Stellungnahme der BAGFW zum Referentenentwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch

Die BAGFW nimmt zum von der Bundesregierung vorgelegten Referentenentwurf eines Dritten SGB XII-Änderungsgesetzes nachfolgend Stellung.

A.        Einleitung

Seit dem 1. Januar 2013 erstattet der Bund den Ländern 75 Prozent, ab 2014 100 Prozent der Nettoausgaben in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Infolge der dadurch eingetretenen Bundesauftragsverwaltung besteht gesetzgeberischer Handlungsbedarf im Vierten Kapitel des SGB XII. Die Bundesregierung hat aus diesem Anlass einen Referentenentwurf eines Dritten SGB XII-Änderungsgesetzes vorgelegt. Neben Regelungen zur Nachweispflicht der Länder sollen bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Ergänzungen bei der Berücksichtigung von Einkommen, Verwaltungsvereinfachungen ermöglichende Änderungen, Klarstellungen zu bestehenden Auslegungsfragen sowie Vereinheitlichung von Begrifflichkeiten und redaktionelle Korrekturen vorgenommen werden. Einzelne Änderungen bewertet die BAGFW im Hinblick auf deren Wirkung auf die Antragsteller/-innen.

 

B.        Zusammenfassung

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege plädieren insbesondere dafür, die Freibetragsgrenze für die Anrechnung von Zinseinkünften im SGB XII den Regelungen des SGB II anzugleichen und diese auch bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und den Hilfen nach dem 5. bis 9. Kapitel SGB XII anzuwenden. Zugunsten der Leistungsberechtigten und im Sinne einer Verwaltungsvereinfachung soll ein Globalantrag eingeführt werden. Soweit bei der Anrechnung einmaliger Einnahmen für die Betroffenen Verschlechterungen gegenüber der heutigen Rechtslage eintreten, werden die Neuregelungen abgelehnt.

Weitergehend fordert die BAGFW insbesondere eine gesetzliche Klarstellung zur Zuordnung von volljährigen Menschen mit Behinderung ohne eigenen Haushalt in die Regelbedarfsstufe 1. Außerdem sollen Vermögen stärker freigestellt werden, gerade dann, wenn dies der Altersvorsorge dient.

 

Bewertung der einzelnen Maßnahmen

I.              Einführung von Freibeträgen für Zinseinkünfte und Unfallrenten
(§ 43 Abs. 3 und 4 SGB XII)

 

Gesetzentwurf

Der Gesetzentwurf sieht in Absatz 3 einen neuen Freibetrag von 26 Euro im Kalenderjahr für Einnahmen aus Kapitalvermögen (Zinserträge und Ähnliches) vor. Bislang gab es für Zinseinkünfte keinen Freibetrag. Zudem wird mit dem neuen Absatz 4 ein Freibetrag für Leistungsberechtigte geschaffen, die während ihrer Wehrdienstzeit bei der Nationalen Volksarmee der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) einen Unfall erlitten haben.

Bewertung

Die BAGFW begrüßt es, dass in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ein Freibetrag für Einnahmen aus Kapitalvermögen eingeführt wird. Das führt dazu, dass diese Einkünfte aus dem bescheidenen Schonvermögen auch bei den Leistungsbeziehern verbleiben können. Eine ähnliche Regelung gibt es auch im SGB II. Dort beträgt die Bagatellgrenze für Erträge oder Zinsen jedoch monatlich 10 Euro. Dagegen sind im SGB XII kalenderjährlich künftig nur 26 Euro, damit monatlich 2,17 Euro anrechnungsfrei. Die Höhe des Freibetrags entspricht einem Prozent des Schonvermögensbetrags von 2.600 Euro bei Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Nach der Gesetzesbegründung wird mit dem auf dieser Basis berechneten Freibetrag der überwiegende Teil der Leistungsberechtigten zwar vor dem Hintergrund des aktuell sehr niedrigen Zinsniveaus in Deutschland von der Einkommensanrechnung von Zinseinkünften freigestellt. Die Zinseinkünfte sollten jedoch auch dann noch freigestellt sein, wenn die Zinsen wieder steigen.

