Stellungnahme der BAGFW zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Bundestags-Drucksache 16/2711 vom 25. Sept. 2006)

Bereits in der Ersten Lesung im Plenum des Deutschen Bundestages am 28. Sept. 2006 bestand Einigkeit, dass die Beratungszeit für die komplexen und grundlegenden Fragen der Existenzsicherung äußerst knapp bemessen ist.

Bereits in der Ersten Lesung im Plenum des Deutschen Bundestages am 28. Sept. 2006 bestand Einigkeit, dass die Beratungszeit für die komplexen und grundlegenden Fragen der Existenzsicherung äußerst knapp bemessen ist. Ursprünglich war von Seiten der Bundesregierung lediglich beabsichtigt, § 28 SGB XII im Hinblick auf die Regelsatzfestsetzung zu ändern sowie einige redaktionelle Korrekturen und Anpassungen vorzunehmen.

 

Erst zu einem späteren Zeitpunkt sollten weitere Themen in einem eigenständigen Gesetzgebungsverfahren behandelt werden, insbesondere Fragen der Eingliederungshilfe. Zu diesen Fragen haben verschiedene Arbeitsgruppen der Konferenz der Obersten Landessozialbehörden (KOLS) gearbeitet. Diese Arbeiten sind noch nicht abgeschlossen.

 

In einer Anhörung zum Arbeitsentwurf am 19. Juli 2006 wurde seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zugesichert, angesichts der kurzen zur Verfügung stehenden Beratungszeit für das Parlament und der noch nicht abgeschlossenen und nicht ausgereiften Überlegungen der KOLS den Gesetzentwurf nicht weiter aufzuladen, insbesondere nicht mit Regelungen zur Eingliederungshilfe.

 

Gleichwohl wurde auf Wunsch der Länder in den Regierungsentwurf die Streichung des § 92 Abs. 1 SGB XII (Bruttoprinzip) aufgenommen. Darüber hinaus hat der Bundesrat umfangreiche weitere Änderungen gefordert, die sich im Wesentlichen auf die Eingliederungshilfe beziehen.

 

Wir möchten eindringlich darum bitten, den gesamten Komplex Eingliederungshilfe zurückzustellen. Reformbedarf ist nicht zu leugnen. Es macht aber keinen Sinn, im Schnellverfahren punktuelle Änderungen vorzunehmen, ohne den gesamten Bereich in den Blick zu nehmen. Dazu würde die Auswertung der ersten Erfahrungen mit dem trägerübergreifenden persönlichen Budget ebenso gehören wie eine Auseinandersetzung mit dem Bundesteilhabegeld oder der immer wieder aufgeschobenen Schaffung eines Bundesleistungsgesetzes für die Teilhabe behinderter Menschen. Eine derart umfassende und zielgerichtete Befassung mit den Rahmenbedingungen der Teilhabe behinderter Menschen einschließlich der Wechselbeziehungen zur Pflegeversicherung wurde in der Koalitionsvereinbarung angekündigt, in dem Gesetzentwurf aber nicht berücksichtigt.

 

 

Zu den einzelnen Vorschlägen nehmen wir wie folgt Stellung:

 

Die vorgesehene Aufhebung des § 13 Abs. 1 Satz 2 entzieht den Sozialgerichten eine Orientierung in der Anwendung des § 7 Abs. 4 SGB II, ohne dass hierfür an anderer Stelle Ersatz geschaffen würde. Wir plädieren deshalb dafür, in einem gesonderten Artikel dieses Gesetzes eine Einrichtungsdefinition für das SGB II vorzunehmen.

 

Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wenn nach dem Vorbild des Sozialgesetzbuches XI eine klare und innerhalb des SGB XII durchgehaltene Definition von stationären Einrichtungen, teilstationären Einrichtungen und vollstationären Einrichtungen erfolgen würde.

 

Die vorgeschlagene Neufassung des § 19 Abs. 5 ist nicht geeignet, die abzulehnende Aufhebung des § 92 Abs. 1 zu kompensieren. In der Begründung zur Neufassung von § 19 Abs. 5 wird nur ausgeführt, dass die Beschränkung auf begründete Einzelfälle aus § 29 BSHG übernommen wurde, da sich diese Regelung bewährt habe. In der Begründung wäre jedenfalls darauf hinzuweisen, dass gerade bei Leistungen der Eingliederungshilfe in der Suchthilfe und in der Sozialen Psychiatrie die Ablösung des Leistungsberechtigten von der Familie ein häufig notwendiger Schwerpunkt der Arbeit ist. Durch die Einfügung des o. a. Satzes als Satz 2 und eine Erläuterung in der Begründung würde zumindest klargestellt werden, dass z. B. durch Konflikte zwischen Unterhaltsverpflichteten und Leistungsberechtigten die Erbringung notwendiger unumgänglicher Hilfen nicht verhindert werden. Im Übrigen verweisen wir auf unsere Ausführungen zur Streichung von § 92 Abs. 1. 

