Stellungnahme der BAGFW zum Vorschlag für eine „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des rechtlichen Rahmens des Europäischen Solidaritätskorps“ (ESK) vom 30.05.2017

Die BAGFW unterstützt grundsätzlich die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und begrüßt die Stärkung der Solidarität in der EU.

Allgemeine Anmerkungen:

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege hat sich bereits am 16.03.2017 mit einer Stellungnahme zu den Plänen und ersten Schritten eines Europäischen Solidaritätskorps (ESK) zu Wort gemeldet. Darin unterstützt die BAGFW grundsätzlich die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und begrüßt die Stärkung der Solidarität in der EU. Allerdings ist bei der Einrichtung des ESK eine differenzierte Betrachtung der Situationen in den Mitgliedsstaaten erforderlich. Es gibt ein etabliertes Angebot von gesetzlich geregelten Freiwilligendiensten, die durch EU-Programme ergänzt werden. Als besondere Form des Bürgerschaftlichen Engagements, Bildungs- und Orientierungszeit sowie Sozialisationsinstanz sind Freiwilligendienste von Maßnahmen der Arbeits- bzw. Beschäftigungsförderung klar abzugrenzen. Die BAGFW kritisiert, dass mit dem ESK diese wichtige Abgrenzung aufgehoben wird. Weiterhin sieht sie die Gefahr, dass dabei Mittel bewährter Programme abgezogen werden. Diese vorgebrachten Bedenken haben sich durch die vorgelegte Verordnung bestätigt.

Im Einzelnen macht die BAGFW auf Folgendes aufmerksam:


In der Verordnung sollte ganz klar erkennbar zwischen den Bereichen „Praktika/Arbeitsplätze“ und „Freiwilligentätigkeit“ unterschieden und diese in unterschiedlichen Kapiteln der Verordnung behandelt werden.

Begründung: Diese Differenzierung ist nicht zuletzt wegen der damit verbundenen unterschiedlichen Qualitätsanforderungen erforderlich.

Das der Verordnung zugrunde liegende Verständnis von „Freiwilligentätigkeit“ widerspricht unserem Verständnis von „Freiwilligendienst“. Im Freiwilligendienst engagieren sich Frauen und Männer für das Allgemeinwohl. Die Freiwilligendienste werden pädagogisch mit dem Ziel begleitet, einen sozialen, ökologischen, kulturellen und interkulturellen Kompetenzerwerb zu ermöglichen und das Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl zu stärken. Die Freiwilligendienste fördern damit das lebenslange Lernen. Sie sind ganz ausdrücklich kein arbeitsmarktpolitisches Instrument und in jedem Fall arbeitsmarktneutral auszugestalten.

Im Verständnis der vorgeschlagenen Verordnung ist eine „Freiwilligentätigkeit“ eng mit den Bereichen „Arbeit“ und „Beschäftigung“ verknüpft. So soll beispielweise eine „Freiwilligentätigkeit“ zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit beitragen (vgl. Artikel 2 Abs. 6). Durch eine Differenzierung bliebe das Prinzip der Arbeitsmarktneutralität im Bereich der Freiwilligendienste weiter gewährleistet und die unterschiedlichen Zielsetzungen und Profile der beiden Stränge würden deutlicher.

Damit der kleinere Teil des Programms „Praktika/Arbeitsstellen“ zügig umgesetzt werden kann, bedarf es kompetenter Stellen, zu denen auch Arbeitgeber, Sozialpartner und zivilgesellschaftliche Organisationen bereits Kontakt und Vertrauen aufgebaut haben. Die alleinige Umsetzung durch die für JUGEND IN AKTION zuständigen Nationalagenturen ist unserer Auffassung nach nicht ausreichend. Die Kompetenz sowie Eingebundenheit in das Netzwerk der Arbeitgeber und Sozialpartner sehen wir eher bei den EURES-Agenturen und den EURES-Partnern als bei den Nationalagenturen.

Mit einer klaren Trennung wird ebenso der Gefahr begegnet, dass Arbeitgeber Freiwillige im ESK beschäftigen, statt Arbeitsplätze zu schaffen. Zudem sollte sichergestellt sein, dass mit dem ESK keine prekären Arbeitsverhältnisse subventioniert werden.

Das Kapitel „Praktika/Arbeitsplätze“ innerhalb der Verordnung braucht einen Bezug zur EU-Jugendgarantie und der Jugendbeschäftigungsinitiative, um mit Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit Kohärenz herzustellen.

Menschen in Freiwilligendiensten, Arbeitsstellen oder Praktika bewegen sich in sehr unterschiedlichen Kontexten. Dies sollte sich auch in den begleitenden Seminaren und Maßnahmen wiederspiegeln. Eine gemeinsame Teilnahme aller ESK-Teilnehmenden würde den unterschiedlichen Kontexten und Bedürfnissen der Teilnehmenden kaum gerecht.


Organisationen, Träger und Einrichtungen sowie Entsendeorganisationen müssen eine aktive Rolle im ESK einnehmen. Eine entsprechende gesetzliche Verankerung in der Verordnung ist unabdingbar.

Begründung: Entsende- und Aufnahmeorganisationen, Träger und Einsatzstellen haben bei der Organisation und Umsetzung von Freiwilligendiensten eine entscheidende Bedeutung. Es bedarf einer gesetzlichen Verankerung in der Verordnung, damit sie im ESK ihre entscheidende Rolle beim Zugang zu Freiwilligendiensten, in der Administration, in der Sicherung der Qualität und Weiterentwicklung solcher Dienste wahrnehmen können. Freiwillige entscheiden sich in vielen Fällen auf Grund ihrer Verbundenheit/ ihres Kontaktes zu einem spezifischen Träger für eine bestimmte Entsendeorganisation und finden hierüber ihren Weg in einen Freiwilligendienst. Zudem ist die Begleitung der Teilnehmenden von der Erstinformation über den Vermittlungsprozess, der Vor- und Nachbereitung unabdingbar, um einen qualitativ hochwertigen Freiwilligendienst anzubieten. Entsprechend sollten auch Vorbereitungs-, Begleit- und Nachbereitungsseminare in der Verantwortung zivilgesellschaftlicher Organisationen, Träger und Einrichtungen ermöglicht und über den ESK finanziert werden.


