Positionierung der BAGFW: Kommissionsmitteilung „Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unter Einschluss von Sozialdienstleistungen: Europas neues Engagement“

In der Mitteilung zum Binnenmarkt für das 21. Jahrhundert [KOM(2007)724] betont die Kommission die Notwendigkeit, die Möglichkeiten des Binnenmarktes für die Bürger nutzbar zu machen. Bürgern, Verbrauchern und KMU soll mehr vom Binnenmarkt geboten und insbesondere den Erwartungen und Befürchtungen der Bürger mehr Rechnung getragen werden, die Globalisierung soll besser genutzt und Wissens- und Innovationsschranken aufgehoben werden. Schließlich soll eine starke soziale- und umweltpolitische Dimension verankert werden.

Am 20.11.2007 hat die Kommission ihre Strategie für den Binnenmarkt des 21. Jahrhunderts verabschiedet.

 

In der Mitteilung zum Binnenmarkt für das 21. Jahrhundert [KOM(2007)724] betont die Kommission die Notwendigkeit, die Möglichkeiten des Binnenmarktes für die Bürger nutzbar zu machen. Bürgern, Verbrauchern und KMU soll mehr vom Binnenmarkt geboten und insbesondere den Erwartungen und Befürchtungen der Bürger mehr Rechnung getragen werden, die Globalisierung soll besser genutzt und Wissens- und Innovationsschranken aufgehoben werden. Schließlich soll eine starke soziale- und umweltpolitische Dimension verankert werden.

 

Bestandteil der Binnenmarktstrategie sind die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse einschließlich der Sozialdienstleistungen, die in einem Begleitdokument beschrieben und im Hinblick auf das Wettbewerbs- und Beihilfenrecht eingeordnet werden.

 

Soziale Dimension

 

Um die sozialen Dimension Europas voranzubringen, kündigt die Kommission eine neue soziale Agenda an. Die Mitteilung „Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität: eine neue gesellschaftliche Vision für das Europa des 21. Jahrhunderts“ [KOM(2007) 726] dient dazu, eine neue soziale Vision zu entwickeln und die neue Sozialagenda vorzubereiten. Es werden sieben zentrale Handlungsfelder für die EU definiert, um der Vision von mehr Chancen, besserer Teilhabe und Solidarität gerecht zu werden. Danach geht es um Investitionen in die Jugend, in Karrieren, in ein längeres und gesünderes Leben, in die Gleichheit der Geschlechter, in aktive Eingliederung und Nichtdiskriminierung, in Mobilität und erfolgreiche Integration

sowie in Mitwirkung, Kultur und Dialog.

 

Die BAGFW begrüßt die grundsätzliche Bedeutung der sozialen Dimension im Rahmen des Binnenmarktes. Sie hält es aber für unzureichend, wenn diese soziale Dimension nur eine abgeleitete Funktion der Anpassung an neue Chancen erfüllt (KOM 2007,724; S.4) und weniger aus den Rechten der Bürger entwickelt wird. Die soziale Dimension sollte deshalb verstärkt auch im Rahmen der Lissabon-Strategie Berücksichtigung finden.

 

 

 

Dienstleistungen von allgemeinem Interesse

 

In dem Begleitdokument zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unter Einschluss von Sozialdienstleistungen: Europas neues Engagement“ [KOM(2007)725]) entwickelt die Kommission Vorschläge zum zukünftigen Umgang mit den Diensten von allgemeinem Interesse einschließlich der sozialen Dienste. Sie formuliert ihre weiteren Schritte und Vorhaben. Sie reflektiert dabei die Rolle der EU und ihren Handlungsspielraum, einerseits gemeinsame Regeln zu schaffen und gleichzeitig die Vielfalt zu wahren.

