Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. zum Entwurf eines Gesetzes über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz – GenDG)

Im Koalitionsvertrag für die 16. Legislaturperiode ist vereinbart worden, genetische Untersuchungen bei Menschen gesetzlich zu regeln.

Zusammenfassung:

Im Koalitionsvertrag für die 16. Legislaturperiode ist vereinbart worden, genetische Untersuchungen bei Menschen gesetzlich zu regeln. Dabei sollen die Bereiche geregelt werden, die angesichts der Erkenntnismöglichkeiten der Humangenetik einen besonderen Schutzstandard erfordern, um die Persönlichkeitsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Im Rahmen der Humangenomforschung werden immer mehr Veränderungen des Erbguts identifiziert, die mit der Entstehung von Krankheiten ursächlich in Verbindung gebracht werden können oder die gehäuft mit ihrem Auftreten einhergehen. Die Erkenntnisse aus der Humangenomforschung kommen in der medizi-nischen Versorgung zur Anwendung; so können nicht nur bestehende Krankheiten diagnostiziert werden, sondern auch Krankheiten, die noch nicht ausgebrochen sind.

Auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarungen sollen Regelungen insbesondere für genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken einschließlich pränataler genetischer Untersuchungen sowie für den Bereich privater Versicherungen und des Arbeitslebens und über den Umgang und den Schutz von genetischen Proben und Daten getroffen werden.

Das Kabinett stimmte am 16. April 2008 Eckpunkten für ein Gendiagnostikgesetz zu und legt auf den beschlossenen Eckpunkten den o.g. Entwurf vor.

Grundsätzliche Würdigung
Der vorgelegte Referentenentwurf der Regierung ist aus Sicht der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege ein Schritt in die richtige Richtung. Er ist eine geeignete Grundlage zur rechtlichen Regelung für die genetischen Untersuchungen bei Menschen. Denn er orientiert sich an der Würde, dem Persönlichkeitsschutz sowie der Selbstbestimmung des Menschen. Vor diesem Hintergrund werden mit dem Gesetzentwurf Regelungen für die Gendiagnostik und den Umgang mit genetischen Daten vorgelegt, die sich an den Prinzipien der Freiwilligkeit, des Diskriminierungsverbotes und des Datenschutzes, an dem Erfordernis der umfassenden Aufklärung und Beratung sowie am Arztvorbehalt ausrichten.

Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege sehen darüber hinaus in einigen Punkten Änderungsbedarf im Gesetzentwurf, insbesondere:

?    Der Regelungsbereich Forschung fehlt komplett. Damit werden diverse Fragen zum Regelungsbedarf ausgeblendet. Dazu gehören u.a. die Regelung der Schutzrechte betroffener Personen, die strikte Freiwilligkeit und Widerrufbarkeit der Einwilligung in die Teilnahme an der Forschung, die konkrete Aufklärung über Zweck, Umfang, Finanzierung und Risiken der Forschung sowie das Verbot der Weitergabe von Daten und ihre Nutzung für anderweitige Zwecke.

?    In § 7 Arztvorbehalt ist dringend regelungsbedürftig, dass genetische Proben vor ihrer Übergabe an die beauftragte Person oder Einrichtung, die nicht direkt in die Therapie des Patienten eingebunden ist, zu pseudonymisieren ist. Diese Regelung fehlt.

?    In § 8 Einwilligung ist nicht geklärt, welche Instanz die Kontrolle übernimmt, ob Proben und genetische Daten gelöscht wurden, wenn die Einwilligung zurückgezogen wurde.

?    In § 10 Genetische Beratung ist zu ergänzen: „Die beratende Person hat auf die Beratungs- und Kontaktmöglichkeiten mit psychosozialen Beratungsdiensten, Selbsthilfegruppen, Behindertenverbänden und Patientenorganisationen hinzuweisen.“

?    In § 10 Abs. 2 muss die Bedenkzeit bis zur Untersuchung so gestaltet sein, dass die betroffene Person auch tatsächlich medizinunabhängige psychosoziale Dienste in Anspruch nehmen kann.

