1. Grundsätzliches zum BEEG
Zum 01. Januar 2007 ist das neue Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) in Kraft getreten. Es hat das bisherige Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) abgelöst. Seither erhalten Mütter und Väter maximal 14 Monate Elterngeld in Höhe von 67 Prozent des Nettolohns des Elternteils, der seine Arbeitszeit für die Betreuung des Kindes einschränkt. Das Mindestelterngeld beträgt 300 Euro, der Höchstbetrag liegt bei 1.800 Euro im Monat.
Das Elterngeld soll Eltern in der frühen Kindheitsphase eine Reduzierung bzw. Unterbrechung der Erwerbsarbeit ermöglichen, ohne allzu große Einschränkungen bezüglich des Lebensstandards hinnehmen zu müssen. Mit den Partnermonaten sollen Anreize insbesondere für Väter mit dem Ziel geschaffen werden, dass beide Eltern einen Teil der Elternzeit übernehmen und die Kindererziehung als gemeinschaftliche Aufgabe begreifen. Gleichzeitig sollen Mütter zu einem früheren Wiedereinstieg in den Beruf ermutigt werden. Das Elterngeld soll jungen Paaren Mut machen, sich für Kinder zu entscheiden.
Die Wohlfahrtsverbände haben die Einführung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes grundsätzlich begrüßt, aber zugleich kritisch auf die Einkommensverluste all derjenigen hingewiesen, die über kein oder nur ein geringes Erwerbseinkommen verfügen.
Mit dem In-Kraft-Treten des BEEG hat sich die Bundesregierung zu einer Evaluierung des Gesetzes verpflichtet. Ein erster Evaluationsbericht wurde am 29. Oktober 2008 vorgelegt. Zeitgleich begann ein kontinuierliches Monitoringverfahren. Die Wohlfahrtsverbände nehmen das weitere Prüfverfahren zum Anlass, um sich auf der Grundlage ihrer Praxiserfahrungen ebenfalls mit der Wirkungsweise der familienpolitischen Leistung Elterngeld auseinanderzusetzen und Fort- und Weiterentwicklungsbedarf beim BEEG zu benennen.
2. Zum Ansatz der vorgelegten Evaluierung
In den Evaluationsbericht zum BEEG vom Oktober 2008 sind verschiedene Studien und Befragungen eingeflossen. Neben einer demoskopischen Erstbefragung (Institut für Demoskopie, Allensbach), einer Unternehmensbefragung in zwei Wellen (Allensbach) und einer zweiteiligen Evaluation zu sozialen Effekten (Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung, RWI) wurde eine internationale Vergleichsstudie (Rambøll Management) zu entsprechenden Regelungssystemen in Auftrag gegeben. Auf der Grundlage dieser Auswahl an Studien und Befragungen sollte eine umfassende Analyse der Wirkungsweise des Elterngeldes gewährleistet sowie ein internationaler Vergleich ermöglicht werden.
Trotz des breit gewählten analytischen Ansatzes weisen die Studien methodische Schwächen auf. So wurden z. B. in der RWI Studie nur Mütter befragt und über deren Einschätzung die Beteiligung der Väter bei den Sorgeaufgaben sowie deren Wünsche abgefragt. Zudem wurde versäumt, Rückmeldungen aus der Beratungspraxis etwa bei Schwangerschaftsberatungsstellen einzuholen.
Eine Untersuchung zur gewünschten und tatsächlichen Inanspruchnahme von Elternzeit fehlt bisher. Sie wird, wenn überhaupt, lediglich als mit dem Elterngeld verknüpfter Anspruch abgebildet und beschrieben. Diese Darstellung ist aus Sicht der Verbände unzureichend.
