Stellungnahme der BAGFW zum Arbeitsentwurf des Expertenstandard Mundgesundheit in der Pflege

Die BAGFW nimmt Stellung zum Arbeitsentwurf des Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) für den Expertenstandard "Mundgesundheit in der Pflege".

Die BAGFW bedankt sich für die Möglichkeit zum vorliegenden Arbeitsentwurf des Expertenstandard „Förderung der Mundgesundheit in der Pflege“ im Rahmen der Konsentierung eine fachliche Stellungnahme abgeben zu können.

Vorbemerkung:

Der aus dem vorliegenden Arbeitsentwurf konsentierte Expertenstandard „Förderung der Mundgesundheit in der Pflege“ wird der zehnte pflegerische Expertenstandard des Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) in 20 Jahren sein. Zugleich ist er der erste multiprofessionell erarbeitete Expertenstandard, denn er wurde vom DNQP in Kooperation mit der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin (DGAZ) und der Arbeitsgemeinschaft Zahnmedizin für Menschen mit Behinderungen und besonderem Unterstützungsbedarf (AG ZMB) erarbeitet. Die interprofessionelle Zusammensetzung der Expertengruppe aus Pflege und Zahnmedizin wird von der BAGFW ausdrücklich begrüßt, denn die Förderung der Mundgesundheit erfordert ein kooperatives Miteinander mehrerer Berufsgruppen. Eine Identifikation von Schnittstellen sowie die Limitationen der pflegerischen Möglichkeiten werden durch den multiprofessionellen Ansatz sichtbar gemacht. Die Kooperation wird gefördert und eine sektorenübergreifende, qualitativ hochwertige Versorgung auf dem neuesten Wissensstand ermöglicht.

 

Wie üblich gliedert sich auch der Arbeitsentwurf des Expertenstandard „Förderung der Mundgesundheit in der Pflege“ in Struktur-, Prozess- und Ergebniskriterien in jeweils 5 Ebenen.

Im Folgenden wird auf einige Punkte der Ebenen genauer Bezug genommen und diese fachlich bewertet.

 

Allgemein:

Der Expertenstandard „Mundgesundheit in der Pflege“ ist der erste nicht-monodisziplinäre Expertenstandard. Es ist begrüßenswert, dass der Expertenstandard durch die Erweiterung der Expertenarbeitsgruppe der Förderung einer interprofessionellen, gemeinsame Sprache dient. Durch den Einbezug unterschiedlicher Professionen können Umbrüche bei der Versorgung der Pflegebedürftigen aufgrund von unterschiedlichen Terminologien (z.B. „Instrument“) vermieden werden. In der pflegerischen Anamnese und bei der zahnärztlichen Einschätzung können dadurch gleiche Begriffe genutzt und einfacher auf gemeinsame Wissensstände zurückgegriffen werden.

Die Zielgruppe dieses Expertenstandards sind gemäß Präambel zum Expertenstandard-Entwurf „Menschen aller Altersstufen, […] die professionelle pflegerische Unterstützung bei der Mundpflege oder zur Förderung der Mundgesundheit benötigen“
(S. 21). Pflegebedürftige Menschen - insbesondere in der Langzeitpflege - sind häufig nicht mehr in der Lage, die Mundpflege selbstständig durchzuführen. Im Rahmen der vorbehaltenen Tätigkeiten obliegt es der Pflegefachkraft, einen pflegerischen Bedarf zu erkennen und ggf. Maßnahmen zu planen. Das Strukturmodell zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation hat sich in vielen Einrichtungen der Langzeitpflege etabliert. Die Einschätzung von Risiken und Phänomenen im Strukturmodell erfolgt über den SIS®-Bogen. Integraler Bestandteil des SIS®-Bogens ist die Risikomatrix, die die Notwendigkeit erhöhter Aufmerksamkeit zur Abwehr von Gefahren zusammenfasst und den Bedarf zu einer weitergehenden Einschätzung darstellt. Im vorliegenden Expertenstandard-Entwurf findet sich kein Hinweis auf ein mögliches Verfahren, wie der Expertenstandard im Strukturmodell zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation implementiert werden kann.

Empfehlenswert wäre aus Sicht der BAGFW eine Aufnahme zum Umgang mit der Risikoerhebung in der Risikomatrix im Strukturmodell, um ein einheitliches Anwenden zu ermöglichen und Doppeldokumentationen zu vermeiden.

 

Standardebene 1

Der Begriff „Kompetenz“ im Strukturkriterium S1 wird in den Kommentierungen als reines Fachwissen definiert. Hier wird von der BAGFW eine Erweiterung um Kommunikationsfähigkeit oder sonstige personale Kompetenzen vorgeschlagen (vgl. Kriterium S3).