?    In § 14 Abs. 2 wird der fremdnützige Eingriff an nicht-einwilligungsfähigen Men-schen gesetzlich als Ausnahmeregelung eingeführt. Die BAGFW hält diese Ent-wicklung für hochproblematisch, weil sie nicht dem Wohl des direkt Betroffenen gilt.

?    Im vorliegenden Referentenentwurf fehlt in § 15 die Eingrenzung von vorgeburtli-chen Untersuchungen auf den Verdacht einer konkreten Erkrankung, die behandelbar (therapierbar) ist. Vorgeburtliche Diagnostiken von spät manifestierenden Krankheiten müssen verboten werden. Aus der Sicht der Verbände ist dies strikt erforderlich.

?    In § 15 Abs. 2 ist eine Hinweispflicht für den Arzt / die Ärztin festzuschreiben, dass die Schwangere einen Rechtsanspruch auf psychosoziale Beratung nach § 2 SchKG hat. Wenn das Untersuchungsergebnis mit Befund vorliegt, muss für den Arzt eine Hinweispflicht bestehen, nochmals auf den Rechtsanspruch auf medizinunabhängige psychosoziale Beratung sowie über entsprechende Beratungsmöglichkeiten hinzuweisen. Damit die betroffene Frau diesen Rechtsanspruch auch tatsächlich wahrnehmen kann, muss zwischen der ärztlichen Aufklärung und medizinunabhängiger psychosozialer Beratung vor der pränatalen Maßnahme eine angemessene Bedenkzeit, wie sie in § 10 eingeführt wird, auch hier eingehalten werden.

?    Im Abschnitt 4 wird der Grundsatz, niemanden wegen seiner genetischen Disposition im Arbeits- und Versicherungsbereich zu benachteiligen, erheblich eingeschränkt.

?    Die Freie Wohlfahrtspflege plädiert dafür angesichts der hohen Dynamik der Ent-wicklung neuer Testverfahren und Anwendungsmöglichkeiten im Bereich der Gendiagnostik und den daraus möglicherweise erwachsenden Diskriminierungspotentialen, bei der Einrichtung einer Gendiagnostikkommission statt jeweils nur eine Vertretung aus den Bereichen Ethik und Recht je zwei Vertretungen zu benennen.


1. Einführung

Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland zu-sammenarbeitenden sechs Spitzenverbände (Arbeiterwohlfahrt Bundesverband, Deut-scher Caritasverband, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Gesamtverband, Deut-sches Rotes Kreuz, Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, Zent-ralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland) treten für die Würde und das Recht auf Leben des Menschen ein.

Die Bedeutung genetischer Tests und der Umfang daraus gewonnener Daten werden in Zukunft stark zunehmen. Trotzdem können Regelungen zu Gentests derzeit zum großen Teil nur aufgrund von Prognosen und Einschätzungen ihrer zukünftigen Bedeutung und Nutzung erfolgen. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege unterstreichen, dass notwendige gesetzliche Regelungen der Gendiagnostik vom Grundsatz der informationellen Selbstbestimmung ausgehen und dem Ziel verpflichtet sein müssen, einen effektiven Schutz gegen Diskriminierung und Stigmatisierung aufgrund genetischer Merkmale zu gewährleisten.

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege unterstützen alle Bemühungen im politischen Bereich, Gendiagnostik bei Menschen und den Umgang mit genetischen Daten in einer der Würde des Menschen entsprechenden Weise gesetzlich zu regeln. Es ist Aufgabe und Anliegen der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege, Personen vor genetischer Diskriminierung und Stigmatisierung in allen Bereichen der Gesellschaft zu schützen. Sie setzen sich insbesondere für den Schutz von Menschen mit Behinderung oder chronischen Krankheiten und ihren Angehörigen vor Diskriminierung ein.


