Positionspapier der BAGFW Präventionsmaßnahmen sind aktuell unser bester Infektionsschutz – Die Freien Wohlfahrtspflege fordert eine partizipative und zielgerichtete Präventionspolitik

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrt vertritt die Meinung, dass die SARS-CoV-2-Pandemie strukturelle Probleme und Herausforderungen unserer Gesellschaft an vielen Stellen verstärkt und sichtbar gemacht hat.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrt vertritt die Meinung, dass die SARS-CoV-2-Pandemie strukturelle Probleme und Herausforderungen unserer Gesellschaft an vielen Stellen verstärkt und sichtbar gemacht hat.

Handlungsbedarf

Die Pandemie zeigt, dass das Risiko infiziert zu werden in Abhängigkeit von der sozialen Lage ungleich verteilt ist. Beschäftigte, die im Dienstleistungsbereich, meist mit einem niedrigen Einkommen, arbeiten, haben im Arbeitsalltag in der Regel keine Möglichkeit eine Kontaktvermeidung zu erleben, wie sie das Home-Office ermöglicht. Die Pandemie benachteiligt ganz besonders Menschen in Armutslagen. Die Anschaffung von wirksam schützenden Atemschutzmasken können aus den Regelsätzen nur schwer finanziert werden. Viele Menschen sind besonders von diesen zusätzlichen Ausgaben betroffen. Menschen mit Behinderungen, psychischen Erkrankungen und ältere Menschen, die alleine, mit ihrer Familie und in Einrichtungen wohnen sind auf besondere Art und Weise auf die Solidarität und die Einhaltung der Präventionsmaßnahmen ihrer Mitmenschen angewiesen. Gleichzeitig gilt es, die Belange und Informations- sowie Interaktionsbedarfe dieser vulnerablen Zielgruppe gesondert in den Blick zu nehmen. Des Weiteren gilt es den Personenkreis, der sog. „Corona-Leugner“ und ihre – zumeist digitalen - Informationsquellen gezielt durch Informationen und Beratungsangebote in den Blick zu nehmen. Falschmeldungen und die Verbreitung von fehlerhaften Informationen über soziale Netzwerke sind eine Gefahr für die Allgemeinheit und gezielt anzugehen.

Während das Bundesgesundheitsministerium seine Ausgaben zur Öffentlichkeitsarbeit um das 30-fache gesteigert hat[1], sind die Möglichkeiten durch Kampagnen und Risikokommunikation Verhaltensprävention mit Blick auf benachteiligte Gruppen zu betreiben, nicht ausreichend genutzt worden. Insbesondere Menschen mit Behinderungen, die auf Leichte Sprache, einfache Sprache oder Gebärdensprache angewiesen sind und Menschen mit geringen Lese-Rechtschreib- und/oder Deutschkenntnissen, waren lange von allgemeinen, und sind teilweise immer noch von tagesaktuellen, Informationen und Handlungsempfehlungen abgeschnitten. Zielgruppenspezifische, einfache und verständliche Informationen und die Beachtung von Barrierefreiheit sind Grundlagen für besser wirksame Präventionspolitik. Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass auf kommunaler Ebene zahlreiche Beratungsangebote, die zentral sind, um vulnerable Gruppen zu erreichen, auf Grund des Rückgangs von Gewerbesteuereinnahmen, bedroht sind.

Oberstes Ziel

Solange kein Impfstoff und/oder eine wirksame medizinisch-therapeutische Behandlung zur Verfügung stehen, sind nicht-medizinische präventive Maßnahmen das wirksamste Mittel zur Eindämmung der SARS-CoV-2-Pandemie. Erforderlich ist ein aufeinander abgestimmtes Zusammenspiel aus Verhaltensprävention (Masken, Abstandsregeln, Hustenetikette) und Verhältnisprävention (Kontaktbeschränkungen, Anzahl von Personen in Geschäften, etc.). Verhaltensänderungen sind keineswegs zeitlich stabil. Dies konnte man auch diesen Sommer in der

Bundesrepublik beobachten. Es braucht daher den politischen Willen, die Chancen von Prävention verstärkt in den Blick zu nehmen und Maßnahmen zu ergreifen, die dezentrale und partizipative Formen der Risikokommunikation ermöglichen. Letzten Endes kommt es nicht allein darauf an, wieviel Geld für Kampagnen ausgegeben wird.

