Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen (Familienleistungsgesetz – FamLeistG)“

Der Entwurf eines Familienleistungsgesetzes verfolgt zwei voneinander getrennt zu betrachtende Gesetzesvorhaben.

Der Entwurf eines Familienleistungsgesetzes verfolgt zwei voneinander getrennt zu betrachtende Gesetzesvorhaben. Zum einen sollen speziell Familien über die Erhöhung des  Kinderfreibetrages und des Kindergeldes sowie Empfänger von Grundsicherungsleistungen durch ein Schulstarterpaket finanziell entlastet werden. Zum anderen werden die steuerlichen Regelungen zu haushaltsnahen Dienstleistungen für alle Haushalte zusammengefasst und in ihrer Höhe neu bemessen.

 

Gesamtbewertung:

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) begrüßt die Absicht der Bundesregierung, „im Sinne einer nachhaltigen Familienpolitik den Familienleistungsausgleich deutlich zu verbessern“. Die Erhöhung des Kinderfreibetrages und des Kindergeldes sowie die Einführung einer zusätzlichen Leistung zu Schuljahresbeginn verbessern die finanzielle Situation von Familien.

 

Die BAGFW kann jedoch nicht erkennen, wie durch die Erhöhung des Kindergeldes und der Kinderfreibeträge die „Familien spürbar entlastet und in ihrer wirtschaftlichen Stabilität gefestigt“ werden können. Die Erhöhung des Kindergeldes um 10 Euro für das erste und das zweite bzw. 16 Euro für das dritte und jedes weitere Kind kann nicht einmal den Ausgleich für den Kaufkraftverlust seit der letzten Anhebung des Kindergeldes sicherstellen. Zudem erreicht die Erhöhung des Kindergeldes nicht Familien im Bezug von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe, da es auf diese Leistungen angerechnet wird. Auch wird der Ausbau der Förderung haushaltsnaher, familienunterstützender und pflegebegleitender Dienstleistungen nur geringe Gestaltungsspielräume für einkommensschwächere Familien eröffnen.

 

In Anbetracht der kurzen Frist beschränken wir uns in der Stellungnahme auf die zentralen Themen: Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen, Erhöhung des Kindergeldes und der Kinderfreibeträge und die zusätzlichen Leistungen zu Schuljahresbeginn.

 

  1. Steuerermäßigung bei Aufwendungen für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse

 

Die steuerlichen Regelungen zu haushaltsnahen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und haushaltsnahen Dienstleistungen einschließlich Pflegeleistungen, die bisher in mehreren gesonderten Tatbeständen erfasst sind, sollen zukünftig in einer Vorschrift zur Förderung privater Haushalte als Auftraggeber einer Dienstleistung bzw. als Arbeitgeber sozialversicherungspflichtig Beschäftigter zusammengefasst werden. Daneben soll die Förderung auf einheitlich 20 Prozent der Aufwendungen von bis zu 20.000 Euro deutlich ausgeweitet werden (maximal 4.000 € können jährlich direkt von der Steuerschuld abgezogen werden).

 

Bewertung:

Obwohl der Gesetzgeber bereits seit 2003 Möglichkeiten geschaffen hat, familienunterstützende Dienstleistungen von der Steuerschuld abzuziehen, bleibt die Entwicklung bislang weit hinter den Erwartungen zurück. Nach einer Allensbachstudie vom Januar 2008 nimmt nur jeder zehnte Haushalt eine legal bezahlte Hilfe im Haushalt – überwiegend für Reinigungstätigkeiten - in Anspruch.

 

Die verbesserte steuerliche Absetzbarkeit allein wird nicht zu einer höheren Nachfrage nach legal bezahlten haushaltsnahen Dienstleistungen führen können. Die Zahlungsbereitschaft und -fähigkeit insbesondere von Familien deckt sich nicht mit den realistischen Kosten einer sozialversicherungs- und steuerpflichtigen Arbeitsstunde. Während in offiziellen Beschäftigungsverhältnissen durchschnittlich rund 16 Euro Stundenlohn gefordert werden, ist jeder zweite potentielle Nutzer lediglich bereit, bis zu 10 Euro pro Stunde für eine familienunterstützende Dienstleistung zu bezahlen. Nur 2% der potenziellen Nutzer/innen sind bereit oder in der Lage, mehr als 15 Euro zu bezahlen. Die Abziehbarkeit von der Steuerschuld wird armen Familien nichts nützen, die wenig oder keine Steuern bezahlen. Außerdem können sie sich auch unter erleichterten steuerlichen Bedingungen in der Regel keine Haushaltskraft leisten.

