Stellungnahme der BAGFW zum Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über genetische Untersuchungen bei Menschen

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat im November 2006 einen Gesetzentwurf über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz - GenDG) vorgelegt.

Zusammenfassung:

 

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat im November 2006 einen Gesetzentwurf über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz - GenDG) vorgelegt. Der Gesetzentwurf enthält rechtliche Regelungen für genetische Untersuchungen bei Menschen zu medizinischen Zwecken und zu Zwecken der Lebensplanung sowie zu Klärung der Abstammung. Außerdem umfasst er Regelungen zu genetischen Untersuchungen im Arbeitsleben, im Versicherungsbereich und zu Zwecken wissenschaftlicher Forschung sowie weitere Vorschriften.

 

Grundsätzliche Würdigung

Der vorgelegte Gesetzentwurf ist aus Sicht der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege eine geeignete Grundlage zur rechtlichen Regelung für die genetischen Untersuchungen bei Menschen. Denn er orientiert sich an der Würde, dem Persönlichkeitsschutz sowie der Selbstbestimmung des Menschen. Vor diesem Hintergrund werden mit dem Gesetzentwurf Regelungen für die Gendiagnostik und den Umgang mit genetischen Daten vorgelegt, die sich an den Prinzipien der Freiwilligkeit, des Diskriminierungsverbotes und des Datenschutzes, an dem Erfordernis der umfassenden Aufklärung und Beratung sowie am Arztvorbehalt ausrichten.

 

Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege sehen darüber hinaus in einigen Punkten Änderungsbedarf im Gesetzentwurf, insbesondere:

 

Þ     Die in § 3 Nr. 9 GenDG vorgenommene Definition des Embryos widerspricht der Definition des Embryonenschutzgesetzes (ESchG § 8 Abs. 1). Gesetzliche Regelungen, die menschliche Embryonen betreffen, haben grundsätzlich von einer gleichen Definition des Embryos auszugehen.

 

Þ     In § 12 Abs. 3 (Genetische Beratung) ist zu ergänzen: „Die beratende Person hat auf die Beratungs- und Kontaktmöglichkeiten mit psychosozialen Beratungsdiensten, Selbsthilfegruppen, Behindertenverbänden und Patientenorganisationen hinzuweisen.“

 

Þ     Für die Aufklärung für vorgeburtliche genetische Untersuchungen wird in § 17 eine Hinweispflicht des Arztes/der Ärztin auf den Rechtsanspruch der schwangeren Frau auf psychosoziale Beratung festgelegt. Dies entspricht einer langjährigen Forderung der Wohlfahrtsverbände. Ergänzungswürdig ist in § 17 Abs. 3 jedoch, die Verpflichtung für den Arzt/

die Ärztin festzuschreiben, eine Bedenkzeit zwischen der ärztlichen Aufklärung und Beratung vor der pränatalen Maßnahme einzuhalten, damit die Frau die unabhängige Beratung auch tatsächlich vor dieser Untersuchung wahrnehmen kann. Nur so kann die Selbstbestimmung der schwangeren Frau im Hinblick auf die Inanspruchnahme oder Ablehnung der pränatalen Diagnostik gestärkt und gesichert werden.

 

Þ     Die Verbände lehnen die in § 26 Abs. 1 Nr. 2, Satz 2 und in Abs. 2 Satz 3 sowie in § 27 Abs. 3 GenDG vorgesehene Regelung der allgemeinen Einwilligung „zu Zwecken wissenschaftlicher Forschung“, mit dem Konzept des „informed consent“ ab. Im Gesetz sollte strikt geregelt werden, dass die Einwilligung die Informiertheit der betroffenen Person über das konkrete Forschungsvorhaben voraussetzt. Angesichts der Sensibilität genetischer Daten widerspricht eine allgemeine Einwilligung zu Zwecken wissenschaftlicher Forschung den Schutzrechten der betroffenen Person.

 

 

1. Einführung

 

Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland zusammenarbeitenden sechs Spitzenverbände (Arbeiterwohlfahrt Bundesverband, Deutscher Caritasverband, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Gesamtverband, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland) treten für die Würde und das Recht auf Leben des Menschen ein.

