Stellungnahme der BAGFW zum Entwurf eines Gesetzes über Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen (Gewebegesetz)

Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland zusammenarbeitenden sechs Spitzenverbände (Arbeiterwohlfahrt Bundesverband, Deutscher Caritasverband, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Gesamtverband, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland) treten für die Würde und das Recht auf Leben des Menschen ein.

Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland zusammenarbeitenden sechs Spitzenverbände (Arbeiterwohlfahrt Bundesverband, Deutscher Caritasverband, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Gesamtverband, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland) treten für die Würde und das Recht auf Leben des Menschen ein.

 

Mit dem Regierungsentwurf für ein Gewebegesetz soll die Richtlinie 2004/23/EG vom 31.03.2004 (Geweberichtlinie) in nationales Recht umgesetzt werden. Ziel der Geweberichtlinie ist es, Qualität und Sicherheit von Geweben, insbesondere zur Verhütung der Übertragung von Krankheiten, bei der medizinischen Versorgung mit Geweben zu gewährleisten. Mit dem Gewebegesetz soll unter anderem das geltende Transplantationsgesetz (TPG) erweitert werden, das bislang lediglich die Entnahme von Organen, nicht aber die Entnahme von Geweben regelt. Weiterhin soll das Arzneimittelgesetz (AMG) ergänzt bzw. durch das geplante Gesetz geändert werden, insbesondere sollen ihm nahezu alle menschlichen Gewebe unterworfen werden.

 

Der Entwurf für ein Gewebegesetz ist nicht nur hinsichtlich der Regelungen zur Sicherung der Qualität von Zellen und Geweben zu Transplantationszwecken – bzw. der Produkte daraus – zu bewerten, sondern vor allem sind die ethischen Fragen der Entnahme der Spende (Arztvorbehalt, Aufklärung und Einwilligung in die Spende durch den Spender selbst bzw. bei postmortalen Spenden durch die Angehörigen, Unentgeltlichkeit der Spende) sowie der Verteilung bzw. Allokation von Bedeutung. Insbesondere zu den ethischen Fragestellungen nehmen die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege Stellung.

 

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege gehen bei ihrer Bewertung des vorliegenden Gesetzentwurfs von dem Grundsatz aus, dass Gewebezellen und sog. Gewebezubereitungen keine Arzneimittel sind. Entscheidend ist bei Geweben und Zellen die Herkunft, es gibt sie nicht ohne Spende. Aus der Perspektive der Anwaltschaftlichkeit muss der Gesetzentwurf das Ziel verfolgen, die Abläufe von Spenden und Transplantationen qualitativ zu verbessern.

 

Auch die Freiwilligkeit und Nicht-Kommerzialisierung von Spenden ist ein Element der Qualitätssicherung. Generell gilt, dass eine notwendige Versorgung mit Geweben und Zellen nur unter ethischen Bedingungen, die die Würde des Spenders angemessen sind, vom Gesetzgeber verantwortet werden kann.

 

1.            Gefahr der Kommerzialisierung der postmortalen Gewebegewinnung und Gewebetransplantation

 

Die undifferenzierte Unterstellung von menschlichen Geweben und Zellen einschließlich daraus hergestellter Produkte, die zur Verwendung bei Menschen bestimmt sind (bis auf Blut und Blutbestandteile) unter das AMG wirft einerseits bürokratische Hürden auf und stellt Anforderungen entsprechend der Pharma-Verordnung, die für die betroffenen Krankenhäuser erhebliche Mehraufwendungen darstellen. Andererseits erhöht es die Gefahr der Kommerzialisierung.

 

Im Arzneimittelgesetz werden künftig auch sog. Gewebezubereitungen als Arzneimittel behandelt. Es erscheint widersprüchlich, dass das TPG auf der einen Seite Gewebe den Organen gleichstellt, gleichzeitig aber das AMG in § 2 Abs. 3 Nr. 8 nur Organe selbst der Verbreitung als Arzneimittel entzieht. Die weitgehende und reichlich undifferenzierte Definition der Gewebezubereitung in § 4 Nr. 30 AMG hingegen relativiert den Schutz des TPG vor der Kommerzialisierung von Gewebe weitgehend und stellt in seiner gegenwärtigen Fassung einen nicht aufzulösenden Wertungswiderspruch zum TPG dar.

