Stellungnahme der BAGFW zum Bericht 2005 "Die Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" (Zwischenbericht Hartz I-III)

Der Bericht 2005 "Die Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt", in dem die Ergebnisse der ersten drei Hartz-Gesetze dargestellt und erläutert werden, ist am 1. Februar im Bundeskabinett und am 9. Februar im Deutschen Bundestag beraten worden.

Der Bericht 2005 "Die Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt", in dem die Ergebnisse der ersten drei Hartz-Gesetze dargestellt und erläutert werden, ist am 1. Februar im Bundeskabinett und am 9. Februar im Deutschen Bundestag beraten worden.

 

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) begrüßt, dass die Bundesregierung dem Evaluationsauftrag, den der Deutsche Bundestag im Jahr 2002 formuliert hat, so umfassend nachgekommen ist. Der Bericht bietet eine Grundlage für die notwendige Debatte sowohl über die Wirksamkeit und das Zusammenwirken der arbeitsmarktpolitischen Instrumente als auch über deren Bedeutung und Zielsetzung.

 

Wir kritisieren jedoch, dass die Bewertung der Instrumente aufgrund der Aussagen in der Koalitionsvereinbarung unter der Vorgabe von Kostensenkungen erfolgt. Wir befürchten, dass die Evaluationsergebnisse vornehmlich dazu verwendet werden, um weitere Kürzungen im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit (BA) vorzunehmen.

 

Uns ist bewusst, dass das vorliegende Dokument nur einen Zwischenstand widerspiegelt und endgültige Ergebnisse erst für das Jahresende erwartet werden. Trotzdem sind wir der Meinung, dass der Bericht große Aufmerksamkeit verdient. Erstens wird der Abschlussbericht voraussichtlich die Ergebnisse oder zumindest die nun aufgezeigten Tendenzen in den meisten Fällen bestätigen. Zweitens zeichnet sich ab, dass die politische Debatte über die aktive Arbeitsmarktpolitik bereits in vollem Gange ist und der Zwischenbericht auch trotz seines offiziell vorläufigen Charakters häufig zur Argumentation herangezogen wird. Auch die Bundesregierung selbst spricht davon, dass sich in einzelnen Punkten bereits heute Handlungsbedarf ergebe; z. T. sind entsprechende Gesetzesvorhaben sogar bereits abgeschlossen. Diese Realität nehmen wir zur Kenntnis; daher möchten wir uns im Folgenden zu einzelnen, für die BAGFW und unsere Zielgruppen relevanten Aspekten äußern.

 

 

 

Zur Neuausrichtung der Bundesagentur für Arbeit

 

·         Kundengruppen und Handlungsprogramme

 

Die Arbeitsweise der BA orientiert sich an Handlungsprogrammen, die jeweils bestimmten Kundengruppen ("Marktkund/-innen", "Beratungskund/-innen Aktivieren" und "Fördern" sowie "Betreuungskund/-innen") zugeordnet sind. Dies kann ein hilfreiches Vorgehen sein, um die vorhandenen Instrumente passgenau einzusetzen. Allerdings ist der Untersuchungszeitraum, der der Evaluation zugrunde liegt, viel zu kurz, um endgültige Aussagen über die Wirkung von Handlungsprogrammen und Kundengruppen zu treffen. Es zeigt sich jedoch bereits heute, dass die Kundendifferenzierung zu starr ist und der Grad der Differenzierung zu niedrig. Die von uns eingeforderte Passgenauigkeit der Leistungen kann so nicht erzielt werden. Folgerichtig ist dann die Kritik am Einsatz der Handlungsprogramme. Ungeklärt ist für uns nach wie vor das Verhältnis zwischen der dahinter stehenden betriebswirtschaftlichen Logik und dem sozialpolitischen Auftrag, den aktive Arbeitsmarktpolitik unzweifelhaft hat. Die Konzentration der BA-Bemühungen auf die Beratungskund/-innen Fördern und das gleichzeitige Ausgrenzen derjenigen, die Betreuung am nötigsten hätten, muss zwingend korrigiert werden. Hier weist der Bericht deutlich auf die Gefahr hin, "dass das Ziel einer frühzeitigen Intervention zur Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit und damit zur Minimierung von Kosten für die gesamte Volkswirtschaft sowie weitere ... sozialpolitische Ziele aus dem Blickfeld der Bundesagentur für Arbeit geraten“ (S. X, Kurzfassung der Ergebnisse sowie S. 66).

