Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. (BAGFW) im Rahmen der öffentlichen Anhörung am 23.06.2008 zum Thema Prävention

Antrag der Abgeordneten Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Präventionsgesetz auf den Weg bringen - Primärprävention umfassend stärken

zu den Anträgen

 

a)    Antrag der Abgeordneten Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald
Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Präventionsgesetz auf den Weg bringen - Primärprävention umfassend stärken
(BT-Drs. 16/7284)

b)    Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, Diana Golze,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.

Gesundheitsförderung und Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgaben stärken - Gesellschaftliche Teilhabe für alle ermöglichen
(BT-Drs. 16/7471)

c)    Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Daniel Bahr (Münster), Heinz Lanfermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Eigenverantwortung und klare Aufgabenteilung als Grundvoraussetzung einer effizienten Präventionsstrategie
(BT-Drs. 16/8751)

 

im Rahmen der Öffentlichen Anhörung am Montag, dem 23. Juni 2008

 

 

Vorbemerkung:

 

In Deutschland werden nur ca. 4 Prozent aller Gesundheitsausgaben für die Prävention aufgewendet. Ausbaufähig ist dabei insbesondere der Bereich der Primärprävention und Gesundheitsförderung. Insgesamt muss die Prävention zu einem durchgängigen Eckpfeiler im deutschen Gesundheitswesen ausgebaut werden. Die BAGFW hat sich daher im Rahmen ihrer Stellungnahme zum Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und gesundheitlichen Prävention sowie zur Änderung anderer Gesetze“ ausdrücklich für ein Präventionsgesetz ausgesprochen. Die Stellungnahme, in welcher detailliert zu Fragen der konzeptionellen Ausrichtung, der Steuerung und Finanzierung sowie zu einer Reihe von Einzelfragen Position bezogen wurde, ist dieser Stellungnahme als Anlage beigefügt.

 

Die Gründe für ein Präventionsgesetz speisen sich aus drei Quellen:

 

  • Erstens verlangen der demographische Wandel, die unausgeschöpften Präventionspotentiale im Bereich der chronischen Krankheiten, das zunehmende Gewicht psychischer Störungen und das deutliche Ausmaß gesundheitlicher Ungleichheit erhebliche präventionspolitische Anstrengungen. Dabei gilt es, die Akzente von der Kuration hin zur Prävention und Gesundheitsförderung zu verlagern.
  • Zweitens sind zwar eine Vielzahl von Akteure präventiv tätig, jedoch fehlt ein steuerungspolitischer Rahmen in Form von verbindlichen Kooperationsstrukturen, in denen sich die Akteure auf nachhaltige Strategien verständigen und ihre Kräfte im Hinblick auf die Zielerreichung bündeln müssen.
  • Drittens bedarf es einer Verständigung auf vorrangige Ziele und nachhaltige Strategien. In diesem Kontext sind die Notwendigkeit einer Präventionsberichterstattung im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung sowie die Formulierung von Qualitätsstandards und von Impulsen für die Forschung hervorzuheben.

 

Zu den Einzelpunkten der Anträge nimmt die BAGFW, wie  folgt, Stellung:

 

1          Ziel und Regelungsbereich eines Präventionsgesetzes

 

Um Prävention und Gesundheitsförderung zu einem Eckpfeiler des deutschen Gesundheitswesens zu machen, setzt sich die BAGFW für ein Präventionsgesetz sein. Es sollte den Bereich der sozialen Primärprävention und Gesundheitsförderung regulieren. Ziel des Gesetzes soll die Verringerung sozial bedingter Ungleichheiten der Gesundheitschancen und die Förderung von gleichberechtigter und selbstbestimmter Teilhabe durch Zugang zu gesunden und gesundheitsförderlichen Lebenswelten sein. Ein Präventionsgesetz soll Aussagen zur konzeptionellen Ausrichtung, zu primären Zielgruppen, zur Formulierung nationaler Präventionsziele und -strategien, zur Gestaltung einer gesundheitsförderlichen Infrastruktur, zu den Präventionsträgern und zu deren Verpflichtung zur Kooperation sowie zur Finanzierung und zu Qualitätsentwicklung und Evaluation enthalten.