2. Hintergrund

Da jeder Mensch genetisch einzigartig ist, stehen genetische Daten - alle Informationen über die genetische Ausstattung - in einem besonderen Verhältnis zu seiner Persönlich-keit, seiner Individualität und Identität. Um Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu verhin-dern müssen diese Daten in besonderer Weise geschützt werden.

Genetische Daten sind deshalb besonders sensibel, weil ihr Informationsgehalt dem Trä-ger/der Trägerin oft selbst nicht bekannt ist. Die Entscheidung, genetische Daten zu offenbaren, bedeutet deshalb oft, selbst nicht zu wissen, welche Folgen sich daraus ergeben. Aus dem zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung gehörenden Recht auf Nichtwissen folgt, dass für Gentests eine strikte Freiwilligkeit erforderlich ist.

Prädiktive Gentests können zu spezifischen Konflikten von Rechten führen, weil sie auch Aussagen über die genetische Ausstattungen leiblicher Verwandter ermöglichen. Der Konflikt von Wissen und Nichtwissen erweitert sich auf verschiedene Personen bzw. eine Patientengemeinschaft. Die Wahrnehmung des Rechtes auf Nichtwissen und Wissen mitbetroffener Verwandten liegt hier praktisch in der Entscheidungsbefugnis des Arztes/der Ärztin und des Patienten/der Patientin.

Grundlegend für eine Regelung von Gentests ist die Beantwortung der Frage, inwieweit es sich bei den genetischen Informationen um besondere Daten handelt, die besonders behandelt werden müssen. Informationen, die durch prädiktive Gentests gewonnen werden, besitzen im Unterschied zu anderen Gesundheitsinformationen eine besondere Qualität. Einerseits prägt eine genetische Disposition das ganze Leben. Andererseits besteht zwischen genetischen Potentialen und aktuell manifesten körperlichen und psychischen Konstitutionen eine erhebliche Differenz. Bis auf Ausnahmen erlauben genetische Untersuchungen lediglich Aussagen über statistische Krankheits-wahrscheinlichkeiten. Prädiktive Gentests sind mit sehr großen Unsicherheiten verbun-den.

Aufgrund dieser Besonderheiten haben genetische Daten eine hohe Ambivalenz. Den Chancen medizinischer und gesundheitlicher Hilfen stehen Gefährdung des Persönlich-keitsrechtes, des Freiwilligkeitsprinzips und die Gefahr der Diskriminierung gegenüber. Zum Persönlichkeitsrecht gehört zum einen, dass die Kenntnis genetischer Daten nie-mandem aufgezwungen werden darf. Zum anderen bildet die Selbstbestimmung die Legitimationsbasis für genetische Untersuchungen (z.B. bei Schwangerschaft, Partnerwahl, Familienplanung). Deshalb sind sowohl ein Informationsrecht als auch ein Informationsabwehrrecht gesetzlich abzusichern. Zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung gehört auch, selbst entscheiden zu können, wem, zu welchem Zweck und unter welchen Umständen welche genetischen Daten offenbart werden sollen. In einer gesetzlichen Regelung müssen neben der grundgesetzlich garantierten Berufs- und Forschungsfreiheit insbesondere der Persönlichkeits- und Patientenschutz berücksichtigt werden.


3. Der Entwurf eines Gesetzes über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz – GenDG)

Nachdem die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im November 2006 ihren Gesetzent-wurf über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz – GenDG) vorgelegt hatte, einigte sich die Regierungskoalition auf einen gemeinsamen Entwurf und legte am 30. Juni 2008 einen Entwurf eines Gesetzes über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz – GenDG) vor.

Referentenentwurf
Der Referentenentwurf über genetische Untersuchungen bei Menschen enthält rechtliche Regelungen für genetische Untersuchungen bei Menschen zu medizinischen Zwecken, zur Klärung der Abstammung. Außerdem umfasst er Regelungen zu genetischen Untersuchungen im Versicherungsbereich, im Arbeitsleben und befasst sich mit dem anerkannten Stand der Wissenschaft und Technik, sowie mit Straf- und Bußgeldvorschriften. Für den Bereich der Forschung werden keine Regelungen vorgenommen.