 

Zudem stellt sich die Fragen, ob gemessen gerade an den hohen Hürden des TPG die Sicherungen des AMG (z. B. Herstellungserlaubnis gem. § 13 AMG, die grundsätzlich zu erteilen ist oder die Apothekenpflicht von Arzneimitteln gem. § 43 AMG) angemessene und hinreichende Verfahrensinstrumente zur Gewährleistung eines sorgfältigen Umgangs mit menschlichem Gewebe darstellen. Das Arzneimittelgesetz ist seiner ganzen Ausrichtung nach darauf ausgerichtet, den Handel mit Arzneimitteln zu kontrollieren ohne diesen zu hindern. Geht man von der in § 17 TPG (Verbot des Organhandels) zum Ausdruck gekommenen Grundentscheidung aus, sollten auch für die begründeten und sinnvollen Ausnahmen von diesem grundlegenden Verbot strengere Hürden gelten. Zu denken wäre hier an ein grundsätzliches Verbot mit einem Erlaubnisvorbehalt.

 

Die Tatsache, dass Gewebeprodukte als Arzneimittel (bzw. Wirkstoffe) gewerblich verwertet werden können, ist von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Daraus resultieren jedoch nicht nur ein Interessenkonflikt der verschiedenen beteiligten Institutionen (Krankenhäuser, Transplantationszentren und Koordinierungsstelle), sondern es entsteht auch eine Diskrepanz zwischen dem auf das Inverkehrbringen und den gewinnbringenden Handel mit Arzneimitteln ausgerichteten AMG und dem Verbot des Organhandels in § 17 TPG und der Unentgeltlichkeit der Spende.

 

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege fordern ein Verbot der Kommerzialisierung der Gewebe- und Zelltransplantation. Gewebe und Zellen, die als solche einer Heilbehandlung zu dienen bestimmt sind, dürfen bis zur Implantation nur treuhänderisch verwaltet werden. Kostenentschädigungen dürfen sich nur auf reale Aufwendungen des Prozesses der Entnahme, der Modifikation oder der Lagerung beziehen. Dazu wäre eine öffentliche Finanzierungsregelung nötig. Eine Analogie zu den Entgeltregelungen auf der Grundlage der Verträge nach §§ 11 und 12 TPG liegt nahe.

 

Um die bei einer Verankerung im AMG unvermeidlichen Wertungswidersprüche zu vermeiden, sollte die Geweberichtlinie im Wesentlichen über das TPG umgesetzt werden. Dies gilt insbesondere, wenn Gewebe ohne eine weitere Be- oder Verarbeitung zu Transplantationszwecken verwendet werden. Eine Abgrenzung zwischen dem unbearbeiteten und dem bearbeiteten Gewebe erscheint hier künstlich, denn auch für diese Bearbeitung müssen besondere Sicherheiten gelten, die das TPG besser gewährleistet als das AMG. Insbesondere erschiene es fragwürdig, den strengen Regelungen des TPG mit einer Bearbeitung des Gewebes entgehen zu können. Das TPG kennt keinen Eigentumserwerb an Spenderorganen (sondern nur eine treuhänderische Weitergabe durch die verschiedenen Beteiligten bis zur Implantation beim Patienten). Dies muss auch für entnommenes Gewebe gelten. Auch hier entstände ein Wertungswiderspruch zu der an sich im TPG eingeführten weitgehenden Gleichstellung von Organ- und Gewebespenden.

 

Eine gewinnorientierte Entgeltmaximierung wird ebenso abgelehnt, auch aufgrund der öffentlichen Finanzierungsstruktur, die ausschließlich an der Aufwandserstattung tatsächlicher Kosten orientiert ist.

 

2.            Prinzip der Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Gewebe- und Zellspende

 

Zu berücksichtigen ist, dass die Beschaffung von Geweben die Qualität und Sicherheit ihrer Verwendung beeinflussen. Daher müssen auch Spender und Empfänger vor sich selbst geschützt bzw. vermieden werden, dass sie durch Anreize, die die Form von Gegenleistungen annehmen, zusätzlichen Risiken ausgesetzt werden.