 

Es ist nicht hinzunehmen, dass notwendige präventive Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik im Rechtskreis des SGB III nicht bereitgestellt werden und infolgedessen sich verfestigende Probleme der Langzeitarbeitslosigkeit im nachgelagerten System der Grundsicherung aufgefangen werden müssen.

 

Sehr problematisch ist aus unserer Sicht auch der Aussteuerungsbetrag, der dazu führt, dass sich die SGB III-Mittel nur noch auf diejenigen Gruppen konzentrieren, bei denen man glaubt, durch Maßnahmen die Zahlung des Aussteuerungsbetrages verhindern zu können.

Wir verweisen auch auf die Aussage im Evaluationsbericht, dass hier das „Risiko eines neuen Verschiebebahnhofs zwischen SGB III und SGB II“ besteht (S. 66).

 

·         Vergabepraxis

 

Der Zentralisierung von Einkaufsprozessen und der daraus folgenden Vergabepraxis räumt der Bericht relativ wenig Raum ein. Dies bedauern wir. Wir nehmen allerdings mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis, dass die Vergabepraxis kritisch bewertet wird. Dies betrifft sowohl die Qualitätsstandards der Maßnahmen als auch die mangelnde Flexibilität der Ausschreibungen und den erhöhten Koordinationsaufwand zwischen Agenturen für Arbeit und Regionalen Einkaufszentren der BA. Nach unseren Erfahrungen hat die Ausschreibungspraxis negative Folgen für die Qualität der Maßnahmen, die Integrationschancen der Arbeitssuchenden und die lokalen Trägerstrukturen. Wir erwarten von der Bundesregierung, auf unverzügliche Korrekturen an den Ausschreibungen der BA hinzuwirken und Alternativen zu Ausschreibungsverfahren zu unterstützen.

Zu einzelnen Instrumenten

 

·         Minijobs

 

Unbestritten haben die Minijobs zu einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes geführt. Diese Flexibilisierung führt, wie zu erwarten war, allerdings nicht zu einem Zuwachs sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung – im Gegenteil: Der Bericht wirft die Frage auf, ob eine Verdrängung stattgefunden hat. Kritisch zu sehen sind auch die im Evaluationsbericht genannten negativen Auswirkungen auf Frauen, so etwa die Gefahr einer dauerhaften Abhängigkeit vom männlichen Haupternährer. Es ist unserer Auffassung nach dringend notwendig, diese kritischen Aspekte in der weiteren Forschungsarbeit zu überprüfen und soweit notwendig unverzüglich politische Konsequenzen zu ziehen.

 

·         Ich-AGs und Überbrückungsgeld

 

Auf den ersten Blick sind sowohl Ich-AGs als auch das Überbrückungsgeld als Erfolg zu bewerten. Allerdings muss man sich vor Augen führen, dass der Erfolg, im Unterschied zu den anderen Instrumenten, nicht an der Integration in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gemessen wird. So gut wie keine Aussagen werden zudem darüber gemacht, über welche Einnahmen die Existenzgründer/-innen tatsächlich verfügen. Außerdem führen unseren Erfahrungen nach gescheiterte Ich-AGs die Betroffenen in massive Verschuldungssituationen. Bei der Bewertung der Ich-AGs kommt hinzu, dass die meisten Förderfälle zum Zeitpunkt der Evaluation noch nicht beendet waren, d.h. realistische Aussagen noch nicht getroffen werden können.