 

Zudem sieht die BAGFW bereits die unterschiedlichen Vermögensfreigrenzen des SGB II und SGB XII kritisch. Dies ist im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts insbesondere nicht nachvollziehbar, sofern sie Menschen mit Behinderung betrifft, die auf Grundsicherung wegen Erwerbsminderung angewiesen sind. Auch bei ihnen müssen z. B. Freibeträge für Vermögen, das der Altersvorsorge dient, anerkannt werden. Zudem betreffen die Vermögensfreigrenzen auch die Leistungen nach dem 5. bis 9. Kapitel. Für Menschen mit Behinderung, die erwerbstätig sind, aber zugleich Leistungen der Eingliederungshilfe beziehen, besteht aktuell keine Möglichkeit, aus ihrem Erwerbseinkommen nennenswerte Beträge anzusparen. Hier besteht Änderungsbedarf.

Im Übrigen machen wir darauf aufmerksam, dass derzeit an dem Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes gearbeitet wird. In diesem Zuge hat die BAGFW bereits darauf hingewiesen, dass das in einem Bundesteilhabegesetz zu verankernde Prinzip des Nachteilsausgleichs nicht mehr mit dem in der Sozialhilfe geltenden Bedürftigkeitsprinzip vereinbar ist. Dies bedeutet, dass weder der Leistungsberechtigte noch sein Ehepartner bzw. eingetragene/r Lebenspartner/-in und/oder seine Angehörigen mit seinem/ihrem jeweiligen Einkommen und Vermögen zu den Teilhabeleistungen herangezogen werden können.

Die BAGFW begrüßt, dass mit der Einführung von Freibeträgen für Unfallrenten, die wegen während Wehrdienstzeiten bei der Nationalen Volksarmee der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik erlittenen Arbeitsunfällen gezahlt werden, zukünftig alle Betroffenen, hinsichtlich der Berücksichtigung ihrer Renten als Einkommen in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gleich behandelt werden. Damit wird die derzeitige Ungleichbehandlung gegenüber Personen, die eine Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, aufgehoben.

Vorschlag

Die BAGFW schlägt vor, den Freibetrag für Einkünfte aus Kapitalvermögen auf 120 Euro im Jahr, d. h. monatlich 10 Euro zu erhöhen, damit die Freistellung unabhängig von den Entwicklungen auf dem Finanzmarkt auch nachhaltig wirken kann.

Die BAGFW schlägt vor, den Freibetrag für Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht nur bei der Grundsicherung im Alter, sondern auch bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und bei den Hilfen nach dem 5. bis 9. Kapitel freizustellen. Es besteht hier kein Grund für eine Ungleichbehandlung.

Die BAGFW fordert, in § 90 SGB XII Vermögen, das der Altersvorsorge dienen soll, von der Anrechnung freizustellen, insofern Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung bei Erwerbsminderung bezogen werden.

Leistungen der Eingliederungshilfe sollen von der Anrechnung von Einkommen und Vermögen freigestellt werden.

 

II.            Antragserfordernis, Änderungen zulasten der Leistungs-berechtigten
(§ 44 Abs. 1 SGB XII)

Gesetzentwurf

Aus systematischen Gründen wird künftig in § 44 Abs. 1 SGB XII geregelt, dass Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auf Antrag erbracht werden. Das Antragsprinzip fand sich zuvor in § 41 SGB XII. Darüber hinaus wird in Abs. 1 nun klargestellt, dass einmalige Bedarfe (§ 31 SGB XII), Bedarfe für eine angemessene Alterssicherung (§ 33 SGB XII) und die Bedarfe für Bildung und Teilhabe (§§ 34 bis 34 b SGB XII) sowie ergänzende Darlehen (§ 37 SGB XII), gesondert zu beantragen sind.

