BAGFW-Stellungnahme zum Grünbuch der EU-Kommission über Arbeitskräfte des Gesundheitswesens in Europa KOM (2008) 725 endgültig vom 10.12.2008

Die BAGFW begrüßt, dass sich die Kommission mit diesem alle europäischen Mitgliedstaaten gleichermaßen treffenden Thema befasst und damit zur Bewusstseinsschärfung beiträgt sowie die Dringlichkeit der Befassung mit der Situation der Arbeitskräfte im Gesundheitswesen anmahnt.

Die BAGFW begrüßt, dass sich die Kommission mit diesem alle europäischen Mitgliedstaaten gleichermaßen treffenden Thema befasst und damit zur Bewusstseinsschärfung beiträgt sowie die Dringlichkeit der Befassung mit der Situation der Arbeitskräfte im Gesundheitswesen anmahnt.

 

Entsprechend dem zunehmenden Bedarf an notwendiger gesundheitlicher Versorgung und den damit einhergehenden Kosten halten wir es für erforderlich, Strategien und Maßnahmen zu entwickeln, um so das Gesundheitswesen in Europa an die zukünftigen Herausforderungen anzupassen. Dieser Anspruch muss durch einen zielgerichteten Finanzierungsrahmen unterstützt werden, der es ermöglicht, die in Rede stehenden (Rahmen-)bedingungen zu schaffen.

 

Wir unterstützen die vorgeschlagenen Maßnahmen, wie etwa die Sicherstellung besserer Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen. Verschiedene Untersuchungen zum Gesundheitszustand und zur Fluktuation der Mitarbeiter beispielsweise in der Altenpflege, zeigen, dass diese im Zusammenhang mit niedrigeren finanziellen und zeitlichen Ressourcen wachsenden körperlichen und seelischen Anforderungen ausgesetzt sind.

 

Auch die Einstellungs- und Fortbildungsinitiativen vor allem für Menschen älter als 55 Jahre, die keine familiären Verpflichtungen mehr haben sowie die Kampagnen für "Berufsrückkehrer", das heißt Angehörige von Gesundheitsberufen, die inzwischen in anderen Branchen tätig sind, sehen wir positiv. Wir möchten hier aber insbesondere auch noch einmal auf die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinweisen, vor allem im Hinblick auf die zu erwartende steigende Zahl Pflegebedürftiger, die damit einhergehende steigende Nachfrage nach professionellen Pflegeleistungen und der sich wandelnder Familienstrukturen.

 

Die Organisation der Behandlung von chronisch kranken Menschen vorwiegend zu Hause oder im gewohnten Umfeld entspricht den Wünschen der Betroffenen und wird ebenso befürwortet wie der Einsatz von modernen Technologien, um die verfügbaren personellen Ressourcen effizient einzusetzen.

 

Wir werten es als positiv, dass das Grünbuch den hohen Frauenanteil in den Gesundheitsberufen hervorhebt und entsprechende Gleichstellungsmaßnahmen einfordert. Es wäre wünschenswert, diese Feststellung bezüglich des weiblichen Anteils auch im weiteren Text des Grünbuchs zu berücksichtigen, so etwa beim Austausch von Fachkräften sowie bei der Konzeptionierung einer Beobachtungsstelle für die Planung von Fachkräften im Gesundheitswesen, in der sich eine Gender bezogene Ausrichtung ebenfalls einbeziehen ließe.

 

Wir befürworten den im Grünbuch aufgeführten Vorschlag der Unterstützung der WHO bei der Erarbeitung eines weltweiten Verhaltenskodex für ethische Personaleinstellung, welcher gegenüber Drittstaaten und dabei insbesondere gegenüber Entwicklungsländern verhindern soll, dass ein Abzug von Fachkräften in die EU erfolgt und in den Herkunftsländern eine medizinische Unterversorgung eintritt. Zwar gilt grundsätzlich die Freizügigkeit innerhalb der EU, in dessen Rahmen Mobilität ein gewünschtes Ziel der EU ist. Allerdings sehen wir die Grenze der Freizügigkeit überschritten, wenn gezielte Abwerbung „von West aus Ost“ erfolgt. Daher schlagen wir vor - ähnlich dem Verhaltenskodex gegenüber Drittstaaten einen ethischen Rahmen für die Mitgliedstaaten der EU zu schaffen, der im Wege einer Selbstverpflichtung dazu beiträgt, dass es keine gezielte Abwerbung innerhalb der EU und insbesondere gegenüber den mittel- und osteuropäischen Ländern gibt.

 

Darüber hinaus sollte dem im Grünbuch beschriebenen Brain Drain auch innerhalb der EU Bedeutung beigemessen werden, da die Gefahr der Abwanderung medizinischer Fachkräfte aus den neuen Mitgliedstaaten in die westlichen EU-Staaten mit der Folge der Unterversorgung in den mittel- und osteuropäischen Ländern besteht.

 

Das Monitoring von Daten zu Arbeitskräften im Gesundheitswesen bzw. zu Migrationsströmen und Arbeitskräften im Gesundheitswesen ist eine unerlässliche Grundlage, um in diesem Feld aktiv werden zu können. Ohne ein solches Monitoring können keine effektiven Maßnahmen zur Steuerung stattfinden. Nur damit können etwaige Arbeitskräfteüberschüsse in Ländern beschrieben und unerwünschte Abwanderungsbewegungen (brain drain) erfasst werden und ggf. über bilaterale Vereinbarungen oder zirkuläre Migration wirkungsvoll geregelt werden. Das Monitoring kann über mehr als nur die Schaffung einer Beobachtungsstelle durchgeführt werden: durch Schaffung von Methoden, Systemen und Indikatoren zur Beobachtung – national und EU-weit. Hier sollten Daten zu Arbeitskräften im Gesundheitswesen sowie auch zu prospektiven Bedarfen erhoben werden.