 

Vorschlag:

Will man die legale Beschäftigung in Haushalten, die von der steuerlichen Absetzbarkeit nicht oder nur wenig profitieren, ausbauen, muss wie in anderen europäischen Ländern über direkte Subventionen in Form von Dienstleistungsschecks, Gutscheinen oder andere Lösungen nachgedacht werden.

 

  1. Erhöhung der Kinderfreibeträge und des Kindergeldes

 

Der Kinderfreibetrag soll nach dem Gesetzentwurf von bisher 5808 Euro auf 6000 Euro angehoben werden. Aufgrund des engen Sachzusammenhangs soll auch das Kindergeld für das erste und zweite Kind um jeweils 10 Euro von 154 Euro auf 164 Euro, für dritte Kinder um 16 Euro von 154 auf 170 Euro und für vierte und weitere Kinder um je 16 Euro von 179 Euro auf 195 Euro monatlich angehoben werden.

 

Bewertung:

Die angemessene Erhöhung des Kinderfreibetrags ist ein Instrument, um die kindbedingten Aufwendungen von Familien steuerfrei zu belassen, wie es das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 10.11.1998 vorgegeben hat. Die Erhöhung des Kinderfreibetrages ist aber ungeeignet, um Kinderarmut zu bekämpfen und das Existenzminimum aller Kinder unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern tatsächlich zu sichern.

Zentraler Bestimmungsfaktor für das Kinderexistenzminimum ist der Kinderregelsatz. Wie verschiedene Analysen aus den Verbänden der BAGFW belegen, sind die bisher vom Erwachsenenregelsatz abgeleiteten Bedarfssätze des SGB II für Kinder zu gering, um deren Existenzminimum realitätsgerecht abzubilden. Die Forderungen der Wohlfahrtsverbände nach Neuberechnung der Kinderregelsätze werden nun auch durch das Landessozialgericht in Hessen unterstützt, das die Berechnung der Regelsätze nicht für verfassungskonform hält und diese Frage dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt hat.

 

Auch der Entwurf des siebten Existenzminimumberichtes deutet die Notwendigkeit höherer Kinderfreibeträge an, obwohl auch hier der Eindruck entsteht, dass die existenznotwendigen Ausgaben kleingerechnet werden sollen. So sind Mängel bei der Bemessung der Wohnkosten, durch die Nichtberücksichtigung von älteren Kindern und der Außerachtlassung besonderer Bedarfe von Kindern augenscheinlich.

 

Die Erhöhung des Kindergeldes mit den im Gesetzentwurf genannten Beträgen bewertet die BAGFW als unzureichend. Sie stellt fest, dass die erhebliche Differenz zwischen Kindergeld und maximaler steuerlicher Entlastung weiterhin bestehen bleibt.

Die BAGFW tritt dem wiederum vorgetragenen Argument einer „im internationalen Vergleich bereits hohen Förderung von Familien durch den Familienleistungsausgleich“ entgegen. Wie der Zwischenbericht des Kompetenzzentrums für familienbezogene Leistungen vom Mai dieses Jahres zeigt, nimmt Deutschland bei der Familienförderung mit knapp 3% des Bruttoinlandsprodukts im OECD-Vergleich von 15 EU-Staaten lediglich einen mittleren neunten Platz ein.

 

Die stärkere Staffelung des Kindergeldes soll Mehrkindfamilien gezielt fördern, die – wie auch der 3. Armuts- und Reichtumsbericht belegt – einem erhöhten Armutsrisiko unterliegen. Die letzte Kindergelderhöhung datiert aus dem Jahr 2002. Wollte man zumindest einen Inflationsausgleich für den Zeitraum 2002 bis Ende 2008 sicherstellen (12%), müsste das Kindergeld pro Kind um 18 Euro und ab dem 3. Kind um 21 Euro angehoben werden. D.h. auch Mehrkindfamilien würde eine adäquate Erhöhung des Kindergeldes mehr nützen als die jetzt vorgeschlagene stärkere Staffelung des Kindergeldes. 

Auch die Familienform mit der höchsten Armutsrisikoquote, die allein Erziehenden, muss sich trotz der geplanten Kindergelderhöhung mit einem deutlichen Kaufkraftverlust ihres Kindergeldes abfinden. Auch die stärkere Staffelung des Kindergelds erreicht sie als Familienform mit in der Regel ein oder zwei Kindern nicht.  

 

Generell gilt, dass die Erhöhung des Kindergeldes nicht Familien im Bezug von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe zugute kommt, da das Kindergeld auf diese Leistungen angerechnet wird.

 

Vorschlag:

Die BAGFW fordert eine realitätsnahe, nachvollziehbare und angemessene Bestimmung des Existenzminimums für Kinder. Dazu gehört insbesondere die Anerkennung der Bildungsbedarfe von Kindern, eine eigenständige Berechnung der Kinderregelsätze und in der Folge die steuerliche Freistellung der existenznotwendigen Ausgaben für Kinder entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes.