Grundsätzliche Würdigung
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege begrüßen die Initiative der Regierungs-koalition zu einer rechtlichen Regelung der genetischen Untersuchungen bei Menschen, wie sie es schon im Koalitionsvertrag 2005 benannt haben. In Deutschland existieren bisher keine speziellen gesetzlichen Regelungen zum Schutz der Pati-entenrechte in diesem Bereich der medizinischen Diagnostik und Forschung. Eine solche rechtliche Regelung ist jedoch erforderlich, da die Informationen und Interpretation prädiktiver genetischer Daten vielfache Konsequenzen für die Selbstbe-stimmung, die gesundheitliche, familiäre und soziale Situation von Personen haben.

Grundsätzlich orientiert sich der Referentenentwurf an der Würde, dem Persönlichkeits-schutz sowie der Selbstbestimmung des Menschen. Vor diesem Hintergrund werden mit dem Gesetzentwurf Regelungen für die Gendiagnostik und den Umgang mit genetischen Daten vorgelegt, die sich an den Prinzipien der Freiwilligkeit, des Diskriminierungsverbotes und des Datenschutzes, an dem Erfordernis der umfassenden Aufklärung und Beratung sowie am Arztvorbehalt ausrichten.
Der vorgelegte Referentenentwurf beschränkt sich auf die im Koalitionsvertrag 2005 be-nannten Aspekte. Der Regelungsbereich im Umgang mit genetischen Proben und Daten zu Forschungszwecken u.a. wird nicht geregelt. Das ist bedauerlich und problematisch zugleich,  weil die beiden aus der Perspektive behinderter Menschen besonders proble-matischen Aspekte, die Generaleinwilligung für zukünftige Forschung mit einmal entnommenen Proben und gespeicherten Daten und die genetische Forschung mit nichteinwilligungsfähigen Menschen völlig ungeregelt bleibt. Beides findet in der Praxis aber auch heute schon statt.

Art. 15 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verpflichtet den Staat dazu, jede fremd- oder gruppennützige Forschung zu verbieten.


4. Zu den Gesetzesvorschlägen im Einzelnen

Abschnitt 1 – Allgemeine Vorschriften §§ 1 - 6

Referentenentwurf
Im Abschnitt 1 werden der Zweck des Gesetzes, sein Anwendungsbereich, Begriffsbe-stimmungen, das Benachteiligungsverbot, Qualitätssicherung genetischer Analysen, und Abgabe genetischer Untersuchungsmittel formuliert.

Bewertung
Die Verbände begrüßen, dass erstmalig in einem Gesetz die allgemeinen Rahmenbedin-gungen für die Vornahme von genetischen Untersuchungen zu medizinischen Zwecken verbindlich geregelt werden sollen. Damit wird anerkannt, dass die Nutzung von geneti-schen Daten ein erhebliches Diskriminierungspotential für verschiedene Personenkreise in sich birgt. Bedauerlich ist jedoch, dass der Bereich der Forschung in diesem Gesetz nicht mit geregelt wird.  

Abschnitt 2 – Genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken
§§ 7 - 16

Referentenentwurf
Der Abschnitt 2 §§ 7 – 16 enthält Regelungen für genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken. Genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken dürfen nur von entsprechend qualifizierten Ärzten/Ärztinnen mit der Einwilligung des Patienten/der Patientin nach einer ausführlichen Aufklärung durchgeführt werden. Es werden Vorgaben für Untersuchungen und Aufklärungen bei Erwachsenen, nicht einwilligungsfähigen Personen und vorgeburtlichen Untersuchungen bei Ungeborenen formuliert.

