Stellungnahme der BAGFW zu den Integrationskursen nach §§ 43 ff. des Aufenthalts- gesetzes

Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zusammenarbeitenden Spitzenverbände setzen sich seit langem für ein staatliches Integrationsangebot ein.

Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zusammenarbeitenden Spitzenverbände setzen sich seit langem für ein staatliches Integrationsangebot ein. Die mit dem In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes eingeführten Integrationskurse werden daher von den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege begrüßt und unterstützt. Zudem beteiligen sich die Verbände im Rahmen ihrer Angebote auch als Träger von Integrationsangeboten.

 

Vor diesem Hintergrund möchten wir zu der aktuellen Debatte um die Integrationskurse Stellung nehmen.

 

Die im Haushaltsentwurf 2006 vorgesehene Kürzung ist zu überdenken.

 

Der aktuelle Haushaltstitel "Integrationskurse" ist hervorgegangen aus der Zusammenlegung der zuvor bestehenden drei Fördertitel der Bundesregierung, der Deutschförderung für Spätaussiedler, Kontingentflüchtlinge und Asylberechtigte nach dem damaligen SGB III, der Deutschförderung nach dem so genannten Garantiefonds und nach den Deutschkursen des zwischenzeitlich abgewickelten Sprachverbandes Deutsch für ausländische Arbeitnehmer. Die damalige Bundesregierung hat im Jahr 2000 "Eckpunkte zur Neustrukturierung der Sprachförderung für Aussiedler und Ausländer" vorgelegt. Die derzeitigen Kennziffern für die Integrationskurse (600 Stunden, 2,05 € pro Stunde etc.) basieren auf diesem Eckpunktepapier.

 

In der politischen Debatte um das damalige Eckpunktepapier haben sich die einzelnen Positionen verfestigt, ohne die erwachsenenpädagogischen und zweitsprachendidaktischen Notwendigkeiten zu beachten. So ist es beispielsweise nicht zu begründen, dass Analphabeten in der gleichen Zeit das gleiche Deutschniveau erreichen sollen wie Neueinwanderer, die bereits fünf Sprachen sprechen.

 

Nach Auffassung der BAGFW ist die vorgesehene Kürzung von rund 68 Mio. € das falsche Signal an die in der Bundesrepublik lebenden Migrantinnen und Migranten. Vielmehr ist eine strukturell-konzeptionelle Verbesserung dieses notwendigen Integrationsinstrumentes vorzunehmen. Dazu führen wir aus:

 

 

1.      Die von der Integrationskursverordnung vorgesehene Gruppengröße von bis zu 25 Teilnehmern muss von den meisten Kursanbietern aus wirtschaftlichen Gründen angestrebt werden. Damit ist eine Gruppengröße politisch vorgegeben, die allen erwachsenenpädagogischen Grundätzen widerspricht. Nach internationalem Standard hat sich eine Lerngruppe von 15 Teilnehmern als die effektivste Form erwiesen.

 

2.      Durch das Zertifizierungsverfahren des Bundesamtes sind derzeit mehr als 2000 Träger zugelassen. Es liegen aber keinerlei Erkenntnisse darüber vor, bei welchen Trägern tatsächlich Kurse zustande kommen. Das führt dazu, dass sich vielerorts Teilnehmer angemeldet haben, der Kurs aber über einen langen Zeitraum nicht zustande kommt. Unserer Erfahrung nach sind die Integrationskurse besonders in den Städten erfolgreich, in denen die Kommunen eine steuernde Funktion übernommen haben (Beispiele hierfür sind: Saarbrücken, Stuttgart und Nürnberg).

 

3.      Die Philosophie der Integrationskursverordnung besagt im wesentlichen, dass sich Neueinwanderer bei der Suche nach einem Integrationskurs marktförmig verhalten sollen, indem sie das für sich passende Angebot aussuchen. Diese Vorstellung ist lebensfremd und geht an den Bedürfnissen der Sprachkursteilnehmer vorbei.

 

4.      Die BAGFW plädiert deshalb für einen Qualitätsstandard für Sprachkursträger und die Einrichtung von Clearingstellen (Zentrale Informationsstellen) auf lokaler Ebene.

 

5.      Das "Handbook on Integration", das von der Migration Policy Group im Auftrag der Europäischen Kommission erstellt worden ist und einen Vergleich der nationalen Sprachkurssysteme für Neueinwanderer enthält, hat festgestellt, dass die besten Erfahrungen in den Ländern gemacht wurden, in denen die sprachliche Förderung mit einer beruflichen Erstorientierung verknüpft wird. Ein Aspekt, der in dem deutschen System bislang vollständig fehlt.

 

6.      Migrantinnen und Migranten sind eine äußerst heterogene Zielgruppe. Aus erwachsenenpädagogischer und sozialpädagogischer Sicht verlangt diese Heterogenität äußerste Flexibilität. Die Integrationskursverordnung hingegen ist als ein Angebot für alle konzipiert. Es ist daher auch nur folgerichtig, dass die Erfolge sehr unterschiedlich ausfallen.

 

Eine Flexibilisierung hinsichtlich der Stundenzahl und der zielgruppenadäquaten Ausgestaltung ist deshalb erforderlich.

 

7.      In der öffentlichen Auseinandersetzung um die Integrationskurse wird besonders bemängelt, dass die Zahl der Teilnehmer, die sich zu der Abschlussprüfung anmelden nur sehr gering ist. Das ist darin begründet, dass der derzeitige Abschlusstest nur eine Aussage darüber zulässt, ob das Niveau B1 erreicht wurde oder nicht. Eine abgestufte Zertifizierung (A2 erreicht) ist derzeit nicht möglich. Es ist deshalb dringend erforderlich, dass ein Verfahren eingeführt wird, dass den erreichten Stand dokumentiert.

 

8.      Durch die Einführung der Individualförderung ist in der Praxis ein überbordender Bürokratismus entstanden, der der politischen Forderung nach Bürokratieabbau zuwiderläuft.

 

Für einen Kurs von 630 Stunden mit 20 Teilnehmern fallen nahezu 600 Kopien an. Diese müssen zum Teil ausgefüllt, alle jedoch geprüft, bearbeitet und abgelegt werden, und zwar sowohl bei den Sprachkursträgern als auch bei dem Bundesamt.

 

Weitere notwendige Maßnahmen für eine erfolgreiche Ausgestaltung der Integrationskurse sind u. E.:

 

-       bessere Regelungen für die Kinderbetreuung,

-       Sicherstellung der Fahrtkostenübernahme für Teilnehmende mit geringem Einkommen,

-       Festlegung eines Mindesthonorars für Lehrkräfte. Ein qualitativ hochwertiger Unterricht ist dauerhaft nur gewährleistet, wenn gut ausgebildete und entsprechend bezahlte Lehrer/innen zur Verfügung stehen.

-       Ausweitung des Personenkreises, dem die Teilnahme an den Integrationskur­sen möglich ist. Dies betrifft Personen mit Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (nach § 25 Abs. 3 AufenthG), die nicht als Flüchtlinge anerkannt wurden, sowie Inhaber und Inhaberinnen eines deutschen Passes (mit Migrationshintergrund), die unzureichende Deutschkenntnisse besitzen.

-       Übernahme der Teilnahmegebühr für Familien mit geringem Einkommen, die jedoch über der Leistungsgrenze gemäß SGB II/XII liegen.

 

 

Beschlossen vom BAGFW-Vorsand in seiner Sitzung am 11.05.2006.

 

Berlin, 11.05.2006