3. Zentrale Aussagen im Elterngeldbericht der Bundesregierung
Im Bericht über die Auswirkungen des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes der Bundesregierung wird das Elterngeld als Teil nachhaltiger Familienpolitik gewürdigt. Positiv werden der Bekanntheitsgrad und die Wertschätzung des Elterngeldes sowohl in der öffentlichen Meinung als auch in Wirtschaft und Wissenschaft hervorgehoben. In den umfangreichen Daten zur Inanspruchnahme wird auch dokumentiert, dass der Anteil der Väter, die Elterngeld beantragen, kontinuierlich steigt. Als zentrale Wirkungen des Elterngeldes werden darüber hinaus die Stärkung der Erwerbsbeteiligung der Mütter, der positive Einfluss auf den Kinderwunsch und die wirtschaftliche Sicherung der Familien benannt. Im Vergleich zum Erziehungsgeld wird das Elterngeld als armutsreduzierend bezeichnet.
Das Familienministerium sieht keinen weiteren Korrekturbedarf, da „die Ziele des Elterngeldes im Wesentlichen erreicht werden“. Es wird allerdings angekündigt, die Väterbeteiligung weiter stärken zu wollen.
4. Fachpolitische Bewertung der Wirkungsweise des Elterngeldes
Die nachfolgende Bewertung der Verbände orientiert sich entsprechend der prognostizierten Effekte an vier fachpolitischen Dimensionen. Neben der sozialpolitischen Dimension wurden Effekte bei der Gleichstellung, der demographischen Entwicklung sowie am Arbeitsmarkt bzw. beim Erwerbsverhalten von Eltern erwartet.
4.1. Sozialpolitische Dimension
· Unterschiedlicher Leistungscharakter
Das Elterngeld wurde – anders als das Erziehungsgeld – als einkommensabhängige Lohnersatzleistung konzipiert. Dem wurde in Form eines Sockelbetrages eine Sozialkomponente hinzugefügt. Sie soll sicherstellen, dass Eltern, die vor der Geburt ihres Kindes keiner Erwerbsarbeit nachgingen oder nur ein sehr geringes Einkommen erzielten, ebenfalls eine finanzielle Unterstützung erhalten. Die Bedeutung des Elterngeldes als Sozialleistung belegen eindrucksvoll die vorgelegten statistischen Zahlen zum Elterngeldbezug von 2008 bis März 2009. Wie das statistische Bundesamt im Juni 2009 mitteilte, bezogen knapp die Hälfte aller Mütter und Väter lediglich Elterngeld auf der Basis des Mindestbetrages. Gerade diese Eltern können als potentielle Verlierer der Umstellung von Erziehungsgeld auf Elterngeld bezeichnet werden. Durch die Reduzierung der Bezugsdauer von 24 Monate auf 12 bzw. 14 Monate erhalten diese Familien bis zu 3.600 Euro weniger Förderung. Die mit der Umstellung von Erziehungsgeld auf Elterngeld verbundene faktische Umschichtung von Transferempfängern und unteren Einkommensgruppen zu mittleren und höheren Einkommensgruppen hat nach Ansicht der Verbände die finanzielle Situation vieler Familien verschlechtert. Ungeachtet der nachweislich hohen Bedeutung der Sozialkomponente beim Elterngeld ist die Vermischung von Lohnersatz- und Sozialleistungen in einer Leistung durchaus problematisch. Sie erschwert eine differenzierte Sicht auf die soziale Situation der Leistungsempfänger und eine eindeutige Klassifizierung und Bewertung der Leistungen des Elterngeldes.
· Armutsvermeidung
Die Bundesregierung attestiert - im Unterschied zum Evaluationsbericht des RWI - dem Elterngeld die Eigenschaft, zur Armutsvermeidung beizutragen. Wenn sich auch die Einkommenssituation mancher Familien z.B. von Alleinerziehenden, die vor dem Elterngeldbezug erwerbstätig waren, verbessert hat, ist doch anzumerken, dass gerade viele armutsgefährdete Familien mit dem Bundeserziehungsgeld finanziell besser gestellt waren. 45,6% der Bezieher/innen erhalten das Elterngeld lediglich auf der Basis des Mindestbetrages, darunter ein hoher Anteil von Schüler(inne)n und Student(inn)en. 51,9% der Eltern erhalten weniger als 500 Euro Elterngeld. Bei Mehrkindfamilien nimmt dieser Anteil deutlich zu (bei 3 Kindern 74,5% und bei vier und mehr Kindern 82,1%). Legt man zugrunde, dass die Mehrheit der Bezieher/innen des Bundeserziehungsgeldes den Anspruch ehemals über die gesamte Laufzeit von 24 Monaten und weit überwiegend in voller Höhe hatte, muss davon ausgegangen werden, dass sich die finanzielle Lage von rund der Hälfte der bisherigen Erziehungsgeldbezieher/innen verschlechtert hat. Dieser Zusammenhang ist doch im gesamten Evaluationsbericht nicht erwähnt.
