Positionspapier für eine Gesetzesänderung im Betreuungswesen – hier Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG)

Für beruflich geführte rechtliche Betreuungen erfolgte im Jahr 2005 eine grundlegende Änderung des Vergütungssystems: Anstelle der minutengenauen Abrechnung einzelner Tätigkeiten führte der Gesetzgeber ein pauschales Vergütungssystem ein. Im Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG) wurde für rechtliche Betreuerinnen und Betreuer mit einer Hochschulausbildung ein Stundensatz von 44,00 € eingeführt. (Für Betreuerinnen und Betreuer ohne Hochschulausbildung entsprechend abgestuft.)
Vergütungssätze der beruflich geführten Betreuungen

 

Für beruflich geführte rechtliche Betreuungen erfolgte im Jahr 2005 eine grundlegende Än- derung des Vergütungssystems: Anstelle der minutengenauen Abrechnung einzelner Tätig- keiten führte der Gesetzgeber ein pauschales Vergütungssystem ein. Im Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG) wurde für rechtliche Betreuerinnen und Betreuer mit einer Hochschulausbildung ein Stundensatz von 44,00 € eingeführt. (Für Betreuerinnen und Be- treuer ohne Hochschulausbildung entsprechend abgestuft.)

 

 

 

Die 2005 eingeführte pauschale Vergütung für die Führung von rechtlichen Betreuun- gen ist im VBVG festgeschrieben und wurde seitdem nicht mehr erhöht! In der Praxis zeigt sich: Dieses Finanzierungsmodell deckt die tatsächlichen Kosten nicht mehr. Die Ver- eine arbeiten zunehmend defizitär.

 

Durch die kontinuierlich fortschreitende Schwächung der Vereine werden langfristig erhebli- che Probleme im gesamten Betreuungswesen entstehen und die öffentlichen Haushalte zu- sätzlich belastet. Einige Träger haben den Betreuungsbereich aufgeben müssen. Andere haben sich zwischenzeitlich mit der Erhöhung der Fallzahlen pro Mitarbeiter geholfen. Das geht zu Lasten der Betreuten und steht nicht im Einklang mit den Zielen des Betreuungs- rechts.

 

In den Betreuungsvereinen der Freien Wohlfahrtspflege werden zur Sicherung der Qualität der Betreuungsführung vornehmlich Sozialarbeiter/Sozialpädagogen eingestellt. Unsere Vereine sind dabei an tarifliche Bedingungen gebunden. In den letzten Jahren musste eine über 15 %ige Personalkostenerhöhung (beispielhaft nach TVÖD [Tarifvertrag für den öffent- lichen Dienst]) verkraftet werden.

 

Um kostendeckend arbeiten zu können, benötigen die Vereine derzeit eine Stundenpauscha- le von mindestens 52,-- € für Betreuer in der höchsten Vergütungsstufe.

 

Die Vergütungspauschalen der beruflichen Betreuung müssen der allgemeinen Lohn- entwicklung angepasst werden. Sachgerecht ist es, wenn die Vergütung der beruflichen Betreuer langfristig z. B. auf dem Verordnungswege oder durch eine Dynamisierung entlang eines geeigneten Indexes (z.B. TVÖD oder Nominallohnindex) erfolgen kann. Übergangs- weise sollten die Vergütungssätze durch Änderung des § 4 Vormünder- und Betreuervergü- tungsgesetz (VBVG) den Personal- und Sachkostenerhöhungen angepasst werden durch

die Erhöhung der Vergütung in Absatz 1, Ziffer 2 auf insgesamt 52,00 € für Hochschulabsol- venten.

 

Wir schlagen vor, § 4 VBVG wie folgt zu fassen:

 

§ 4

Stundensatz und Aufwendungsersatz des Betreuers

(1) Die dem Betreuer nach § 1 Abs. 2 zu bewilligende Vergütung beträgt für jede nach

§ 5 anzusetzende Stunde 32 Euro. Verfügt der Betreuer über besondere Kenntnisse, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind, so erhöht sich der Stundensatz

1.         auf 40 Euro, wenn diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Lehre oder eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind;

2.         auf 52 Euro, wenn diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Ausbil- dung an einer Hochschule oder durch eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind.

