Hinweise des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zum Umgang mit Preissteigerungen in der öffentlichen Auftragsvergabe

Das Problem von Preissteigerungen, die frühere Preiskalkulationen nachträglich in Frage stellen, betrifft in hohem Maße auch die öffentliche Auftragsvergabe. Das BMWK hat auf dieses mit Hinweisen vom 24. Juni 2022 (Aktenzeichen IB6–20606–001 reagiert. Hier eine Kommentierung des BAGFW-Fachausschusses Vergaberecht.

Nach dieser Mitteilung eröffnet das Vergaberecht in engen Grenzen eine Möglichkeit zur Vertragsanpassung oder –auflösung, wenn die Änderung der Rahmenbedingungen in Folge des Ukraine-Kriegs das Festhalten am bisherigen bzw. ins Auge gefassten Vertrag unzumutbar machen. Dabei sei jedoch zu beachten, dass die Entscheidung, ob eine solche Lage konkret gegeben ist, eine Einzelfall-Entscheidung des jeweiligen Auftraggebers in Bezug auf den jeweils abgeschlossenen Vertrag ist. Zudem erklärt das BMWK eine mehr als hälftige Übernahme der Mehrkosten nach vergaberechtlichen Maßstäben für den Auftraggeber „jedenfalls regelmäßig unangemessen“.

Mit Blick auf anderweitige Überlegungen zum Umgang mit Preissteigerungen ist darauf hinzuweisen, dass es sich hier um die Antwort des Vergaberechts auf die Krise handelt. Daraus ergeben sich keine Rückschlüsse auf andere in der Sozialwirtschaft erprobte und bewährte Wege zur Krisenbewältigung.

Im Einzelnen:                                                                                                                                                   

In seinem Schreiben erkennt das BMWK an, dass die gegenwärtige wirtschaftliche Lage die Kalkulation von Angebotspreisen zu einem Risiko macht, das für Anbieter extrem schwer zu kalkulieren ist. Unter diesen Umständen erklärt das Ministerium vorübergehen einen besonders umsichtigen Umgang von Auftragsgeber und Auftragsnehmer mit bestehenden Verträgen aber auch laufenden und anstehenden Vergabeverfahren für erforderlich und gibt Auslegungshinweise zum Umgang mit dieser Situation. Kurz zusammengefasst gibt das BMWK den öffentlichen Auftraggebern

Folgendes mit:

  • Jeder Fall verlangt eine Einzelfallbetrachtung. Zu prüfen ist, welche Anpassungen die Haushaltslage mit dem Grundsatz der sparsamen Mittelverwendung und das Vergaberecht zulassen. Grundsätzlich ist es möglich, die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs als außergewöhnliches Ereignis zu werten, das die Risikosphären beider Vertragsparteien überschreitet.
  • Zulässige Folge dieser Einschätzung kann im Einzelfall eine Anpassung laufender Verträge bzw. die Aufnahme von Preisgleitklauseln in noch abzuschließende Verträge sein.
  • Das Schreiben erläutert zudem vergaberechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Anpassung bestehender Verträge (Grenzen der Vertragsanpassung aus § 132 GWB, unter II, S. 4) und zur Möglichkeit zur Ergänzung laufender Vergabeverfahren um Preisgleitklauseln (s. unter III, S. 5).
  • Insbesondere erläutert das Schreiben die einzelnen möglichen Instrumente der Vertragsanpassung. Dabei weist es darauf hin, dass das Ersuchen und die Begründung von Vertragsanpassungen von den Auftragnehmern ausgehen muss und zu begründen ist. 
    • Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB, S. 2 
      Hier geht es darum, mit einer Vertragsanpassung oder einem besonderen Rücktrittsrecht auf eine Änderung der Rahmenbedingungen zu reagieren, die so gravierend ist, dass die Parteien bei ihrer Kenntnis den Vertrag nicht in seiner ursprünglichen Form abgeschlossen hätten. Sofern dies der Fall ist und unter diesen neuen Bedingungen ein Festhalten am alten Vertrag für den Anbieter unzumutbar ist, hat er einen Anspruch auf Vertragsanpassung.

      In Bezug auf die aktuelle Lage erklärt das BMWK, dass der Ukrainekrieg und seine Folgen grundsätzlich geeignet sind, die Geschäftsgrundlage des geschlossenen Vertrags i.S.v. § 313 BGB zu stören.

      Ob der konkret zu bewerten Fall als Störung zu werten ist, sei im Einzelfall im Rahmen einer Gesamtbetrachtung des Vertrages zu prüfen. Nach Aussage des BMWK gibt es keine allgemeinen Werte, deren Überschreitung ohne weiteres als Unzumutbarkeit zu werten ist.

      Für die Preisanpassung seitens des Auftraggebers gibt das Ministerium dabei folgende Hinweise: eine umfassende Übernahme aller Mehrkosten schließt es aus und erklärt eine Übernahme von mehr als der Hälfte der Mehrkosten durch den Auftraggeber für „jedenfalls regelmäßig unangemessen“.

      Sofern eine Preisanpassung nicht ausreicht, um ein Festhalten am Vertrag zumutbar zu machen, weist das Schreiben ersatzweise auf ein Rücktritts- oder Sonderkündigungsrecht hin. Aber auch hier seien Interessen des Auftraggebers zu berücksichtigen, die gegebenenfalls der vollständigen Beendigung des Vertrags entgegenstehen können. 
       
    • Veränderungen von bestehenden Verträgen nach § 58 Bundeshaushaltsordnung, S. 3
      Vertragsänderungen, die mit einer Preisanpassung einseitig den Auftragnehmer begünstigen, sind auch ohne Störung der Geschäftsgrundlage i.S.v. § 313 BGB möglich. Bei diesem Anpassungsinstrument entfallen damit auch die komplizierten Einzelfallabwägungen. Eine für den Auftraggeber nachteilige Vertragsänderung ist im begründeten Ausnahmefall zulässig, z. B. wenn die Nichtanpassung des Vertrages für den Anbieter unzumutbar wäre. 

      Ob die Preisanpassung zum Nachteil des Auftraggebers erfolgt und damit rechtfertigungsbedürftig ist, ist nach Aussage des BMWK im Rahmen einer Gesamtbewertung im Hinblick auf den Auftrag festzustellen; dabei weist das BMWK ausdrücklich darauf hin, dass für diese Prüfung nicht allein die wirtschaftliche Situation des betroffenen Bieters ausschlaggebend ist. Wenn die Preisanpassung die termingerechte Fortführung der Leistungen fördert, liegt von vornherein kein Nachteil für den Auftraggeber vor.

 

Berlin, 07.10.2022

Bundesarbeitsgemeinschaft

der Freien Wohlfahrtspflege e. V.

Dr. Gerhard Timm

Geschäftsführer

 

Kontakt:

Dr. Friederike Mußgnug (friederike.mussgnug(at)diakonie.de)