Krisenfeste Daseinsvorsorge und Rechte für Geflüchtete gehören ganz oben auf die EU-Agenda

Die Aufnahme von Geflüchteten in der EU und eine krisenfeste Daseinsvorsorge sind Thema beim Treffen der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege mit EU-Politiker:innen am 31. Mai in Brüssel.

BAGFW-Präsident Lilie: An der Aufnahme der Geflüchteten aus der Ukraine ein Beispiel nehmen

Gemeinnützige Akteure sind die „Feuerwehr des Sozialen“ und leisten einen immensen Beitrag zur Überwindung von Krisen und Linderung von Notlagen, wie zum Beispiel bei der Begleitung von Geflüchteten aus der Ukraine, in der täglichen Arbeit in den Pflegeeinrichtungen oder beim ehrenamtlichen Engagement im Hospiz. Europäische Wettbewerbsregeln werden aber den Besonderheiten der gemeinnützigen Akteure der Sozialwirtschaft nicht immer gerecht. Sie setzen Akteure der Freien Wohlfahrtspflege mit gewinnorientierten Unternehmen gleich, ohne ausreichende und unbürokratische Ausnahmen zu schaffen – zum Nachteil der Wohlfahrtspflege und zum Nachteil der Menschen, die diese betreuen und unterstützen. Das machte Caritas-Präsidentin Welskop-Deffaa für die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) in einem Gespräch mit Nicolas Schmit, EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, am Dienstag in Brüssel klar.

Es ist unverständlich und kontraproduktiv, wenn für die EU-Förderung eines Sonnensegels in einem Caritas-Kindergarten die umfassende Darstellung aller Mittel gefordert wird, die in den letzten zwei Jahren aus öffentlichen Töpfen an den Träger geflossen sind. Die sogenannten De-Minimis-Erklärungen passen nicht zu den öffentlich geförderten sozialen Dienstleistungen freier Träger, wie sie in Deutschland die soziale Daseinsvorsorge sichern. Es entsteht das missverständliche Bild einer Beihilfe, obwohl mit der Finanzierung der Kitas der Wohlfahrtspflege der europäische Wettbewerb ganz sicher nicht verzerrt wird“, machte Welskop-Deffaa an einem Praxisbeispiel deutlich. Der Ende 2021 vorgestellte EU-Aktionsplan für die Sozialwirtschaft von EU-Kommissar Schmit sei ein erster Schritt in die richtige Richtung, so die Caritas-Präsidentin weiter.

Wir wünschen uns von der EU-Kommission aber noch mehr Unterstützung für die korrekte Anwendung des EU-Beihilfenrechts in der Praxis, sowie eine praxisnahe Ausgestaltung der Instrumente, die eine Freistellung vom Beihilfenverbot erlauben. Außerdem müssten sozial-ökologische Kriterien bei der Vergabe gestärkt werden. Schließlich müssen europäische Förderprogramme wie der Europäische Sozialfonds Plus nun schnell und unbürokratisch umgesetzt werden, um eine verlässliche Finanzierung sozialer Projekte sicherzustellen. Das ist angesichts der sozialen Herausforderungen, denen wir uns durch Coronafolgen und kriegsbedingt steigende Preise gegenübersehen, absolut dringlich “, unterstrichen Welskop-Deffaa und die Vorstände der Wohlfahrtsverbände gegenüber ihren Gesprächspartner:innen.

Am Gespräch nahmen auch die Europaabgeordneten Gabriele Bischoff (SPD) und Rasmus Andresen (Grüne) sowie Karl-Heinz Lambertz, Mitglied und ehemaliger Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen und außerdem Präsident des Parlaments der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien teil.

Im Rahmen einer Abendveranstaltung in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU diskutierten die BAGFW-Vorstände mit hochrangigen Gästen der EU-Kommission und Europaparlamentarier:innen über die Aufnahme von Geflüchteten in die EU. Ein zentraler Punkt war die erfolgreiche Aufnahme Geflüchteter aus der Ukraine und was das für die derzeitige Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) bedeutet. Neben dem Botschafter Martin Kotthaus, nehmen Beate Gminder, stellvertretende Generaldirektorin für Migration und Inneres in der EU-Kommission sowie die Europaabgeordeten und migrationspolitischen Sprecher Birgit Sippel (SPD) und Jan-Christoph Oetjen (FDP) an der Diskussion teil.

BAGFW-Präsident Ulrich Lilie: „Die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine hat eindrucksvoll bewiesen, dass im Europäischen Rat große humanitäre und solidarische Gesten im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Genfer Flüchtlingskonvention möglich sind. Und mehr als das: Den Vertriebenen aus der Ukraine wurde die freie Wahl des Zufluchtslandes innerhalb der EU gewährt, die Weiterreise in andere EU-Staaten durch kostenlosen öffentlichen Transport gefördert und vor allem die private Unterbringung ermöglicht und so eine Überlastung der Aufnahmesysteme verhindert.“  

Dieses schnelle und pragmatische Handeln von Staat und Zivilgesellschaft angesichts des brutalen Kriegs in Europa ermöglichte die nahezu reibungslose Aufnahme von fast sechs Millionen Geflüchteter innerhalb weniger Wochen in die EU. Aus dieser positiven Erfahrung heraus sollten die Reformbemühungen im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem in neuem Licht betrachtet und bewertet werden. Die BAGFW wirbt vor allem für einen innereuropäischen Verteilmechanismus unter allen EU-Mitgliedstaaten, der die Aufnahme von Schutzsuchenden verbindlich regelt und damit die Ersteinreisestaaten effektiv entlastet. Anknüpfend an die guten Erfahrungen der Aufnahme aus der Ukraine sollte die Verteilung individuelle Anknüpfungspunkte von Schutzsuchenden in einem Mitgliedstaat berücksichtigen.

Der bisherige Ansatz der europäischen Migrationspolitik, die auf Abschottung und Absperrung setzt, ist grundlegend falsch. Wir brauchen endlich eine Politik, die Perspektiven schafft, Menschenrechte respektiert und auf Solidarität zwischen den EU-Mitgliedsländern basiert“, so Lilie.