Bewertung
Genetische Daten sind besonders sensibel, weil ihr Informationsgehalt dem Träger oft selbst nicht bekannt ist. Die Entscheidung, genetische Daten zu offenbaren, bedeutet deshalb oft, selbst nicht zu wissen, was offenbar wird. Aus dem zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung gehörenden Recht auf Nichtwissen folgt, dass für Gentests eine strikte Freiwilligkeit erforderlich ist. Diese Grundsätze werden im Gesetzentwurf weitgehend beachtet.

 

§ 7 Arztvorbehalt

Referentenentwurf
Der Referentenentwurf sieht in § 7 einen Arztvorbehalt vor, der für alle genetischen Untersuchungen zu medizinischen Zwecken gilt.

Bewertung
Die Verbände begrüßen, dass in § 7 nicht nur für genetische Untersuchungen der umfassende Arztvorbehalt gilt, sondern auch eine dazu befähigende angemessene Ausbildung nachzuweisen ist. Diese Vorgaben sind wichtige Elemente für die notwendige Qualitätssicherung genetischer Tests und des Umgangs mit genetischen Daten. Der Arztvorbehalt sichert den Schutz der ebenfalls grundrechtlich geschützten Rechtsgüter der Gesundheit und der informationellen Selbstbestimmung der Patienten. Dringend regelungsbedürftig ist in diesem Zusammenhang, dass genetische Proben vor ihrer Übergabe an die beauftragte Person oder Einrichtung, die nicht direkt in die Therapie des Patienten eingebunden ist, zu pseudonymisieren sind. Nur so werden in der klinischen Arbeit das Wohl und der Schutz der Patienten gesichert.


§ 8 Einwilligung

Referentenentwurf
Die genetische Untersuchung darf nur nach entsprechender schriftlicher Einwilligung des Patienten/der Patientin erfolgen. Diese kann jederzeit widerrufen werden.

Bewertung
Die Verbände begrüßen die Regelung, dass die Einwilligung, die auf dem Freiwilligkeits-prinzip beruht, schriftlich erfolgen muss und jederzeit widerrufen werden kann. Nicht ge-klärt ist, welche Instanz die Kontrolle übernimmt, ob die Proben und genetischen Daten gelöscht wurden, wenn die Einwilligung zurückgezogen wurde. Hier besteht aus Sicht der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege dringender Nachbesserungsbedarf.


§ 9 Aufklärung              

Referentenentwurf
In § 9 erfolgt die Regelung, wie und mit welchen Inhalten die Aufklärung der Patienten durch den Arzt/die Ärztin durchgeführt werden muss. In § 9 Abs. 2 Nr. 4 und 5 wird festgeschrieben, dass die betroffene Person die Einwilligung jederzeit widerrufen kann, sie hat nicht nur das Recht auf Wissen, sondern auch das Recht auf Nichtwissen, einschließlich des Rechts, das Untersuchungsergebnis oder Teile davon nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Bewertung
Jede genetische Diagnostik erfordert die Aufklärung der betroffenen Person und deren freiwilligen Einwilligung. In der Aufklärung muss auch auf das Recht auf Nichtwissen in allen Phasen der genetischen Untersuchung hingewiesen werden. Diese Grundsätze sind im Gesetzentwurf umgesetzt.

 

§ 10 Genetische Beratung

Referentenentwurf
In § 10 werden die Bedingungen und Inhalte einer genetischen Beratung vor einer genetischen Untersuchung und nach Vorliegen der Untersuchungsergebnisse geregelt. Die genetische Beratung soll die Erörterung der möglichen, medizinischen, psychischen und sozialen Fragen im Zusammenhang mit der genetischen Untersuchung enthalten.

Bewertung
Genetische Beratung umfasst sowohl die medizinischen Fakten, Daten, Konsequenzen durch den Arzt sowie psychosoziale Aspekte.