(2) Die Beträge nach Absatz 1 werden jährlich zum 1. Juli, erstmals zum 1. Juli 20…, angepasst. Grundlage ist die Entwicklung des vom Statistischen Bundesamt ermittel-

ten Nominallohnindex. Das Bundesministerium für Justiz und für Verbraucherschutz gibt die maßgebenden Beträge rechtzeitig im Bundesgesetzblatt bekannt.

 

Hinweis: Die bis Mitte letzten Jahres bestehende umsatzsteuerliche Besserstellung von Betreuungsvereinen gegenüber selbständigen Berufsbetreuern wurde zum 1.7.2013 gesetzlich aufgehoben. Ursprünglich diente die unterschiedliche umsatzsteuerliche Be- handlung der Förderung der Vereinsarbeit durch Bundesmittel. In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts vom 16.2.2005 (BT-Drucksache 15/4874) wird dies ausdrücklich hervor- gehoben (Seite 31):

 

Soweit der Betreuungsverein, der gemäß § 1 Abs. 2 in Verbindung mit § 7 ebenfalls eine Vergütung nach den §§ 4 und 5 erhält, eine niedrigere Umsatzsteuer als ein freiberuflicher Betreuer zu entrichten hat, ist dieser Vorteil vom Gesetzgeber gewollt. Auf diese Weise sollen die Betreuungsvereine eine gezielte Förderung erhalten.“

 

Eine spezielle Förderung der Vereinsarbeit durch Bundesmittel, wie vorher durch die um- satzsteuerliche Begünstigung, ist wiederherzustellen.

 

Die Sicherung der Betreuungsvereine ist nur möglich über eine auskömmliche Finanzierung der Vereine als Ganzes – mit ihrem Auftrag der beruflichen Betreuungsführung und ihrem Auftrag der Querschnittsarbeit.

 

Wir bitten daher dringend um eine nachträgliche Erhöhung der Vergütungspauschalen sowie die Anpassung dieser Pauschalen an den Nominallohnindex.

 

 

 

Berlin, 18.06.2014

 

Anlage: Praxisbeispiele

 

 

 

 

 

 

 

 

Kontakt: Frau Sabina Bombien-Theilmann, Stellv. GFin der BAGFW, <link>sabina.bombien@bag-wohlfahrt.de

 

Anlage zum Positionspapier der BAGFW Kommentare aus den Betreuungsvereinen

 

 

Betreuungsvereine sind wesentlicher Bestandteil des Betreuungswesens. Sie führen selbst Rechtliche Betreuungen durch und nehmen die in § 1908 f BGB geforderten Querschnittsaufgaben (planmäßige Gewinnung, Begleitung und Fortbildung ehrenamtlicher Betreuer, Information über die Errichtung von Vorsorgevollmachten, Betreuungsverfügungen und Patientenverfügungen) wahr. Die seit 2005 nicht erhöhten Vergütungspauschalen und spezielle Entwicklungen im sozialen Bereich, bereiten ihnen zunehmend existenzielle Probleme, wie die nachfolgenden Beispiele belegen.

 

 

Beispiel 1:

 

Der Betreuungsverein übernimmt ausnahmslos die Betreuung für psychisch erkrankte Menschen, aktuell 475 Betreuungen. Die Betreuungen werden dem Verein von den Betreuungsstellen, manchmal auch von den Amtsgerichten direkt angetragen. Zum Teil waren zuvor ehrenamtliche Betreuerinnen oder Betreuer bestellt, die den Aufgaben dann doch nicht gewachsen und völlig überfordert waren. In nicht wenigen Fällen waren vorher auch freiberuflich tätige Berufsbetreuer bestellt, die ebenfalls über- fordert waren und das Gericht um Abgabe der Betreuung baten.

