Stellungnahme der BAGFW zum Entwurf der Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Kostenabgrenzung zwischen Kranken- und Pflegeversicherung bei Pflegebedürftigen, die einen besonders hohen Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen haben

„Die BAGFW begrüßt, dass für den Personenkreis von ambulant versorgten Pflegebedürftigen, die einen besonders hohen Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen haben, ab 2017 anhand von Pauschalwerten ein unkompliziertes Verfahren zur Kostenabgrenzung eingeführt werden soll.“

Mit dem am 01.11.2016 in Kraft getretenen Gesetz zur Errichtung eines Transplantationsregisters und zur Änderung weiterer Gesetze hat der GKV-Spitzenverband gemäß § 17 Abs. 1b SGB XI den Auftrag erhalten, unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS) Richtlinien zur Feststellung des Zeitanteils, für den die Pflegeversicherung bei ambulant versorgten Pflegebedürftigen, die einen besonders hohen Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen haben und die Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 SGB XI und der häuslichen Krankenhilfe nach § 37 Abs. 2 SGB V beziehen, die hälftigen Kosten zu tragen hat, zu erlassen.

 

Im Hinblick auf das nach § 17 Abs. 1b Satz 3 in Verbindung mit § 17a Abs. 1 Satz 2 SGB XI vorgesehene Beteiligungsverfahren wird der BAGFW Gelegenheit gegeben, zu der beiliegenden Entwurfsfassung der Kostenabgrenzungs-Richtlinien Stellung zu nehmen, wovon hiermit entsprechend Gebrauch gemacht wird.  

 

Entwurf

Der Entwurf der Richtlinien regelt das Verfahren für die Feststellung des Zeitanteils, für den die Pflegeversicherung bei ambulant versorgten Pflegebedürftigen, die einen besonders hohen Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen haben und die Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 SGB XI und der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V beziehen, die hälftigen Kosten zu tragen hat.

 

Dabei geht es um die Abgrenzung der Kosten zwischen SGB V und SGB XI ab dem 01.01.2017, da der Zeitaufwand ab dem 01.01.2017 im Rahmen der Begutachtung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nicht mehr festgestellt wird und die Gutachten künftig nicht mehr für eine zeitbezogene Aufteilung der Kostenträgerschaft herangezogen werden können.

 

Diese Richtlinien umfassen Fälle von ambulant versorgten Pflegebedürftigen, die einen besonders hohen Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen haben (rund um die Uhr, also 24 Stunden am Tag ist die Anwesenheit / Interventionsbereitschaft einer geeigneten Pflegefachkraft zur individuellen Kontrolle und Einsatzbereitschaft und zur Durchführung der notwendigen behandlungspflegerischen Maßnahmen erforderlich) und Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V sowie Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 SGB XI durch dieselbe Pflegekraft beziehen. Dem Entwurf nach müssen somit drei Voraussetzungen gleichzeitig vorliegen:

 

1.    Vorliegen eines besonders hohen Bedarfs an medizinischer Behandlungspflege,

2.    Inanspruchnahme von Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V und

3.    Inanspruchnahme von Pflegesachleistungen nach § 36 SGB XI durch dieselbe Pflegekraft.

Der durch die Pflegeversicherung zu tragende Anteil soll pauschal festgelegt werden. Dabei wird jedem Pflegegrad ein bestimmter Minutenwert zugeordnet, für den die Pflegeversicherung aufzukommen hat. Die ermittelten Minutenwerte entsprechen den Zeitanteilen, die nach dem bis 31.12.2016 gültigen Verfahren (vgl. Abschnitt 4) vom verordneten zeitlichen Umfang der häuslichen Krankenpflege abzuziehen waren. Unter Beachtung der Überleitungsregelung nach § 140 Abs. 2 SGB XI wurden die ermittelten Zeitanteile der „reinen“ Grundpflege je Pflegestufe auf die Systematik der Pflegegrade übertragen. Anschließend wurden je Pflegegrad Mittelwerte errechnet.

 

Bewertung

Für den bezeichneten Personenkreis soll anhand von Pauschalwerten, die auf der Auswertung von Bestandsfällen beruhen, ab 2017 für alle neuen Fälle ein unkompliziertes Verfahren eingeführt werden. Dies wird durch die BAGFW begrüßt.