Eine Umfrage bei den Schwangerschaftsberatungsstellen der Verbände 2008 hat gezeigt, dass Beratungen im Zusammenhang mit dem Elterngeld eine bedeutsame Rolle spielen. Auch hier gibt es eindeutige Hinweise, dass sich beim weit überwiegenden Anteil der Ratsuchenden die finanziellen Probleme durch die verkürzte Bezugsdauer deutlich verschärft haben.
Als Beweis für die armutsreduzierende Wirkung des Elterngeldes führt das BMFSFJ an, dass beim Elterngeld im Jahr nach der Geburt des Kindes nur 24% der Haushalte mindestens eine zusätzliche Transferleistungen wie ALG II oder Sozialhilfe bezogen, während diese Quote beim Erziehungsgeld um 5% höher lag. Dieser Vergleich ist jedoch aufgrund der unterschiedlichen Gesamtmengen nicht zulässig. Das Bundeserziehungsgeld hatte zuletzt aufgrund der Festlegung von Höchsteinkommensgrenzen nur noch einkommensarme Familien und Transferempfänger erreicht, während das Elterngeld von nahezu allen Familien, also auch von den einkommensstarken Familien - die keine ergänzenden Transfers benötigen -, beantragt wird.
Von einer armutsreduzierenden Wirkung des Elterngeldes, wie sie vom BMFSFJ attestiert wird, kann nach Ansicht der Verbände nicht gesprochen werden. Vielmehr kann dem Elterngeld eine einkommensstabilisierende Wirkungsweise zugesprochen werden. Sie stützt weitgehend den „Status quo“ der Einkommenssituation der Eltern.
4.2. Gleichstellungspolitische Dimension
Es kann als ein Erfolg des Elterngeldes gewertet werden, wenn sich immer mehr Väter dazu entschließen, eine berufliche Auszeit in Anspruch zu nehmen. Dies korrespondiert mit einer Einstellungsänderung in zahlreichen Unternehmen, die einer Reduzierung der Arbeitszeit oder einer Erwerbsunterbrechung von Vätern zunehmend positiv gegenüber stehen. Sind zum Ende des Erziehungsgeldes 2006 nur 3,5 Prozent der Väter zeitweise aus dem Beruf ausgestiegen, so wuchs die Zahl auf mittlerweile 16 Prozent, in Bayern und Berlin sogar auf über 20 Prozent. Allerdings nahmen in 2008 mehr als die Hälfte der Väter (57%) nur die zwei Mindestbezugsmonate in Anspruch. Eine Auszeit von 12 bis 14 Monaten beantragen nur 14 Prozent. Etwa jeder fünfte Vater verbindet den Elterngeldbezug mit einer Teilzeittätigkeit.
Es wäre sehr erfreulich, wenn dieser positive Trend weiterhin anhält und sich Väter in der wichtigen frühkindlichen Phase mehr Zeit für ihre Kinder nehmen (können). Für die Verbände steht es außer Frage, dass Bedingungen, Strukturen und weitere Anreize geschaffen werden müssen, die es Eltern erleichtern, ihre beruflichen, elterlichen, partnerschaftlichen sowie ihre eigenen Wünsche miteinander zu verbinden und die damit verbundenen Aufgaben gleichberechtigt aufzuteilen. Derzeit sind es immer noch die Mütter, die primär familiäre Aufgaben wahrnehmen. Dies machen auch die Daten in der Evaluation deutlich, wenn 87 Prozent der Frauen und nur 13 Prozent der Männer die maximale Bezugsdauer des Elterngeldes von 12 Monaten in Anspruch nehmen.