 

Die Bedeutung genetischer Tests und der Umfang daraus gewonnener Daten werden in Zukunft stark zunehmen. Trotzdem können Regelungen zu Gentests derzeit zum großen Teil nur aufgrund von Prognosen und Einschätzungen ihrer zukünftigen Bedeutung und Nutzung erfolgen. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege unterstreichen, dass notwendige gesetzliche Regelungen der Gendiagnostik vom Grundsatz der informationellen Selbstbestimmung ausgehen und dem Ziel verpflichtet sein müssen, einen effektiven Schutz gegen Diskriminierung und Stigmatisierung aufgrund genetischer Merkmale zu gewährleisten.

 

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege unterstützen alle Bemühungen im politischen Bereich, Gendiagnostik bei Menschen und den Umgang mit genetischen Daten in einer der Würde des Menschen entsprechenden Weise gesetzlich zu regeln. Es ist Aufgabe und Anliegen der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege, Personen vor genetischer Diskriminierung und Stigmatisierung in allen Bereichen der Gesellschaft zu schützen. Sie setzen sich insbesondere für den Schutz von Menschen mit Behinderung oder chronischen Krankheiten und ihren Angehörigen vor Diskriminierung ein.

 

 

2. Hintergrund

 

Da jeder Mensch genetisch einzigartig ist, stehen genetische Daten - alle Informationen über die genetische Ausstattung - in einem besonderen Verhältnis zu seiner Persönlichkeit, seiner Individualität und Identität. Um Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu verhindern müssen diese Daten in besonderer Weise geschützt werden.

 

Genetische Daten sind deshalb besonders sensibel, weil ihr Informationsgehalt dem Träger/der Trägerin oft selbst nicht bekannt ist. Die Entscheidung, genetische Daten zu offenbaren, bedeutet deshalb oft, selbst nicht zu wissen, welche Folgen sich daraus ergeben. Aus dem zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung gehörenden Recht auf Nichtwissen folgt, dass für Gentests eine strikte Freiwilligkeit erforderlich ist.

 

Prädiktive Gentests können zu spezifischen Konflikten von Rechten führen, weil sie auch Aussagen über die genetische Ausstattungen leiblicher Verwandter ermöglichen. Der Konflikt von Wissen und Nichtwissen erweitert sich auf verschiedene Personen bzw. eine Patientengemeinschaft. Die Wahrnehmung des Rechtes auf Nichtwissen und Wissen mitbetroffener Verwandten liegt hier praktisch in der Entscheidungsbefugnis des Arztes/der Ärztin und des Patienten/der Patientin.

 

Grundlegend für eine Regelung von Gentests ist die Beantwortung der Frage, inwieweit es sich bei den genetischen Informationen um besondere Daten handelt, die besonders behandelt werden müssen. Informationen, die durch prädiktive Gentests gewonnen werden, besitzen im Unterschied zu anderen Gesundheitsinformationen eine besondere Qualität. Einerseits prägt eine genetische Disposition das ganze Leben. Andererseits besteht zwischen genetischen Potentialen und aktuell manifesten körperlichen und psychischen Konstitutionen eine erhebliche Differenz. Bis auf Ausnahmen erlauben genetische Untersuchungen lediglich Aussagen über statistische Krankheitswahrscheinlichkeiten. Prädiktive Gentests sind mit sehr großen Unsicherheiten verbunden.

 

Aufgrund dieser Besonderheiten haben genetische Daten eine hohe Ambivalenz. Den Chancen medizinischer und gesundheitlicher Hilfen stehen Gefährdung des Persönlichkeitsrechtes, des Freiwilligkeitsprinzips und die Gefahr der Diskriminierung gegenüber. Zum Persönlichkeitsrecht gehört zum einen, dass die Kenntnis genetischer Daten niemanden aufgezwungen werden darf. Zum anderen bildet die Selbstbestimmung die Legitimationsbasis für genetische Untersuchungen (z.B. bei Schwangerschaft, Partnerwahl, Familienplanung). Deshalb sind sowohl ein Informationsrecht als auch ein Informationsabwehrrecht gesetzlich abzusichern. Zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung gehört auch, selbst entscheiden zu können, wem, zu welchem Zweck und unter welchen Umständen welche genetischen Daten offenbart werden sollen. In einer gesetzlichen Regelung müssen neben der grundgesetzlich garantierten Berufs- und Forschungsfreiheit insbesondere der Persönlichkeits- und Patientenschutz berücksichtigt werden.

