BAGFW fordert diskriminierungsfreien Zugang zu Sozialleistungen für EU-Bürger/innen

Zur Internationalen Woche gegen Rassismus

Der Zugang zur Sozialleistungen ist für EU-Bürger/innen nicht in allen Behörden diskriminierungsfrei gewährleistet. Das ist Ergebnis einer bundesweiten Umfrage der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) unter fast 400 Beratungsstellen aus dem Sommer 2020.

So berichten fast die Hälfte der Beratungsstellen von Fällen, in denen EU-Bürger/innen bereits in der Eingangszone von Jobcentern abgewiesen worden sind und somit keinen Antrag auf „Hartz IV“ stellen konnten. Über 40 Prozent der befragten Beratungsstellen gaben an, dass die Jobcenter rechtswidrig aufgrund fehlender Sprachkenntnisse die Entgegennahme von Anträgen abgelehnt haben.

„Diese Erkenntnisse sind alarmierend. Es darf nicht sein, dass Bürgerinnen und Bürger der EU daran gehindert werden, ihnen nach dem Gesetz und dem EU-Recht zustehende Leistungen zu beantragen. Diese Praxis muss ein Ende haben“, so der BAGFW-Vizepräsident Jens M. Schubert (AWO). „Es ist inakzeptabel, dass es Menschen auf diese Art und Weise massiv erschwert wird, ihr Existenzminimum zu sichern und ihr Recht auf staatliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen.“ Die BAGFW sieht einen akuten Handlungsbedarf. Die Behörden müssen sicherstellen, dass ihre Mitarbeitenden den aktuellen Stand der Rechtslage kennen und die rechtswidrige Praxis beenden. Dazu bedarf es neben entsprechenden Schulungen einer Sensibilisierung der Mitarbeitenden zur Vermeidung von Diskriminierungen.

Zusammenfassung der Umfrageergebnisse, die sich auf den Zeitraum Juni 2019 bis Juni 2020 beziehen:

  • EU-Bürgerinnen und EU-Bürger werden teilweise schon im Eingangsbereich von Jobcentern zurückgewiesen. Erhalten sie die Antragsunterlagen, werden sie teilweise zu einer Mitwirkung verpflichtet, die über das hinausgeht, was von deutschen Antragstellenden verlangt wird. Derartige allein auf Staatsangehörigkeit beruhende Ungleichbehandlung stellt eine verbotene Diskriminierung dar.
  • Teilweise werden aufstockende Leistungen trotz belegtem Erwerbstätigen-status verweigert. Besonders erschreckend ist dies, wenn Frauen in Mutterschutz oder Elternzeit trotz fortbestehendem Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmerstatus abgesprochen wird. Stark betroffen sind Familien mit Kindern, besonders wenn die Eltern unverheiratet zusammenleben.
  • Die Ergebnisse der Umfrage legen außerdem nahe, dass an ausländische EU-Bürgerinnen und -Bürgern unverhältnismäßig hohe Anforderungen an das Vorlegen von Dokumenten gestellt werden. Dies gilt sowohl für die Jobcenter als auch in besonderem Maße für die Familienkassen. So hat die Hälfte der Beratungsstellen zurückgemeldet, dass für einen Kindergeldantrag eine Vielzahl von Nachweisen und Dokumenten angefordert worden sind, die für die Prüfung einer Kindergeldberechtigung gar nicht erforderlich sind. Die BAGFW wertet eine solche Praxis als unzulässige Diskriminierung.
  • Als weiteres Ergebnis der Umfrage wird deutlich, dass bei Personen, die im Niedriglohnbereich tätig sind, ergänzende SGB-II-Leistungen abgelehnt werden. Hiervon berichtet fast die Hälfte der Beratungsstellen.
  • Die Leistungsverweigerung kann sehr problematische Folgen haben: Fast 60 Prozent der Einrichtungen berichten von Fällen, in denen wegen des Ausschlusses von SGB-II oder SGB XII-Leistungen Obdachlosigkeit entstand oder zumindest droht.
  • Werden Leistungen nach SGB II nicht erbracht, hat das auch zur Folge, dass der Zugang zu anderen Angeboten wie Integrationskursen erschwert wird oder Sprachkurse oder andere Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration nicht fortgeführt werden konnten. Hier sehen die Verbände dringenden Handlungsbedarf. Die Menschen sind, auch wenn sie keine Aufnahme in den Sozialsystemen finden, keineswegs „verschwunden“. Die Chancen auf eine Integration in den Arbeitsmarkt sinken allerdings beträchtlich, wenn nicht wenigstens der Zugang zu Arbeitsvermittlung und anderen unterstützenden (Beratungs-)Leistungen der Arbeitsverwaltung ungehindert offenstehen. Gleichzeitig wird damit gegen das Verbot verstoßen, Arbeitssuchende, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Selbstständige beim Zugang zum Arbeitsmarkt und bei Maßnahmen zur Arbeitsförderung zu diskriminieren (vgl. Art. 45 und 49 AEUV, Art. 4 VO 883/2004).

 

Die vollständigen Umfrageergebnisse sehen Sie hier: https://www.bagfw.de/veroeffentlichungen/stellungnahmen/positionen/detail/auswertung-der-umfrage-zu-praxiserfahrungen-der-mitarbeitenden-in-der-beratung