 

Wir begrüßen es, dass die Kommission die Beseitigung des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen nicht alleine durch Mobilität gelöst sieht. Denn die demografische Entwicklung ist in den Mitgliedstaaten der EU vergleichbar und wird in den kommenden beiden Jahrzehnten zur gleichen Problematik in Bezug auf den Arbeitskräftemangel im Gesundheitswesen führen. Insbesondere halten wir Investitionen in Aus,- Fort- und Weiterbildung für dringend geboten. Diesbezüglich unterstützen wir ausdrücklich die vorgeschlagene Bewusstseinsbildung in Schulen, nicht nur im Hinblick auf naturwissenschaftliche Orientierungen, sondern auch in Bezug auf die soziale Relevanz pflegerischer Berufe. Eine gute Möglichkeit um junge Menschen für soziale Berufsbilder zu interessieren können auch verschiedene Kampagnen sein, oder auch Formen des gesamteuropäischen Austausches.

 

Eine wesentliche Entwicklung in diesem Zusammenhang ist unseres Erachtens das Bildungskonzept des Deutschen Pflegerates für die Pflegeberufe. Die Umsetzung würde einerseits den bereits vorhandenen Anforderungen an diese Berufsgruppen gerechter werden, andererseits die Anpassung der Ausbildungsgänge im europäischen Raum sichern können (Stichwort: Bologna-Prozess und folgende).

 

Den Empfehlungen des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Europäischen Qualifikationsrahmens für Lebenslanges Lernen[1] folgend, sollen die EU-Staaten ihre nationalen Qualifikationssysteme bis 2010 an den Europäischen Qualifikationsrahmen koppeln. Dieser Qualifikationsrahmen zeichnet sich durch eine Lernergebnisorientierung aus. Unter Lernergebnisse wird „…die Gesamtheit der Kenntnisse, Fähigkeiten und/oder Kompetenzen, die eine Person nach Durchlaufen eines Lernprozesses erworben hat und/oder nachzuweisen in der Lage ist. Lernergebnisse (learning outcomes) sind Aussagen über das, was ein Lernender am Ende einer Lernperiode wissen, verstehen und können soll“.[2]

 

Wir begrüßen das Ziel der Empfehlung, „einen gemeinsamen Referenzrahmen als Übersetzungsinstrument zwischen verschiedenen Qualifikationssystemen und deren Niveaus zu schaffen, und zwar sowohl für die allgemeine und die Hochschulbildung als auch für die berufliche Bildung“.[3] Dies könnte auch in den europäischen Ausbildungs- und Beschäftigungssystemen des Gesundheitswesens zu mehr Transparenz, Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit der Qualifikationen führen. Auch in Deutschland könnte eine konsequente Umsetzung des „Deutschen Qualifikationsrahmens für Lebenslanges Lernen“ (DQR) unter anderem einen Beitrag zur Förderung des lebenslangen Lernens sowie zur Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit, der Mobilität und der sozialen Integration von Arbeitskräften und Lernenden liefern.

 

Ohne Zuwanderung werden die EU-Länder allerdings ihren künftigen Fachkräftemangel nicht decken können. Ein Modell, das eine Win-Win-Situation für Länder mit hoher Nachfrage nach Fachkräften und Ländern mit einer jungen Bevölkerung schaffen könnte, ist die zirkuläre Migration:  Die Länder des Nordens, deren Bevölkerung früher altert, öffnen ihre Gesundheits-Arbeitsmärkte für Migrantinnen und Migranten aus den Ländern des Südens in Verbindung mit einer konkreten Rückkehroption ins Herkunftsland. Es entstehen idealerweise Partnerschaften zwischen Trägern des jeweiligen Gesundheitssystems und durch den beruflichen Austausch kommt es zugleich zu einer good practice Wahrnehmung, die zu einer Verbesserung des jeweiligen Gesundheitssystems beitragen kann. Dies sollte durch EU-Programme, etwa im Rahmen von Leonardo, Unterstützung finden.

 

Zugleich weisen wir aber darauf hin, dass die Politik der EU im Zusammenhang mit der Modernisierung der Sozialschutzsysteme zwar auf die Tragfähigkeit der Sozialversicherungen hinwirken kann und ihre Nachhaltigkeit fördern sollte. Gleichwohl steht und fällt eine Bewusstseinsschärfung für das Ergreifen von Gesundheitsberufen und das Eintreten für die Sicherstellung besserer Arbeitsbedingungen damit, dass auch die Kostenträger dem Ganzen einen finanziellen Rückhalt bieten.[4]

 

 

 


[2]  Kommission der europäischen Gemeinschaften (2005): Auf dem Weg  zu einem Europäischen Qualifikationsrahmen für Lebenslanges Lernen vom 8. Juli 2005. ec.europa.eu/education/policies/2010/doc/consultation_eqf_de.pdf,  S.13.

[3] S.o., S. 5

[4] Für den Pflegebereich kann auf die Aussage der Kommission in ihrem Zweijahresbericht über soziale Dienste verwiesen werden (SEC (2008) 2179/2), S. 43, in dem eine substantielle zusätzliche finanzielle Investition wegen des demografischen Wandels eingefordert wird.