Stellungnahme der BAGFW zur EU-Konsultation zum Vorschlag für eine Gesetzgebungsinitiative zu grenzüberschreitenden Tätigkeiten von Vereinen

In der EU gibt es eine Vielzahl von verschiedenen Erbringern von sozialen Dienstleistungen. Insbesondere ist zu unterscheiden zwischen öffentlichen und privaten Anbietern. Außerdem ist bei den privaten Anbietern zwischen Akteuren mit Gewinnerzielungsabsicht und den selbstlos arbeitenden gemeinnützigen Unternehmen zu unterscheiden.

Deutschland hat eine lange Tradition von gemeinnützigen Erbringern sozialer Dienstleistungen. Die sechs Verbände der Freien Wohlfahrtspflege (FW) sind die größten Anbieter gemeinnütziger Sozialdienstleistungen in Deutschland mit 1,9 Millionen Beschäftigten und etwa 3 Millionen Freiwilligen. Die besondere Rolle der Freien Wohlfahrtspflege ergibt sich aus dem Sozialstaatsprinzip in Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes sowie dem Subsidiaritätsprinzip. Soweit durch die vorgesehenen Vorschläge die Stärkung eines größeren zivilgesellschaftlichen Zusammenhalts in Europa, die Vereinfachung von grenzüberschreitenden Projekten sowie der Schutz von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsstaaten erreicht wird, begrüßen wir dies. Wir stellen fest, dass zivilgesellschaftliche Organisationen in einzelnen EU-Staaten unter politischem Druck stehen und ihre zivilgesellschaftliche Funktion nur eingeschränkt wahrnehmen können. Dies sind aber aus unserer Sicht Probleme in einzelnen EU-Staaten, die insbesondere über einen durchsetzungsstarken EU-Rechtsstaatsmechanismus gelöst werden sollten.

Die EU-Kommission bezieht im Fragebogen der Konsultation den Begriff „Verein“ auf die Rechtsform von Vereinen oder Wohltätigkeitsorganisationen, sofern es sich um mitgliedschaftsbasierte Organisationen von Personen handelt. Die Einrichtungen und Träger der Freien Wohlfahrtspflege sind häufig in Unternehmensverbünden tätig. Diese können neben Vereinen, insbesondere Stiftungen und gGmbHs, aber auch gemeinnützige Genossenschaften und gemeinnützige Aktiengesellschaften umfassen. Die EU-Kommission beabsichtigt die Rechtslage europäischer Vereine und anderer Organisationen ohne Erwerbszweck im Hinblick auf die grenzüberschreitende Anerkennung und die Regelungen zu grenzüberschreitenden Tätigkeiten zu harmonisieren und zu stärken. In den von der Kommission vorgesehenen Analysen und Studien zu den geplanten Legislativvorschlägen sind in Bezug auf die Freie Wohlfahrtspflege auch etwaige Auswirkungen auf die übrigen Einrichtungen in nicht mitgliedschaftsbasierten Rechtsformen, insbesondere innerhalb eines Unternehmensverbundes, zu bedenken.

Ein prägendes Merkmal der Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege ist die Gemeinnützigkeit. Die Gemeinnützigkeit bestimmt das Organisationsrecht der gemeinnützigen Körperschaft. Sie stellt sicher, dass die vorhandenen Mittel effizient und zeitnah zu Gunsten der hilfsbedürftigen Menschen verwandt werden. Das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht ist durch eine hohe Regelungsdichte gekennzeichnet. Gemeinnützige Körperschaften arbeiten selbstlos. Die Selbstlosigkeit bedeutet dabei keine Reduzierung auf ein Gewinnausschüttungsverbot. Gemeinnützigkeitsrechtlich gebundene Mittel, sind ausschließlich für die satzungsmäßigen Zwecke einzusetzen. Es besteht ein Drittbegünstigungsverbot. Danach müssen zum Beispiel von der Körperschaft gezahlte Gehälter stets angemessen und verhältnismäßig sein. Es besteht ein Gebot der zeitnahen Mittelverwendung. Danach sind gemeinnützigkeitsrechtlich gebundene Mittel innerhalb von zwei Kalender- oder Wirtschaftsjahren für die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke zu verwenden. Nach dem Ausschließlichkeitsgebot darf die gemeinnützige Körperschaft nur ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verwirklichen. Nach dem Unmittelbarkeitsgebot muss eine gemeinnützige Körperschaft die steuerbegünstigten Zwecke unmittelbar selbst bzw. durch eine Hilfsperson verwirklichen. Sollte eine Hilfsperson eingeschaltet sein, sind die rechtlichen und tatsächlichen Beziehungen zwischen Körperschaft und Hilfsperson, wie eigenes Wirken der Körperschaft anzusehen. Die Umsetzung der Regelungen führt in den Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege zu einem erheblichen Aufwand. Die Gemeinnützigkeit stellt somit ein Gütesiegel für die Tätigkeit der Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland dar.