Nicht aus § 44 Absatz 1 SGB XII a. F. wird hingegen dessen Satz 4 übernommen, nach dem eine Änderung zulasten der leistungsberechtigten Person erst ab dem Folgemonat zu einer Änderung führt. Änderungen, unabhängig davon, ob sie sich begünstigend oder belastend auswirken, sollen sich, wie im Dritten Kapitel des SGB XII oder auch in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II, in dem Monat des Ereignisses auswirken.

Bewertung

Die BAGFW spricht sich für eine Regelung aus, durch die die Leistungsberechtigten im SGB XII grundsätzlich zu beantragende Leistungen durch einen einzigen Antrag beantragen können. Dies könnte wie auch im SGB II bereits in der Praxis praktiziert durch einen sog. Glo-balantrag erfolgen. Dadurch kann zum einen der Verwaltungsaufwand beschränkt werden. Zum anderen werden auch die betroffenen Leistungsberechtigten entlastet.

Darüber hinaus spricht sich die BAGFW dafür aus, dass eine Änderung zulasten der leistungsberechtigten Person weiterhin erst ab dem Folgemonat zu einer Änderung führt. Hierdurch wird der Verwaltungsaufwand begrenzt, da ansonsten eine Rückforderung bereits erbrachter Leistungen erforderlich wird. 

Vorschlag

Der sog. Globalantrag soll für im SGB XII zu beantragende Leistungen eingeführt werden.

Der bisherige § 44 Absatz 1 Satz 4 SGB XII soll fortbestehen.

 

III.           Änderungen bei der Einkommensanrechnung
(§ 82 Abs.4 SGB XII)

Gesetzentwurf

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Vorschrift über die Anrechnung von Einkommen um eine Regelung über einmalige Einnahmen ergänzt wird. Zukünftig sollen einmalige Einnahmen, bei denen für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der Einnahme erbracht worden sind, im Folgemonat berücksichtigt werden (S. 1). Entfiele der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung in einem Monat, ist die einmalige Einnahme künftig auf einen angemessenen Zeitraum gleichmäßig aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen (S. 2).

Bewertung

Nach Auffassung der BAGFW ist bei einmaligen Einnahmen eine Regelung notwendig für den Fall, dass die einmalige Leistung bereits aufgezehrt wurde und nicht mehr als bereites Mittel zur Verfügung steht. Auch in diesem Fall müssen Leistungen als Zuschuss erbracht werden können.

Die BAGFW lehnt die geplante Änderung in § 82 Abs. 4 S. 2 ab. Zwar wird nach der Gesetzesbegründung eine Regelungslücke geschlossen, die bestand, wenn die einmalige Einnahme höher als der monatliche Leistungsanspruch ist. Dies hat nach derzeitiger Gesetzeslage zur Folge, dass für den Monat des Zuflusses keine Hilfebedürftigkeit besteht und damit ein Leistungsanspruch entfällt. Zumindest in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII bedeutet dies, dass im Folgemonat, beziehungsweise nach Verbrauch der einmaligen Einnahme, ein erneuter Antrag zu stellen ist. Durch die Gesetzesänderung soll deshalb eine Verteilung der einmaligen Einnahme auf einen „angemessenen“ Zeitraum erfolgen. Die Regelung hat künftig zur Folge, dass die einmalige Leistung vollständig angerechnet wird und nicht mehr wie nach derzeitigem Recht nach Ablauf des Zuflussmonats ein Teilbetrag dem Schonvermögen zugerechnet wird. Sie trifft damit aber gerade Menschen hart, die bei Beginn des Leistungsbezugs kein Vermögen im Rahmen der ohnehin sehr niedrigen Schonvermögensgrenzen hatten und es infolge der geplanten Regelung auch nicht mehr ansparen könnten.

