Stellungnahme der BAGFW zum Entwurf des Masernschutzgesetzes

In der Stellungnahme konzentrieren sich die Verbände auf die Folgen des aktuellen Gesetzesentwurfs und die Auswirkungen auf ihre Einrichtungen. Denn in den Einrichtungen und Diensten der Freien Wohlfahrtspflege entscheidet sich maßgeblich, ob und wie die mit dem Gesetz verfolgten Ziele erreicht werden können.

Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. (BAGFW) zum Entwurf eines Gesetzes für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention vom 23.09.2019

 

 

A.   Einleitung und zusammenfassende Bewertung

Der Entwurf des Gesetzes für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention vom 23.09.2019 sieht vor, dass Personen in bestimmten Einrichtungen entweder einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern oder aber eine Immunität gegen Masern aufweisen. Hintergrund ist, dass die Bundesregierung eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Gesundheit sieht, der mit weiterführenden Maßnahmen begegnet werden muss. Eine dieser weiterführenden Maßnahmen soll eine entsprechende Impfpflicht sein, die möglichst früh ansetzt, und vor allem da gelten soll, wo Menschen täglich in engen Kontakt miteinander kommen. Zur Sicherstellung der Umsetzung sieht der Gesetzesentwurf Zugangskontrollen zu bestimmten Einrichtungen vor, um dem Ziel der vollständigen Vermeidung von Masernerkrankungen näherzukommen.

Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammengeschlossenen Wohlfahrtsverbände halten die zunächst vorgesehenen Pläne des Gesetzgebers eine Bundesstatistik zum öffentlichen Gesundheitsdienst einzuführen, für sehr wichtig. Dies ist ein wichtiges Mittel, um die Situation im Öffentlichen Gesundheitsdienst substanzieller bewerten zu können und auf dieser Grundlage besser Maßnahmen zu Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes zu ergreifen. Die Verbände bedauern, dass in dem Änderungsantrag davon wieder Abstand genommen wird.

Die in der BAGFW zusammengeschlossenen Wohlfahrtsverbände positionieren sich vorliegend nicht für oder gegen eine Impfpflicht. Sie betonen jedoch ausdrücklich, dass sie die Umsetzung des „Masernschutzgesetzes“ mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen wollen. Die Impfquoten für Kinder liegen laut einer aktuellen Veröffentlichung des Robert-Koch-Instituts bei der ersten Masernimpfung bei durchschnittlich 95 Prozent, bei der zweiten Impfung bei durchschnittlich 92 Prozent. Aus dieser Differenz kann nach Auffassung der Verbände nicht geschlossen werden, dass Eltern ihre Kinder aus Überzeugung nicht impfen lassen wollen, sondern dass Impftermine häufig schlicht vergessen werden. Aus Sicht der Verbände sind Erinnerungssysteme durch die Gesundheitsämter oder ein Recall in Kinderarztpraxen, ein digitaler Impfpass oder auch der vorgesehene Vermerk in Impfpässen, wann die nächste Impfung fällig ist, gute und wichtige Methoden, um das Ziel des Gesetzes zu erreichen.

In der vorliegenden Stellungnahme konzentrieren sich die Verbände auf die Folgen des aktuellen Gesetzesentwurfs und die Auswirkungen auf ihre Einrichtungen. Denn in den Einrichtungen und Diensten der Freien Wohlfahrtspflege entscheidet sich maßgeblich, ob und wie die mit dem Gesetz verfolgten Ziele erreicht werden können.

Die Verbände kritisieren dabei insbesondere, dass die Hauptverantwortung der Umsetzung in die Hände von Gemeinschaftseinrichtungen gelegt wird und hier neue Aufgaben definiert werden. Sie regen an, hier im Sinne der nachfolgenden Vorschläge nachzubessern und die Prüfpflicht dem Öffentlichen Gesundheitsdienst zu übertragen.