 

In den Prozesskriterien P1a und P1b wird zwischen einem Screening zur Ersteinschätzung und einem weiterführenden Assessment bei bestehendem Risiko unterschieden. Es zeigen sich widersprüchliche Aussagen auf S. 30: „Für die erste Einschätzung […] empfiehlt die Expertenarbeitsgruppe folgende Kriterien, die ohne eine Inspektion des Mundes auskommt.“ und S. 32 „Im Rahmen des Screenings […] darum zu bitten, einmal in den Mund schauen zu dürfen.“ Hier kann es nach Meinung der BAGFW hilfreich sein, deutlicher herauszuarbeiten, inwieweit die Inspektion der Mundhöhle Teil des Screenings ist.

Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass bei pflegebedürftigen Menschen in der stationären Langzeitpflege grundsätzlich ein Initial-Assessment durchgeführt werden muss, da diese Personengruppe ein hohes Risiko für „Probleme im Mundbereich“ aufweist (s. S. 31). Dies widerspricht dem individuellen Ansatz der pflegerischen Versorgung und führt zu mehr Bürokratie, wenn ein regelhaftes Assessment ohne Bezugnahme auf eine individuelle Bedarfsermittlung eingefordert wird.

 

Standardebene 2

Im Prozesskriterium P2 erscheint erstmals der Begriff „Selbstbestimmung“. Dem gegenüber steht die gesetzliche Vorgabe des SGB XI: „Die Leistungen der Pflegeversicherung sollen den Pflegebedürftigen helfen, trotz ihres Hilfebedarfs ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht (§ 2 Abs. 1 SGB XI).“

Selbstbestimmung ist ein zentrales Element des Pflegeverständnisses und sollte daher bereits in der vorherigen Ebene Berücksichtigung finden. Insbesondere empfiehlt sich, dies beim Screening sowie bei dem Assessment zur Bedarfsermittlung der Mundgesundheit mit aufzunehmen (P1a und P1b).

 

Standardebene 3

Das Prozesskriterien P3a und P3b fordern von der Pflegefachkraft eine Kooperation mit beteiligten Berufsgruppen. Für den Bereich der stationären Langseitpflege gibt es gesetzliche Regelungen zu Kooperationen von Pflegeheimen mit Zahnärzten/innen gemäß § 119b Abs. 2 SGB V.

Die BAGFW sieht weiterhin Handlungsbedarf, neben den Zahnärzten/innen auch den Pflegekräften den für die Kooperation und Koordination entstehenden Mehraufwand im Rahmen der Kooperationsverträge nach § 119b SGB V, aber auch im häuslichen Bereich zu vergüten. Dafür bedarf es einer gesetzlichen Grundlage.

 

Standardebene 4            

Das Strukturkriterium S4a fordert die Kompetenz zur Umsetzung von pflegerischen Maßnahmen zur Förderung der Mundgesundheit.

Die Mundpflege wird in der Langzeitpflege im Rahmen der Körperpflege erbracht. Diese wird in der Regel von Pflegekräften durchgeführt. Hier ist ergänzend ein Tätigkeitskatalog sinnvoll, der Vorschläge zur Einbindung der Pflegekräfte bei der Durchführung der Mundpflege darstellt.

In den Kommentierungen zum Prozesskriterium P4b wird von der Verwendung von „Butter oder tierischen Fetten“ als Pflegemittel abgeraten (S. 44). Begründet wird dies u.a. damit, dass „viele Menschen tierische Fette ablehnen“. Dazu findet sich in der Literaturanalyse unter Punkt 3.4.3.5 der Verweis, dass Butter beim Lösen von Borken empfohlen wird. Zur Aussage, dass tierische Fette grundsätzlich eher abgelehnt werden findet sich kein Hinweis. Hier besteht Klärungsbedarf, weshalb die Nutzung nicht empfohlen wird, trotz gegenteiliger Literaturempfehlung. Die Nutzung von Butter hat sich in der Praxis bewährt, wenngleich die Gefahr der Fettpneumonie gegen einen Einsatz von tierischen Fetten spricht.

 

Standardebene 5

In Prozesskriterium P5 wird gemäß den Kommentierungen (S. 63) festgelegt, dass die Entscheidung zum Aussetzen der mundpflegerischen Maßnahmen und der Mundinspektion vom Team zu treffen sind. Die BAGFW empfiehlt an dieser Stelle dringend, in diese Entscheidung auch die versorgte Person selbst und/oder dessen Zu- und Angehörige explizit miteinzubeziehen.

 

 

Berlin, 16.06.2021

 

Bundesarbeitsgemeinschaft

der Freien Wohlfahrtspflege e. V.

 

Dr. Gerhard Timm

Geschäftsführer

 

 

Kontakt:

Eva-Maria Riegel, M.Sc.(Riegel(at)paritaet-berlin.de)