4.3. Arbeitsmarktpolitische Dimension
Die Einführung des Elterngeldes hat zur Folge, dass mehr Eltern ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen, allerdings - wie von der Bundesregierung beabsichtigt - auch zu einem früheren Zeitpunkt die Erwerbsarbeit wieder aufnehmen. Das Elterngeld unterstützt den Wunsch, zugunsten der Kinderbetreuung ein Jahr aus dem Beruf auszusteigen, forciert durch die gegenüber dem Erziehungsgeld verkürzte Bezugsdauer aber offenbar auch wieder den früheren Berufseinstieg.
Vor dem Hintergrund existenzsichernder Überlegungen ist ein früher Wiedereinstieg der Eltern ins Erwerbsleben grundsätzlich zu unterstützen. Allerdings erweist sich der Bezugszeitraum des Elterngeldes aus der Perspektive vieler Eltern als zu kurz. Selbst von der Gruppe der Mütter, die vor der Geburt erwerbstätig waren, kehren ein Jahr nach der Geburt nur etwa die Hälfte - mehrheitlich in Teilzeit - wieder in den Beruf zurück. Nach zwei Jahren planen 73% wieder eine Beschäftigung aufzunehmen. Dabei entsprechen die beruflichen Planungen nicht immer den Wünschen der Mütter: 39% der befragten Frauen hätten gerne früher und 28% der Frauen lieber zu einem späteren Zeitpunkt wieder gearbeitet. Der häufigste Hinderungsgrund für einen frühen Berufseinstieg ist die fehlende oder zu teure Kindertagesbetreuung. Gegen einen späteren Einstieg sprechen weit überwiegend finanzielle Zwänge. Nur eine von drei Frauen kann offenbar die beruflichen und familiären Aufgaben nach ihrer Vorstellung miteinander vereinbaren. Dies verdeutlicht, wie eingeschränkt die sogenannte Wahlfreiheit von Frauen und Familien ist, die mit dem Elterngeld ja gefördert werden sollte.
4.4. Demografische Dimension
Von der Einführung des Elterngeldes sollte auch die demografische Entwicklung positiv beeinflusst werden, indem junge Menschen ihre Kinderwünsche besser verwirklichen können. Das BMFSFJ hat im Frühjahr 2009 in seinem Familienreport bereits einen Anstieg der Geburtenzahlen seit Einführung des Elterngeldes festgestellt und diesen Umstand als Trendwende gewertet.
Dies hat sich aufgrund des negativen Trends bei der Geburtenentwicklung ab August 2008 als Irrtum herausgestellt. Wenn auch die Fertilitätsrate in etwa gleich geblieben ist, weisen die statistischen Zahlen für 2008 mit 675.187 Lebendgeborenen gegenüber 2007 (684.862) einen Rückgang von 9.675 Geburten aus. In der Summe verzeichnet Deutschland bezogen auf Geburten und Sterbefälle nach wie vor einen negativen Saldo. Die ungünstige demographische Entwicklung setzt sich damit weiter fort.
Auf der Grundlage der vorliegenden statistischen Daten kann dem Elterngeld bisher keine positive Wirkung auf die demographische Entwicklung bescheinigt werden.
Nach den Erfahrungen der Verbände brauchen junge Paare Vertrauen, dass sie als Eltern ausreichende Unterstützung und Rücksichtnahme erfahren, um ihren zumeist vorhandenen Kinderwunsch auch zu realisieren. Dies setzt infrastrukturell entlastende Hilfen, Transferleistungen, die die kindbedingten direkten und indirekten Kosten mindern und ausreichende zeitliche Ressourcen zur Übernahme von Fürsorgeaufgaben voraus.