 

Das Prinzip der Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Gewebe- und Zellspende muss gewahrt bleiben. Dieses Prinzip trägt dazu bei, die körperliche Integrität des Lebenden und die über den Tod hinaus geltende Menschenwürde zu schützen. Das Recht auf Unversehrtheit und die Menschenwürde werden verletzt, wenn der menschliche Körper oder Teile davon Gegenstand finanzieller Interessen werden.

 

3.            Gewebespenden und –transplantation berühren Fragen der Würde und Gerechtigkeit

 

Die Aufklärung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 TPG über die Gewebe- und Zellspende eines (Multi-) Organspenders muss in einem zusammenhängenden Gesprächstermin stattfinden. Dabei muss der aufklärende Arzt die Angehörigen so unterrichten, dass diese einen Gesamteindruck des bevorstehenden Eingriffs gewinnen. („Prinzip der Einzügigkeit“). Die Achtung vor der Menschenwürde des Verstorbenen und der Respekt vor den trauernden Angehörigen gebieten es, den Angehörigen den Eindruck zu ersparen, dass der Verstorbene durch seine Organ- und Gewebespende zum „Ersatzteillager“ der Ärzte wird.

 

Trotz eines hohen Detaillierungsgrades bleiben im Gesetzentwurf viele Verfahrensfragen offen. Insbesondere stellt sich die Frage, wer nach einer postmortalen Gewebespende die Verfügungsmacht über das entnommene Gewebe hat bzw. wem diese in einer Konkurrenzsituation von Gewebeeinrichtungen zustehen soll. Gewebe müssen wie Organe dem Eigentumserwerb entzogen bleiben.

 

Spenden und Transplantationen speziell zu bestimmten Geweben und Zellen sollten zentral registriert werden. Ein solches Register könnte die Grundlage für eine spätere bundesweit organisierte gleichmäßige Versorgung bilden, die den Kriterien der Gerechtigkeit genügt und die Rückverfolgung erleichtert.

 

 

4.            Schutzregelungen für Nicht-Einwilligungsfähige

 

In § 8a TPG-E [Art. 1 Nr. 16 GE] wird die Entnahme von Geweben bzw. Zellen (Knochenmarkspende) bei nicht einwilligungsfähigen Personen unter bestimmten Bedingungen gestattet. Als Bedingungen werden genannt, dass die Verwendung für einen Angehörigen ersten oder zweiten Grades, dass eine ansonsten lebensbedrohliche Krankheit geheilt werden soll, dass kein anderer Spender zur Verfügung steht und dass der gesetzliche Vertreter eingewilligt hat.

 

Die Zellspende stellt eine rein fremdnützige Spende und Instrumentalisierung des Spenders dar. Die Verletzung der körperlichen Integrität würde nur dann keine Verletzung der Würde des Menschen darstellen, wenn zuvor eine Aufklärung und eine Einwilligung erfolgt sind. Da dies bei nicht einwilligungsfähigen Personen nicht gegeben ist, ist die Freigabe einer Spende von Gewebe bzw. Zellen, in die nicht persönlich eingewilligt wurde, insgesamt höchst problematisch. Die Problematik wird erheblich verschärft, wenn bei nicht einwilligungsfähigen volljährigen Personen im Gegensatz zu minderjährigen Personen auf die Bedingung des Einverständnisses entsprechend der Fähigkeit, „Wesen, Bedeutung und Tragweite der Entnahme zu erkennen und ihren Willen hiernach auszurichten“ (§ 8a Abs. 1 Punkt 5 TPG-E [Art. 1 Nr. 16 GE]) verzichtet wird.

 

Im Entwurf des Gewebegesetzes fehlen generell Schutzregelungen für Nicht-Einwilligungsfähige. Insbesondere bei minderjährigen Personen kann daraus das schwerwiegende Dilemma resultieren, dass das Wohl und die Risiken zweier Personen gegeneinander abgewogen werden müssen. Auch die Kriterien von minimalem Risiko und minimaler Belastung der Betroffenen müssen entschieden deutlicher beachtet werden bzw. sind gegenüber den Heilungschancen Dritter zu werten.