Die BAGFW regt an, allen Kindern – zumindest Kindern aus armen Familien – über Sachleistungen gute strukturelle Rahmenbedingungen über individuelle Rechtsansprüche zu sichern. Dazu zählen insbesondere kostengünstige Mittagessen in Ganztagseinrichtungen, Schülerfahrkarten und Hausaufgabenbetreuung bzw. Nachhilfeunterricht.

 

  1. Schulbedarfspaket (Einführung des § 24a SGB II-neu und § 28a SGB XII-neu)

 

Der Gesetzentwurf sieht die Einführung eines sog. Schulbedarfspakets in Form einer einmaligen Leistung von 100 € jeweils zum Beginn eines Schuljahres vor. Diese zusätzliche Leistung für die Schule wird in  allgemeinbildenden Schulen und anderen Schulen mit dem Ziel des Erwerbs eines allgemeinbildenden Schulabschlusses bis zum Abschluss der Jahrgangsstufe 10 gezahlt. Zudem ist vorgesehen, dass der Sozialhilfeträger im begründeten Einzelfall einen Nachweis über die zweckentsprechende Verwendung der Leistung verlangen kann.

 

Bewertung:

Die BAGFW begrüßt die Einführung eines Schulbedarfspakets jeweils zum Schuljahresbeginn ausdrücklich. Der Gesetzgeber greift hier eine langjährige Forderung der BAGFW auf, die immer wieder darauf hingewiesen hatte, dass die Familien die zu Schuljahresbeginn anfallenden Kosten für Lernmittel faktisch nicht aus der Regelleistung ansparen können und daher die Bildungschancen ihrer Kinder gefährdet sind. Die Situation der Kinder wird so verbessert. Die BAGFW lehnt indes eine Begrenzung der Förderung bis zur Vollendung der Jahrgangsstufe 10 ab. Ebenso wie Jugendliche aus anderen Familien müssen auch Jugendliche, die Leistungen nach dem SGB II und SGB XII beziehen, finanziell in der Lage sein, einen höheren Bildungsabschluss als die mittlere Reife zu erreichen.

 

Die BAGFW regt überdies an, die Leistungen nicht auf Schüler und Schülerinnen allgemeinbildender Schulen zu beschränken, sondern auf alle Schularten, insofern die Schüler einen Sozialhilfe-, Sozialgeld- oder ALG II-Anspruch haben. Denn Schüler und Schülerinnen in diesen Schulen, die Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII beziehen, haben ebenfalls keine finanziellen Mittel, um Lernmittel zu beschaffen. Außerdem ist es geboten, auch den Familien, die den Kinderzuschlag beziehen, das Schulbedarfspaket zu gewähren.

 

Die vorgesehene Regelung, dass der Sozialhilfeträger im begründeten Einzelfall einen Nachweis über die zweckentsprechende Verwendung der Leistung verlangen kann, stellt aus Sicht der BAGFW einen Systemwechsel dar. Bislang wird die Regelleistung als Pauschale gewährt, ohne dass ein Verwendungsnachweis erforderlich ist. Gleiches gilt in der Praxis üblicherweise auch für die einmaligen Leistungen nach § 23 Abs. 3 SGB II und § 31 SGB XII, obwohl dort die Möglichkeit vorgesehen ist, Sachleistungen zu gewähren. Den Leistungsempfängern wird daher derzeit grundsätzlich die Fähigkeit zuerkannt, die pauschalen Leistungen zum Wohle ihrer selbst und ihrer Kinder bedarfsgerecht einzusetzen. 

 

 

 

Nach Ansicht der BAGFW sind analog der Gewährung des Schulbedarfspakets auch weitere befähigende Leistungen für Kinder und Jugendliche notwendig. Hierzu gehört das ermäßigte Schulmittagessen, die Lehrmittelfreiheit und die einmaligen Leistungen auch für eintägige Klassenfahrten. 

 

Vorschlag:

Die BAGFW fordert, die Begrenzung der Gewährung des Schulbedarfspakets auf Schülerinnen und Schüler bis zum Abschluss der Jahrgangsstufe 10 zu streichen. Ferner sollten sich die Leistungen auch auf Schüler und Schülerinnen im ALG II-Bezug an allen Schulen sowie den Familien zugute kommen, die den Kinderzuschlag beziehen und damit ein Einkommen von nur knapp oberhalb des Niveaus des SGB II und SGB XII haben. In der Praxis muss sichergestellt werden, dass der Verwendungsnachweis wirklich nur in begründeten Ausnahmefällen angefordert wird.