Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Vereinbarkeit von Familie und Privatpflege

In der Stellungnahme wird Bezug genommen auf die geplanten Änderungen des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes, des Pflegezeitgesetzes, des Familienpflegegesetzes u.a.

Stellungnahme der BAGFW zum Gesetzentwurf der Bundesregierung 

Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1158 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 10.09.2022 Drucksache 20/3447

Öffentliche Anhörung im Familienausschuss Deutscher Bundestag 07.11.2022

Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) kooperierenden Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege nehmen gemeinsam wie folgt Stellung: 

Zu Artikel 1

Änderung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes

Hinsichtlich der Elternzeit soll die in Artikel 9 Absatz 2 Satz 2 der Richtlinie (EU) 2019/1158 enthaltene Begründungspflicht des Arbeitgebers bei Ablehnung eines Antrags auf flexible Arbeitsregelungen eingeführt werden. Diese solle auch gegenüber Beschäftigten in Kleinbetrieben gelten, wobei die Begründung formlos möglich ist. An den Inhalt der Begründung sind keine hohen Anforderungen zu stellen.

Die BAGFW begrüßt diese Neu-Regelung. Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen haben Rechte und Pflichten, die sich aus dem Arbeitsvertrag, aus Gesetzen und anderen Rechtsnormen ergeben. Diese Rechte und Pflichten lassen oft erhebliche Ermessensspielräume zu. Mit dieser Regelung wird die Möglichkeit eröffnet, gleichberechtigt mit dem Arbeitgeber für den jeweiligen Betrieb und die betroffenen Arbeitnehmer:innen sinnvolle und anwendbare konkrete Regelungen zu finden und einen faireren Ausgleich zwischen den Interessen des Arbeitgebers und denen der Arbeitnehmenden zu schaffen.

Zu Artikel 2

Änderung des Pflegezeitgesetzes und

Artikel 3 Änderung des Familienpflegezeitgesetzes

Die Intentionen, dass auch Beschäftigte in Kleinbetrieben (unterhalb einer Betriebsgröße von 15 bzw. 25 Beschäftigten) das Recht haben, binnen 4 Wochen Antwort auf ihren Antrag auf Pflegezeit oder Familienpflegezeit zu erhalten, und im Fall der Ablehnung zu begründen sowie die Pflegezeit oder Familienpflegezeit vorzeitig zu beenden oder für die Dauer der Freistellung einen Kündigungsschutz zu erhalten, werden nachdrücklich begrüßt.

Die Änderungen im Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz stärken die Stellung der pflegenden Angehörigen, begünstigen eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf und verringern dadurch langfristig den Ausstieg aus dem Erwerbsleben.

Da viele der pflegenden Erwerbstätigen Frauen sind, wird mit den Gesetzesänderungen insbesondere die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben gefördert.

Perspektivisch sieht die BAGFW allerdings Handlungsbedarf in Bezug auf eine Harmonisierung von Pflegezeitgesetz und Familienpflegezeitgesetz. Beide Gesetze sollten möglichst zu einem einheitlichen Gesetz zusammengeführt werden. Die Auszeiten der Familienpflegezeit und Pflegezeit sind durch eine Lohnersatzleistung zu unterfüttern, die sich in Analogie zum Verfahren beim Elterngeld berechnen sollte.

Zur Sicherung der finanziellen Ressourcen von pflegenden Angehörigen für die Dauer der Arbeitszeitreduzierung nach § 2 Familienpflegezeitgesetz (FPfZG) und § 3 Pflegezeitgesetz (PflegeZG) kann nach § 3 FPfZG beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) ein zinsloses Darlehen beantragt werden. Aktuelle Zahlen des Amtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben bestätigen allerdings die geringe Wirkkraft dieser politischen Maßnahme[1] und unterstreichen die Notwendigkeit einer tatsächlichen finanziellen Unterstützung, wie sie auch der Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf empfiehlt.

Der unabhängige Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf hat bereits in seinem ersten Bericht empfohlen, das Darlehen einzustellen und stattdessen eine Lohnersatzleistung gefordert und im Juli 2022 dazu Handlungsempfehlungen zur Ausgestaltung einer Familienpflegezeit und eines Familienpflegegeldes vorgelegt. Im Kern sieht das Modell des Beirats vor, dass für jede pflegebedürftige Person 36 Monate Familienpflegezeit in Anspruch genommen werden können. Die steuerfinanzierte Freistellung für die Pflegenden soll mit dem Familienpflegegeld analog dem Elterngeld ausgestaltet werden. Dabei liegt der Schwerpunkt des Konzeptes auf der Parallelität von Pflege und Berufstätigkeit.[2]

Weiterer Handlungsbedarf - Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen

Die Richtlinie (EU) 2019/1158 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU des Rates ist am 1. August 2019 in Kraft getreten. Sie ist von den Mitgliedstaaten bis zum 2. August 2022 in nationales Recht umzusetzen.