In einem Land, in dem eine steigende Zahl von Kindern von Armut betroffen ist und junge Menschen neben ihren alltäglichen Belastungen abwägen müssen, ob sie noch zusätzlich Fürsorgeaufgaben für Kinder übernehmen wollen oder können, sind diese Rahmenbedingungen offensichtlich unzureichend.
5. Handlungsbedarf beim BEEG
Wie in den Ausführungen gezeigt, konnten bisher nur wenige Zielsetzungen des BEEG in den einzelnen Dimensionen erreicht werden. Um hier mehr Erfolge verzeichnen zu können, sind nach Auffassung der Verbände Nachjustierungen bzw. eine Weiterentwicklung des BEEG notwendig.
· Geschwisterbonus nicht auf SGB II Leistungen anrechnen
In Fällen, in denen die elterngeldberechtigte Person mit einem weiteren Kind unter drei Jahren oder zwei weiteren oder mehr Kindern unter sechs Jahren oder einem behinderten Kind unter 14 Jahren in einem Haushalt lebt, erhöht sich das Elterngeld um 10 Prozent, mindestens aber um 75 Euro. Mit dieser Regelung soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die finanziellen Belastungen in Mehrkindfamilien größer sind, als in Einkindfamilien.
Der Geschwisterbonus wird in voller Höhe auf den SGB II Leistungsbezug angerechnet. Diese Anrechnung halten wir für nicht sachgerecht, weil sie arbeitslose bzw. gering verdienende Eltern benachteiligt und mit der Logik bricht, dass das Elterngeld insgesamt anrechnungsfrei bleibt. Beim Geschwisterbonus sollte daher grundsätzlich auf eine Anrechnung verzichtet werden.
· Eltern brauchen Flexibilität bei der Inanspruchnahme von Elterngeld
Mit dem ersten Änderungsgesetz zum BEEG können Eltern ihre Entscheidung, wer wie lange Elterngeld bezieht, ohne Angabe von Gründen ein Mal ändern. Mit dieser Regelung sollen Eltern mehr Flexibilität bei der Inanspruchnahme der Leistung erhalten.
Die Verbände unterstützen diese Flexibilisierung. Sie regen darüber hinaus an, die Härtefallklausel grundsätzlich zu öffnen und weitere Antragsänderungen zuzulassen. Sollten im Einzelfall tatsächlich mehrere Härten aufeinander folgen, sollte eine dem Einzelfall gerecht werdende Anpassung des Elterngeldbezuges immer Vorzug vor den Interessen eines effektiven Verwaltungsvollzugs eingeräumt werden.
· Teilzeit und Elterngeld
Es war die Zielsetzung der ersten BEEG-Novelle zur Stärkung der Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Lebensentwürfen und zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf beizutragen. Aus Sicht der Verbände gehört zur Erreichung dieses Zieles unbedingt die Änderung der Regelung bei Teilzeitarbeit und gleichzeitigem Elterngeldbezug.
Ein gravierender Mangel der bisherigen Regelungen zum Elterngeld ist, dass die gleichzeitige Inanspruchnahme des Elterngeldes kombiniert mit einer Teilzeittätigkeit beider Eltern zu einer Reduktion der Anspruchsdauer auf höchstens sieben Monate führt. Die durch das Elternzeitgesetz prinzipiell ermöglichte Variante der partnerschaftlich geteilten Verantwortung für Erwerbstätigkeit und Familie wird materiell sanktioniert.
Dies wurde bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens von zahlreichen Verbänden als gleichstellungs-, familien- und beschäftigungspolitisch kontraproduktiv kritisiert. Der von Verbänden vorgelegte Alternativvorschlag, den Gesamtelterngeldanspruch maximal auf das Volumen einer Vollzeitstelle zu beschränken, wurde vom BMFSFJ mit Hinweis auf die Konzipierung des Elterngeldes als individuelle Leistung abgelehnt.
