzesentwurf davon aus, dass die überwiegende Mehrzahl der Unionsbürge- rinnen und Unionsbürger ihr Freizügigkeitsrecht in Übereinstimmung mit den gelten- den nationalen und europäischen Regeln ausübt.14 In der öffentlichen Debatte wird hingegen oft ein anderer Anschein erweckt. Es bedarf daher der Klarstellung, dass die Inanspruchnahme des Freizügigkeitsrechts zur Arbeitssuche und der dadurch zustehende Anspruch auf soziale Leistungen oder Kindergeld kein Missbrauch oder

gar Betrug sind.

Aus diesem Grund sollte aus Sicht der BAGFW das Ziel politischer Initiativen sein, Zugewanderte dabei zu unterstützen, möglichst schnell in Deutschland Fuß zu fas- sen und insbesondere Zugänge zum Arbeitsmarkt zu schaffen. Ansonsten bleibt zu

 

 

13  vgl.: Zwischenbericht (Drs. 18/960) und Abschlussbericht (Drs. 18/2470) des Staatssekretärsaus- schusses zu Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Siche- rungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten

14 Bundesrat-Drucksache 394/14 vom 29.08.14, S.1

 

befürchten, dass neue soziale Brennpunkte entstehen und sich bereits bestehende menschenunwürdige Lebensbedingungen manifestieren.