 

Gegen die von Bundesregierung und Bundesrat vorgesehenen Änderungen des § 23 bestehen erhebliche ausländerrechtliche und verfassungsrechtliche Bedenken. Zumindest muss im Sinne der Gegenäußerung der Bundesregierung zum Vorschlag des Bundesrates sichergestellt werden, dass die unabweisbar notwendige Hilfe geleistet wird.

 

Die Änderung des § 28 Abs. 2 S. 1 ist teilweise missverständlich. Um Fehlinterpretationen zu vermeiden, sollte weiterhin im Text auf „die Verordnung nach § 40“ Bezug genommen werden.

 

Die Festsetzung der Regelsätze muss darüber hinaus auch weiterhin in einem förmlichen Verordnungsverfahren erfolgen, damit die notwendige Transparenz gegeben ist. Immerhin handelt es sich bei den Regelsätzen nach SGB XII sowohl um das Referenzsystem für das Arbeitslosengeld II und auch das steuerliche Existenzminimum.

 

Die Änderung des § 28 Abs. 2 S. 3 SGB XII bindet die Festsetzung der Regelsätze durch Rechtsverordnung darüber hinaus an die nur alle fünf Jahre erhobene Einkommens- und Verbrauchsstichprobe oder die jährlich zu prüfende Rentenanpassung. Wegen der entsprechenden Vorgaben der jeweiligen Ergebnisse ist davon auszugehen, dass trotz der Mehrwertsteuererhöhung und der gestiegenen Belastungen durch die nicht mehr von der gesetzlichen Krankenkasse zu finanzierenden Medikamente und die Zuzahlungen, jedenfalls bis einschließlich zum Jahr 2009 keine Regelsatzerhöhung mehr erfolgen wird. Es steht bereits jetzt fest, dass aufgrund des Nachhaltigkeitsfaktors in der Rentenversicherung selbst mögliche Einkommenssteigerungen durch die Verrechnung mit einer früheren Unterdeckung gestrichen werden. Davon ist wiederum ein Personenkreis betroffen, der im Gegensatz zu den Leistungsempfängern nach dem SGB II nicht in der Lage ist, durch eigene Erwerbsarbeit Einkommen zu erzielen. Selbst wenn die Bundesländer aufgrund einer Unterschreitung des soziokulturellen Existenzminimums eine Anhebung beabsichtigten, wäre dies nach der vorgeschlagenen Regelung vor der Auswertung der Einkommens und Verbrauchsstichprobe 2008 nicht möglich, da bis zu diesem Zeitpunkt eine Verordnungsermächtigung fehlt.

 

Abzulehnen ist jedenfalls die Forderung des Bundesrates, die Regelsätze nur dann neu festzusetzen, wenn der aktuelle Rentenwert sich geändert hat oder eine neue EVS-Auswertung vorliegt. Auch andere bedarfsbestimmende Entwicklungen wie Zuzahlungsregelungen in der gKV, Energiepreissteigerungen oder die Erhöhung der Mehrwertsteuer müssen zeitnah zu einer Überprüfung und Neufestsetzung der Regelsätze führen.

 

Der vom Bundesrat gesehene Änderungsbedarf zu § 29 besteht nicht. Insoweit teilen wir die Auffassung der Bundesregierung.

 

Wir sehen in der beabsichtigten Änderung des § 30 Abs. 1 eine sinnvolle Erleichterung für die von dieser Regelung betroffenen Personen.

 

Wir sind dankbar für die in der Begründung zu § 35 Abs. 1 vorgenommene Klarstellung zur Bedeutung dieser Regelung. Im Übrigen halten wir nach wie vor eine grundlegende Überarbeitung dieser Vorschrift für erforderlich, da beispielsweise zum Lebensunterhalt in Einrichtungen nicht die Bekleidungshilfen zählen, die aber durch den Verweis auf § 42 Satz 1 Nr. 1 SGB XII abgegolten zu sein scheinen.

