Stellungnahme der BAGFW zum Entwurf der Gemeinsamen Empfehlung „Begutachtung“ der BAR

Nach § 13 SGB IX vereinbaren die Rehabilitationsträger nach § 6 Abs. 1 bis 5 SGB IX auf Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) Gemeinsame Empfehlungen. Die BAR hat einen Vorschlagsentwurf zur Gemeinsamen Empfehlung „Begutachtung“ vorgelegt. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege möchten im Rahmen des Beteiligungsverfahrens (gemäß § 13 Abs. 6 SGB IX) die Gelegenheit nutzen, zu einigen wesentlichen Punkten Stellung zu beziehen und Anregungen zu geben.

 

 

1)    Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts

 

Nach § 14 Abs. 5 SGB IX benennt der Rehabilitationsträger in der Regel drei wohnortnahe Sachverständige. Haben sich Leistungsberechtigte für einen Sachverständigen entschieden, wird diesem Wunsch Rechnung getragen. Ein Hinweis auf diese Regelung fehlt in den Empfehlungen, während andere Verweise auf Vorschriften des SGB IX enthalten sind. Mit Blick auf die Partizipation von Menschen mit Behinderung sollte klargestellt werden, dass auch der Leistungsberechtigte selbst einen Vorschlag für eine/-n Gutachter/-in unterbreiten kann, dem Rechnung zu tragen ist. Daher schlagen wir vor, eine entsprechende Regelung in einem neuen Absatz 1 im § 2 aufzunehmen.

 

 

2)    Fehlende Empfehlung zu Fristen für Gutachtenerstellung:

 

Die Praxis hat gezeigt, dass bei der Erstellung von Gutachten die Fristen nach § 14 SGB IX oftmals überschritten werden. Ohne Fristen zur Erstellung eines Gutachtens besteht die Gefahr, dass Verfahren zur Bedarfsermittlung und zur Gewährung von Leistungen zur Rehabilitation aufgrund eines noch ausstehenden Gutachtens für Leistungsberechtigte in unzumutbarer Weise zeitlich gestreckt werden und sich Reha-Bedarfe während dieser Zeit noch erhöhen. Deshalb sollte in § 2 Abs. 6 eine Empfehlung für Fristen zur Erstellung von Gutachten aufgenommen werden.

 

 

3)    Erstellung durch ärztliche Sachverständige

 

Das Gutachten soll durch ärztliche Sachverständige erstellt werden. Die relevanten sozialmedizinischen Sachverhalte sollen transparent und der Fragestellung entsprechend dargestellt werden. Mit Blick auf das bio-psychosoziale Modell der ICF sollte die Begutachtung nicht nur von ärztlichen Sachverständigen erfolgen. Für die verschiedenen Belange sind unterschiedliche Berufsgruppen notwendig. Schon heute erfolgt die Diagnostik und Behandlungsplanung in der Frühförderung von unterschiedlichen Berufsgruppen, allerdings unter ärztlicher Verantwortung. Auch in der Pflegeversicherung (auch wenn diese kein Reha-Träger ist) hat sich die Einbeziehung von Krankenschwestern, also nichtärztlichen Berufsgruppen, bewährt. Deshalb schlagen wir vor, auch nichtärztliche Berufsgruppen unter ärztlicher Verantwortung zu beteiligen.

 

 

4)    Psychologische Diagnostik und Sozialanamnese

 

§ 4 Abs. 3b empfiehlt die Mitteilung psychischer Auffälligkeiten unabhängig vom jeweiligen Fachgebiet. Psychologische Diagnostik kann jedoch nur durch qualifizierte Fachkräfte erfolgen.

 

Des Weiteren sollte die Sozialanamnese durch einschlägig qualifiziertes Fachpersonal (Sozialpädagogen) und nicht von medizinischen Fachkräften vorgenommen werden. Die Empfehlungen sind hier entsprechend anzupassen.

 

 

5)    Habilitation und Rehabilitation

 

Auffällig ist, dass ausschließlich der Begriff Rehabilitation verwendet wird. Mit Blick auf die Umsetzung des biopsychosozialen Modells und dem Verweis auf Teilhabe gem. § 4 SGB IX, sollte auch das Modell der Befähigung entsprechend dem Artikel 26 UN-Behindertenrechtskonvention Beachtung bei dieser Empfehlung finden.

 

 

6)    Keine Einschränkung beim Hinzuziehen einer Begleitperson

 

Laut § 2 Abs. 5 der Empfehlung kann vom Betroffenen eine "Begleitperson" hinzugezogen werden, soweit sie die Begutachtung nicht beeinträchtigt. Für die BAGFW stellt sich die Frage, wer entscheidet, wann eine Beeinträchtigung der Begutachtung vorliegt. Des Weiteren stellt sich die Frage, warum der Begriff "Begleitperson" verwendet wird. Aus Sicht der BAGFW kann es sein, dass der Leistungsberechtigte eine Assistenz und damit eine persönliche Begleitperson zur Unterstützung oder eine Person des Vertrauens hinzuzieht. Allerdings obliegt diese Entscheidung ausschließlich der Person selbst und darf nicht von der begutachtenden Institution getroffen werden. Auch das ist z. B. bei der Begutachtung der Pflegebedürftigkeit durch die Pflegekassen üblich.

 

Mit der Einbeziehung einer Begleitperson oder Person des Vertrauens wird zum einem Barrierefreiheit sichergestellt, zum anderen wird der Leistungsberechtigte gestärkt und Transparenz in den Begutachtungsverfahren hergestellt. Daher schlagen wir vor, die Formulierung „soweit sie die Begutachtung nicht beeinträchtigt“ zu streichen.

 

 

 

 

7)    Übermittlung von Gutachten an Leistungsberechtigte

 

Es ist begrüßenswert, dass die gutachterliche Stellungnahme auf Basis der ICF erstellt werden soll. Allerdings dürfen Gutachtenergebnisse nicht ausschließlich in den abstrakten numerischen Kodes der ICF dargestellt werden.

 

Bedauerlicherweise fehlen in den Ausführungen Empfehlungen zur Art und Weise, wie Gutachten den Leistungsberechtigten in geeigneter Form zugänglich gemacht werden können. Über Inhalte und Ergebnisse von Begutachtungen muss insbesondere gegenüber dem Anspruchsberechtigten große Transparenz herrschen. Anspruchsberechtigte haben ein Recht auf Aushändigung von Inhalten und Ergebnissen der Gutachten. Mit Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention darf das nicht mehr nach dem Motto "ohne uns über uns" geschehen. Deshalb sollte aufgenommen werden, dass dem Leistungsberechtigten das Gutachten auf Wunsch zur Verfügung zu stellen ist und im Rahmen der Begutachtung darüber zu informieren ist.