Stellungnahme der BAGFW zu den Umsetzungsvorschlägen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zur "Teilhabe am Arbeitsleben" auf Grundlage des Arbeitspapiers vom 19.11.2014 im Rahmen der BMAS - AG Bundesteilhabegesetz

Mit der vorliegenden Positionierung bekräftigt und konkretisiert die BAGFW ihre Bewertungen des oben genannten Arbeitspapiers sowie ihre Vorstellungen bezüglich der Weiterentwicklung der Teilhabe am Arbeitsleben und der Beruflichen Bildung im Rahmen der Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes.

Vorbemerkung

Im Koalitionsvertrag wurde 2013 vereinbart, dass die Kommunen im Rahmen der Verab-schiedung des Bundesteilhabegesetzes im Umfang von fünf Milliarden Euro jährlich von der Eingliederungshilfe entlastet werden sollten. Das Bundeskabinett hat im Rahmen seiner Haushaltsplanungen am 18. März 2015 beschlossen, die Entlastung der Kommunen nicht im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes vorzunehmen. Die Verbände der Bundesarbeitsge-meinschaft der Freien Wohlfahrtspflege fordern die Bundesregierung auf, die Zusage zur

Finanzierungsbeteiligung des Bundes an einem Bundesteilhabegesetz aufrechtzuerhalten und einzulösen. Teilhabe und Inklusion benötigen finanzielle Investitionen, nur so lassen sich verlässliche Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Teilhabechancen von Menschen mit

Behinderung UN-BRK menschenrechtskonform verwirklichen. Inklusion ist kein Sparmodell. Ohne ausreichende Finanzausstattung bleibt ein Bundesteilhabegesetz wirkungslos.

 

zu 1. Sachverhalt

Bei der Beschreibung des Sachverhaltes im o. g. Arbeitspapier werden zunächst die Grund-lagen des Werkstättenrechts umrissen und einige der Vorstellungen aufgeführt, die in der Fachöffentlichkeit im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Teilhabe am Arbeitsleben seit Längerem diskutiert würden. Dies greift aus Sicht der BAGFW deutlich zu kurz.

Nach Auffassung der BAGFW ist Grundlage und Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung der Teilhabe am Arbeitsleben Artikel 27 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, wonach die Vertragsstaaten sich verpflichten, Menschen mit Behinderungen den Zugang zur Teilhabe am Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Da die UN-BRK keine Differenzierung hinsichtlich Art der Behinderungen und Umfang des Unterstützungsbedarfs vornimmt, sind bei einer Neuausrichtung des Leistungsrechtes deshalb alle Menschen mit Behinderungen und somit auch die Regelungen des SGB II und III sowie eine Reihe weitere Themen in den Blick zu nehmen. Ausführungen hierzu folgen unter Pkt. 3 d). Zunächst soll im Folgenden Bezug auf die Umsetzungsvorschläge des BMAS - Arbeitspapiers genommen werden:

 

zu 2. Handlungsbedarf

Die BAGFW begrüßt die Weiterentwicklung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Grundlage des „Personzentrierten“ Ansatzes. Wichtige Voraussetzungen hierfür sind aus ihrer Sicht die Neudefinition des Behinderungsbegriffs, die Schaffung eines Rechtsanspruchs auf eine ausschließlich den Interessen der Leistungsberechtigten verpflichtete Beratung, ein partizipatives Gesamtplanungsverfahren auf Grundlage des Wunsch- und Wahlrechtes sowie die Beibehaltung des offenen Leistungskatalogs.[1]

Das Ziel, mehr Menschen mit Behinderungen die Teilhabe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen, ist vor dem Hintergrund der UN-BRK zu unterstützen. Gleichwohl müssen Menschen, die als nicht erwerbsfähig gelten, zukünftig einen Rechtsanspruch erhalten, zwischen der Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen bzw. einem vergleichbaren Angebot oder einer unterstützten Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wählen zu können. Handlungsleitend für die Gewährung von Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderungen ist nicht die Leistungsfähigkeit, sondern das Recht auf Teilhabe am Arbeits-leben sowie die Vorstellungen und der Wille der leistungsberechtigten Menschen mit Behinderungen.