Ungelöst bleibt weiterhin das Problem bei Rentenneuzugängen durch Renten, die immer erst am Monatsende ausgezahlt werden. Diese sind laufende Einnahmen und werden auf den im Monat des Zuflusses bestehenden Bedarf angerechnet. Dadurch entsteht eine Bedarfsunterdeckung bis zum Ende des jeweiligen Monats. Die BAGFW fordert, diese Bedarfslücke zu schließen.

Vorschlag

§ 82 Abs. 4 Satz 2 wird gestrichen. Stattdessen ist nach § 82 Abs. 4 Satz 1 folgender Satz einzufügen: „Bei Hilfebedürftigkeit nach Verbrauch der einmaligen Einnahme sind Leistungen als Zuschuss zu erbringen.“

Die BAGFW spricht sich dafür aus, dass die Anrechnung von Einkommen und Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung erst bei tatsächlichem Zufluss erfolgen und das Instrument der Überleitung in Bezug auf den Rentenversicherungsträger stärker genutzt werden sollte.

 

IV.          Fehlende gesetzliche Klarstellung zur Zuordnung von volljährigen behinderten Menschen, die keinen eigenen Haushalt führen 

Gesetzentwurf

Der Gesetzgeber hat es unterlassen, eine gesetzliche Klarstellung im SGB XII für volljährige erwerbsunfähige behinderte Menschen, die keinen eigenen Haushalt führen, sondern bei ihren Eltern oder in einer WG leben, dahingehend einzufügen, dass diese Menschen der Regelbedarfsstufe 1 zuzuordnen sind.

 

Die BAGFW spricht sich dafür aus, dass die Anrechnung von Einkommen und Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung erst bei tatsächlichem Zufluss erfolgen und das Instrument der Überleitung in Bezug auf den Rentenversicherungsträger stärker genutzt werden sollte.

Bewertung

Das Bundessoziallgericht hat in seinem Urteil vom 23.07.2014 (Az.: B 8 SO 14/13 R) entschieden, dass ein gemeinsamer Haushalt nicht voraussetzt, dass der behinderte Mensch nach seinen individuellen Fähigkeiten einen Haushalt auch ohne Unterstützungsleistungen eines anderen allein meistern kann. Ausreichend ist die Beteiligung an der Haushaltsführung im Rahmen der jeweiligen geistig-seelischen und körperlichen Leistungsfähigkeit. Lediglich dann, wenn keinerlei Haushaltsführung beim Zusammenleben mit einer anderen Person festgestellt werden kann, ist ein Anwendungsfall der Regelbedarfsstufe 3 denkbar. Für die Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 1 ist auch nicht entscheidend, dass ein eigener Haushalt vollständig oder teilweise geführt wird; es genügt vielmehr, dass der Leistungsberechtigte einen eigenen Haushalt gemeinsam mit einer Person - gegebenenfalls mit Eltern oder einem Elternteil - führt, die nicht sein Partner ist. Hintergrund der Entscheidung ist die Praxis der Sozialleistungsträger, volljährigen Menschen mit Behinderung, die bei ihren Eltern oder in einer Wohngemeinschaft leben, nur Leistungen für den Lebensunterhalt in Höhe der Regelbedarfsstufe 3, damit lediglich 80 Prozent der Regelleistung zu gewähren. Zwischenzeitlich hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) eine Weisung an die obersten Landessozialbehörden erlassen. Danach sollen die betreffenden Personen zwar weiterhin formell der Regelbedarfsstufe 3 zugeordnet werden, jedoch Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 erhalten: statt derzeit 320 nun 399 Euro. Hier braucht es hingegen nicht nur eine vorübergehende, sondern eine dauerhafte transparente Klarstellung im Gesetz.

Vorschlag

Die BAGFW fordert, dass im SGB XII gesetzlich klargestellt wird, dass die betreffenden Menschen der Regelbedarfsstufe 1 zuzuordnen sind.

 

Berlin, 16.07.2015