In Abs. 2 Satz 2 muss der betroffenen Person nach der Beratung des Arztes nicht nur eine angemessene Bedenkzeit bis zur Untersuchung eingeräumt werden. Sondern es ist auch eine Hinweispflicht für den beratenden Arzt auf entsprechende psychosoziale Beratungsdienste, auf Selbsthilfegruppen, Behindertenverbände und Patientenorganisationen und dgl. gesetzlich zu verankern. Damit wäre gewährleistet, dass die betroffene Person Zugangsmöglichkeiten zu Informationen über Beratungs- und Kontaktmöglichkeiten mit psychosozialen Beratungsdiensten, Selbsthilfegruppen, Patientenorganisationen und Behindertenverbände erhält. Sie hat damit die Chance, sich umfassend zu informieren und beraten zu lassen. Damit verbunden ist das Ziel, eine informierte Entscheidung treffen zu können.

In Abs. 3 wird dem Arzt ein Beratungsmonopol übertragen. Diese Anforderungen an die Beratung stellen jedoch eine Überforderung des Arztes dar und entsprechen nicht seiner fachlichen Qualifikation. Daher sollte in Abs. 3 außerdem für den Arzt die Hinweispflicht bestehen, auf die nichtmedizinischen psychosozialen Beratungsdienste, Beratungs- und Kontaktmöglichkeiten, Selbsthilfegruppen, Behindertenverbände und Patientenorganisationen hinzuweisen. Das Hinzuziehen einer weiteren sachverständigen Person sollte für die betroffene Person als ein Rechtsanspruch formuliert werden.

In § 10 Abs. 3 letzter Satz ist ersatzlos zu streichen. Dieser Bereich ist in § 15 zu regeln.

Lösungsvorschlag
In § 10 Abs. 2 Satz 2 und in § 10 Abs. 3 Satz 1 ist zu ergänzen: „Die beratende Person hat auf die Beratungs- und Kontaktmöglichkeiten mit psychosozialen Beratungsdiensten, Selbsthilfegruppen, Behindertenverbänden und Patientenorganisationen hinzuweisen.“

In § 10 Abs. 3 Satz 2 ist zu ergänzen. „Die betroffene Person hat ein Recht, eine andere sachverständige Person an der genetischen Beratung zu beteiligen.“


§ 14 Genetische Untersuchungen bei nicht einwilligungsfähigen Personen

Referentenentwurf
In § 14 werden die Voraussetzungen von genetischen Untersuchungen bei nicht einwilligungsfähigen Patienten festgelegt. Eine solche Untersuchung kann u.a. dann vorgenommen werden, wenn sie der Gesundheit bzw. Behandlung einer Krankheit des Patienten / der Patientin dient bzw. wenn diese mit möglichst wenig Risiken und Belastungen verbunden ist. Die Patienten sind soweit wie möglich über die Untersuchung aufzuklären. Eine Ablehnung der Untersuchung durch die betroffene Person ist zu respektieren.
Der Absatz 2 enthält eine konkrete Ausnahmeregelung: nichteigennützige Gentests an nichteinwilligungsfähigen Menschen (das betrifft vor allem behinderte Kinder) sie sind dann erlaubt, wenn das Ergebnis im Hinblick auf eine Schwangerschaft einer genetisch verwandten Frau (z.B. eine weitere Schwangerschaft der Mutter) eine pränatale Gendiag-nostik der gesuchten Krankheit oder Behinderung ermöglicht.

Bewertung
Zwei kritische Punkte liegen vor.
In Abs. 1 Nr. 3 wird analog dem Arzneimittelgesetz mit den Begriffen „wenig Risiken und Belastungen“ argumentiert, ohne dass an einer Stelle festgelegt wird, welche Risiken und Belastungen ausgeschlossen werden müssen. Hier bedarf es einer spezifischen Regelung, welche Risiken und Belastungen als „wenig risikoreich“ eingestuft werden.

In Abs. 2 wird die Rechtsform der fremdnützigen Eingriffe an nicht einwilligungsfähigen Menschen gesetzlich als konkrete Ausnahmeregelung eingeführt. Die BAGFW hält diese Entwicklung für hochproblematisch, da fremdnützige Forschung nicht dem Wohl des direkt Betroffenen gilt.