 

 

3. Der Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz – GenDG)

 

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat im November 2006 einen Gesetzentwurf über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz - GenDG) vorgelegt.

 

Der Gesetzentwurf

Der Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über genetische Untersuchungen bei Menschen enthält rechtliche Regelungen für genetische Untersuchungen bei Menschen zu medizinischen Zwecken und zu Zwecken der Lebensplanung sowie zu Klärung der Abstammung. Außerdem umfasst er Regelungen zu genetischen Untersuchungen im Arbeitsleben, im Versicherungsbereich und zu Zwecken wissenschaftlicher Forschung sowie weitere Vorschriften.

 

Grundsätzliche Würdigung

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege begrüßen die Initiative der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu einer rechtlichen Regelung der genetischen Untersuchungen bei Menschen. In Deutschland existieren bisher keine speziellen gesetzlichen Regelungen zum Schutz der Patientenrechte in diesem Bereich der medizinischen Diagnostik und Forschung. Eine solche rechtliche Regelung ist jedoch erforderlich, da die Informationen und Interpretation prädiktiver genetischer Daten vielfache Konsequenzen für die Selbstbestimmung, die gesundheitliche, familiäre und soziale Situation von Personen haben.

Der vorgelegte Gesetzentwurf ist eine geeignete Grundlage zur rechtlichen Regelung für die genetischen Untersuchungen bei Menschen. Denn er orientiert sich an der Würde, dem Persönlichkeitsschutz sowie der Selbstbestimmung des Menschen. Vor diesem Hintergrund werden mit dem Gesetzentwurf Regelungen für die Gendiagnostik und den Umgang mit genetischen Daten vorgelegt, die sich an den Prinzipien der Freiwilligkeit, des Diskriminierungsverbotes und des Datenschutzes, an dem Erfordernis der umfassenden Aufklärung und Beratung sowie am Arztvorbehalt ausrichten.

 


 

4. Zu den Gesetzesvorschlägen im Einzelnen

 

Abschnitt 1 – Allgemeine Vorschriften §§ 1 - 8

 

Gesetzentwurf

Im Abschnitt 1 werden der Zweck des Gesetzes, sein Anwendungsbereich, notwendige Be-griffsbestimmungen, ein Diskriminierungsverbot, Vorgaben zur allgemeinen Aufklärung, zur Qualitätssicherung genetischer Analysen, für Akkreditierungsstellen und zur Abgabe genetischer Untersuchungsmittel formuliert.

 

Bewertung

Die Verbände begrüßen, dass erstmalig in einem Gesetz die allgemeinen Rahmenbedingungen für die Vornahme von genetischen Untersuchungen zu medizinischen Zwecken verbindlich geregelt werden sollen. Damit wird anerkannt, dass die Nutzung von genetischen Daten ein erhebliches Diskriminierungspotential für verschiedene Personenkreise in sich birgt.

 

 

§ 3 Begriffsbestimmungen

 

Gesetzentwurf

In § 3 Nr. 9 wird der menschliche Embryo in folgender Weise definiert: Als Embryo wird der menschliche Embryo mit Abschluss seiner Einnistung in die Gebärmutter bezeichnet.

 

Bewertung

Die im Gesetzentwurf vorgenommene Definition des Embryos widerspricht der Definition des Embryonenschutzgesetzes (ESchG). Als Embryo gilt nach dem ESchG bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag (ESchG § 8 Abs. 1). Gesetzliche Regelungen, die menschliche Embryonen betreffen, haben angesichts der anthropologischen, ethischen und rechtlichen Relevanz grundsätzlich von einer gleichen Definition des Embryos auszugehen.

 

Die im Gesetzentwurf vorgenommene Definition des Embryos zielt aus Sicht der Verbände darauf ab, den Bereich der genetischen Untersuchung von Embryonen in Form der Präimplantationsdiagnostik (PID) im Sinne des ESchG (befruchtete entwicklungsfähige Eizelle) thematisch auszuklammern. Dieses Vorgehen ist aus Sicht der Verbände jedoch nicht zulässig. Die Thematisierung oder Nichtthematisierung der PID kann nicht von der Embryonendefinition abhängig gemacht werden.