Ende April 2009 hat das Ministerium der Öffentlichkeit – basierend auf der Arbeit des Kompetenzzentrums für familienbezogene Leistungen – einen Vorschlag für eine verbesserte Teilzeitregelung präsentiert. Demnach sollen Eltern, die während des Elterngeldbezugs in Teilzeit arbeiten, künftig nur noch halbe Elterngeldmonate verbrauchen und gleichzeitig ihre nur halb verbrauchten Monatsansprüche bei der Bezugsdauer hinten anhängen können. Auf diese Weise könnten Eltern nicht nur länger (maximal achtundzwanzig Monate), sondern in der Summe auch mehr Elterngeld erhalten. Die Verbände begrüßen die weitere Flexibilisierung des Elterngeldbezugs als überfällig. Es soll allerdings weiterhin am doppelten Anspruchsverbrauch festgehalten werden, falls beide Elternteile gleichzeitig Teilzeit arbeiten und jeweils Elterngeld beziehen möchten. Nach der bisherigen Regelung können diese Eltern lediglich sieben Monate Elterngeld in Anspruch nehmen. Durch die Anrechnung des Einkommens ergeben sich zudem geringe Elterngeldbeträge, wie in den Fällen, in denen Eltern nacheinander Elterngeld beziehen und ein Elternteil weiter einer Vollzeit Erwerbstätigkeit nachgeht. Dieser Nachteil würde auch mit der verbesserten Teilzeitregelung nicht aufgehoben. Unter diesen Voraussetzungen könnten die gleichzeitig teilzeitarbeitenden Eltern nicht achtundzwanzig Monate, sondern maximal vierzehn Monate lang Elterngeld beziehen. Durch die unterschiedliche Bezugsdauer kommt es nach wie vor nicht zu einer Gleichstellung mit Paaren, die hintereinander oder nur einseitig Elterngeld beziehen.
Grundsätzlich ist zu überlegen, ob die Partnermonate mit Elterngeldanspruch auch auf verschiedene Monate verteilt genommen bzw. analog zur Regelung der Elternzeit auf eine spätere Zeit übertragen werden können. Dieser innovative Ansatz könnte die Handlungsoptionen vieler Familien erweitern.
· Ausweitung der Partnermonate
Um Familien mehr Gestaltungsraum zu geben und die geschlechtergerechte Aufteilung der Erziehungsarbeit zu fördern, ist eine höhere Inanspruchnahme der Elternzeit durch die Väter wünschenswert. Dies kann über eine Ausweitung der Partnermonate erreicht werden. In Kombination mit der zuvor erwähnten vorgeschlagenen Teilzeitregelung könnten zum Beispiel vier weitere Partnermonate auch helfen, die komplette gesetzliche Elternzeit finanziell zu überbrücken.
· Übertragung von Elternzeit erleichtern
Nach § 15 Abs. 2 BEEG besteht ein Anspruch auf Elternzeit bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes. Dabei kann ein Anteil der Elternzeit von bis zu zwölf Monaten mit Zustimmung des Arbeitgebers auf die Zeit bis zur Vollendung des achten Lebensjahres übertragen werden.
Eltern steht es damit frei, Elternzeit in den ersten drei Jahren entsprechend ihren Wünschen und Bedürfnissen zu nehmen. Die Übertragung von Anteilen auf die Zeit bis zur Vollendung des achten Lebensjahres ist nach Ansicht der Verbände zu restriktiv gestaltet. Grundsätzlich sollte dies möglich sein, wenn Eltern die Inanspruchnahme von Elternzeit beim Arbeitgeber sechs Monate im Voraus anzeigen.
Allerdings werden viele Eltern die Übertragung aus Gründen des Einkommensverlustes ohnehin nicht in Anspruch nehmen. Die Anfang Juni 2009 von Familienministerin von der Leyen vorgestellte Idee eines "Familienzeitkredits" zur Überbrückung solcher beruflicher Auszeiten hilft ebenfalls nicht. Danach sollen Familien Erwerbsunterbrechungen für Kinderbetreuung oder Pflege selbst bezahlen und dafür günstige, durch Staatsbürgschaften gesicherte Kredite aufnehmen. Gerade in der Wirtschaftskrise werden sich Mittelschichtfamilien nicht zusätzlich verschulden wollen. Für Familien mit geringem Einkommen oder im SGB-II-Bezug ist eine solche Lösung schlicht nicht finanzierbar und daher unpraktikabel. Schließlich würden "Familienzeitkredite" die Wirtschaft aus ihrer Verantwortung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf entlassen und den Familien die kompletten Kosten für die Lösung ihrer Zeitprobleme aufbürden. Die Verbände lehnen daher den Vorschlag ab, regen aber eine ausführliche gesellschaftspolitische Diskussion um eine familiengerechte Zeitpolitik an.