Allerdings gibt es Anzeichen dafür, dass Neugründungen nahezu so überlebensfähig sind wie Gründungen aus Nicht-Arbeitslosigkeit heraus. Dies berechtigt zur Hoffnung. Bei der angekündigten Zusammenfassung der Instrumente sollten diese Aspekte unbedingt berücksichtigt werden. Insbesondere die Frage nach dem Rechtsanspruch auf die Leistung sollte breit diskutiert werden. Wir plädieren für einen Rechtsanspruch, der allerdings an enge Kriterien (Existenzgründerberatung, Vorlage eines qualifizierten Businessplans etc.) geknüpft ist.

 

·         Personal-Service-Agenturen (PSA)

 

Die Bilanz der PSA ist ernüchternd. Wir begrüßen, dass dies bereits von den politisch Verantwortlichen zur Kenntnis genommen worden ist und entsprechende gesetzliche Änderungen vorgenommen worden sind. Allerdings werden in dem Bericht auch Kriterien für ein erfolgreiches Betreiben einer PSA genannt. Hier zeigt vielleicht der Endbericht, wie man die demnach durchaus vorhandenen Möglichkeiten von PSA-Beschäftigung positiv nutzen kann.

 

·         Eingliederungszuschüsse

 

Die Förderwirkung der Eingliederungszuschüsse wird als relativ hoch eingeschätzt. Problematisch ist hierbei nach unserer Auffassung, dass dieses Instrument vermutlich hohe Mitnahmeeffekte aufweist. Hierzu macht der Bericht leider wenig Aussagen. Auch hier hoffen wir auf vertiefende Aussagen im Endbericht, die möglicherweise auch die Debatte um die Einführung eines Kombilohn-Modells bereichern könnten.

 

·         Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM)

 

Bei der Untersuchung der Wirksamkeit von ABM sind neben der Integration in Beschäftigung weitere Kriterien (Beschäftigungsfähigkeit, psychosoziale und gesundheitliche sowie berufsfachliche Dimension) zugrunde gelegt worden. Dies begrüßen wir ausdrücklich. Die Ergebnisse machen aber auch deutlich, dass den Arbeitssuchenden im Anschluss an eine ABM weitergehende Förderperspektiven angeboten werden müssen, damit sich ihre psychosoziale Lage dauerhaft stabilisiert. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege fordern eine Verstetigung der öffentlich geförderten Beschäftigung. Dabei müssen neben ABM und Zusatzjobs sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen in arbeitsmarktnahen Betätigungsfeldern in viel stärkerem Maße als bisher angeboten werden. Dies eröffnet nach unseren Erfahrungen auch bessere Integrationschancen als ABM, die auf Tätigkeitsfelder beschränkt werden müssen, die im öffentlichen Interesse und zusätzlich sind.

 

·         Förderung beruflicher Weiterbildung

 

Mit Sorge beobachtet die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege den starken Rückgang der Zahl der Teilnehmer/innen an der geförderten beruflichen Weiterbildung, der auf die Einführung einer prognostizierten Verbleibsquote von 70 % für die Zulassung von Maßnahmen und einer möglichst hohen individuellen Eingliederungswahrscheinlichkeit zurückzuführen ist. Zu Recht wird in dem Endbericht darauf hingewiesen, dass diese Bestenauswahl (Creaming) vor allem zu Lasten der beruflichen Weiterbildung von schlechter qualifizierten, älterer, allein erziehender, behinderter oder wenig mobiler Personen, Personen mit Sprachschwierigkeiten und Langzeitarbeitslosen geht. Gerade diese Personengruppen bedürfen jedoch schon zu Beginn ihrer Arbeitslosigkeit einer effektiven Förderung nach dem SGB III, da ihre Vermittlungschancen mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit rapide sinken. Eine Verschiebung dieser Personen ins SGB II ist nicht gerechtfertigt.