 

Die vom Bundesrat vorgeschlagene Streichung der Wörter „insbesondere“ in § 35 Abs. 2 Satz 1 und „mindestens“ in Absatz 2 Satz 1 sowie die pauschale Erhöhung des Barbetrags auf 28 % des Eckregelsatzes werden abgelehnt. Bisher eröffnet die Insbesondere-Aufzählung in § 35 Absatz 2 Satz 1 Menschen mit Behinderungen in Einrichtungen die Möglichkeit, noch weitere notwendige Leistungen neben Bekleidung und einem angemessenen Barbetrag zu erhalten. Durch die Streichung der Worte „insbesondere“ in Absatz 2 Satz 1 und „mindestens“ in Absatz 2 Satz 2 bleibt der Praxis künftig kein Handlungsspielraum für notwendige Leistungsergänzungen. Auch die bisher mögliche Erhöhung des Mindestbarbetrages würde ausgeschlossen.

 

Diese einmaligen Leistungen durch Erhöhung des Barbetrags in stationären Einrichtungen von 26 % auf 28 % des Eckregelsatzes zu kompensieren, lässt außer Acht, dass durch die vorangegangenen Gesetzesänderungen der letzten Jahre bereits erhebliche finanzielle Mehrbelastungen von Beziehern des Barbetrages zu tragen sind. Zudem gilt es zu bedenken, dass die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 % im kommenden Jahr auch diesen Personenkreis treffen wird. Die Bewohner stationärer Einrichtungen werden in hohem Maße durch Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen sowie Kosten für Medikamente, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden, überfordert.

 

Gerade für behinderte Menschen in stationären Einrichtungen, die nur über den Barbetrag verfügen, wirkt sich die vom Bundesrat vorgesehene Möglichkeit des Sozialhilfeträgers, die Leistungen für Kleidung bei einer Betreuung in einer stationären Einrichtung monatlich zu pauschalieren, negativ aus. Bei einseitig vom Sozialhilfeträger festgelegter Pauschalierung dieser Leistung kann nicht mehr auf den individuellen Bedarf reagiert werden.

 

Die Streichung des § 35 Abs. 3 bis 5 lehnen wir in Übereinstimmung mit der Bundesregierung ab. Zielführend wäre allerdings, diesen Personenkreis gänzlich von der Zuzahlung in der gKV zu befreien, da bei diesem Personenkreis der Verwaltungsaufwand bei den Krankenkassen die eingespielten Beträge bei weitem übersteigt.

 

Die vom Bundesrat vorgeschlagene Ergänzung des § 41 Abs. 2 erachten wir als sinnvoll.

 

Die vom Bundesrat vorgeschlagene Ergänzung des § 45 Abs. 1 lehnen wir aus den gleichen Gründen ab wie die Bundesregierung. Die Stellungnahme des Fachausschusses der Werkstatt sollte den Aufwand eines Gutachtens des Rentenversicherungsträgers vermeiden. Wenn die Stellungnahme nicht mehr maßgeblich zur erleichterten Feststellung der Erwerbsunfähigkeit sein soll, muss in der grundlegenden Systematik der Regelung auch bei Werkstattbesuchern ein Gutachten des Rentenversicherungsträgers nach § 45 Abs. 1 Satz 1 eingeholt werden. Die Verfahrenserleichterung wäre dann obsolet.

 

In Wirklichkeit geht es dem Bundesrat wohl darum, die Stellung des Fachausschusses nach §§ 3 und 5 Werkstättenverordnung in Frage zu stellen, ohne dies jedoch offen zu legen.

 

Die vom Bundesrat geforderte Einschränkung der Blindenhilfe nach § 72 Abs. 1 lehnen wir ab. Die bereits bestehende Möglichkeit der Kürzung ist ausreichend, um den individuellen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Eine bestimmungsgemäße Verwendung der Blindenhilfe ist anders als vom Bundesrat angeführt auch bei Komapatienten möglich, um zum Beispiel regelmäßige Ansprachen zu ermöglichen.

 

Die vorgesehene Änderung des § 77 Abs. 1 halten wir für dringend erforderlich. Viele Einrichtungsträger sind damit konfrontiert, dass andere Sozialhilfeträger die bereits vor Ort abgeschlossenen Vereinbarungen nicht akzeptieren.

