Europapolitische Erwartungen der Freien Wohlfahrtspflege an das Europäische Parlament 2014 - 2019

Im Mai 2014 wurde das Europäische Parlament neu gewählt. Im Oktober 2014 läuft das Mandat der Europäischen Kommission aus. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) nimmt dies zum Anlass, sich für eine Stärkung der sozialen Dimension der Europäischen Union einzusetzen und europapolitische Erwartungen an das Europäische Parlament zu formulieren.

Europäische Herausforderungen

 

 

 

Im Mai 2014 wurde das Europäische Parlament neu gewählt. Im Oktober 2014 läuft das Mandat der Europäischen Kommission aus. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) nimmt dies zum Anlass, sich für eine Stärkung der sozialen Dimension der Europäischen Union einzusetzen und europapolitische Erwartungen an das Europäische Parlament zu formulieren.

 

 

Europa steht weiterhin vor großen Herausforderungen. Die Wirtschaftskrise führte in der Europäischen Union zu Verwerfungen, die einen Anstieg an Arbeitslosigkeit und eine Zunahme an Armut und sozialer Ausgrenzung zur Folge hatte. Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der einzelnen Mitgliedstaaten driftet auseinander. In etwa der Hälfte der Mitgliedstaaten, vor allem in Südeuropa, hat sich die Situation im vergangenen Jahr erneut verschlechtert. Entgegen der Bemühungen der EU ist die Armutsrisikoquote in zwei Dritteln der Mitgliedstaaten seit Ausbruch

der Krise gestiegen. In der EU lag sie 2013 bei über 24 Prozent.

 

 

 

Gleichzeitig machte die Krise Defizite im gemeinschaftlichen Handeln deutlich. Institutionell fand eine Abkehr von der Gemeinschaftsmethode und demokratischen und transparenten Entscheidungsprozessen statt. Strukturell wurde die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger sowie der zivilgesellschaftlichen Organisationen vernachlässigt.

 

 

Daneben stellt der demografische Wandel besondere Anforderungen an die

 

Mitgliedstaaten im Hinblick auf

 

-     die Versorgung der Menschen mit Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen,

 

-     die Handlungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme,

 

-     die Mobilität von Beschäftigten und

 

-     die Erbringung sozialer Dienstleistungen.

 

 

 

Viele Bürgerinnen und Bürger sind verunsichert. Sie erleben, dass nicht nur ihre eigenen Nationalstaaten, sondern auch die Europäische Union sich schwer tun, die Krise zu bewältigen. Hinzu kommen wenig transparente Entscheidungsprozesse. Notwendige Strukturreformen müssen aber gegenüber den Bürgern erklärt und legitimiert werden. Dies gilt umso mehr, als die Zahl der von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen in der EU durch die Krise zugenommen hat. Wenn die Europäische Union eine Zukunft haben will, muss sie für die Bürgerinnen und Bürger wieder attraktiv und Teil der Lösung der Zukunftsfragen werden.

 

 

Hier hat das Parlament in den kommenden Jahren eine besondere Verantwortung. Es muss seinen Beitrag dazu leisten, dass Entscheidungen transparent und nachvollziehbar sind und die Interessen der in Europa lebenden Menschen gewahrt werden. Dabei sind die jeweiligen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten der EU und der Mitgliedstaaten zu achten.

 

 

 

 

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege in Europa

 

 

 

Seit 1990 sind die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zusammen arbeitenden Verbände (Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Caritasverband, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Deutschland, Parität, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland) auf europäischer Ebene aktiv. Ihr Arbeitsschwerpunkt zielt darauf, die Lebenssituation der Menschen in Europa zu verbessern. In diesem Rahmen engagieren sich die Verbände anwaltschaftlich für ein soziales Europa, in dem die Würde und die Rechte aller in der Union lebenden Menschen gewahrt werden, Armut und soziale Ausgrenzung bekämpft und soziale Gerechtigkeit gesichert wird.

 

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege bringen sich durch Positionen und Expertise ein gegenüber den europäischen Institutionen und im Rahmen europäischer Netzwerke. Dabei geht es vor allem um

-     die Umsetzung der sozialen Ziele der Strategie Europa 2020;

 

-     die Unterstützung der vom Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personengruppen, wie z.

 

B. Migranten und Migrantinnen, Menschen mit Behinderungen;

 

-     die Auswirkungen des demographischen Wandels im Hinblick auf die Beschäftigung und den sozialen Sektor, etwa der Pflege, der Personalgewinnung und der Sicherung qualifizierter sozialer Dienstleistungen.

 

 

Darüber hinaus gilt die Aufmerksamkeit der Europaarbeit der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege der Vertretung der Belange ihrer Dienste und Einrichtungen, etwa durch die Schaffung und den Erhalt von Rahmenbedingungen, die eine europarechtskonforme Erbringung gemeinnütziger und gemeinwohlorientierter sozialer Dienstleistungen gewährleisten.

 

 

Das heißt für uns

 

-     klarstellende Ausgestaltung des Beihilfe- und Vergaberechts hinsichtlich des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses;

-     Darstellung und Beschreibung der Funktionsweise der mitgliedstaatlichen

 

Systematik der sozialen Dienstleistungserbringung und

 

-     ausreichende Bereitstellung qualitativ hochwertiger sozialer Dienste, damit die Menschen, die Hilfe und Unterstützung brauchen, ihr Wunsch- und Wahlrecht ausüben können.

