BAGFW-Fachtagung "Vom Betreuungsverein zum Kompetenzzentrum"

Dokumentation der Debatte des Fachtags der BAGFW am 10.10.2013 in Kassel Vom Betreuungsverein zum Kompetenzzentrum

Auf die vielschichtigen Veränderungen in unserer Gesellschaft muss die Politik in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Antworten finden. Auswirkungen auf die rechtliche Betreuung und damit auch auf die Arbeit der Betreuungsvereine sind die Folge.

Der demographische Wandel und die Auswirkungen der UN-Behindertenrechtskonvention werden die Betreuungsbedarfe und –angebote insgesamt verändern. Die wirtschaftliche Entwicklung und verschiedene Reformvorhaben (z. B. die Eingliederungshilfe) haben direkte Auswirkung auf die Inhalte der rechtlichen Betreuung. Die Anforderungen an die rechtliche Betreuung und an die Vorsorgemöglichkeiten sind ständig im Wandel. Dies sind nur einige Herausforderungen, denen sich die Betreuungsvereine aktiv stellen müssen. Bei größer werdenden Aufgaben wurde allerdings der Blick auf die Finanzierung der Betreuungsvereine in den vergangenen Jahren vernachlässigt.

Die Betreuungsvereine sehen in den aktuellen Entwicklungen neben den erschwerten Bedingungen aber auch Chancen für das Arbeitsfeld. Sie sind mit ihren Fachkenntnissen und Erfahrungen Kompetenzzentren für die Bürger vor Ort geworden und geben auf die zentralen gesellschaftlichen Fragen und Herausforderungen Antworten.

Die gemeinnützigen Vereine, die Betreuungen für hilfsbedürftige Menschen übernehmen, sind Teil des dritten Sektors. Sie nehmen durch ihre Tätigkeit auch Aufgaben der staatlichen Wohlfahrtspflege wahr. Ihre Tätigkeit besitzt eine nicht zu unterschätzende öffentliche Bedeutung, nicht zuletzt, weil sie zu einer wirksamen Entlastung der öffentlichen Träger, insbesondere der Kommunen, führt.

Die Dokumentation der Beiträge finden Sie am Ende des Textes.

Schlussfolgerungen für eine Reform der rechtlichen Betreuung

Die Teilnehmenden des Fachtags analysierten im Rahmen der World-Café-Methode die aktuelle Situation der Praxis der rechtlichen Betreuung und leiteten daraus die nachstehend zusammengefassten Schlussfolgerungen für eine Reform der rechtlichen Betreuung ab.

  1. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege tragen seit der grundlegenden Gesetzesreform von 1992 mit ihren Betreuungsvereinen wesentlich dazu bei, den Geist und Inhalt des Betreuungsgesetzes in die rechtliche, soziale und gesellschaftliche Wirklichkeit umzusetzen.
    Betreuungsvereine erfüllen zwei wichtige Aufgaben für die Allgemeinheit. Sie führen selbst rechtliche Betreuungen und erfüllen die vom Gesetzgeber in § 1908f BGB formulierten Querschnittsaufgaben. Ihre spezielle Aufgabe ist die Stärkung des Ehrenamtes durch die Gewinnung, Beratung und Fortbildung von ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuern sowie die Information über Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen.
    Den Betreuungsvereinen kommt insoweit eine Schlüsselrolle zu.
  2. Unsere Betreuungsvereine arbeiten mit qualifiziertem Fachpersonal und sichern eine kontinuierliche Qualitätsentwicklung. Die Vereine reagieren flexibel und innovativ auf neue Herausforderungen und stellen sich diesen auch in  der Zukunft. Ihre Arbeit fußt auf Leitlinien und Qualitätsstandards. Sie bietet allen ehrenamtlichen und beruflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Betroffenen und deren Angehörigen eine Identifikationsmöglichkeit.
    In der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren im Betreuungswesen erweisen sie sich als verlässliche Kooperationspartner. Unsere Betreuungsvereine werden hierbei durch die Mitgliedsverbände der BAGFW unterstützt.
  3. Das Ehrenamt als gesetzliche Betreuerin oder Betreuer stellt Familienangehörige wie auch nicht zur Familie der betreuten Person gehörende Personen vor große Herausforderungen, die oft im Verborgenen überwunden werden.
    Das Ehrenamt verlangt ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und Wissen. Um die Ehrenamtlichen bestmöglich zu unterstützen, benötigen die Betreuungsvereine die entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen.
  4. Bei der Bezahlung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter orientieren sich die Betreuungsvereine in der Regel an bestehenden Tarifsystemen wie dem TVöD.  Deshalb ergibt sich eine immer größer werdende Diskrepanz zwischen Kosten und Refinanzierung. „Aufgefangen“ werden kann diese Diskrepanz für die Betreuungsvereine derzeit nur durch eine sukzessive Veränderung des Betreuungsschlüssels nach oben. Dass dies langfristig keine Lösung für die Betroffenen, die Mitarbeitenden und den Arbeitgeber sein kann, ist offensichtlich.
     
  5. Die bei Einführung der Kostenpauschalen zu deren Berechnung vom Gesetzgeber zugrundegelegte Mischkalkulation führt nicht mehr zu „auskömmlichen“ Vergütungen (Einnahmen?), weil sich in der Zwischenzeit wesentliche Aspekte geändert haben:
    • Der Aufwand pro Betreuungsfall hat sich in den letzten Jahren aufgrund einer stärkeren Verrechtlichung aller Vorgänge und der zunehmenden Bürokratisierung erhöht.
    • Die Anzahl der psychisch kranken – vor allem jungen – Menschen, die einen erhöhten Betreuungsaufwand haben, ist gestiegen.
    • Die Betreuung alter Menschen, die zunehmend ambulant in ihrer Wohnung gepflegt werden wollen – was Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen ist und auch vom Gesetzgeber zur Eindämmung der stationären Versorgungskosten gewünscht wird – ist wesentlich aufwändiger als die Betreuung von Menschen, die in einem Senioren- oder Pflegeheim leben.

      Diese Entwicklungen führen dazu, dass die vom Gesetzgeber vorgegeben Vergütungen bei weitem nicht mehr auskömmlich sind. Eine Konsequenz ist die massive Unterfinanzierung vieler Betreuungsvereine; einzelne Vereine mussten bereits Insolvenz anmelden und ihre Tätigkeit einstellen.

      Ein guter Betreuungsverein macht mehr als er sich eigentlich leisten kann.

  6. Damit die Betreuungsvereine ihre Aufgaben auf Dauer und mit Erfolg überhaupt wahrnehmen können, bedarf es einer langfristig gesicherten, auskömmlichen Finanzierung. Eine Erhöhung und die Festschreibung der Dynamisierung der Vergütungspauschalen ist zwingend erforderlich.

    Eine Stärkung der Querschnittsarbeit und die Sicherstellung ihrer Qualität setzt voraus, dass von Seiten der Kommunen und Länder die hierfür notwendigen finanziellen Ressourcen bereitgestellt werden, wie dies auch im Abschlussbericht der Interdisziplinären Arbeitsgruppe zum Betreuungsrecht des Bundesministeriums der Justiz gefordert wird.