Der Rechtsanspruch auf die Komplexleistung WfbM bzw. ggf. alternativer Angebote ist weiterhin in vollem Umfang zu erhalten. Bei Nutzung alternativer Angebote auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder bei sog. "Anderen Anbietern" ist ein Rückkehrrecht in die WfbM rechtlich zu verankern. Die bisher an die WfbM gebundenen sozialversicherungsrechtlichen Regelungen und Schutzrechte sind auf die alternativen Leistungsangebote zu übertragen. Es ist zu gewährleisten, dass bei einem Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt keine sozialversicherungsrechtlichen Nachteile für die Menschen mit Behinderungen entstehen.

 

zu 3. Handlungsoptionen

a) "Öffnung der Werkstätten für behinderte Menschen „nach oben“/„nach außen“

zu a1) "Andere Leistungsanbieter"

Die Schaffung von Alternativen zu einer Beschäftigung in der WfbM ist im Sinne verbesserter Wahloptionen zu unterstützen. Für die geplanten "Anderen Anbieter" müssen bundeseinheitliche und vergleichbare Qualitätsanforderungen beschrieben werden. Die Weiterentwicklung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Rahmen eines Bundesteilhabegesetzes muss der Verbesserung der Teilhabechancen von Menschen mit Behinderungen dienen. Eine evtl. Absenkung von Standards insbesondere im Hinblick auf Personalschlüssel, Qualifizierung und Vergütung der Fachkräfte, Mitbestimmungsrechte und soziale Absicherung ist abzulehnen. Bei einer Modularisierung der Leistungsangebote in „Leistungen der Eingangsklärung“, Leistungen zur beruflichen Bildung“ und „Leistungen zur Beschäftigung“ ist der Rechtsanspruch auf alle drei Angebotsformen zu sichern. Die Komplexleistung der WfbM ist in der regionalen Struktur weiterhin in ausreichendem Umfang vorzuhalten. Der Erhalt des Rechtsanspruchs und damit das Wahlrecht auf einen Arbeitsplatz in einer in WfbM ist gesetzlich zu verankern.

 

zu a2) "Budget für Arbeit"

Der Vorschlag, ein sog. "Budget für Arbeit" einzuführen, wurde aus Sicht der BAGFW bislang nicht hinreichend konkretisiert. Auf Grundlage der mündlichen Erörterungen ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um ein Angebot in Anlehnung an einzelne, bereits bestehende Ländermodellprojekte handelt. Bei diesen werden im Sinne eines sog. "Minderleistungsausgleichs" ein Lohnkostenzuschuss an den Arbeitgeber " sowie flankierende (begrenzte) Assistenzleistungen gewährt. Angesichts positiver Erfahrungen in einzelnen Bundesländern ist ein solches "Budget für Arbeit" aus Sicht der BAGFW für einen Teil der Menschen mit Behinderungen - und sofern alternativ hierzu im Sinne des Wunsch- und Wahlrechtes auch andere Leistungsangebote zur Verfügung stehen und frei gewählt werden können - grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings kommt eine solche Leistungsform, die nur einen geringen und pauschalierten Umfang an begleitender Arbeitsassistenz vorsieht, nur für entsprechend leistungsfähige, relativ selbstständige Personen in Frage. Menschen mit Behinderungen und höherem personalen Unterstützungsbedarf wären damit weiterhin auf WfbM bzw. vergleichbare Angebote verwiesen. Da die UN-BRK keine Einschränkung hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Menschen mit Behinderungen vornimmt, ist dafür Sorge zu tragen, dass auch Menschen mit erhöhtem und dauerhaftem Unterstützungsbedarf Teilhabe am Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglicht wird. In entsprechenden Modellprojekten konnte nachgewiesen werden, dass dies häufig möglich ist, sofern die Leistungsberechtigten eine entsprechend bedarfsgerechte Unterstützung erhalten. Hierfür sind die bisher institutionsgebundenen Mittel der Eingliederungshilfe nicht nur als grundsätzlich pauschaliertes Budget, sondern als Arbeitgeberzuschuss in Verbindung mit individuell bedarfsgerechten Assistenzleistungen zur Verfügung zu stellen. Zu diesem Zweck ist neben dem oben beschriebenen "Budget für Arbeit" auch das Persönliche Budget nach § 17 SGB IX für die Berufliche Bildung und die Teilhabe am Arbeitsleben umfassend nutzbar zu machen. Auch bei einer Nutzung des "Budgets für Arbeit" bzw. des Persönlichen Budgets nach § 17 SG IX ist eine Rückkehr in die WfbM oder vergleichbare Angebote auf Wunsch des Leistungsberechtigten zu ermöglichen. Eine entsprechende Regelung ist gesetzlich zu verankern.