 

·         Beauftragung von Trägern mit Eingliederungsmaßnahmen

 

Seit 2003 können die Arbeitsagenturen auf der Grundlage des § 421 i SGB III Träger mit Eingliederungsmaßnahmen beauftragen.

 

Wir nehmen zustimmend zur Kenntnis, dass sich dieses Instrument nach ersten Einschätzungen bewährt hat und auf der Grundlage des Fünften Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch fortgesetzt wird.

 

·         Instrumente für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

 

Die meisten Instrumente für ältere Arbeitnehmer/-innen sind sowohl Betrieben als auch Agenturen nahezu unbekannt. Von daher ist hier die Aussagekraft des Evaluationsberichts nur begrenzt.

 

 

Der Beitragsbonus könnte sich insbesondere vor dem Hintergrund der vergleichsweise einfachen Handhabung zu einem wirksamen Instrument entwickeln. Hier sollte die Arbeitsverwaltung ihre Öffentlichkeitsarbeit deutlich verstärken.

 

Die Entgeltsicherung weist offenbar große Mitnahmeeffekte auf. Hier stellt sich die Frage nach einer adäquaten Ausgestaltung des Instrumentes. Wir gehen davon aus, dass dieses Instrument im Rahmen der Kombilohn-Debatte diskutiert werden wird.

 

Die erleichterte Befristung wird so gut wie nicht in Anspruch genommen. Da dieses Instrument ebenfalls einfach zu handhaben ist, vermuten wir die Ursache in der mangelnden Information. Hier sollten die Bemühungen deutlich verstärkt werden. Denn unserer Auffassung nach bietet die erleichterte Befristung jedem Unternehmen eine Brücke, den Personalbedarf durch die Einstellung älterer Arbeitssuchender zu decken. Wir begrüßen, dass die Bundesregierung mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Dritten Sozialgesetzbuches die Instrumente zur Förderung älterer Arbeitnehmer verlängert und einer weiteren Erprobung zuführt. Für ein Gelingen ist es aber unabdingbar notwendig, dass in der BA entsprechende Ressourcen zur Umsetzung der Instrumente vorgehalten werden.

 

Wir fordern die Bundesregierung außerdem dazu auf, ein Gesamtkonzept für die Integration älterer Arbeitnehmer/-innen vorzulegen. Dieses Konzept ist nicht nur aus arbeitsmarktpolitischer Sicht, sondern vor dem Hintergrund der aktuellen Entscheidungen zur Rente auch aus gesellschaftspolitischer Sicht von großer Relevanz.

 

Abschlussbemerkung

 

Vom Endbericht erwartet die BAGFW, dass die Ergebnisse des Zwischenberichtes nachvollziehbar überprüft werden und Forschungsmängel behoben werden.

 

Darüber hinaus halten wir es für zwingend notwendig, nicht nur einen statistischen Status Quo abzubilden, sondern auch Handlungsempfehlungen auszusprechen. Für uns sollten dabei Aussagen zum Nutzen aktiver Arbeitsmarktpolitik, etwa mit Blick auf die Verbesserung von Beschäftigungsstruktur und Beschäftigungsfähigkeit sowie die soziale Stabilisierung im Vordergrund stehen. Hierbei sollte auch die Frage nach dem Verhältnis von Beitragsmitteln aus dem Kreise der Versicherten und Steuermitteln diskutiert werden.

 

Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich, dass der Fokus der Evaluation in der Regel auf die Integration ins Erwerbsleben gerichtet war. Die oben genannten Faktoren sowie ein Blick auf Erwerbsverläufe sollten dringend mehr in den Blick genommen werden. Dies gilt – soweit noch möglich – sowohl für den Endbericht als auch vor allem für die Evaluation von Hartz IV.

 

 

 

Projektgruppe "Arbeitsmarktpolitik und Arbeitslosigkeit"

13.03.2006