 

Zunehmend erfolgt eine Bestellung auch für sehr junge Menschen, bei denen eine Persönlichkeitsstö- rung oder dissoziale Störungen im Vordergrund stehen.

 

Der Verein musste feststellen, dass die Stundenpauschalen gerade bei psychisch kranken Betreuten nicht dem entsprechen, was die Betreuerinnen und Betreuer zur Regelung der rechtlichen Angele- genheiten an Zeit aufwenden müssen. Das gilt umso mehr, wenn die Betreuung im 1. Jahr von einer oder einem Vorgänger geführt wurde, so dass für den Verein nur noch die Stundenpauschale ab dem

2. Jahr bleibt, aber häufig die Arbeit neu begonnen werden muss.

 

Die für die Pauschale auch angeführte Begründung der Mischkalkulation trifft nicht zu, weil "leichte" Betreuungen vom Verein abgegeben werden oder diese leichten Betreuungen erst gar nicht zur Über- nahme an den Betreuungsverein kommen.

 

 

Beispiel 2:

 

Während sich die Personalkosten pro Vollzeitstelle (Diplom-Sozialarbeiter) im Zeitraum von 2005 bis heute um mehr als 30 Prozent erhöht haben und auch bei den Sachkosten ein, wenn auch ver- gleichsweise geringerer, Anstieg in Höhe von 7 Prozent zu verzeichnen ist, sind die Stundensätze konstant bei 44,00 € pro Vergütungsstunde verblieben.

 

Dies hat dazu geführt, dass auf Grund fehlender Möglichkeiten die Mindereinnahmen auf der einen Seite und die Kostensteigerungen auf der anderen anderweitig zu kompensieren, die Anzahl der zu leistenden Betreuungsstunden pro Monat von 150 im Jahr 2005 auf 179 Stunden im Jahr 2013 ge- stiegen ist.

 

Setzt man die gestiegene Fallstundenzahl ins Verhältnis zur möglichen tariflichen Wochenarbeitszeit, ist festzustellen, dass die Differenz zwischen beidem mittlerweile so gering geworden ist, dass eine weitere Steigerung der Fallstundenzahl in den nächsten Jahren zu einer durch den Arbeitgeber ver- ordneten Mehrarbeit führen würde. Diesem Umstand und der nicht mehr zu verantwortenden Belas- tung der Mitarbeiter (sowie nicht mehr zu verantwortenden Haftungsrisiken) war die Entscheidung geschuldet, trotz wiederum steigender Personalkosten im Jahr 2014 die Fallstundenzahl nicht erneut zu erhöhen, sondern von in der Vergangenheit gebildeten Rücklagen zu refinanzieren. Diese Ent- scheidung wurde in der Hoffnung getroffen, dass der Gesetzgeber in nächster Zukunft ein Einsehen habe und auf möglichst schnellem Wege eine entsprechende Erhöhung der Stundenpauschalen durch Bundestag und Bundesrat beschließen lassen möge.

 

 

Beispiel 3:

 

Der Haushalt des Vereins weist für 2013 eine Quote von 85 % Personalkosten aus. Um den Haushalt

2013 zur Deckung zu bringen, wurden die vorgegebenen Fallstunden pro Betreuer und Monat zum

01.01.2013 durch den Vorstand des Vereins erneut erhöht. Danach muss ein/e vollzeitbeschäftigte/r

 

Anlage zum Positionspapier der BAGFW Kommentare aus den Betreuungsvereinen

 

Vereinsbetreuer/in, mit der Ausbildung eines Diplom-Sozialarbeiters, 179 Fachleistungsstunden (Be- treuungsstunden) monatlich führen.