Allerdings legt die Richtlinie 2019/1158 auch individuelle Rechte fest und zwar in Bezug auf die Arbeitsfreistellung für Väter oder gleichgestellte zweite Elternteile anlässlich der Geburt eines Kindes zum Zweck der Betreuung und Pflege, die Arbeitsfreistellung von Eltern anlässlich der Geburt oder Adoption eines Kindes zur Betreuung dieses Kindes (siehe u.a. Nummer 11, 16, 23, 30, 37 der EU-Vereinbarkeitsrichtlinie).

Aus Sicht der BAGFW kann daher die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1158 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU des Rates auch mit dem vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht als abgeschlossen gelten und bedarf einer weiteren gesetzlichen Umsetzung.

Im Koalitionsvertrag wurde als familienpolitisches Ziel die Einführung einer zweiwöchigen vergüteten Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes festgeschrieben.

Die BAGFW unterstützt mit Nachdruck diese verbindliche (mindestens)10-tägige bezahlte (Elternzeit-) Freistellungsregelung für den Vater/den zweiten gleichgestellten Elternteil rund um den Zeitpunkt der Geburt. Diese Regelungen könnten eine frühe und enge Bindung des Vaters zum Kind, die Unterstützung der Mutter rund um die Geburt und die partnerschaftliche Verteilung von familiären und beruflichen Aufgaben in der Familie fördern.

Entgegen dem Antrag der Abgeordneten Gökay Akbulut, Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, Ates Gürpinar, Jan Korte, Pascal Meiser, Sören Pellmann, Heidi Reichinnek, Dr. Petra Sitte, Jessica Tatti, Kathrin Vogler und der Fraktion Die Linke, das bestehende Mutterschutzgesetz zu einem Elternschutzgesetz weiterzuentwickeln und darin einen Rechtsanspruch auf Elternschutz festzuschreiben, hält die BAGFW eine Verortung bzw. Verankerung des Rechtsanspruches auf eine vergütete Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) für sachgerecht. Denn die erklärten Ziele des BEEG sind zum einen die Gewährung eines finanziellen Schonraums im ersten Lebensjahr eines Kindes, damit sich Familien in dieser Zeit in ihr Familienleben hineinfinden und der Betreuung ihrer Kinder widmen können. Zum zweiten soll das Elterngeld durch die Ausgestaltung als Lohnersatzleistung beiden Elternteilen eine wirtschaftliche Selbstständigkeit ermöglichen wie auch vor einer Kündigung schützen. Drittens wird als explizites Ziel im BEEG formuliert, dass die Teilhabe an Beruf und Familie von Frauen und Männern verbessert werden sollte. Durch das Mutterschutzgesetz als wichtiges Arbeitsschutzgesetz soll dagegen in erster Linie die Gesundheit der Frau und ihres Kindes am Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplatz während der Schwangerschaft, nach der Entbindung und in der Stillzeit geschützt werden. Eine Regelung im Mutterschutzgesetz ist daher nicht sachgerecht.

Zu Artikel 4

Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wird für Fragen im Zusammenhang mit Diskriminierungen, die unter die Richtlinie (EU) 2019/1158 fallen, als zuständig bestimmt.
Die BAGFW begrüßt, dass auch Eltern oder pflegende Angehörige unter den Schutz der Antidiskriminierungsstelle des Bundes fallen sollen und damit ihr Schutz vor Schlechterstellung durch Beantragung oder Inanspruchnahme ihrer Rechte erhöht wird.

Abschließende Bemerkung

In der EU Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben werden wichtige Mindeststandards definiert. Mit den in dem vorliegenden Gesetzentwurf formulierten Regelungen werden nun weitere Rahmenbedingungen zur Absicherung und Versorgung von Kindern und von pflegebedürftigen Angehörigen sowie von erwerbstätig Pflegenden geschaffen.

Zur Absicherung der Versorgung pflegebedürftiger Menschen sowie zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf sowie zur Unterstützung von Familien, wenn sie sich Erwerbs- und Familienarbeit partnerschaftlich aufteilen wollen, werden diese Mindeststandards jedoch nicht ausreichen. Nach Ansicht der BAGFW sollten deshalb Regelungen bezüglich der Nicht-Übertragbarkeit von Elterngeldmonaten (Nummer 20) der EU-Vereinbarkeitsrichtlinie aufgenommen werden sowie die Empfehlungen des Unabhängigen Beirats für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf insbesondere zur Familienpflegezeit und zum Familienpflegegeld.

 

Berlin, 01.11.2022

Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V.

Dr. Gerhard Timm

Geschäftsführer

 

Kontakt:

Ulrike Gebelein (ulrike.gebelein@diakonie.de)

 


[1] Nach Angaben des BAFzA sind im Jahr 2021 217 Anträge (von 132 Frauen und 85 Männer) und in 2022 (Stand März 2022) 72 

   Anträge (45 Frauen und 27 Männer) auf Bewilligung des zinslosen Darlehens eingegangen.

[2] Teilbericht des unabhängigen Beirats für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf (zweite Berichtsperiode); Stand 1.7.2022