Konsenspapier der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege zur Weiterentwicklung der Regelsätze nach § 28 SGB XII und § 20 SGB II

Nach § 28 SGB XII setzen die Landesregierungen durch Rechtsverordnung erstmals zum 1. Januar 2005 und dann zum 1. Juli eines jeden Jahres die Höhe der monatlichen Regelsätze im Rahmen der Rechtsverordnung nach § 40 fest.

1.    Ausgangslage

Nach § 28 SGB XII setzen die Landesregierungen durch Rechtsverordnung erstmals zum 1. Januar 2005 und dann zum 1. Juli eines jeden Jahres die Höhe der monatlichen Regelsätze im Rahmen der Rechtsverordnung nach § 40 fest. Das Bemessungsverfahren für die Regelsätze ist sowohl in den übrigen Abschnitten dieses Paragrafen als auch in der Regelsatzverordnung weiter differenziert. Die Bemessung wird überprüft und gegebenenfalls weiterentwickelt, sobald die Ergebnisse einer neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorliegen.

 

Für die Neubemessung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes findet nach § 20 Abs. 4 SGB II § 28 Abs. 3 Satz 5 des Zwölften Buches entsprechende Anwendung.

 

Die Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2003 liegen nun vor, so dass sowohl auf der Bundesebene als auch auf der Länderebene die Vorbereitung der Neufestsetzung der Regelsätze sowie zu ihrer Überprüfung und Weiterentwicklung eingeleitet werden muss. Allerdings fehlt noch die Veröffentlichung der Verbrauchsausgaben der untersten 20 vom Hundert der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe nach Herausnahme der Empfänger von Leistungen der Sozialhilfe. (§ 2 Abs. 3 Regelsatzverordnung)

 

Früher waren nach § 114 BSHG „sozial erfahrene Personen“ z.B. aus den Wohlfahrtsverbänden vor der Neufestsetzung der Regelsätze verbindlich anzuhören. Diese Regelung besteht nicht mehr im SGB XII. Ein Anhörungsgebot kann sich aber aus Landesrecht oder den Geschäftsordnungen der Landesregierungen ergeben. In einigen Bundesländern wurde es im letzten Jahr – obwohl es speziell zu diesem Zeitpunkt kaum einen Handlungsspielraum gab – auch praktiziert. Auf der Bundesebene gibt es die Aussage der früheren Bundesregierung, die Wohlfahrtsverbände nach wie vor im Rahmen des Neufestsetzungsverfahrens des SGB XII zu beteiligen.

 

2.    Anforderungen an die Regelsatzbestimmung

Aufgabe der Sozialhilfe ist es, das soziokulturelle Existenzminimum für alle bedürftigen Menschen zu gewährleisten und den Leistungsberechtigten die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen. Dazu gehört insbesondere, dass den Leistungsberechtigten nicht nur das zum Lebensunterhalt Unerlässliche gewährt wird, sondern sie in die Lage versetzt werden, in der Umgebung von Nichthilfeempfängern ähnlich wie Personen mit geringem Einkommen leben zu können[1].

Der Regelsatz der Sozialhilfe muss dabei die monatlich notwendigen Ausgaben insbesondere für Ernährung, Bekleidung, Haushaltsgegenstände, Hygienebedarf usw. umfassen, die nicht wie Miete, Mietnebenkosten, Krankenversicherung u.a. über andere Wege übernommen werden.

Er muss auch und gerade in jedem Einzelfall für die Menschen das soziokulturelle Existenzminimum gewähren, die dies weder über

·         Erwerbsarbeit,

·         Ersparnisse oder

·         Unterhaltsleistungen Dritter

sicherstellen können.

 

3.    Gemeinsame Forderungen

Innerhalb der Freien Wohlfahrtspflege gibt es ein Spektrum an Meinungen zur Weiterentwicklung der Regelsätze. Dieses reicht von einer neutralen Position bzw. einem Belassen der Höhe etwa auf dem heutigen Stand bis hin zu Forderungen nach einer Erhöhung der Regelsätze um etwa 20 %.

 

Unter den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege gibt es folgenden Konsens:

 

1.    Die in § 28 Abs. 5 SGB XII vorgeschriebene Überprüfung und Weiterentwicklung ist schnellstmöglich durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter Beteiligung von Experten auch aus der Freien Wohlfahrtspflege zu beginnen. Dazu müssen die Ergebnisse der Sonderauswertung der EVS veröffentlicht und diskutiert werden. Das Ergebnis dieses Verfahrens muss dann noch in diesem Jahr seinen Niederschlag sowohl bei den Regelsätzen des SGB XII als auch des SGB II finden.

 

2.    Die Festlegung eines so wichtigen Wertes wie dem des soziokulturellen Existenzminimums gehört eher in die Zuständigkeit des Gesetzgebers als in die des Verordnungsgebers.

 

3.    Die im Rahmen der Regelsatzverordnung vorgenommenen Abschläge in einzelnen Abteilungen waren z.T. nicht nachvollziehbar (“Pelzmäntel-Argument“). Auch darüber muss neu verhandelt werden.

 

4.    Auch die enormen Steigerungen bei Ausgaben für Teile des Existenzminimums seit der Datenaufnahme der EVS 2003 – insbesondere für Energie[2] und Gesundheit (Zuzahlungen) – sind im neuen Regelsatz ausreichend zu berücksichtigen.

 

5.    Die Neufestsetzung der Regelsätze hat die Ausgabensteigerung der privaten Haushalte für die angekündigte Mehrwertsteuererhöhung aufzufangen.

 

6.    Der Regelsatz für Kinder muss sich an kindgerechten Bedarfen orientieren und transparent ausgestaltet sein.

 

7.    § 20 Abs. 2 SGB II ist wie § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII um eine Öffnungsklausel für atypische Bedarfslagen im Einzelfall  (z. B. Kosten des von Art. 6 GG geschützten und gebotenen Umgangsrechts oder außergewöhnliche krankheitsbedingte Kosten, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden) zu erweitern.

 

8.    Zur Anpassung in den Jahren zwischen den Neuauswertungen der EVS ist mindestens der Ausgleich der Inflation notwendig.

 


[1] BVerwGE 36,. 258.

[2]  Unter die Kosten für Energie fallen nicht die Heizkosten, aber Strom- und ggf. Benzinkosten.