 

 

Vor diesem Hintergrund richten wir die folgenden Erwartungen an das Europäische

 

Parlament:

 

Erwartungen an das neue Europäische Parlament:

 

 

 

 

 

1.    Stärkung der sozialen Dimension - Als Vertreter der Bürgerinnen und Bürger soll das Europäische Parlament seine Möglichkeiten nutzen und eine aktive Rolle bei der Beseitigung sozialer Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedstaaten und der Stärkung des sozialen Zusammenhalts wahrnehmen. Insbesondere soll sich das Europäische Parlament für eine Stärkung der sozialen Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion aussprechen und mehr Partizipation bei der Umsetzung des Europäischen Semesters einfordern.

 

 

2.    Handeln für die Bürgerinnen und Bürger - Es soll eine sozial verantwortliche Politik entworfen werden, die nicht als Annex zur Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik behandelt wird. Dabei sollte die unterstützende Funktion der europäischen Mittel zur Sicherung der sozialen Infrastruktur für von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohte Menschen genutzt werden. Insbesondere in den von der Krise betroffenen Mitgliedstaaten sind die Sozialschutzsysteme unter Druck geraten. Hier ist – unbeschadet der nationalen Zuständigkeit für den Sozialschutz – mehr Solidarität gefordert.

 

 

3.    Qualitativ hochwertige Dienste von allgemeinem Interesse - Das Europäische Parlament soll sich für die weitere Ausgestaltung des EU-Rechts einsetzen, damit diese Dienstleistungen entsprechend den mitgliedstaatlichen Traditionen und Grundlagen erbracht werden können und den Bürgerinnen und Bürgern qualitativ hochwertige Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse zur Verfügung stehen. Die Besonderheiten der sozialen Dienstleistungen sind im Europarecht zu berücksichtigen. Das Europäische Parlament soll sich zudem für eine Erhöhung der De-minimis- Schwellenwerte für soziale Dienstleistungen auf 1 Mio. € einsetzen.

 

 

4.    Wunsch- und Wahlrecht der Bürgerinnen und Bürger - Im Hinblick auf die Erbringung sozialer Dienstleistungen soll sichergestellt werden, dass das Wunsch- und Wahlrecht der Bürger gewährleistet, die Vielfalt der Träger und

 

Angebote geachtet und Transparenz hergestellt wird. Dabei ist das Prinzip der

 

Subsidiarität als Organisationsprinzip zu achten.

 

 

 

5.    EU-Haushalt stärken - Das Europäische Parlament soll sich dafür einsetzen, dass die Handlungsfähigkeit der Union verbessert wird. Es soll sich deshalb in den Vorverhandlungen für den EU-Haushalt 2021-2027 deutlich für eine Erhöhung der Finanzmittel der Europäischen Kohäsionspolitik aussprechen und keine erneuten Kürzungen mittragen.

 

 

6.  Umsetzung der EU-Kohäsionspolitik - Bei der Umsetzung der Kohäsionspolitik

 

2014-2020 soll das Europäische Parlament eine aktive Rolle bei der Beobachtung der Umsetzung der Operationellen Programme in den einzelnen Mitgliedstaaten einnehmen und darauf achten, dass die Verzahnung der Strategie Europa 2020 mit der Kohäsionspolitik sichtbar bleibt.

 

 

7.    Koordinierung der sozialpolitischen Instrumente - Das Europäische Parlament soll sich für eine klare Regelung zwischen der Beziehung der Offenen Methode der Koordinierung (OMK) und dem Europäischen Semester einsetzen, um die soziale Ziele der Strategie Europa 2020 verbindlicher zu machen. Dabei sollte die Bürgerbeteiligung und die Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Akteure ausgeweitet werden und eine themenspezifische Einbeziehung der Zielgruppen gewährleistet sein.

 

 

8.    Mobilität fair gestalten - Das Europäische Parlament soll sich für eine soziale und faire Gestaltung der Mobilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in einem gemeinsamen Europäischen Arbeitsmarkt einsetzen, um das Prinzip

'Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort' sicherzustellen.

 

 

 

9.  Soziale Fortschrittsklausel - Die sozial- und beschäftigungspolitischen Zielsetzungen sollen entsprechend den vertraglichen Grundlagen im europäischen Binnenmarkt stärker Berücksichtigung finden. Dabei sollen die

legislativen Maßnahmen auf ein möglichst hohes Sozialschutzniveau ausgerichtet sein. Der Verwirklichung der sozialen Grundrechte sollte der gleiche Stellenwert wie den Binnenmarkt- und Wettbewerbsbestimmungen eingeräumt werden.

 

 

10. Intergroup Soziales einsetzen - Es soll eine Intergroup im Europäischen Parlament eingerichtet werden, die sich mit der Rolle der sozialen Dienste in Europa und ihrem Beitrag zur sozialen Kohäsion, zum Sozialschutz und zur Erreichung der Europa 2020 Ziele auseinandersetzt, die die Rahmenbedingungen der Leistungserbringung beleuchtet und die Vorschläge für unterstützende Maßnahmen erarbeitet.