Auch regen die Verbände an, klarzustellen, wie der gesetzlich normierte Anspruch auf bspw. einen Kitaplatz und damit auch ein Vorhalten des entsprechenden Personals zu der Verpflichtung von Einrichtungen steht, ungeimpfte, impfpflichtige Personen nicht aufzunehmen oder zu beschäftigen. Hier sehen die Verbände erhebliche Unsicherheiten für die Praxis, wie in solchen Fällen verfahren werden soll.

Der Gesetzesentwurf lässt zudem offen, wie mit Mitarbeitenden umgegangen werden soll, die impfpflichtig sind, aber nicht bereit sind, sich impfen zu lassen. Wären Einrichtungen auf Grund der Impfpflicht dazu gezwungen, gegenüber diesen Personen eine Kündigung auszusprechen? In Zeiten der Debatte um Fachkräftemangel und der Unsicherheit, wie in Zukunft die Sorgearbeit in Deutschland ausgestaltet werden kann, wird mit der Impfpflicht ein neuer Stolperstein geschaffen. Sollte der Gesetzgeber an der Nachweispflicht für Beschäftigte festhalten, dann hat der Impfnachweis gegenüber dem Arbeitgeber bzw. dem Träger der Einrichtung und nicht der Leitung der Einrichtung zu erfolgen. Hier bedarf es einer entsprechenden Änderung im Gesetzesentwurf.

In der Konsequenz sehen die Verbände daher auch die Erweiterung der Bußgeldvorschriften kritisch, die auf die Sanktionierung sowohl der Träger als auch der Eltern abzielt. Sollte der Gesetzgeber hier an den Sanktionsmaßnahmen festhalten wollen, dann regen die Verbände an, zunächst mit Erinnerungssystemen auf eine Einhaltung der Gesetzesvorschriften hinzuwirken.

 

B.   Auswirkungen für Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege

 

  1. Kitas, Kinderhorte, Schulen, Ausbildungseinrichtungen und Heime

 

Problemaufriss:

Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammengeschlossenen Wohlfahrtsverbände betreiben mehr als 26.485 Kindertageseinrichtungen, mit 1.808.612 Plätzen und beschäftigen dort 106.685 Mitarbeitende.[1] Die Kita-Einrichtungen der Verbände stellen damit bundesweit mehr als 55 % aller Angebote zur Verfügung. Die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe umfassen ca. 35 % aller Angebote der Wohlfahrtspflege, was die Bedeutung dieses Arbeitsbereiches deutlich macht.

Der freie, unreglementierte Zugang für alle Kinder zu diesen Angeboten hat einen sehr hohen Wert und ermöglicht die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern. Die Aufgabe der Fachkräfte in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ist es, vertrauensvoll mit den Familien für die Entwicklung der Kinder zusammenzuarbeiten. Der im Gesetzesentwurf gewählte Zugang durch die Übertragung hoheitlicher Aufgaben an die Leitungen der Einrichtungen bzw. Kindertagespflegepersonen und die damit verbundene Reglementierung des Zugangs ist eine Hemmschwelle für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.

 

Bewertung und Änderungsvorschläge:

Die BAGFW kritisiert insbesondere das Vorhaben, hoheitliche Aufgaben auf Kindertagesstätten und Kindertagespflegepersonen, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und weitere Gemeinschaftseinrichtungen und Angebote zu übertragen.

Hoheitliche Aufgaben werden im Gesundheitsbereich durch den öffentlichen Gesundheitsdienst beziehungsweise das Gesundheitsamt erfüllt. Daher sollte der Nachweis einer Impfung und damit die Aufgabe der Beurteilung von Impfdokumenten gegenüber dem Gesundheitsamt erfolgen und nicht den pädagogischen Fachkräften bzw. der Leitung der Einrichtung obliegen. Sie verfügen nicht über die geeigneten Kompetenzen für eine solche Beurteilung. Es bedarf in diesem Falle allerdings einer Klarstellung, dass das Gesundheitsamt, sollte es in diesem Zusammenhang von dem Fehlen eines Aufenthaltsstatus des Kindes oder Jugendlichen erfahren, von der Ausnahme der Übermittlungspflicht des § 87 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz erfasst ist. Andernfalls würde der Zweck dieser Ausnahme unterlaufen werden, nämlich allen Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Schulen, Bildungs- und Erziehungseinrichtungen zu gewähren.