· Berücksichtigung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld
Bislang werden bei der zu ermittelnden Höhe des Elterngeldes Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld bzw. das 13. Monatsgehalt, Urlaubsgeld sowie Einmalzahlungen nicht berücksichtigt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lag der Anteil der Sonderzahlungen an den Bruttolöhnen und -gehältern 2007 bei rund 10 Prozent. Für viele Arbeitnehmer/innen sind Sonderzahlungen ein fester und unverzichtbarer Bestandteil ihres Erwerbseinkommens. Durch die Nichtberücksichtigung dieser Zahlungen bei der Ermittlung des Nettoeinkommens sinkt das Elterngeld um diesen Betrag. Diese Zahlungen bei der Ermittlung des durchschnittlichen Nettoeinkommens nicht zu berücksichtigen, mindert den Charakter des Elterngeldes als Lohnersatzleistung.
· Anschlussleistungen
Das Elterngeld sichert die Erziehung, Bildung und Betreuung der Kinder lediglich für einen Zeitraum von 12 bzw. 14 Lebensmonaten ab. Als weiterer Baustein eines stimmigen familienpolitischen Konzepts aus Zeit, Geld und Infrastruktur muss zur Ergänzung des Elterngeldes dringend der Ausbau der Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungsstruktur erfolgen. Andernfalls ist vielen Eltern - vor allem Müttern - die Rückkehr an ihren Arbeitsplatz nach einem Jahr Elterngeldbezug nicht möglich. Der angestrebte Ausbau der Betreuungsinfrastruktur für ein Drittel der unter Dreijährigen bis 2013 bedarf noch enormer Anstrengungen vor allem seitens der Länder und Kommunen. Eltern müssen aber auch in der Lage sein, diese Betreuungsleistungen zu finanzieren.
Ebenso müssen Eltern Optionszeiten verfügbar sein, die es ihnen ermöglichen, für erforderliche Fürsorgeaufgaben ihre Erwerbsarbeit zu unterbrechen bzw. zu reduzieren, ohne dass sich dies mit individuellen Nachteilen verbindet.
Im Interesse der Wahlfreiheit müssen intelligente Konzepte zur besseren Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Erziehung entwickelt werden. Dazu zählen auch Lebensarbeitszeitkontingente, die gesetzlich oder zwischen den Tarifparteien ausgehandelt werden.
6. Fazit
Mit dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) ist eine familienpolitische Leistung etabliert worden, die von ihrer Intention her weitgehende Zustimmung in der Fachöffentlichkeit und bei den Eltern erfährt. Allerdings darf der offene und kritische Blick auf die Wirkungen dieser neu eingeführten Lohnersatzleistung nicht ausbleiben. In dieser Gesamtschau wird deutlich, dass es Weiterentwicklungsbedarf gibt. Der beginnende Monitoringprozess sollte auch einen kritischen Dialog mit den Verbänden beinhalten, denn eine nachhaltige Familienpolitik braucht die ständige Überprüfung ihrer Instrumente an der Lebenswirklichkeit und den Wünschen von Familien.
Entscheidend für den Erfolg familienpolitischer Maßnahmen ist, ob sich junge Menschen in ihren jeweiligen Vorstellungen, Familie zu leben, verstanden und gefördert fühlen. Um sich auch den demografischen Zielen des Elterngeldes zu nähern, ist eine Nachjustierung entsprechend den Wünschen und Vorstellungen der Eltern erforderlich.
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