 

Die Verbände der Ffreien Wohlfahrtspflege lehnen die Präimplantationsdiagnostik ab (die in Deutschland verboten ist), da die Nutzung dieses Verfahrens allein darauf abzielt, die Entwicklung des Kindes mit einer genetisch bedingten Krankheit oder Behinderung schon vor der Schwangerschaft mit Hilfe der Untersuchung zu verhindern.

 

Lösungsvorschlag

In § 3 Abs. 1 Nr. 9 ist die gleiche Definition des menschlichen Embryos wie im Embryonenschutzgesetz (ESchG § 8 Abs. 1) zu verwenden. Im Gesetzentwurf ist zu präzisieren, dass dieser nicht den Bereich der genetischen Untersuchungen im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik regelt, die in Deutschland verboten ist.

 


 

Abschnitt 2 – Genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken

§§ 9 - 19

 

Gesetzentwurf

Der Abschnitt 2 §§ 9 – 19 enthält Regelungen für genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken. Genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken dürfen nur von entsprechend qualifizierten Ärzten/Ärztinnen mit der Einwilligung des Patienten/der Patientin nach einer ausführlichen Aufklärung durchgeführt werden. Es werden Vorgaben für Untersuchungen und Aufklärungen bei Erwachsenen, nicht einwilligungsfähigen Personen und vorgeburtlichen Untersuchungen bei Ungeborenen formuliert.

 

Bewertung

Genetische Daten sind besonders sensibel, weil ihr Informationsgehalt dem Träger oft selbst nicht bekannt ist. Die Entscheidung, genetische Daten zu offenbaren, bedeutet deshalb oft, selbst nicht zu wissen, was offenbar wird. Aus dem zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung gehörenden Recht auf Nichtwissen folgt, dass für Gentests eine strikte Freiwilligkeit erforderlich ist. Diese Grundsätze werden im Gesetzentwurf beachtet.

 

 

§ 9 Arztvorbehalt

 

Gesetzentwurf

Gemäß § 9 dürfen genetische Untersuchungen nur von dafür qualifizierten Ärzten/Ärztinnen durchgeführt werden.

 

Bewertung

Die Verbände begrüßen, dass in § 9 für genetische Untersuchungen nicht nur der Arztvorbehalt gilt, sondern auch eine dazu befähigende angemessene Ausbildung nachzuweisen ist. Diese Vorgaben sind wichtige Elemente für die notwendige Qualitätssicherung genetischer Tests und des Umgangs mit genetischen Daten. Sie sichern in der klinischen Arbeit und Forschung das Wohl und den Schutz der Patienten.

 

 

§ 10 Einwilligung

 

Gesetzentwurf

Die genetische Untersuchung darf nur nach entsprechender schriftlicher Einwilligung des Patienten/der Patientin erfolgen. Diese kann jederzeit widerrufen werden.

 

Bewertung

Die Verbände begrüßen die Regelung, dass die Einwilligung, die auf dem Freiwilligkeitsprinzip beruht, schriftlich erfolgen muss und jederzeit widerrufen werden kann. In § 10 Abs. 2 ist nicht geklärt, welche Instanz die Kontrolle übernimmt, ob die Proben und genetischen Daten gelöscht wurden, wenn die Einwilligung zurückgezogen wurde. Hier besteht aus Sicht der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege Nachbesserungsbedarf.

 

 

§ 11 Aufklärung

 

Gesetzentwurf

In § 11 erfolgt die Regelung, wie und mit welchen Inhalten die Aufklärung der Patienten durch den Arzt/die Ärztin durchgeführt werden muss. In § 11 Abs. 2 Nr. 5 und 6 wird festgeschrieben, dass die betroffene Person nicht nur das Recht auf Wissen hat. Sondern sie hat auch das Recht, die Einwilligung jederzeit zu widerrufen. Sie hat das Recht auf Nichtwissen einschließlich des Rechts, das Untersuchungsergebnis oder Teile davon nicht zur Kenntnis zu nehmen.

 

Bewertung

Jede genetische Diagnostik erfordert die Aufklärung der betroffenen Person und deren freiwilligen Einwilligung. In der Aufklärung muss auch auf das Recht auf Nichtwissen in allen Phasen der genetischen Untersuchung hingewiesen werden. Diese Grundsätze sind im Gesetzentwurf umgesetzt.

 

 

§ 12 Genetische Beratung

 

Gesetzentwurf

In § 12 werden die Bedingungen und Inhalte einer genetischen Beratung vor einer genetischen Untersuchung geregelt.