 

2             Konzeptionelle Ausrichtung, Handlungsfelder und Zielgruppen

 

Hinsichtlich der konzeptionellen Ausrichtung ist für die BAGFW der Settingansatz maßgeblich. Prävention ist bisher zu stark auf die individuelle Verhaltensprävention ausgerichtet und in diesem Rahmen auf Informations-, Beratungs- und Motivationsangebote mit Komm-Strukturen. Es fehlt ein systematisches Gesamtkonzept eines zugehenden Ansatzes.  Menschen aus allen Milieus - auch jene, die aufgrund ihrer Lebenslage kein Interesse an gesundheitsfördernden Maßnahmen haben oder denen die erforderlichen Informationen fehlen - sind in ihren Lebenswelten aufzusuchen und bei ihren Alltagsaktivitäten abzuholen. Verhaltens- und Verhältnisprävention müssen besser miteinander verzahnt werden. Das Konzept der Sozialen Gesundheit und die Erkenntnisse über die Salutogenese verlangen neben dem Abbau von gesundheitlichen und psychosozialen Belastungen eine stärkere Befähigung der Menschen und des sozialen Nahraums, personale und soziale Ressourcen zu entdecken und einzusetzen. In begrifflicher Hinsicht ist es deshalb nicht plausibel, den Präventionsbegriff auf spezifische Krankheitsvorbeugung zu reduzieren. Gegenstand eines Präventionsgesetzes muss auch eine pro-aktive Gesundheitsförderung im alltäglichen Lebensumfeld sein. Maßgebliche Settings sind Haushalt und Familie, Tageseinrichtungen für Kinder, Orte schulischer und außerschulischer Bildung, Betriebe, Einrichtungen sozialer Hilfen, aber auch das Quartier, Selbsthilfegruppen und Formen ehrenamtlichen Engagements. Zielgruppe müssen insbesondere sozial benachteiligte Menschen sein: Menschen mit niedrigem Haushaltseinkommen und Empfänger von Transferleistungen, Menschen mit niedriger Schulbildung, Menschen in schwierigen Lebenslagen, physisch und psychisch überdurchschnittlich belastete Menschen, Menschen mit Behinderungen, pflegebedürftige Menschen etc. Die Gender-Dimension ist zu berücksichtigen. Der Tatsache, dass immer mehr Menschen seelisch und psychisch erkranken, muss ein Präventionsgesetz Rechnung tragen.

 

3             Akteure, Steuerung und Kooperation

 

Zielgruppen- und ressourcenorientierte Prävention  kann nur funktionieren, wenn die Akteure vor Ort gut vernetzt sind und koordiniert handeln. Die BAGFW sieht daher die Notwendigkeit der Etablierung von stabilen Kooperationsstrukturen auf Bundes- und Landesebene, auf der Präventionsziele und Strategien vereinbart werden. Zugleich jedoch sprechen wir uns dafür aus, auf bestehenden Institutionen und Strukturen aufzubauen. Dies betrifft insbesondere die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), die wichtige Aufgaben bei der Berichterstattung, der Formulierung von Präventionszielen, der Durchführung von Kampagnen, der Entwicklung von Modellprojekten und der Entwicklung von Qualitätsstandards übernehmen kann, wobei angemerkt sei, dass gerade im Bereich der Qualitätsentwicklung gute Vorarbeiten vorliegen. Die BzgA ist daher aus Sicht der BAGFW die geeignete Institution für die Ansiedlung eines Nationalen Präventionsrates. Wir schlagen vor, dass die BzgA darüber hinaus als Kooperationsplattform bzw. als Träger einer Arbeitsgemeinschaft für die lebensbezogene Gesundheitsförderung fungiert, in der die verschiedenen Präventionsakteure zusammenwirken.