 

zu b1) "Öffnung der Werkstätten „nach unten“/“innen"

Da mit der Überschrift "nach unten", aus Sicht der BAGFW, eine hierarchische Herabsetzung und Diskreditierung des betroffenen Personenkreises verbunden ist, ist diese scharf zu kritisieren. Es wird vorgeschlagen, diese zu ersetzen durch: Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit komplexem Unterstützungsbedarf.

Weiterhin steht die institutionsbezogene Formulierung "Öffnung der Werkstätten" in diesem Zusammenhang im Widerspruch zu dem allgemeinen Ziel der Reform, Leistungen zukünftig „Personzentriert“ auszurichten. Zielsetzung muss sein, die Leistungen der beruflichen Bildung und Teilhabe am Arbeitsleben auch für Menschen mit komplexem Unterstützungsbedarf „Personzentriert“, d. h. auf Grundlage des Wunsch- und Wahlrechtes, individuell bedarfsgerecht und unabhängig vom Ort der Leistungserbringung zu gewähren. Das bedeutet, dass die Leistungen zukünftig nicht nur in WfbM, sondern auch an anderen Orten und von anderen Leistungserbringern erbracht werden können. Damit geht einher, dass zukünftig beispielsweise ggf. auch Tagesförderstätten arbeitsweltbezogene Bildungs- und Beschäftigungsangebote vorhalten können. Wie vom BMAS richtigerweise dargelegt, liegt die Einbeziehung auch von Menschen mit Behinderungen mit einem sehr geringen Leistungsvermögen in die Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben im Verständnis der UN-BRK. Verbände der BAGFW und die weiteren Organisationen der BRK-Verbändeallianz weisen deshalb bereits seit Jahren darauf hin, dass der bisher in den meisten Bundesländern praktizierte Ausschluss von Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen aus der WfbM eine Diskriminierung darstellt, weshalb eine Änderung der Regelung des § 136 Abs. 3 SGB IX / Streichung des Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung dringend erforderlich bzw. überfällig ist[2].

Menschen mit komplexem Unterstützungsbedarf sind zukünftig in die Angebote der beruflichen Bildung und Teilhabe am Arbeitsleben bundesweit und verbindlich einzubeziehen.

Die gesetzlichen Regelungen sind dabei so auszugestalten, dass nicht nur der Zugang zur WfbM, sondern Teilhabeleistungen „Personzentriert“ bzw. institutionsunabhängig auch an anderen Orten erbracht werden können. Parallel zur Schaffung angemessener gesetzlicher Regelungen sind auch die konzeptionellen und finanziellen Rahmenbedingungen (Weiterentwicklung der Bildungs-, Förder- und Beschäftigungskonzepte, Anpassung der Personalschlüssel an die individuellen Unterstützungsbedarfe usw.) weiterzuentwickeln bzw. zu schaffen. Um zukünftig bundesweit einheitliche Teilhabechancen zu gewährleisten, fordert die BAGFW das BMAS auf, die Entwicklung eines dementsprechenden Rahmenkonzeptes, in dem bundeseinheitliche Standards und Qualitätsanforderungen an eine Person-zentrierte Gestaltung der Leistungen beschrieben werden, zu veranlassen. Ausgangspunkt muss auch hierfür das Wunsch- und Wahlrecht sowie die individuell bedarfsgerechte Ausgestaltung der Teilhabeangebote sein.