 

Bewertung

In Abs. 2, Satz 2 sowie in Abs. 3 Satz 3 wäre es hilfreich, der betroffenen Person nach der Beratung nicht nur eine angemessene Bedenkzeit bis zur Untersuchung einzuräumen. Sondern es ist auch eine Hinweispflicht für den beratenden Arzt, auf entsprechende psychosoziale Beratungsdienste, auf Selbsthilfegruppen, Behindertenverbände und Patientenorganisationen und dgl., zu formulieren. Damit wäre gewährleistet, dass die betroffene Person Informationen über Beratungs- und Kontaktmöglichkeiten mit psychosozialen Beratungsdiensten, Selbsthilfegruppen, Patientenorganisationen und Behindertenverbände erhält.

 

Lösungsvorschlag

In § 12 Abs. 3 ist zu ergänzen: „Die beratende Person hat auf die Beratungs- und Kontaktmöglichkeiten mit psychosozialen Beratungsdiensten, Selbsthilfegruppen, Behindertenverbände und Patientenorganisationen hinzuweisen.“

 

 

§ 16 Genetische Untersuchungen bei nicht einwilligungsfähigen Personen

 

Gesetzentwurf

In § 16 werden die Voraussetzungen von genetischen Untersuchungen bei nicht einwilligungsfähigen Patienten festgelegt. Eine solche Untersuchung kann u.a. dann vorgenommen werden, wenn sie der Gesundheit bzw. Behandlung einer Erkrankung des Patienten/der Patientin dient bzw. wenn diese mit möglichst wenig Risiken und Belastungen verbunden ist. Die Patienten sind soweit wie möglich über die Untersuchung aufzuklären. Eine Ablehnung der Untersuchung durch die betroffene Person ist zu respektieren.

 

Bewertung

In Abs. 1 Nr. 3 wird analog dem Arzneimittelgesetz mit den Begriffen „wenig Risiken und Belastungen“ argumentiert, ohne dass an einer Stelle festgelegt wird, welche Risiken und Belastungen ausgeschlossen werden müssen. Hier bedarf es einer spezifischen Regelung, welche Risiken und Belastung als „wenig“ eingestuft werden.

 

 

§ 17 Vorgeburtliche Untersuchungen

 

Gesetzentwurf

In § 17 wird geregelt, dass vorgeburtliche genetische Untersuchungen nur zu medizinischen Zwecken durchgeführt werden dürfen. Eine Untersuchung zur Geschlechtsbestimmung des Embryos wird ausgeschlossen. Für die Aufklärung wird eine Hinweispflicht des Arztes/der Ärztin auf den Rechtsanspruch der schwangeren Frau auf psychosoziale Beratung festgelegt.

 

Bewertung

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege begrüßen, dass eine vorgeburtliche Untersuchung nur zu medizinischen Zwecken vorgenommen werden darf. Aus der Sicht der Verbände ist es strikt erforderlich, die vorgeburtlichen Untersuchungen auf den Verdacht einer konkreten Erkrankung, die behandelbar (therapierbar) ist, einzugrenzen.

 

Eine in § 17 Abs. 3 vorgenommene Hinweispflicht für Ärzte auf den Rechtsanspruch auf psychosoziale Beratung nach § 2 SchKG zu verankern, ist ein wichtiger Fortschritt des Gesetzentwurfes. Damit ist eine langjährige Forderung der Wohlfahrtsverbände umgesetzt.

 

Ergänzungswürdig ist jedoch, die Verpflichtung für den Arzt /die Ärztin festzuschreiben, eine Bedenkzeit zwischen der ärztlichen Aufklärung und Beratung vor der pränatalen Maßnahme einzuhalten, damit die Frau die unabhängige Beratung auch tatsächlich vor dieser Untersuchung wahrnehmen kann. Nur so kann die Selbstbestimmung der schwangeren Frau im Hinblick auf die Inanspruchnahme oder Ablehnung der pränatalen Diagnostik gestärkt und gesichert werden.