Sollte der Gesetzgeber an den vorgesehenen Regelungen festhalten, ist der Impfnachweis der in der Einrichtung betreuten Kinder sowie der dort Beschäftigten gegenüber dem Träger der Einrichtung und nicht gegenüber der Leitung zu erbringen. Generell sollte eine Regelung analog zur Schuleingangsuntersuchung getroffen werden: Diese ist in vielen Bundesländern vor der Einschulung verpflichtend. In ähnlicher Weise könnte zur Aufnahme eines Kindes in eine Gemeinschaftseinrichtung oder eine Kindertagespflege eine Bestätigung des Gesundheitsamtes zur Voraussetzung gemacht werden.

Des Weiteren weisen die Verbände schon jetzt auf die auftretenden Umsetzungskosten für die Einrichtungen hin. Für jedes auf den Impfschutz in Gemeinschaftseinrichtungen zu prüfendem Kind wäre eine Verwaltungspauschale zu zahlen. Es gilt ebenfalls zu bedenken, dass durch den entstehenden Verwaltungsaufwand wertvolle Betreuungskapazitäten für die Kinder und Jugendlichen verloren gehen würden. Die Verbände begrüßen in diesem Zusammenhang, dass von den Plänen Abstand genommen wurde, eine Impfpflicht für Ferienlager einzuführen.

Im Gesetzesentwurf ist zudem vorgesehen, dass auch Tagespflegepersonen im Sinne des § 43 Absatz 1 SGB VIII von der Nachweispflicht und Prüfpflicht erfasst werden. Diese Aufnahme führt allerdings dazu, dass Tagespflegepersonen künftig eine Reihe an weiteren Anforderungen im Infektionsschutzgesetz zu erfüllen haben, die teilweise nicht erfüllbar sind. Hierauf hat auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 20.09.2019 hingewiesen. In Reaktion auf die Stellungnahme des Bundesrats sieht Änderungsantrag 7 nun vor, dass die Länder bestimmen können, ob die erlaubnispflichtige Kindertagespflege unter die infektionshygienische Überwachung gemäß § 36 Absatz 1 Satz 1 IfSG fällt. Das halten wir für eine sachgerechte Lösung.

 

  1. Flüchtlingsunterkünfte

 

Problemaufriss:

Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammengeschlossenen Wohlfahrtsverbände übernehmen auch weiterhin in zahlreichen Flüchtlingsunterkünften die soziale Betreuung oder sind Bertreiber solcher Einrichtungen.[2]

Gem. § 20 Absatz 8 Nr. 2 und Nr. 3 IfSG-E sollen Personen, die in einer Einrichtung gem. § 36 Absatz 1 Nr. 4 IfSG, also in einer Flüchtlingsunterkunft, leben, bzw. in einer solchen Einrichtung tätig sind, zu einem ausreichenden Impfschutz gegen Masern verpflichtet werden. Der impfpflichtige Personenkreis würde sich somit auf Bewohnerinnen und Bewohner, Mitarbeitende und ehrenamtlich engagierte Personen in den Unterkünften erstrecken. Personen, die am Tag des Inkrafttretens, also am 01.03.2020, bereits in einer solchen Unterkunft leben bzw. dort tätig sind, könnten den Nachweis des ausreichenden Impfschutzes bis zum 31.07.2021 erbringen (s. § 20 Absatz 10, Absatz 11 Nr. 2 IfSG-E).

Neu unterzubringende Personen müssen den Nachweis des ausreichenden Impfschutzes innerhalb von vier Wochen beibringen,[3] andernfalls hat die Leitung der Unterkunft das zuständige Gesundheitsamt zu benachrichtigten und personenbezogene Daten zu übermitteln (§ 20 Absatz 11 IfSG-E). Die Aufnahme einer neuen Tätigkeit in der Unterkunft soll zwingend an die Vorlage eines entsprechenden Impfnachweises durch den Mitarbeitenden gegenüber der Leitung geknüpft werden, § 20 Absatz 9 IfSG-E.