Die Handlungsoption „Einbeziehung der Tagesförderung (nur Arbeitsbereich)“ wird abgelehnt. Das Recht auf Teilhabe des hier im Fokus stehenden Personenkreises darf sich nicht nur auf den Arbeitsbereich bzw. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beziehen; der Ausschluss von Menschen mit Behinderungen aus dem Berufsbildungsbereich bzw. von Leistungen der Beruflichen Bildung ist diskriminierend und deshalb aus Sicht der BAGFW strikt abzulehnen. Zudem würde dies einen Rückschritt gegenüber aktuell geltendem Recht bedeuten, da zurzeit entsprechend § 136 SGB IX der Berufsbildungsbereich der WfbM (theoretisch) allen Menschen mit Behinderungen offen steht. Die Handlungsoption, allein die rentenrechtlichen Ansprüche zu gewähren, ist ebenfalls abzulehnen, da die Zielsetzung eben vor allem in der Ermöglichung der Teilhabe an Beruflicher Bildung und am Arbeitsleben besteht.

 

zu c) Schaffung zusätzlicher Beschäftigungsanreize im Schwerbehindertenrecht

Die Vorschläge c1) (Ausbau der beruflichen Orientierung) und c2) (verstärkte Förderung von Integrationsunternehmen) werden unterstützt, s. Pkt. 3 d)

 

zu d) Weitere mögliche, in Diskussion stehende Handlungsoptionen im Kontext "Teilhabe am Arbeitsleben"

Erhöhung der Arbeitsentgelte von Werkstattbeschäftigten

Dem Vorschlag des BMAS zur Verbesserung der Entlohnung von Werkstattbeschäftigten durch Anhebung des Arbeitsförderungsgeldes ist im Sinne eines ersten Schrittes zuzustimmen. Darüber hinaus schlägt die BAGFW die Anhebung der 325-Euro-Grenze vor. Darüber hinaus sind weitere tragfähige Lösungen im Sinne der UN-BRK zu entwickeln.

Aus Sicht der BAGFW besteht neben den Umsetzungsvorschlägen des BMAS Handlungsbedarf u. a. in folgenden weiteren Bereichen:

Weiterentwicklung arbeitsmarktpolitischer Instrumente

Damit Menschen mit Behinderungen besser in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden können, sind aus Sicht der BAGFW  auch nachfolgende Themenbereiche zu bearbeiten:

  • Weiterentwicklung des Zugangs, des Assessments und der Beratung,
  •  Ausrichtung der Arbeitsförderung und Ausgestaltung der Arbeitsmarktinstrumente im SGB II und III auf die Zielgruppe
  • Unterstützung der Arbeitsaufnahme und Weiterentwicklung von Arbeitsprojekten. [3]

 

Förderung des Übergangs Schule/ Beruf

Die Weichen für die Möglichkeit zur Teilhabe am Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt werden nicht erst mit Beginn einer beruflichen Qualifizierung, sondern bereits in der Schulzeit gestellt. Festzustellen ist, dass in vielen Bundesländern Kinder und Jugendliche mit Behinderungen noch immer überwiegend in Förderschulen unterrichtet werden. Nach Auffassung der BAGFW ist als Voraussetzung für die Verbesserung der Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt der intensive Ausbau inklusiver Beschulung dringend erforderlich. Dabei ist den jeweiligen Bedarfen der Schülerinnen und Schüler umfassend Rechnung zu tragen. Die hierfür erforderlichen Mittel müssen bereitgestellt werden.

Weiterhin ist die flächendeckende Einführung und verbindliche Finanzierung eines rechtlich verankerten Beruflichen Orientierungsverfahrens (BOV) in den Schulen dringend geboten. Das BOV sollte Teil einer Berufswegeplanung im Rahmen eines ICF-basierten, Person-orientierten und partizipativen Gesamtplanungsverfahren sein. Darüber hinaus ist es aus Sicht der BAGFW notwendig, die Vermittlung erster beruflicher Erfahrungen wie auch bei Schülerinnen und Schülern ohne Behinderungen bereits in der Schulzeit verbindlich zu gestalten. Dabei stellen insbesondere längere und unterstützte Praktika in den Betrieben eine geeignete Möglichkeit dar. Um dies auch Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen und Assistenzbedarf zu ermöglichen, muss ein Rechtsanspruch auf die Finanzierung ggf. individuell erforderlicher Assistenzleistungen einschließlich der Sicherstellung angemessener Vorkehrungen geschaffen werden.

