Stellungnahme der BAGFW: Erster Zweijahresbericht der Kommission zu den Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse

Die Kommission hat am 2. Juli ihren ersten Zweijahresbericht über die Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse vorgelegt. Der Bericht beruht auf den Ergebnissen einer von ihr in Auftrag gegebenen Studie zu den Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen, die – mit erheblicher Verspätung – erst kurz vorher, Mitte Juni, veröffentlicht wurde.

Die Kommission hat am 2. Juli ihren ersten Zweijahresbericht über die Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse vorgelegt. Der Bericht beruht auf den Ergebnissen einer von ihr in Auftrag gegebenen Studie zu den Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen, die – mit erheblicher Verspätung – erst kurz vorher, Mitte Juni, veröffentlicht wurde.

 

Die BAGFW hat die späte Veröffentlichung der Studie bedauert. Hierdurch bestand keine ausreichende Möglichkeit, sich mit den Ergebnissen auseinanderzusetzen. Damit war auch eine Mitwirkung an der Erstellung des Zweijahresberichts im Vorfeld nicht möglich.

 

 

 

Der Zweijahresbericht hat zum Ziel, aufzuzeigen, was SDAI sind, was sie tun und wie sie entwickelt sind. Er beschreibt den Sektor exemplarisch anhand der Bereiche Langzeitpflege, Arbeitsmarkt für benachteiligte Personen und Kinderbetreuung im Hinblick darauf, wie die Dienste funktionieren und welche sozio-ökonomische Bedeutung  ihnen  zukommt.  Die  in  der  Studie  ebenfalls  untersuchten  Bereiche

„soziale Integration“ und „sozialer Wohnungsbau“ werden nicht angesprochen. Begründet wird die Beschränkung damit, dass die Wirkung sozio-ökonomischer Faktoren in den drei Bereichen besonders stark ist und der Beitrag der SDAI zum Beschäftigungswachstum hier deutlich wird.

 

Die BAGFW bedauert den ausschließlich deskriptiven Charakter des Berichts. Vorschläge für eine mögliche Weiterentwicklung der soziale Dienste, die über die im Binnenmarktpaket beschriebenen Strategien hinausgehen, finden sich nicht.

 

 

 

Der Bericht setzt sich ausführlich mit den Modernisierungsprozessen im Hinblick auf Organisation und Management, veränderten Formen der Regulierung und des guten Regierens sowie den Konsequenzen für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts auseinander. Die Kommission möchte damit den Dialog zwischen allen Beteiligten erleichtern.

 

 

 

 

Die BAGFW begrüßt die Zielsetzung, im Rahmen des Dialogs das Wissen über die Situation der sozialen Dienste in den Mitgliedstaaten zu verbessern und die Kenntnis über die Rahmenbedingungen der Anwendung des Gemeinschafts- rechts zu vertiefen.

 

Allerdings teilt die BAGFW nicht die Auffassung der Kommission, dass Probleme vor allem auf nicht ausreichenden Kenntnissen bei der „richtigen“ Auslegung des Gemeinschaftsrechts beruhen. Denn Probleme treten auch bei richtiger Kenntnis des Gemeinschaftsrechts auf. Immer wieder genannte Probleme, wie ein nicht ausreichender Schutz der Gemeinnützigkeit oder Schwierigkeiten bei der Berechnung der Mehrkosten aufgrund der Werte- orientiertheit werden nicht genannt und ernst genommen.

 

Die BAGFW bemängelt insofern die Einschätzung der Kommission, dass die Schwierigkeiten nicht in den Regeln als solche zu sehen sind, sondern sich allein  auf  die  Unkenntnis  über  ihre  Anwendung  in  einem  „neuen“  Feld beziehen.

 

 

 

Der Bericht beschreibt die Diversität der nationalen Rahmenbedingungen für die Dienstleistungserbringung. Diese Vielfalt, die auch Auswirkungen auf die jeweiligen nationalen Modernisierungsprozesse hat, beruht u.a. auf den unterschiedlichen Entwicklungen und Traditionen der Mitgliedstaaten und ihrer Sozialsysteme.