Der Erfolg von Kampagnen muss sich daran messen lassen, ob die Botschaften wirklich vermittelt wurden, ob es partizipative, zielgruppenspezifische und lernende Kampagnen sind und wer letzten Endes erreicht wurde.

Hierbei gilt es wichtige Anlaufstelle für besonders gefährdete Gruppen verstärkt in den Blick zu nehmen. Dies sind sehr oft Angebote und Dienstleistungen der Freien Wohlfahrtspflege.

Die Freie Wohlfahrtspflege fordert daher die Bundesregierung, die Landesregierungen und die Kommunen dazu auf:

  • Kampagnen zu ermöglichen, die auf die Kommunikationsbedürfnisse vulnerabler Gruppen abgestimmt sind, um diese wirklich zu erreichen. Hierbei gilt es Dienste und Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege in besonderem Maße miteinzubeziehen.
  • Eine partizipative und dezentrale Risikokommunikation zu stärken.
  • Ein gezieltes Vorgehen gegen digital verbreitete Falschmeldungen zu ergreifen.
  • Sich für die Erhaltung von bestehenden Beratungsstrukturen einzusetzen.
  • Eine langfristige Lösung des Finanzierungsproblems im Öffentlichen Gesundheitsdienst zu finden.
  • Testungen noch besser als Präventionsmittel zu nutzen. Hierbei sind insbesondere auch Regelungen für eine Priorisierung von Testungen für besonders betroffene Risikogruppen erforderlich.
  • Eine Rücknahme der Regelung des Zweiten Bevölkerungsschutzgesetzes, welches die Gesetzlichen Krankenkassen davon befreit hat, im Jahr 2020 einen definierten Betrag für Präventionsmaßnahmen zu verwenden.
  • Die Landesrahmenverträge gemäß § 20f SGB V sind, um Präventivmaßnahmen im Kontext der Pandemie zu ergänzen und die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege als Vertragspartner mit einzubeziehen.

Bekenntnis zum Miteinander

Wir sollten aus den Erfahrungen der Aids-Prävention lernen. Das bedeutet, dass mit den betroffenen Personen zusammen überlegt werden muss, nicht ohne sie und gegen sie, wie Infektionsschutz zu gestalten ist. Die Botschaften müssen die Sprache der Betroffenen sprechen, Personen, die sie anerkennen müssen, gehören miteinbezogen, die Praktikabilität muss überzeugen.

Fazit

Die Prävention muss deutlich stärker auf die unterschiedlichen Bedarfe der Bevölkerungsgruppen ausgerichtet werden; in der Praxis sind die Betroffenen miteinzubeziehen. Der Zugang von Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege ist zu nutzen und die bestehenden Beratungsangebote sind unbedingt zu sichern. Es ist gezielt gegen Falschinformationen, vor allem im Internet, vorzugehen. Gleichzeitig ist der Öffentliche Gesundheitsdienst weiter zu stärken.[i]

 


[1]Vgl. Müller, M: Spahn verdreißigfacht Werbeausgaben, in Der Spiegel, 17.07.2020, [online]
https://www.spiegel.de/wirtschaft/spahn-verdreissigfacht-werbeausgaben

 


Die Erstellung des Positionspapiers Präventionsmaßnahmen sind aktuell unser bester Infektionsschutz – Die Freien Wohlfahrtspflege fordert eine partizipative und zielgerichtete Präventionspolitik erfolgte auf Initiative von Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Wirtschafts-, Sozial- und Gesundheitswissenschaftler, seit 2012 ehrenamtlicher Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes – Gesamtverband.