 

Die Debatte über die besondere Rolle der sozialen Dienste wird seit vielen Jahren geführt. Fragebogen, Studien und Beiträge von Nichtregierungsorganisationen wiesen auf die Besonderheiten hin und betonten die Bedeutung dieser Dienste für das sozialstaatliche Handeln und den sozialen Zusammenhalt. Gefordert wurde vielfach eine eigenständige rechtliche Absicherung

 

Die von der Kommission mit dem Binnenmarktpaket vollzogene Einordnung der Dienste von allgemeinem Interesse einschließlich der sozialen Dienste in die Binnenmarktstrategie schafft insoweit zunächst Klarheit im Hinblick auf die zukünftige strategische Bewertung dieser Dienste. Sie stellt klar, dass die Binnenmarktvorschriften Anwendung finden, wenn eine Dienstleistung als wirtschaftlich eingestuft wird. Sie weist aber zu Recht darauf hin, dass eine Pauschalantwort zur Abgrenzung von wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen Dienstleistungen nicht möglich ist, eine Klärung nur am jeweiligen Einzelfall erfolgen kann und die konkrete Tätigkeit maßgeblich ist. Ein allgemeiner Bezug auf den

Sektor oder die rechtliche Stellung des Dienstleisters oder der Finanzierungsmodus genügt nicht.

 

Mit Blick auf die Sozialdienstleistungen werden allerdings wichtige Erweiterungen gegenüber der Mitteilung vom April 2006 vorgenommen. Danach gehören zu den Zielen und Grundsätzen auch die Anerkennung der Autonomie der Dienstleistungserbringer und die wichtige Rolle von gemeinnützigen Einrichtungen. Zudem wird Bezug auf das Protokoll Nr. 9 des Vertrages von Lissabon genommen, das die besondere Verantwortung der mitgliedstaatlichen Behörden für die Erbringung von Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse bekräftigt.

 

Die BAGFW begrüßt eine solche Aussage. Sozialdienstleistungen leisten einen besonderen Beitrag zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger und tragen zur nachhaltigen Stärkung des sozialen Zusammenhalts und zur sozialen Eingliederung bei.

 

Weiterer Klärungsbedarf besteht aber dahingehend, dass der im Protokoll Nr. 9 des Lissabon-Vertrages den Mitgliedstaaten zugestandene Ermessensspielraum bei der bedarfsgerechten Erbringung von Diensten von allgemeinem Interesse einerseits in einem Spannungsverhältnis zu der von der Kommission in Anspruch genommenen Steuerungsfunktion andererseits steht. Aus Sicht der BAGFW sind deshalb weitergehende Präzisierungen im Rahmen des interaktiven Informationsdienstes und den Antworten zu den am häufigsten gestellten Fragen erforderlich. Vorhandene Lücken müssen geschlossen werden.

 

 

 

 

Zur Frage der Betrauung

 

In ihrem Dokument FAQ zur Anwendung der Beihilfenregelungen nach Art. 86,2 EGV (SEC 2007, 1516) geht die Kommission auf die Frage der Betrauung und die Ausgestaltung eines förmlichen Rechtsaktes näher ein.

 

Die Auflistung der Beispiele als Möglichkeiten der Betrauung unter Ziffer 5.2 ist in positiver Weise breit angelegt. Genannt werden Konzessionen, ministeriale Programmverträge, ministeriale Anweisungen, Gesetze und Verordnungen, jährliche oder mehrjährige Leistungsverträge, Rechtsverordnungen oder jede andere Art von hoheitlichen Entscheidungen. Auch die grundsätzliche Akzeptanz einer weiten Definition der öffentlichen Mission und die damit nicht notwendige Festlegung ganz spezieller Aktivitäten (Ziffer 5.3) kann sicherlich positiv gewertet werden. Damit dürften Unklarheiten über die erlaubten Formen des Betrauungsaktes beseitigt sein.

 

Die BAGFW geht davon aus, dass das im Rahmen des Sozialrechts generell bestehende Betätigungsrecht der FW i.V.m. den allgemein festgelegten Leistungen der Sozialgesetzbücher sowie konkreten Leistungsvereinbarungen und –beschrei- bungen den Kriterien einer öffentlichen Beauftragung entspricht.