 

Die BAGFW erwartet, dass sich diese Erkenntnis auch in einer grundsätzlichen Klarstellung der nationalen Kompetenzen bei der Ausgestaltung des Gemeinnützigkeitsrechts im Rahmen der Anwendung und Auslegung der Gemeinschaftsregeln widerspiegelt. Mit einer solchen an der jeweiligen kulturellen Identität orientierten Klarstellung könnte den gesellschafts- politischen Ordnungsmodellen der Mitgliedstaaten mehr entsprochen und die Akzeptanz Europas durch die Bürgerinnen und Bürger gefördert werden.

 

 

 

Zur Situation gemeinnütziger sozialer Organisationen in Europa

 

Die Bedeutung gemeinnütziger sozialer Organisationen wird seit nunmehr fast 20

Jahren in vielen europäischen Dokumenten bekräftigt.

-     Mitteilung über die „Unternehmen der Economie Sociale und die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes ohne Grenzen“ (1989),

-     Arbeitsprogramm  der  Gemeinschaft  zu  Gunsten  von  Genossenschaften, Gegenseitigkeitsgesellschaften, Vereinen und Stiftungen (1995),

-     Mitteilung   über   die    Förderung   der    Rolle   gemeinnütziger   Vereine   und

Stiftungen in Europa (1997),

-     Grünbuch zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (2003),

-     Weißbuch über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (2004),

-     Mitteilung zu den Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse (2006),

-     Begleitdokument     zum     Binnenmarktpaket     über     Dienstleistungen    von allgemeinem Interesse unter Einschluss von Sozialdienstleistungen (2007)

-     Erster Zweijahresbericht zu den sozialen Diensten von allgemeinem Interesse

(2008).

 

 

 

 

Trotz der bisherigen Aktivitäten und Aussagen, die die Besonderheiten sozialer Dienste hervorheben und auch angesichts durchaus erkennbarer Diskussions- fortschritte, etwa im Hinblick auf die Autonomie und die Gemeinnützigkeit der Träger von Sozialdienstleistungen, muss als Quintessenz festgestellt werden, dass der grundsätzlichen Anwendung der Wettbewerbsbestimmungen ein Vorrang eingeräumt wird.

 

Dieser Primat der Wettbewerbsregeln und der Grundfreiheiten des Binnenmarktes steht der mitgliedstaatlichen Kompetenz und Verantwortung für die Organisation der Dienste von allgemeinem Interesse gegenüber und sorgt weiterhin für Unsicherheiten und Unklarheiten. Das Spannungsverhältnis zwischen der den Mitgliedstaaten zugestandenen ordnungspolitischen Kompetenz zur Mehrung des Gemeinwohls und der Gestaltung des sozialen Lebens einerseits und dem europäischen Auftrag zur Herstellung des Binnenmarktes andererseits muss etwa im Rahmen eines Gemeinwohlkonzeptes - gelöst werden.

 

 

 

Zur Ausgestaltung des Gemeinnützigkeitsrechts in Europa

 

Gemeinnützige Organisationen spielen in allen Mitgliedstaaten eine wichtige Rolle bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen für die Bürger. Sie erfüllen Aufgaben, für die die Mitgliedstaaten in der Regel eine Gewährleistungsgarantie trifft. Ihre Aktivitäten werden deshalb in allen Mitgliedstaaten gefördert und unterstützt. Wesentliche Instrumente sind dabei verschiedene Formen der Steuerbefreiungen und Steuervergünstigungen. Dies geschieht jeweils vor dem Hintergrund der Traditionen und kulturellen Identität der Mitgliedstaaten und umfasst auch diejenigen Dienste, die zur Erfüllung ihres gemeinnützigen und gemeinwohlorientierten Zweckes wirtschaftlich arbeiten. Damit verbunden sind aber ebenso spezifische Verpflichtungen, die dieser gemeinnützigen Form des Wirtschaftens auferlegt sind.