 

Weiterentwicklung Beruflicher bzw. Arbeitsweltbezogener Bildung

Nach Auffassung der BAGFW sind im Sinne eines inklusiven Arbeitsmarktes die Bemühungen um Ausbau und Förderung der betrieblichen Ausbildungsmöglichkeiten zu intensivieren.

In den WfbM sowie bei evtl. zukünftigen alternativen Angeboten ist im Sinne einer inklusiven Ausrichtung der Beruflichen Bildung u. a. eine Anpassung an die übliche Dauer der betrieblichen Ausbildung erforderlich.

Zudem sollten auch hier anerkannte Ausbildungsberufe angeboten werden, um Chancen auf die Aufnahme eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses zu erhöhen. Darüber hinaus sollte darauf hingewirkt werden, dass von den IHKs, Handwerkskammern und sonstigen zuständigen Kammern die in der WfbM vermittelten Berufsbilder anerkannt und entsprechende Abschlüsse erworben werden können.

Die Gestaltung der beruflichen Bildung muss sich am jeweiligen individuellen Bedarf der Menschen mit Behinderungen orientieren, u. a. sind auch Teilzeitregelungen zu ermöglichen.

Die Berufsbildungskonzepte der WfbM sind bisher meist auf Personen ausgerichtet, die entsprechend § 136 Abs. 2 SGB IX in der Lage sind, ein sog. „Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung“ zu erbringen. Bei einem zukünftigen Einbezug von Menschen mit komplexem Unterstützungsbedarf in die WfbM oder vergleichbare Angebote ist eine konzeptionelle Weiterentwicklung im Sinne einer arbeitsweltbezogenen Bildungsbegleitung dringend erforderlich.

 

Weiterentwicklung des Werkstättenrechts

Der Vorschlag des BMAS zur Weiterentwicklung des Werkstättenrechts wird begrüßt. Von zentraler Bedeutung dabei ist die Weiterentwicklung der Werkstättenmitwirkungsverordnung (WMVO) im Sinne verbesserter Mitbestimmungsrechte für die Werkstattbeschäftigten/den Werkstattrat. Die Werkstatträte vertreten in verschiedenen Formen regional und überregional die Interessen der Werkstattbeschäftigten. Die Arbeit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesarbeitsgemeinschaften der Werkstatträte (BVWR) erfolgt dabei bisher im Rahmen einer befristeten Projektförderung und auch die Finanzierung der Arbeit der Landesarbeitsgemeinschaften der Werkstatträte ist bisher nur in einzelnen Bundesländern geregelt. Um die Mitbestimmungsrechte von Menschen mit Behinderungen auf überregionaler Ebene wirksam zu stärken und zu sichern, muss eine dauerhafte, tragfähige Lösung entwickelt und rechtlich verankert werden, die eine zuverlässige und langfristige Finanzierung der BVWR wie auch der LAGs der Werkstatträte gewährleistet. Zudem sind auch für die geplanten „anderen Anbieter“ vergleichbare Mitbestimmungsregelungen für die dort beschäftigten Menschen mit Behinderungen zu treffen.

 

Stärkung von Integrationsfirmen

Die Integrationsprojekte nach § 132 SGB IX ermöglichen inklusive Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Nach Auffassung der BAGFW ist deren nachhaltige Förderung dringend geboten. Bestehende und geplante Zuschüsse im Sinne eines „Minderleistungsausgleichs“ sollten auch hier individuell bedarfsgerecht und neben den finanziellen Leistungen nach § 134 SGB IX geleistet werden können.

Die bestehenden Modelle eines sog. Kombilohns durch die Integrationsämter sollten erhalten bleiben und ebenfalls individuell bedarfsgerecht ausgestaltet werden.

Durch eine Bundesverordnung nach § 135 SGB IX sollten die fachlichen Anforderungen und die finanziellen Leistungen bundesweit einheitlich geregelt werden. Ferner sollten die Integrationsprojekte bei Vergabe von Aufträgen durch die öffentliche Hand gemäß § 141 SGB IX neben den Werkstätten für behinderte Menschen ebenfalls bevorzugt berücksichtigt werden.