 

Konsolidierung des EU-(Rechts)Rahmens

 

Die Kommission sieht, dass es weiterhin Unklarheiten bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse gibt. Sie will ihren sektoralen Ansatz fortsetzen und weiterentwickeln. Gegebenenfalls sollen sektorspezifische Maßnahmen vorgeschlagen, die den besonderen Erfordernissen und Gegebenheiten eines jeden Sektors gerecht werden und in denen die Grundsätze des Protokolls Nr. 9 des Lissabon-Vertrages zum Ausdruck kommen. Die Neufassung von Art. 16 Lissabon-Vertrag schafft durch die neue Verordnungsermächtigung die Rechtsgrundlage dafür.

 

Für den Bereich der Gesundheitsdienste sollen Vorschläge vorgelegt werden, mit denen ein Rahmen für eine sichere, qualitativ hochwertige und wirksame Gesundheitsversorgung geschaffen werden soll.

 

Im Bereich der Sozialdienstleistungen will die Kommission keinen legislativen Rahmen vorschlagen. Statt dessen hat sie zur Klärung und Erläuterung der EU- Vorschriften einen interaktiven (Online-)Informationsdienst eingerichtet, mit dessen Hilfe ein Austausch über Fragen zur Anwendung des EU-Rechts ermöglicht werden soll.

 

Darüberhinaus soll zur Weiterentwicklung sektorspezifischer Maßnahmen die Förderung der Qualität von Sozialdienstleistungen unterstützt werden. Hierzu schlägt die Kommission die Entwicklung eines freiwilligen EU-Qualitätsrahmens mit Leitlinien für die Festlegung, Überwachung und Bewertung von Qualitätsstandards sowie die Nutzung des Programms PROGRESS zur Entwicklung von Qualitätsstandards und zur Intensivierung des Erfahrungsaustausches vor.

 

Die BAGFW erwartet, dass die verschiedenen Handlungsstränge in ein

Gesamtkonzept einfließen, mit dem Kohärenz in den Prozess um die Dienste von

 

 

 

allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sichergestellt wird und die Besonderheiten der Sozialdienstleistungen auch im Rahmen des Wettbewerbs- und Binnenmarktsrecht tatsächlich berücksichtigt und geschützt werden.

 

Zum interaktiven Informationsdienst

 

Aus Sicht der BAGFW kann der interaktive Austausch zur Klärungen von Fragen der

Anwendung des Gemeinschaftsrechts beitragen. Zu beachten ist allerdings,

-     dass die von der Kommission vorzunehmende Interpretation sich ausschließlich auf wettbewerbs- und binnenmarktrechtliche „Fall“-Sicht bezieht und damit der Diversität der Leistungserbringung in den Mitgliedstaaten und insbesondere deren sozialrechtliche Grundlagen nicht ausreichend Rechnung getragen wird,

-     dass durch die Antworten nur eine begrenzte Verbindlichkeit im Hinblick auf

Rechtsverfahren hergestellt wird.

 

Letztlich werden bestehende Rechtsunsicherheiten durch einen Online-Dienst nicht gelöst, wenn etwa unterschiedliche Auffassungen über die Rechtsanwendung zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission auftreten.

 

Zur Entwicklung eines Qualitätsrahmens

 

Die BAGFW hat in einer ersten Einschätzung begrüßt, dass der Frage der Qualität hohe Bedeutung beigemessen wird. Allerdings ist noch nicht absehbar, wie etwa die Kriterien Transparenz, Zugänglichkeit durch QM-Strategien ausgestaltet werden sollen. Aus Sicht der BAGFW sollte sichergestellt werden, dass der angedachte EU- Qualitätsrahmen freiwilliger Natur sein muss.

 

Kritisch wird jedoch angemerkt, dass der Begriff „Qualitätsstandards“ nicht näher definiert wird und unklar bleibt, um welche Zuständigkeitsebene es sich bei diesen Standards handelt. Geht es darum, mitgliedstaatliche Standards durch die vom SPC im Rahmen des freiwillige EU-Qualitätsrahmen zu entwickelnden methodische Leitlinien festzulegen, zu überwachen und zu bewerten? Oder bezieht sich die Methodologie der Bewertung auf gemeinsame europäische Standards, die über das Programm PROGRESS entwickelt werden sollen?