§ 15 Vorgeburtliche genetische Untersuchungen

Referentenentwurf
In § 15 wird die vorgeburtliche genetische Untersuchung geregelt. Unter vorgeburtlicher genetischer Untersuchung wird nach den Ausführungen in Teil B: Besonderer Teil, S. 61 die Erläuterung gegeben, dass die gesamte vorgeburtliche PND gezählt wird, die nur zu medizinischen Zwecken durchgeführt werden darf. Allerdings wird auch festgelegt, dass auch Untersuchungen, die nur eine Wahrscheinlichkeitsangabe zulassen, ermöglicht werden sollen. Eine Untersuchung zur Geschlechtsbestimmung des Ungeborenen wird ausgeschlossen.

Ergänzend muss die Schwangere auf die Möglichkeit einer Beratung gemäß § 2 SchKG hingewiesen.

Bewertung
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege begrüßen, dass eine vorgeburtliche Untersu-chung nur zu medizinischen Zwecken vorgenommen werden darf, allerdings ist unver-ständlich, dass auch Untersuchungen zugelassen werden dürfen, die nur auf einer Wahrscheinlichkeitsangabe beruhen. Aus der Sicht der Verbände ist es strikt erforderlich, die vorgeburtlichen Untersuchungen auf den Verdacht einer konkreten Erkrankung, die behandelbar (therapierbar) ist, einzugrenzen. Diese Eingrenzung fehlt im vorliegenden Referentenentwurf.

Eine in § 15 Abs. 2 vorgenommene Ergänzung für Ärzte, dass sie auf psychosoziale Beratung nach § 2 SchKG hinzuweisen haben, ist erfreulich. Erforderlich ist jedoch in § 15 Abs. 2 eine Hinweispflicht für den Arzt/ die Ärztin festzuschreiben, dass die Schwangere einen Rechtsanspruch auf medizinunabhängige psychosoziale Beratung nach § 2 SchKG hat.

Wenn das Untersuchungsergebnis mit Befund vorliegt, muss für den Arzt eine Hinweis-pflicht bestehen, nochmals auf den Rechtsanspruch auf psychosoziale Beratung sowie über entsprechende Beratungsmöglichkeiten hinzuweisen.

Damit die betroffene Frau diesen Rechtsanspruch auch tatsächlich wahrnehmen kann, muss zwischen der ärztlichen Aufklärung und medizinunabhängigen psychosozialen Beratung vor der pränatalen Maßnahme eine angemessene Bedenkzeit, wie sie in § 10 eingeführt wird, auch hier eingehalten werden. Der Arzt muss bei Vorliegen der Untersuchungsergebnisse mit Befund verpflichtet werden, eine angemessene Bedenk-zeit vor möglichen weiteren Schritten einzuhalten.

Nur so kann die Selbstbestimmung der schwangeren Frau im Hinblick auf die Inanspruchnahme oder Ablehnung der pränatalen Diagnostik bzw. Therapie gestärkt und gesichert werden. Damit wäre eine langjährige Forderung der Wohlfahrtsverbände umgesetzt.


Abschnitt 4 – Genetische Untersuchungen im Versicherungsbereich § 18

Referentenentwurf
In § 18 GenDG ist vorgesehen, dass der Versicherer vom Versicherten grundsätzlich we-der die Vornahme genetischer Untersuchungen oder Analysen verlangen kann, noch Mitteilung der Ergebnisse entsprechender, bereits vorgenommener Untersuchungen oder Analysen verlangen kann oder entsprechende Daten entgegennehmen oder verwenden darf. Dieser Grundsatz wird für Lebensversicherungen, Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsversicherungen und die Pflegerentenversicherung durchbrochen. Bei Vereinbarung einer Leistung von mehr als 250.000 € bzw. einer Jahresrente von 30.000 € kann vom Versicherten vor und nach Abschluss des Vertrages die Mitteilung der Ergebnisse genetischer Untersuchungen oder Analysen verlangt werden bzw. entsprechende Daten entgegengenommen und verwendet werden. Die Regelung gilt nach der Gesetzesbegründung für alle Versicherungsverhältnisse, mit Ausnahme derjenigen des Sozialrechts, die per Gesetz zustande kommen.