 

5.        Keimzellen[1]

 

Der Gesetzentwurf geht davon aus, dass menschliche Keimzellen im Rahmen der assistierten Reproduktion nicht den Status von Arzneimitteln haben dürfen (§ 4a Satz 1 Ziffer 2 AMG-E [Art. 2 Nr. 4 GE]). Andererseits unterstellt der Entwurf die Gewinnung, Aufbereitung, Konservierung, Lagerung und die Abgabe von menschlichen Keimzellen, die zur Verwendung im Rahmen von Maßnahmen einer medizinisch unterstützten Befruchtung bestimmt sind, der Notwendigkeit einer Herstellungserlaubnis (§ 13 Abs. 1 Satz 3 AMG-E [Art. 2 Nr. 6 GE]) und ist damit widersprüchlich.

 

Im Gesetzentwurf sollen bereichsspezifische Vorschriften gemacht, um die Rückverfolgung vom Empfänger bis zum Spender und umgekehrt sicherzustellen; davon ist allerdings der Bereich von Samenspenden ausgenommen. Gegen diese Ausnahme sprechen nicht nur praktische Erwägungen zur Qualitäts- und Sicherheitsregelung für menschliche Samenzellen. Vor allem gewährleistet diese Rückverfolgbarkeit das Recht auf Kenntnis der biologischen Abstammung als Bestandteil des Persönlichkeitsrechts.

 

Im Gewebegesetz muss grundsätzlich klar gestellt sein, dass menschlichen Keimzellen im Rahmen der assistierten Reproduktion nicht den Status von Arzneimitteln haben.

 

6.            Fötale Gewebe[2]

 

Der Anwendungsbereich des TPG soll durch das Gewebegesetz auf embryonale und fötale Organe und Gewebe und menschliche Zellen erweitert werden. Wenn die Entnahme von Organen oder Geweben bei einem toten Fötus oder Embryo zulässig ist, erhöht sich die Gefahr, dass Schwangerschaftsabbrüche gezielt terminiert werden. Es erscheint ethisch außerordentlich fragwürdig, wenn ein ungeborenes Kind, dessen Lebensrecht hinter den Rechten und Belangen der Mutter zurückstehen muss, allein für die bessere Verwertbarkeit einer späteren Gewebespende am Leben gehalten würde. In diesem Fall geht es nicht um einen Aufschub im Interesse des Kindes, sondern allein um ein bestimmtes Entwicklungsstadium des Gewebes des ungeborenen Kindes abzuwarten. Um eine solche Instrumentalisierung des menschlichen Lebens auszuschließen, dürfen die Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch und zur Entnahme von Organen und Geweben in keinem Zusammenhang stehen. Aus demselben Grund müsste das Gesetz mindestens eine Trennung zwischen dem abtreibenden Arzt und demjenigen, der die Gewebeentnahme durchführt, zwingend vorschreiben.

 

Aufwandsentschädigungen dürfen auf keinen Fall Anreize für die Frau, die mit dem Fötus oder Embryo schwanger war, darstellen.

 

Schlussbemerkung

 

Insgesamt muss bei der Ausgestaltung des Gesetzes über Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen bewusst bleiben, dass es um Teile von Menschen geht, die auch in einem separierten Zustand nicht vollständig losgelöst von der Würde des Menschen betrachtet und behandelt werden dürfen. Das gilt insbesondere in einem Zusammenhang, der eine Verwertung von menschlichen Geweben und Zellen regeln soll.

 


[1] Die katholische Kirche und ihre Caritas lehnen die assistierte Reproduktion und die Abtreibung ab. Unabhängig davon fordern die anderen Verbände der Freien Wohlfahrtspflege Korrekturen am vorliegenden Entwurf.

[2] Für die katholische Kirche ist die Verwendung von fötalen Organen, Geweben und Zellen nur dann annehmbar, wenn diese aus Fehl- oder Totgeburten stammen und die Frau eingewilligt hat; die Abtreibung darf auf keinen Fall willentlich herbeigeführt worden sein.