 

Nach Ansicht der BAGFW besteht keine Notwendigkeit für die Festlegung von gemeinsamen europäischen Mindeststandards.

 

Begrüßt wird der „Bottom-Up“-Ansatz im Rahmen des Programms PROGRESS.

Bei der Vergabe von Projekten sollte daher ein breiter Ansatz verfolgt werden, um die umfangreichen Erfahrungen der Akteure bei der Entwicklung von QM-Strategien zu nutzen.

 

Die BAGFW erinnert daran, dass bei vielen Organisationen und Verbänden bereits diesbezügliche umfängliche Arbeiten und Erfahrungen vorliegen, auf die die Kommission zurückgreifen kann. Sie erwartet, dass bei den kommenden Arbeiten des Sozialschutzausschusses diese Arbeiten berücksichtigt werden und ein konstruktiver Austausch mit den relevanten Stakeholdern stattfinden wird.

 

 

 

 

Vergaberecht

 

Die Kommission sieht noch eine Reihe von Problemen im Bereich der öffentlich- privaten Partnerschaften (ÖPP) und der Konzessionen. Sie will weitere Schritte zur Klärung der Rechtslage unternehmen.

 

Aus Sicht der BAGFW sind die vorgesehenen gemeinschaftlichen Instrumente für die Vergabe von Leistungen an Dritte für Sozialrechtsmodelle, in denen Dritten schon immer ein Vorrang gegenüber dem Staat, der lediglich eine Gewährleistungs- verantwortung besitzt, eingeräumt wird, nicht geeignet.

 

Danach besteht prinzipiell ein gleichberechtigter Marktzugang für gewinnorientierte und nicht-gewinnorientierte Dienstleistungsanbieter. Diese haben Anspruch auf Zulassung, wenn sie die gesetzlichen Voraussetzungen, z.B. hinsichtlich der Fachlichkeit, erfüllen. Die Leistungsberechtigten können in Ausübung ihres Wunsch- und Wahlrechts zwischen den zugelassenen Einrichtungen und Diensten wählen. Insofern entsteht eine nutzerorientierte Wettbewerbs- und Marktsituation, die durch die Anwendung des Vergaberechts eingeschränkt würde.

 

Aus unserer Sicht führt eine vorrangige Anwendung des Vergaberechts dazu,

-     dass die besonderen Charakteristika der Sozialdienstleistungen, wie das besondere Bedürfnis nach Kontinuität und Qualität, unberücksichtigt bleiben,

-     dass die Anbietervielfalt und damit die Wahlfreiheit der Leistungsberechtigten eingeschränkt wird,

-     dass Qualitätsaspekte aufgrund eines ausschließlichen Preiswettbewerbs vernachlässigt werden.

 

In ihrem Arbeitspapier zu den FAQ zur Anwendung der Bestimmungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge auf Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse, SEK(2007) 1514, merkt die Kommission in Ziffer 2.5 an, dass Vergabeverfahren nicht auf eine Beschränkung der Zahl der ausgewählten Dienstleister abzielen sollen. Faktisch muss aber genau mit diesem Effekt gerechnet werden. Bestehende und bewährte Infrastrukturen brechen dann häufig zusammen. Insbesondere kleinere Träger sind oftmals gezwungen, sich zusammenzuschließen. Konzentration und Reduzierung der Vielfalt sind die Folge.

 

In Ziffer 2.7 wird die Frage der Zulässigkeit einer Selektion auf nicht-gewinnorien- tierte Dienste behandelt. Die BAGFW begrüßt, dass ausgehend von dem Sodemare- Urteil eine Beschränkung auf nicht-gewinnorientierte Dienstleister, wenn auch in Ausnahmefällen, möglich ist.