 

Regelungen für Zuverdienstprojekte

Beim „Zuverdienst“ handelt es sich um ein niedrigschwelliges Leistungsangebot für voll erwerbsgeminderte Personen nach § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI, § 136 SGB IX, die die Zugangsvoraussetzungen für Leistungen der Eingliederungshilfe erfüllen und für einige Stunden in der Woche (bis zu 15 Stunden) tätig sein können und wollen. Zuverdienstprojekte sind nach Auffassung der BAGFW geeignet, um insbesondere Menschen mit psychischer Erkrankung den Wiedereinstieg ins Arbeitsleben zu erleichtern. Um diese Leistung weiter zu befördern, ist die Schaffung einer bundesweiten Regelung für den Anspruch auf Unterstützung zur Teilhabe am Arbeitsleben notwendig, der in Zuverdienstprojekten eingelöst werden kann.

 

Berücksichtigung der besonderen Situation und Belange von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen

Bei der Weiterentwicklung des Leistungsrechtes und der Angebote ist auch den besonderen Bedarfen von Menschen mit psychischer Behinderung zukünftig mehr als bisher Rechnung zu tragen. Die Ermöglichung einer selbstbestimmten Teilhabe am Arbeitsleben erfordert eine stärkere Flexibilisierung der Leistungen, da Menschen mit psychischen Erkrankungen häufig starken Schwankungen ihres Leistungsvermögens unterliegen. Da die unterschiedlichen Maßnahmen und Instrumente der beruflichen Teilhabeförderung verschiedenen Sozialgesetzbüchern zugeordnet sind, sollte bei der Weiterentwicklung des Leistungsrechts eine verbindlichere Kooperation der Rehaträger bei der Gesamtplanung rechtlich normiert werden.

Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation psychisch kranker Menschen werden u. a. in beruflichen Trainingszentren, Rehabilitationseinrichtungen, im Rahmen unterstützter Beschäftigung oder „Zuverdienst“ erbracht. Während die Zugangszahlen dieses Personenkreises in die WfbM steigen, finden nach Einschätzung der BAGFW die anderen Leistungsangebote zu wenig Berücksichtigung. Entsprechende, flächendeckende Strukturen fehlen. Die Verantwortung der Rehaträger für den Aufbau einer notwendigen regionalen Infrastruktur sollte deshalb rechtlich stärker normiert werden. Weiterhin ist auch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass gerade Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen in unserer Gesellschaft ein hohes Risiko tragen, vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschlossen zu werden. So ist seit einigen Jahren die Entwicklung zu beobachten, dass psychische Gefährdungen am Arbeitsplatz an Bedeutung gewinnen, Krankheitstage aufgrund psychischer Störungen zunehmen und insbesondere Frühberentungen aufgrund einer psychiatrischen Diagnose steigen. In vielen Fällen geschieht dies, ohne dass zuvor eine medizinische Reha stattgefunden hätte; d. h. ein ganzheitlicher Arbeitsschutz unter Berücksichtigung der seelischen Gesundheit, betriebliches Eingliederungsmanagement gerade auch bei psychischen Erkrankungen und ein flächendeckendes Angebot an medizinischer Reha für chronisch psychisch Kranke haben unmittelbar Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit von Menschen mit seelischer Behinderung und deren Teilhabe am Arbeitsleben. Den Arbeitsschutz gerade auch im Hinblick auf psychische Gefährdungen weiter zu entwickeln, wurde im Koalitionsvertrag verabredet. Dies sollte unter Würdigung bereits vorliegender Studien zügig umgesetzt werden. 

 

Berlin, 27. April 2015

 


[1] Siehe hierzu auch „Eckpunkte der BAGFW zu einem Bundesleistungsgesetz zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“ vom 10.12.2013

[2] Positionspapier "Diskriminierung beenden - Rechtsanspruch auf berufliche Bildung und Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit geistiger und/oder mehrfacher Behinderung sicherstellen!“ Dezember 2011

[3] Siehe hierzu auch BAGFW Position „Wie können SGB II und III Maßnahmen besser nutzbar gemacht werden für Menschen mit Behinderungen/ psychisch kranke Menschen und Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen?“ , März 2015