Das Gemeinnützigkeitsrecht ist stark nationalstaatlich geprägt. Dies entspricht auch dem Subsidiaritätsgedanken der Sozialpolitik und der Sozialgesetzgebung in Deutschland. Eine Berücksichtigung bzw. Anerkennung der Gemeinnützigkeit im europäischen Recht würden wir prinzipiell begrüßen. Die in der Verordnung über das Statut für den europäischen Verein vorgeschlagene Regelung der Gemeinnützigkeit wird dem nicht gerecht. Dies gilt auch für den vorgeschlagenen Gemeinnützigkeitsstatus der Mindeststandardrichtlinie. Eine Reduzierung der Gemeinnützigkeit auf ein reines Gewinnausschüttungsverbot lehnen wir ab. Sofern in den Tätigkeitsbereichen der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland künftig Unternehmen und Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege nach dem bisherigen deutschen Gemeinnützigkeitsrecht parallel zu Unternehmen mit einer Gemeinnützigkeit „light“ im Wettbewerb stehen, führt dies zu signifikanten Wettbewerbsnachteilen für die Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege. Von den Wettbewerbsnachteilen wären auch weitere gemeinnützige Unternehmen betroffen, die sich z.B. in den Arbeitsbereichen Heimerziehung, Blindenfürsorge oder Wissenschaft und Forschung wirtschaftlich betätigen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Freie Wohlfahrtspflege in Deutschland soziale Dienstleistungen und eine kostenintensive soziale Infrastruktur in allen Bereichen der sozialen Daseinsvorsorge, unabhängig von ihrer Rentabilität aufrechterhält. Die Stabilität dieser sozialen Infrastruktur und der dort erbrachten Leistungen für hilfsbedürftige Menschen wäre gefährdet.

Um dies zu vermeiden, fordern wir eine Streichung der Regelungen zur Gemeinnützigkeit in der Verordnung über das europäische Vereinsstatut und in der Mindeststandardrichtlinie.

Die Mindeststandardrichtlinie soll nach den Vorschlägen des Europäischen Parlaments für alle Organisationen „ohne Erwerbszweck“, mithin auch für Stiftungen oder gGmbHs, gelten. Mehrere Vorschriften des Richtlinienvorschlages setzen die Existenz von Mitgliedern einer Organisation ohne Erwerbszweck voraus und passen daher nicht auf Stiftungen oder gGmbHs. Die Überlegungen der EU-Kommission zu einer Beschränkung auf Vereine begrüßen wir daher. Im Interesse einer erleichterten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Vereinen unterstützt die BAGFW die vorgeschlagenen Bestimmungen, die einer gegenseitigen Anerkennung förderlich sind. Insbesondere trifft dies auf das Prinzip der Nichtdiskriminierung zu, auf die Vereinfachung von Verwaltungsvorschriften in einer der vielfältigen Vereinstätigkeiten adäquaten Art und Weise, auf das Recht auf eine gute Verwaltung sowie auf das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf.

Die Regelungen zum europäischen Vereinsstatut müssen nach ihrer Einführung periodisch evaluiert werden. Eine starre Regelung zum europäischen Vereinsstatut wird den aktuellen dynamischen Prozessen nicht gerecht.

Die Sondierung kann auf der Webseite der Europäischen Kommission eingesehen werden: https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/13538-Binnenmarkt-Vorschlag-fur-eine-Gesetzgebungsinitiative-zu-grenzuberschreitenden-Tatigkeiten-von-Vereinen/F3352904_de.