 

Kennzeichnend für gemeinnützige Organisationen ist, dass ihre Anerkennung auf der Grundlage einer besonderen Gesellschaftsform, etwa als Verein, erfolgt, die auf der Freiheit der Bürger beruht, sich zu bestimmten gemeinwohlorientierten Zielen und Zwecken organisieren. Es wird ein gewisser Grad an Formalisierung und Institutionalisierung vorausgesetzt. Gemeinsame Merkmale auf europäischer Ebene sind etwa die Verfolgung entsprechend definierter gemeinwohlorientierter Zwecke, die fehlende Gewinnausschüttung und die Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Stellen. Die große Bedeutung gemeinnütziger Organisationen besteht in vielen Mitgliedstaaten zudem in ihrer Rolle bei der Förderung freiwilligen Engagements und der Förderung der Zivilgesellschaft, sei es, dass sie aus Engagement der Bürger entstanden sind oder dass sie Bürger in ihre Arbeit einbeziehen. Die fehlende Gewinnerzielungsabsicht ist zudem ein Garant für eine auf Nachhaltigkeit und Zugänglichkeit angelegte Leistungserbringung.

 

Die Besonderheiten gemeinnütziger Leistungserbringung im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Verwirklichung der sozialstaatlichen und gemeinwohlbezogenen Ziele der Mitgliedstaaten und die soziale Gestaltung des lokalen und regionalen Gemeinwesens müssen in der Auslegung von Gemeinschaftsregeln Berück- sichtigung finden. Eine ausschließlich funktionale und technische Interpretation der Regeln bietet zwar hilfreiche Ansätze für bestimmte Problemlösungen, wird aber der

 

 

 

politischen  Dimension  eines  auf  zivilgesellschaftlichem Engagement  beruhenden

Gemeinnützigkeitsrechts nicht gerecht.

 

 

 

Problemstellungen des Gemeinnützigkeitsrechts

 

Die besondere Problematik für gemeinnützige Organisationen in Europa besteht bei der Erbringung soziale Dienstleistungen darin, dass diese nicht nur im Hinblick auf Projekte und einzelne Dienstleistungen Förderungen erhalten, sondern auch darin, dass sie allgemein durch Zuschüsse und Steuererleichterungen gefördert werden. Damit werden sie in die Lage versetzt, Sozialdienstleistungen zu entwickeln, soziale Infrastruktur mit zu gestalten und nachhaltig wohn- und gemeindenahe Angebote anzubieten. Hierdurch wird ein sozialer Mehrwert für die Bürger geschaffen.

 

Es ist unbestritten, dass für die Organisation und Ausgestaltung sozialer Dienst- leistungserbringung die Verantwortung bei den Mitgliedstaaten liegt. Auch sieht der EG-Vertrag keine unmittelbare Zuständigkeit für das Gemeinnützigkeitsrecht und die damit verbundenen steuerrechtlichen Regelungen der Mitgliedstaaten vor. Mittelbar wirken jedoch die Vorgaben der Binnenmarktregeln und des Beihilfenrechts, wie auch aktuelle Entscheidungen des EuGH zeigen.

 

Die BAGFW begrüßt in diesem Zusammenhang den von der Kommission mit der Beihilfenentscheidung und dem Beihilfenpaket verfolgten pragmatischen Ansatz, der wichtig und hilfreich ist. Wir hätten uns jedoch gewünscht, dass im Zweijahresbericht

– ausgehend von der Studie – weitergehende Klarstellungen und Lösungsvorschläge aufgezeigt worden wären.

 

Aus unserer Sicht kämen folgende Punkte für eine solche Vertiefung in Betracht:

 

-     deutlichere Problematisierung des Verhältnisses von Gemeinwohlauftrag und

Grundfreiheiten,

 

-     Präzisierung    des     Betrauungsbegriffs    im    Hinblick    auf    eine    bessere

Berücksichtigung des allgemeinen Gemeinwohlauftrags,

 

-     Berücksichtigung und Bewertung der mit der gemeinnützigen Dienstleistungs- erbringung verbundenen wirtschaftlichen Nachteile (Verlust unternehmerischer Freiheit, Bindungswirkung von Investitionskosten, Verbot von Quersub- ventionierung, keine Gewinnausschüttung sowie – nicht zu unterschätzen – besondere soziale Verantwortung gegenüber Öffentlichkeit und Leistungs- empfängern),

 

-     Präzisierung und ggf. Anpassung der Regelungen zu Ausgleichszahlungen und zur Frage der Überkompensation.