 

Die vorgeschlagenen Werte je Pflegegrad erscheinen plausibel. Dass der Pflegegrad 1 nicht berücksichtigt wurde, muss beanstandet werden. Ca. 24 % aus den Pflegestufen 1 und 2 migrieren im Zuge der Überleitung in den Pflegegrad 1 und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die bezeichneten Personenkreise in Ausnahmefällen eine entsprechende Selbstständigkeit mitbringen, jedoch über 24 h einer Interventionsbereitschaft unterliegen (z. B. weil sie sich nicht selber absaugen können / bei tracheotomierten Patienten). Daher empfehlen wir vorsorglich diese Lücke zu schließen und die Berechnung ebenfalls auf diesen Pflegegrad zu übertragen.  

 

Mit dem Verfahren wird zudem sichergestellt, dass die Vorgaben der maßgeblichen BSG-Rechtsprechung zur Kostenaufteilung in Fällen der über 24 Stunden täglich erforderlichen häuslichen Krankenpflege weiterhin umgesetzt werden, was zielführend ist.

 

Unter Ziffer 6 wird geregelt, dass die pauschalen Minutenwerte anteilig nach kaufmännischer Rundung in Abzug zu bringen sind, wenn die Versorgung stundenweise anderweitig, z.B. durch Angehörige, übernommen wird. Dies ist bei einem pauschalen Ansatz mit Mittelwertbildung nicht schlüssig, da davon auszugehen ist, dass die zu Grunde gelegten Zeitwerte für die Berechnung diese Anteile bereits enthalten müssen. Im Zweifel würden diese Zeiten also doppelt abgezogen, was aus Sicht der BAGFW nicht sein darf. Wir sprechen uns daher für die ersatzlose Streichung dieses Zusatzes aus.  

 

Die in der BAGFW kooperierenden Verbände hielten seinerzeit im Stellungnahmeverfahren zum Transplantationsregister-Gesetz das hier bezeichnete Verfahren als Zwischenschritt für geeignet, um für die hier dargelegte Zielgruppe eine Lösung zum 01.01.2017 zu finden. Da das MDK-Gutachten nicht mehr für eine zeitbezogene Aufteilung der Kostenträgerschaft herangezogen werden kann muss allerdings sichergestellt werden, dass diese Richtlinien nicht in anderen Bereichen genutzt werden – etwa vom Sozialhilfeträger oder bei der Bemessung der Pflegezeiten von privat pflegenden Pflegepersonen, wenn es um die Klärung der sozialen Absicherung geht etc. Insoweit darf diese Richtlinie keine präjudizierende Wirkung darauf entfalten und im Präambeltext ist dies mit Verweis auf die Nutzung „alter Messwerte“, die keinen Bezug zum Pflegebedürftigkeitsbegriff haben, klarzustellen.  

 

Für körperbezogene Pflegemaßnahmen gibt es bisher keine pflegewissenschaftlich begründete Definition. Vielmehr stellen körperbezogene Pflegemaßnahmen eine Begrifflichkeit dar, deren Leistungsinhalte aufgrund der gesetzlichen Vorgaben von den Rahmenvertragsparteien nach § 75 SGB XI zu bestimmen sind. Auch dies ist noch nicht geschehen. Auch wenn im Kern bei körperbezogenen Pflegemaßnahmen voraussichtlich auf das Leistungsspektrum der durch den alten Pflegebedürftigkeitsbegriff geprägten verrichtungsbezogenen Tätigkeiten zurückgegriffen wird, soll nach dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff anstelle der verrichtungsorientierten Sichtweise eine problemorientierte Sicht auf die Planung und Ausführung von Pflegemaßnahmen bzw. Aufgaben treten. Körperbezogene Pflegemaßnahmen korrelieren jedoch nicht einfach mit den Modulen 1 und 4. Auch Beeinträchtigungen innerhalb der Module 2, 3 aber auch des Modul 6 wirken auf die Durchführung körperbezogener Leistungen ein und haben Einfluss auf die Dauer der Leistungserbringung.

 

Mittelfristig sollte daher auch für den hier genannten Personenkreis eine pflegefachlich wissenschaftlich fundierte Lösung aus dem NBA entwickelt werden, damit die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes nicht durch einen veralteten Rückgriff auf Zeitanteile konterkariert wird.