 

Der fehlende Mix von leichten und schwierigen Betreuungen, wie bei der Pauschalierung 2005 ange- dacht, wirkt sich doppelt gravierend aus. Ursache sind die Maßnahmen des Staates zur Konsolidie- rung der öffentlichen Haushalte und der Kassen der Sozialversicherungssysteme bzw. zur Reduzie- rung der Gesundheitskosten (ambulantes Operieren und Pflegen, kurze Liegezeiten in den Kranken- häusern, private Kranken- und Pflegevorsorge etc.). Diese erhöhen das Maß an Zuständigkeit und Verantwortung des Betreuers/der Betreuerin, ohne dass diesen Umständen bei der Bewertung der zugestandenen Zeitressourcen Rechnung getragen worden ist.

 

Hinzu kommen Maßnahmen im Rahmen der Programme Fördern und Fordern, die eine intensivere Unterstützung des betreuten Personenkreises erfordern, da sie sonst auf Grund der Behinderungen zu einer Überforderung führen würden. Besonderen Aufwand bedeutet es, junge Betreute in der Gruppe der 18-27 jährigen mit der Diagnose Sucht und Psychose oder Borderline in Maßnahmen der Behindertenhilfe zu betreuen. Im Übrigen wohnt dieser Personenkreis immer häufiger in eigenen Wohnungen und nicht in Heimen, was zu einem Mehr an Selbständigkeit und damit zu einem erhöh-

ten Unterstützungsaufwand führt. Ferner sind die Ansprüche an die Betreuer in Bezug auf einen quali- fizierten Umgang mit der Frage der Zwangseinweisungen ab 2011 erheblich gestiegen. Dies führt dazu, dass psychisch kranke Betreute mit höherem Unterstützungsaufwand häufiger Behandlungsan- gebote nicht oder nur teilweise annehmen und im sozialen Alltag ihre sichere Basis verlieren, insbe- sondere ihre Wohnungen.

 

Mit 179 Betreuerstunden pro Vollzeitstelle können die Qualitätskriterien der Betreuungsvereine in der Freien Wohlfahrtpflege, insbesondere im Hinblick auf die Erreichbarkeit, die Urlaubsvertretung sowie den Kontakt zum Betreuten selbst, kaum mehr sichergestellt werden. Das Betreuungsrecht nähert sich mit dieser Fallquote inhaltlich dem alten Vormundschaftsrecht an und das bei ungleich aufwändigeren Bedingungen in der Erfüllung der Mitwirkungspflichten nach den Sozialgesetzbüchern bzw. in der individuellen Eigenvorsorge der sogenannten „Mittelschicht“ (Depots, Häuser, private Zusatzversiche- rungen, Erbschaften, Besteuerung, etc.).

 

In diesem Betreuungsverein hat die hohe Quote der Fallstunden ab 01.01.2013 zu 4 Kündigungen

(bei insgesamt 5 angestellten Betreuerinnen und Betreuern) geführt. Darunter langjährig bewährte und hochqualifizierte Betreuerinnen und Betreuer und junge, ganz neu eingestellte Kollegen. Der Erlass

der Mehrwertsteuerpflicht für Berufsbetreuer im Januar 2013 führte für junge, neu eingestellte Ver- einsbetreuer (entlohnt nach dem neuen Tarifrecht) schnell zur Berechnung eines höheren Verdienstes

als freier Berufsbetreuer bei niedrigerer Fallstundenzahl. Auch Vereinsbetreuer mit sogenannten „Alt-

verträgen“ sehen als selbstständige Berufsbetreuer seither erhebliche Vorteile für sich.

 

Betreuerinnen und Betreuer, die den Verein verlassen um sich selbstständig zu machen, nehmen die ihnen übertragenen Betreuungen mit und entziehen dem Verein damit sein „Betriebskapital“. Zu ver- hindern ist dies nicht, da alle Vereinsbetreuer zur Erlangung der Abrechnungsfähigkeit persönlich bestellt sind. Will der Verein neue Betreuer, vor allem junge Berufsanfänger einstellen, muss er dies gegenfinanzieren. Wenn die Betreuungen neu aufgebaut werden müssen, fehlen hierzu die Mittel, da keine anderweitigen Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und der Neuaufbau bis zur vollen Stundenzahl von 179 Fallstunden pro Vollzeitstelle mindestens 24 Monate dauert.