 

 

Abschnitt 5 – Genetische Untersuchungen im Versicherungsbereich § 22 und Abschnitt 6 – Genetische Untersuchungen im Arbeitsleben § 23 ff

 

Gesetzentwurf

Sowohl Abschnitt 5 als auch Abschnitt 6 enthalten ein umfassendes Diskriminierungsverbot. Niemand darf aufgrund seiner genetischen Disposition im Arbeitsleben oder im Versicherungsbereich benachteiligt werden. Arbeitgeber oder Versicherungen dürfen in keiner Phase die Vorlage von Gentests verlangen.

 

Bewertung

Der Gesetzentwurf geht von der Forderung aus, dass niemand wegen seiner genetischen Eigenschaften diskriminiert werden darf. Dieser Grundsatz schließt die Forderung ein, dass niemand wegen der Vornahme oder der Nichtvornahme einer genetischen Diagnostik oder der Vorlage oder Nichtvorlage bekannter genetischer Daten benachteiligt werden darf. Diese Forderung entspricht Art. 11 des „Übereinkommens über Menschenrechte und Biomedizin“ des Europarates.[1] Auch die Charta der Grundrechte der EU aus dem Jahr 2000 verbietet in Art. 21 die Diskriminierung aufgrund genetischer Merkmale.

Nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung sind vor der Einstellung nur solche Erkrankungen für den Bewerber mitteilungspflichtig, die die Eignung für die vorgesehene Tätigkeit auf Dauer oder in periodisch wiederkehrenden Abständen einschränken oder von denen eine Gefährdung Dritter ausgehen kann. Das bedeutet, dass prädiktive Gentests, die keine Aussagen über manifeste Krankheiten machen, grundsätzlich unzulässig sind.

 

Die vorliegenden Regelungen, wonach genetische Dispositionen nicht über die sozialen Chancen in der Gesellschaft entscheiden dürfen, entsprechen den Grundsätzen der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege.

 

 

Abschnitt 7– Genetische Untersuchungen zu Zwecken wissenschaftlicher Forschung §§ 26 -33

 

Gesetzentwurf

Der Abschnitt 7 geht davon aus, dass genetische Diagnostik zu Zwecken wissenschaftlicher Forschung erst erfolgen darf, nachdem die betroffene Person entschieden hat, ob und in welchem Umfang personenbezogene genetische Proben bzw. Daten gewonnen und verwendet werden dürfen. Für diese sensiblen Daten wird für die Einwilligung die Schriftform vorgeschrieben. Die Einwilligung kann von der betroffenen Person jederzeit widerrufen werden. Die Erteilung der Einwilligung setzt eine umfassende Aufklärung der betroffenen Person über mögliche Verwendungen der personenbezogenen genetischen Proben bzw. Daten voraus. § 27 regelt umfassend den Aspekt Aufklärung, um Interessenskonflikte zu verhindern. Probandinnen und Probanden werden aufgeklärt, dass sie auch über die Finanzierung von Forschungsvorhaben, die Verwertung der Ergebnisse, geplante Veröffentlichungen, etc. informiert werden.

 

Bewertung

Der Entwurf schränkt die Nutzung genetischer Daten strikt auf den Forschungszweck ein. Eine anderweitige Nutzung von Forschungsdaten – etwa durch die Polizei – wird in diesem Gesetzentwurf ausgeschlossen. Die Verbände begrüßen, dass die Weitergabe von Daten und ihre Nutzung für anderweitige Zwecke durch ein gesetzlich verankertes „Forschungsgeheimnis“ - analog zur gesetzlichen Schweigepflicht des Arztes - eingeschränkt wird.

 

 

§ 26 Einwilligung

 

Gesetzentwurf

In § 26 werden die genauen Bedingungen für eine Einwilligung zu genetischen Untersuchungen zu Zwecken wissenschaftlicher Forschung geregelt. U.a. wird neben bestimmten Forschungsvorhaben, Forschungszwecken auch die Regelung für allgemeine Einwilligung zu Zwecken wissenschaftlicher Forschung ermöglicht.

 

Bewertung

Die Verbände lehnen die in § 26 Abs. 1 Nr. 2, Satz 2 und in Abs. 2 Satz 3 sowie in § 27 Abs. 3 vorgesehene Regelung der allgemeinen Einwilligung „zu Zwecken wissenschaftlicher Forschung“, mit dem Konzept des „informed consent“ ab. Im Gesetz sollte strikt geregelt werden, dass die Einwilligung die Informiertheit der betroffenen Person über das konkrete Forschungsvorhaben voraussetzt. Angesichts der Sensibilität genetischer Daten widerspricht eine allgemeine Einwilligung zu Zwecken wissenschaftlicher Forschung den Schutzrechten der betroffenen Person.