Bewertung:
Die BAGFW lehnt diese Ausnahmeregelungen für bestimmte Versicherungszweige und -verträge ab. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 241 SGB VI gibt es nur noch für Versicherte, die vor dem 2.1.1961 geboren sind. Daher hat die private Berufsunfähigkeitsversicherung eine hohe Bedeutung im Rahmen der sozialen Absicherung erlangt. Wenn ohne Offenbarung von Ergebnissen genetischer Untersuchungen nur noch Leistungen im Wert von 30.000 € vereinbart werden können, erhalten die Versicherten bei Eintritt der Berufsunfähigkeit maximal 2.500 € monatlich. Diese Begrenzung trifft insbesondere Alleinverdienerfamilien, insbesondere solche mit mehreren Kindern. Hier reicht die Begrenzung auf 2.500 € monatlich unter Umständen, für einen angemessenen Schutz im Falle der Berufsunfähigkeit nicht aus.

Vorschlag
Die BAGFW schlägt vor, die Ausnahmeregelung des § 18 Satz 2 GenDG zu streichen.


Abschnitt 5 – Genetische Untersuchungen im Arbeitsleben § 19 – 22

Referentenentwurf
Im Referentenentwurf werden in den §§ 19 – 22 genetische Untersuchungen im Arbeitsleben geregelt. Genetische Untersuchungen im Arbeitsleben sollen aufgrund des erheblichen Diskriminierungspotentials grundsätzlich unterbunden werden. Der Gesetzentwurf sieht allerdings Ausnahmen von diesem Grundsatz vor, um durch genetische Untersuchungen den Schutz von Arbeitnehmern vor möglichen Erkrankungen verbessern zu können.

Bewertung
Die hier vorgeschlagenen Ausnahmeregelungen in § 20 Abs. 2 - 4 sind zu unbestimmt. Die verwendeten Rechtsbegriffe und die Ermächtigung der Bundesregierung durch Rechtsverordnung Ausnahmen zu genehmigen, schränken den möglichen Anwendungsbereich dieser problematischen Untersuchungen nicht klar genug ein.

Die in § 20 Abs.1 und §§ 21 und 22 formulierten Verbote tragen zu einem entspre-chenden Schutz vor Diskriminierung bei und werden von der BAGFW begrüßt.

Vorschlag
Die BAGFW tritt dafür ein, genetische Untersuchungen im Arbeitsleben zu untersagen und  die Ausnahmen in § 20  Abs. 2 bis Abs. 4 zu streichen.


Abschnitt 6 – Allgemein anerkannter Stand der Wissenschaft und Technik
§ 23 Richtlinien

Referentenentwurf
Der Abschnitt 6 regelt die Einrichtung einer interdisziplinär zusammengesetzten unabhängigen Gendiagnostik-Kommission beim Robert-Koch-Institut (RKI). Bei der Besetzung der Gendiagnostikkommission sind jeweils nur ein/eine Vertreter/Vertreterin aus den Bereich Ethik und Recht vertreten.

Bewertung
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege begrüßen die Einrichtung einer Gendiagnostikkommission. Angesichts der hohen Dynamik der Entwicklung neuer Test-verfahren und Anwendungsmöglichkeiten im Bereich der Gendiagnostik und den daraus möglicherweise erwachsenden Diskriminierungspotentialen plädiert die Freie Wohlfahrtspflege dafür, die Zahl der Vertretungen aus den Bereichen Ethik und Recht zu erhöhen und statt jeweils nur eine Vertretung aus den Bereichen Ethik und Recht je zwei Vertretungen zu benennen. Ebenfalls sollte auch ein Vorschlagsrecht der Patienten- und Selbsthilfeorganisationen für die Besetzung eines Mitglieds aus dem Bereich Medizin und Biologie eingeräumt werden.