Die Inklusion benachteiligter Menschen am ESK muss sichergestellt und deren Betreuung ausreichend finanziert werden

Begründung: Insbesondere für benachteiligte Jugendliche ist eine enge Begleitung und ein „an die Hand nehmen“ nötig, damit diese Zielgruppe an der Erfahrung eines Auslandsaufenthaltes oder eines Praktikums/einer Beschäftigung partizipieren kann. Die Entsende- und Aufnahmeorganisationen spielen bei der Inklusion benachteiligter Menschen daher eine besonders wichtige Rolle. Parallel zu den Regelungen in Erasmus+ sollte daher auch im ESK der Mehraufwand für die Beteiligung benachteiligter Menschen zu 100 Prozent zusätzlich gefördert werden. Das gleiche gilt auch für die Inklusion von Menschen mit Behinderung. Die Einführung von Kurzzeit-Einsätzen ab zwei Wochen, beispielsweise in Form von workcamps, begrüßen wir, da diese eine Einstiegsmöglichkeit für benachteiligte Menschen sein können. Um die Reichweite des Solidaritätskorps voll auszuschöpfen fordern wir einen altersoffenen Zugang für alle Menschen ab 18 Jahren.


Das ESK muss auskömmlich finanziert werden. Dafür müssen neue Mittel zur Verfügung gestellt werden und es dürfen keine Mittel aus Erfolgsprogrammen wie Erasmus+ abgezogen werden.

Ein Großteil des ESK soll über Mittel aus dem Programm Erasmus+ finanziert werden. Dafür wird vorgeschlagen, dass 197,7 Millionen Euro aus Erasmus+ in den ESK fließen. Zwar wird ein Teil des Europäischen Freiwilligendienstes aus Erasmus+ in die neue Struktur des ESK integriert, es wird jedoch nicht berücksichtigt, dass die aktuellen Mittel für den Jugendprogrammteil in Erasmus+ z.B. beim Jugendaustausch bereits heute bei weitem nicht ausreichend sind. Die Aufstockung des Programmes Erasmus+ im Rahmen der Halbzeitrevision des EU-Haushaltes von 200 Millionen Euro wird quasi vollständig für den ESK wieder aus Erasmus+ herausgenommen.

Die im Verordnungsentwurf vorgesehene Absenkung der finanziellen Förderung des Programmteils JUGEND IN AKTION innerhalb von Erasmus+ auf 8,8 Prozent lehnen wir ab. Der Anteil des Jugendprogrammteils in Erasmus+ muss weiterhin mindestens 10 Prozent betragen; für die nächste Förderperiode sollte der Jugendbereich 15 Prozent des Erasmus+ Gesamtbudgets betragen.

 

Bei der Ausgestaltung des ESK sollten stets die Auswirkungen, die diese auf das Programm Erasmus+ haben, insbesondere auf den Programmteil Erasmus+ JUGEND IN AKTION, und auf die europäische Zusammenarbeit im Jugendbereich (EU-Jugendstrategie ab 2018), geachtet werden. Hier ist auf eine Kohärenz hinzuarbeiten und sicher zu stellen, dass der ESK langfristig nicht die bewährte Zusammenarbeit im Jugendbereich gefährdet oder sogar konterkariert.

Begründung: Durch den ESK entstehen u. a. neue Formate, die eine hohe Ähnlichkeit mit Programmteilen in Erasmus+ JUGEND IN AKTION aufweisen. Dadurch entstehende Doppelstrukturen sollten weitestgehend vermieden werden. Sie produzieren bei Organisationen, die in Erasmus+ und im ESK aktiv sind, personal- und kostenintensiven Mehraufwand und tragen nicht zur Nutzerfreundlichkeit bei. Sowohl die Förderung des ESK als auch des Programmteils Erasmus+ JUGEND IN AKTION sind bzw. werden wichtige Instrumente zur Umsetzung der EU-Jugendstrategie – insbesondere in einer neuen Strategie nach 2018. Auch der ESK sollte ein Instrument der zukünftigen EU-Jugendstrategie bleiben. Eine kohärente Entwicklung der Zusammenarbeit im Jugendbereich in der neuen Programmgeneration ab 2021 würde eine Zusammenführung aller Jugendformate im ESK oder in Erasmus+ entsprechen.


Der bisherige Europäische Freiwilligendienst (EFD) sollte nicht in zwei Teile – Programm ESK und Programm Erasmus+ JUGEND IN AKTION - zergliedert werden, sondern die in Erasmus+ und JUGEND IN AKTION definierten Partnerländer bereits ab 2018 in den ESK integriert werden.

Begründung: Im Hinblick auf eine positive Ausstrahlungskraft eines „Solidaritätsprogramms“ wäre dies ein wichtiges Signal an die Partnerländer im bisherigen EFD. Zudem würde dies in einer Linie mit der Nachbarschaftspolitik stehen, die zu den Prioritäten der EU gehört. Die Ansiedlung beider Freiwilligendienste im ESK würde den Mehraufwand durch eine Doppelstruktur vermeiden und Trägern, Verbänden, Organisationen und Einrichtungen, die sich bisher im EFD engagiert haben, gewohnte Zugangswege erhalten.