 

Gerade weil Prävention eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, ist es vor allem eine staatliche Aufgabe, die notwendige Infrastruktur hierfür auf Bundes-, aber auch auf Landes- und kommunaler Ebene bereitzustellen. Neben den Sozialversicherungsträgern sind daher auch Bund, Länder und Kommunen an der Definition von Präventionszielen zu beteiligen.

 

Auf Landesebene ist es, um auch hier die Ausbildung von Doppelstrukturen zu vermeiden, sinnvoll, dass die Kooperationsstruktur der Präventionsträger an die bestehenden Strukturen („Regionale Knoten“, Landesarbeitsgemeinschaften) anschließt. Die Kooperation der Sozialversicherungsträger mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst und der Familien-, Kinder- und Jugendhilfe ist essentiell. Um die Kooperation zu verbessern, ist es notwendig, auch die rechtlich-institutionellen Rahmenbedingungen zu verändern. Prävention und Gesundheitsförderung sind eine Querschnittsaufgabe. Diese ist über das SGB V hinaus auch in anderen Sozialgesetzbüchern systematisch zu verankern, denn häufig scheitert die praktische Umsetzung an der mangelnden, da gesetzlich nicht verankerten, Kooperationsbereitschaft der zuständigen Leistungsträger. Noch so eindringliche Appelle und noch so ausdifferenzierte Empfehlungen werden keine verbindlichen Kooperationsstrukturen schaffen.

 

4             Finanzierung

 

Dem gesamtgesellschaftlichen Charakter der Prävention entspricht es, die lebenslagenbezogene Primärprävention auch über Steuermittel zu finanzieren. Sollte die Entscheidung für eine Beteiligung der Sozialversicherungsträger an einem Fonds für die Prävention fallen, ist sicherzustellen, dass Versicherungsmittel nicht in die Vorhaltung der Infrastruktur fließen. Eine Beteiligung der privaten Kranken- und Pflegeversicherung ist in diesem Fall unabdingbar.

 

Nicht akzeptabel ist es, die für Teilhabeleistungen budgetierten Finanzmittel der Rentenversicherung in die Primärprävention umzuleiten. Generell sollten die öffentlichen Körperschaften und die Sozialversicherungsträger (Krankenversicherung, Rentenversicherung, Unfallversicherung, Arbeitslosenversicherung) die Aufgabe erhalten, Prävention und Gesundheitsförderung durch Umlenkung von finanziellen Ressourcen in diese Bereiche zu stärken. Dabei sollten die jeweiligen Zuständigkeiten und Finanzverantwortungen jedoch klar voneinander abgegrenzt werden. Statt eines verwaltungsaufwändigen Fonds sollten Sozialversicherungsträger untereinander und mit der öffentlichen Hand in der Umsetzung der Maßnahmen kooperieren. Die Finanzierung sollte im Rahmen eines Ko-Finanzierungsmodells erfolgen.

 

Eine Ausgabenbegrenzung für verhaltenspräventive Maßnahmen (Kurse) ist aus konzeptionellen Gründen notwendig. Der Nationale Präventionsrat soll im Rahmen seiner jährlichen Ziel- und Schwerpunktdefinition daher primär Empfehlungen zur Stärkung einer setting-bezogenen Verhältnisprävention vorlegen. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege bieten hier gerne ihre Mitarbeit an. Sie sind Träger in/von zahlreichen „Settings“, z.B. Kindertagesstätten, Einrichtungen der Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe, Einrichtungen und Projekte im Zweiten Arbeitsmarkt, offene Altenarbeit u.v.m.. Auf der Grundlage ihrer wertorientierten Programmatik übernehmen sie bereits jetzt Verantwortung für die Prävention und Gesundheitsförderung insbesondere für Menschen in schwierigen Lebenslagen. Ein Präventionsgesetz muss seinen Fokus künftig verstärkt auf diese Zielgruppen richten.