 

In § 26 Abs. 2 wird eine Abweichung vom Grundsatz der Schriftform bei „besonderen Umständen“ eingeräumt. Den Verbänden ist unverständlich, welche wichtigen wissenschaftlichen Gründe es rechtfertigen sollten, dass von der Schriftform abgewichen wird.

 

In § 26 Abs. 3 wird nicht ausgeschlossen, dass der Einwilligungswiderruf abdingbar sein kann. Das heißt, es ist nicht ausgeschlossen, dass Betroffene durch einen zivilrechtlichen Vertrag (z.B. gegen Geld) auf ihr Recht des Widerrufs verzichten können.

 

Lösungsvorschlag

In § 26 Abs. 3 ist zu ergänzen: „Eine zum Nachteil der betroffenen Person abweichende Vereinbarung ist unwirksam.“

 

Weiterhin ergibt sich aus der Formulierung in § 26 Abs. 3 Satz 2 das Problem, dass die in Satz 1 festgeschriebene „Unverzüglichkeit“ durch den Nachsatz außer Kraft gesetzt wird. Dass die betroffene Person sich mit einer Weiterverwendung in anonymisierter Form einverstanden erklären kann, erlaubt den Einwand, dass die betroffene Person erst noch gefragt werden soll, ob sie nicht doch einer Weiterverwendung in anonymisierter Form zustimmt.

 

 

§ 28 Anonymisierung und Pseudonymisierung

 

Gesetzentwurf

In § 28 wird die Anonymisierung und Pseudonymisierung von genetischen Daten geregelt.

 

Bewertung

In § 28 wird der Schutz genetischer Daten ausreichend gewährleistet.

 


§ 33 Besonders schutzbedürftige Personen

 

Gesetzentwurf

In § 33 Abs. 2 Nr. 1 zweiter Halbsatz wird die gruppennützige Forschung bei nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen ermöglicht.

 

Bewertung

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege lehnen die Zulassung gruppennütziger Forschung bei nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen ab. Bei Minderjährigen und Nichteinwilligungsfähigen sind genetische Untersuchungen grundsätzlich nur zum unmittelbaren Nutzen der betroffenen Person zulässig. Ein solcher Nutzen liegt vor, wenn der genetische Test eine Präventions- oder Therapiemöglichkeit eröffnet.

 

Die Verbände vertreten die Position, dass die ersatzweise Einwilligung in eine ausschließlich fremdnützige Forschungsmaßnahme weder für Eltern, noch für den gesetzlichen Betreuer durch die elterliche Sorge zum Wohl des Kindes ethisch begründet werden kann. Hinzu kommt in diesem Forschungsbereich, dass mittelbar immer auch leibliche Verwandte von den genetischen Untersuchungen und ihren Ergebnissen betroffen sein können. Entsprechende Regelungsvorgaben, die die Rechte von Familienangehörigen regeln, fehlen im Gesetzentwurf.

 

 

Abschnitt 10 - Schlussvorschriften

 

§ 38 Evaluation

 

Gesetzentwurf

In § 38 wird geregelt, dass die Bundesregierung zwei Jahre nach Verkündigung des Gesetzes eine unabhängige Forschungsgruppe mit der Evaluation des Gesetzes beauftragen und sechs Monate nach der Beauftragung den Bericht dem Bundestag vorlegen wird.

 

Bewertung

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege begrüßen angesichts der hohen Dynamik der Entwicklung neuer Testverfahren und Anwendungsmöglichkeiten im Bereich der Gendiagnostik und den daraus möglicherweise erwachsenden Diskriminierungspotentialen die Evaluation des Gesetzes nach zwei Jahren. Diese Evaluation ermöglicht die kritische Überprüfung und eventuelle Anpassung des Gesetzes vor dem Hintergrund der Praxis und des Stands der medizinischen Wissenschaft zum Schutz der betroffenen Personen. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege stehen für eine Beteiligung an einer solchen Evaluation zur Verfügung.

 

 

Berlin, 29.10.2007



[1] Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die

Anwendung von Biologie und Medizin – Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin

des Europarates vom 4. April 1997. Die Konvention wurde von der Bundesregierung bisher nicht gezeichnet.