 

Die vom Bundesrat gefordete Schaffung eines neuen § 78a lehnen wir mit der Begründung der Bundesregierung ab. Es geht hier nicht um die Einführung einer Vertragsstrafe, sondern um die Anwendung der schuldrechtlichen Bestimmungen zur Minderung. Diese gelten kraft Verweises des § 61 SGB X auf das BGB bereits heute.

 

Die in § 82 Abs. 1 Satz 1 vorgesehene Freilassung des befristeten Zuschlages nach § 24 SGB II bei der Einkommensanrechnung ist erforderlich, um die beabsichtigte Wirkung des Zuschlages im Bereich der Sozialhilfe nicht ins Leere laufen zu lassen.

 

Die Streichung von § 92 Abs. 1 führt dazu, dass die grundsätzliche Vorleistungspflicht des Trägers der Sozialhilfe bei Leistungen der Eingliederungshilfe in voll- und teilstationären Einrichtungen oder für ärztliche oder ärztlich verordnete Maßnahmen (Bruttoprinzip) ersatzlos entfällt. Konsequenz ist, dass sich Leistungsberechtigte an der Kostentragung durch direkte Zahlung ihres Anteils an die Leistungserbringer beteiligen müssen und der Träger der Sozialhilfe nur noch die auf ihn entfallenden Restkosten an den Leistungserbringer zahlt (Nettoprinzip).

 

Diese Änderung ermöglicht es dem Sozialhilfeträger, mit der Durchführung der Leistungen zu warten, bis die Hilfebedürftigkeit abschließend geklärt ist. Ein solches Verfahren entspricht nicht dem Ziel der Sicherstellung einer rechtzeitigen und umfassenden Durchführung von erforderlichen Eingliederungshilfeleistungen für Menschen mit Behinderungen, sondern macht die Leistung abhängig von der Eigenbeteiligung der Leistungsberechtigten und ihrer Angehörigen. Der insbesondere mit dem SGB IX beabsichtigte schnelle Zugang zu den notwendigen Leistungen wird konterkariert.

 

Die Leistungsberechtigten oder die sie betreuenden Angehörigen und Betreuer wären gezwungen, Unterhaltsansprüche gegenüber Dritten und die Abrechnung mit Einrichtungen selbst zu betreiben. Die Streichung von Abs. 1 erschwert ihnen den Zugang zu den erforderlichen Leistungen, weil Einrichtungsträger in Ansehung von Ausfallrisiken dazu übergehen müssen, potenzielle Sozialhilfeberechtigte erst dann aufzunehmen, wenn über die Hilfeberechtigung abschließend entschieden ist und sie ihre Eigenanteile – zum Beispiel aus Unterhaltsansprüchen – bereits realisiert haben. Dies wird sich letztlich zum Nachteil der hilfebedürftigen Menschen auswirken, die unnötig lange auf die Realisierung ihrer Leistungsansprüche werden warten müssen.

 

Zusammenfassend kann somit aus Sicht behinderter Menschen festgestellt werden, dass der Zugang zu den notwendigen Leistungen durch die Streichung von Abs. 1 erschwert wird und der Selbstbestimmungsgedanke des SGB XII und des SGB IX konterkariert wird. Zugleich werden Leistungsausschlüsse erleichtert.

 

Für Leistungserbringer führt die Streichung von Abs. 1 zu einer ganz erheblichen Verlagerung von Kosten und Ausfallrisiken von den Sozialhilfeträgern auf die Träger der Einrichtungen. Ohne dass sichergestellt ist, dass die Einrichtungen hierfür einen finanziellen Ausgleich erhalten, ist diese Verlagerung nicht akzeptabel. Viele Einrichtungen werden eine aufwendigere Abrechnungssoftware installieren müssen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hierauf schulen müssen, was bislang völlig unberücksichtigt ist. Insbesondere kleine dezentrale Einrichtungen werden durch den entstehenden regelmäßigen Verwaltungsaufwand erheblich benachteiligt. Dennoch wird auch bei den Sozialhilfeträgern Verwaltungsaufwand verbleiben, weil sie auch weiterhin regelmäßig die Bedürftigkeit werden prüfen und feststellen müssen.

 

Bedenklich ist ferner, dass durch die Zersplitterung der Finanzierung der Leistungen auch das im SGB IX / SGB XII verfolgte Prinzip der Leistung aus einer Hand ausgehöhlt wird. Dies hat auch Auswirkungen auf das trägerübergreifende Persönliche Budget, weil der dem trägerübergreifenden Persönlichen Budget zu Grunde liegende Gedanke der Komplexleistung aus einer Hand nicht mehr zum Tragen kommt.