 

Bewertung und Änderungsvorschläge:

Die BAGFW kritisiert, anlehnend an die obigen Ausführungen, dass mit dem vorgelegten Gesetzesentwurf hoheitliche Aufgaben auf die Leitungen von Flüchtlingsunterkünften übertragen werden, nämlich die Prüfung von Impfnachweisen und die Benachrichtigung des Gesundheitsamtes bei Fällen von Nichteinhaltung der Pflicht des ausreichenden Impfschutzes. Leitungen von Flüchtlingsunterkünften stehen in einem spezifischen Vertrauensverhältnis zu Bewohnerinnen und Bewohnern und verfügen überdies nicht zwingend über die geeigneten Kompetenzen zur Beurteilung eines Impfnachweises. Sollte der Gesetzgeber an den vorgesehenen Regelungen festhalten, sollte der Impfnachweis von Bewohnerinnen und Bewohnern sowie von Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen gegenüber dem Träger der Unterkunft und nicht gegenüber der Leitung vorzulegen sein. Auch die Information des zuständigen Gesundheitsamtes über ein Nichtbefolgen der Pflicht sollte durch den Träger der Unterkunft und nicht durch die Leitung erfolgen.

Die BAGFW regt an klarzustellen, dass keine Bewohnerin und kein Bewohner aufgrund von Nichtbefolgung der Impfpflicht bzw. der Nichtvorlage eines Nachweises i.S.d. § 20 Absatz 9 Satz 1 IfSG-E der Unterkunft verwiesen werden darf. Dies gilt insbesondere für Personen, die nicht mehr verpflichtet sind, in der Unterkunft zu leben, aber bisher keine Wohnung gefunden haben und deswegen in der Unterkunft verbleiben.

Die BAGFW begrüßt die Bekräftigung, dass gem. § 4 Absatz 1 Satz 2, Absatz 3 Satz 1 AsylbLG i.V.m. §§ 47, 52 Absatz 1 Satz 1 SGB XII ein Anspruch auf eine Masernimpfung besteht (Gesetzesbegründung, S. 27). Bei neu ankommenden Personen könnte die Masernimpfung zum Beispiel im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung[4] stattfinden. Es sollte jedoch ausdrücklich klargestellt werden, dass ein solcher Anspruch auf eine Impfung gegen Masern für alle Personen besteht, die in der Unterkunft leben, unabhängig von der Art der Leistungen, die sie beziehen.

 

 

Berlin, 18.10.2019

Bundesarbeitsgemeinschaft

der Freien Wohlfahrtspflege e. V.

 

Dr. Gerhard Timm

Geschäftsführer

 

 

Kontakt:

Karolina Molter (k.molter(at)drk.de)

 

 


[1] BAGFW-Gesamtstatistik, herausgegeben Dezember 2018, https://www.bagfw.de/fileadmin/user_upload/Veroeffentlichungen/Publikationen/Statistik/BAGFW_Gesamtstatistik_2016_final_Einzelseiten.pdf

[2] Mit Stand 2016 unterhielten die Verbände knapp 500 Flüchtlingsunterkünfte (Erstaufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte und weitere Unterkünfte) mit einer Kapazität von insgesamt 48.250 Plätzen. 2.270 Mitarbeitende sind in diesen Unterkünften beschäftigt. Siehe hierzu: BAGFW Gesamtstatistik 2016, veröffentlicht im Dezember 2018, S. 34, https://www.bagfw.de/fileadmin/user_upload/Veroeffentlichungen/Publikationen/Statistik/BAGFW_Gesamtstatistik_2016.pdf (zuletzt aufgerufen am 14.10.2019).

[3] Durch die Einräumung dieser Frist soll verhindert werden, dass die Aufnahme in die Einrichtung vom Vorliegen eines ausreichenden Impfschutzes abhängt, s. Gesetzesbegründung, S. 27.

[4] Gesundheitsuntersuchung gem. § 62 AsylG.