 

Aus diesen Gründen lehnen wir die Streichung des § 92 Abs. 1 ab. Im Hinblick auf die angekündigte Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe muss es Ziel sein, fachlich konzeptionelle Inhalte und die Finanzierung der Eingliederungshilfe ausgewogen aufeinander abzustimmen und nicht Verantwortlichkeiten allein aus fiskalischen Gründen zu verschieben.

 

§ 13 benutzt bereits den fehlerhaften Begriff „Leistungen für Einrichtungen“. Richtigerweise geht es doch um Leistungen zur Inanspruchnahme von Einrichtungen. Wir verstehen nicht, warum diese fehlerhafte Terminologie in einem neuen § 92 a wieder aufgegriffen wird.

 

Davon abgesehen, halten wir die Intention der Neuregelung für sachgerechter als den geltenden § 82 Abs. 4. Wünschenswert wäre allerdings eine etwas präzisere Vorgabe in Abs. 3 (z. B. Selbstbehalt in Höhe eines doppelten Regelsatzes zuzüglich Unterkunftskosten).

 

Mit den von der Bundesregierung vorgetragenen Gründen lehnen wir die vom Bundesrat vorgeschlagene Erweiterung ab.

 

Mit den von der Bundesregierung vorgetragenen Gründen lehnen wir die vom Bundesrat vorgeschlagene Streichung des § 133a ab.

 

Die vom Bundesrat vorgeschlagene Erweiterung des § 74 Absatz 1 EStG um einen Satz 4a sieht vor, dass ein Auszahlungsanspruch des Sozialhilfeträgers auf das Kindergeld immer dann besteht, wenn er den überwiegenden Unterhalt des volljährigen Kindes sicherstellt. Dies hat zur Folge, dass das Kindergeld nur noch dann den Eltern belassen wird, wenn das volljährige Kind in der Häuslichkeit der Eltern wohnt. Lebt das behinderte volljährige Kind jedoch nicht bei ihnen, wird das Kindergeld auf den Sozialhilfeträger übergeleitet. Diese Änderung wird vom Bundesrat mit der Stärkung des Grundsatzes "ambulant vor stationär" begründet. Nach dem Wortlaut des Bundesratsvorschlags betrifft die Überleitung auf den Sozialhilfeträger aber sowohl volljährige behinderte Menschen, die in einer stationären Einrichtung leben wie auch diejenigen, die in der eigenen Wohnung oder einer betreuten Wohngemeinschaft leben und gleichzeitig Grundsicherungsleistungen und Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. Hierdurch wird der Grundsatz "ambulant vor stationär" konterkariert.

 

Die Selbsthilfeorganisationen behinderter Menschen haben mit ihren Untersuchungen und Beispielen nachgewiesen, dass auch Eltern, deren behinderte volljährige Kinder in stationären Einrichtungen oder in ambulant betreuten Wohnformen leben, erhebliche zusätzliche Unterhaltsaufwendungen für ihre Kinder haben, wenn an Wochenenden oder Ferien die Kinder bei ihnen wohnen, sie sie zu Arzt- oder Therapiebesuchen begleiten und mit ihnen Freizeitangebote wahrnehmen. Dazu müssen sie ein Zimmer im Haus der Eltern vorhalten. Eltern tragen vielfach die Aufwendungen für medizinische Leistungen, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden. Hierzu gehören u. a. Sehhilfen, Zahnersatz sowie nicht verschreibungspflichtige Medikamente und auch notwendige Betreuungs- und Versorgungsleistungen, die nicht von der Pflegekasse oder vom Sozialhilfeträger erstattet werden.

 

Die Entlastung von Eltern behinderter volljähriger Kinder durch die Gewährung von Kindergeld ist deshalb notwendig und darf nur in den Fällen, in denen Eltern keinen Kontakt zu ihrem behinderten Kind pflegen oder der Kontakt zwar besteht, sie aber keine oder sehr geringe Unterhaltsleistungen neben den Leistungen des Sozialhilfeträgers erbringen, zur Überleitung des Kindergeldes auf den Sozialhilfeträger berechtigt. Dies ist aber nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes bereits auf der Grundlage des § 74 EStG in seiner derzeitigen Fassung möglich (vgl. Urteile des BFH vom 17. Februar 2004, Az. VIII R 58/03 und vom 23.Februar 2006, Az. III R 65/04) und wird auch von den Familienkassen umgesetzt.