Stellungnahme der BAGFW zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung

Der Arbeitskräftemangel, sowohl bei den Fach- als auch bei den Hilfskräften, ist ein bekanntes und zunehmendes gesamtgesellschaftliches Problem, das sich aufgrund des demographischen Wandels in den kommenden Jahren nochmals verschärfen wird.

Die Problematik zeigt sich besonders akut in den Bereichen Soziales und Erziehung, Gesundheit und Pflege, Bau und Handwerk, aber auch in der Informationstechnologie und den Berufen rund um Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Sowohl Fach- als auch Hilfskräfte fehlen in einem so erheblichen Ausmaß, dass in vielen Bereichen ein Versorgungsengpass und immer häufiger ein Versorgungsnotstand besteht, sodass im schlimmsten Fall Einrichtungen und Dienste wegen Personalmangels geschlossen werden müssen.

Die Bundesregierung hat sich mit ihrer Fachkräftestrategie der Problematik angenommen und zahlreiche Maßnahmen, darunter auch die Modernisierung und Weiterentwicklung des Einwanderungsrechts, angekündigt. Der vorliegende Referentenentwurf zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung zielt darauf ab, Fachkräfte aus Drittstaaten für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen, indem die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Zuwanderung verbessert werden. Zudem sollen bewährte Ansätze des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes aus dem Jahr 2020, wie die Verlängerung der Westbalkanregelung, verstetigt werden.

Die BAGFW begrüßt den Vorstoß als weiteren Schritt in die richtige Richtung. Zusätzlich zur vorrangigen Hebung inländischer und der Erschließung innereuropäischer Arbeitskraftpotenziale ist die Erleichterung der Einwanderung aus Drittstaaten eine weitere Möglichkeit, um den Arbeitskräftemangel zu lindern.

Aus Sicht der BAGFW gibt es einige weitere wichtige Punkte, die für eine nachhaltige Erwerbsmigration entscheidend sind, das Ankommen in Deutschland ermöglichen und den Verbleib stärken. Es sind Reformen notwendig, die nicht allein auf die Gewinnung von qualifizierten Fachkräften abzielen, sondern auch eine Gewinnung von geringer Qualifizierten im Sinn hat.

Die Verbände der Wohlfahrtspflege haben sich in einzelverbandlichen Stellungnahmen mit dem Gesetz- und Verordnungsentwurf auseinandergesetzt. Aufgrund der Relevanz des Themas und des dringenden Bedarfs nach Reformen bringen die Verbände der BAGFW darüber hinaus gemeinsam folgende Eckpunkte in die Debatte ein:

Vereinfachung und Beschleunigung von Verfahren

Die Visa- und Verwaltungsverfahren dauern derzeit übermäßig lang. Gründe sind unzureichende Ausstattung an Personal und Arbeitsmitteln sowie unzureichende Digitalisierung, aber auch eine immer komplexer werdende Rechtsmaterie. Das aktuelle Gesetzgebungsverfahren sollte dazu genutzt werden, seinen Teil zur Beschleunigung von Verfahren beizutragen, indem es einen Beitrag zur Vereinfachung des Rechts leistet. Eine Möglichkeit, die Verfahren wirksam zu beschleunigen, wären bindende Fristen, innerhalb derer Anträge zu bescheiden sind bzw. bei Nichtbescheidung als bewilligt gelten. Der Gesetzentwurf enthält dazu einige Schritte, die aber nur für Besitzer:innen einer ICT-Karte oder einer Blauen-Karte aus einem anderen Mitgliedstaat gelten sollen. Es ist nicht ersichtlich, warum nicht generell Anträge auf eine Aufenthaltserlaubnis künftig spätestens nach 30 Tagen zu bescheiden sind oder die Erlaubnis zum Familiennachzug spätestens 30 Tage nach der Einreichung des vollständigen Antrags zu erteilen ist (vgl. Gesetzentwurf Art. 1 Nr. 27: § 81 Abs. 6 und 6a AufenthG-neu).

Ein weiterer möglicher Schritt wäre, einzelne Anspruchsvoraussetzungen zu vereinfachen. So würde beispielsweise die Orientierung der Lebensunterhaltssicherung an der Existenzsicherung nach §§ 20, 22 SGB II (dazu auch unten) komplexe Berechnungen sparen.

Schwerpunkt auf Ausbildung

Aus Sicht der BAGFW sollte ein gesetzgeberischer Schwerpunkt auf die erleichterte Zuwanderung über den Ausbildungsweg gelegt werden. Das ist vielversprechender als überwiegend auf fertig ausgebildete Fachkräfte zu setzen. Erfahrungsgemäß besteht für ausgebildete Fachkräfte, die in ihren Herkunftsländern beruflich und sozial verwurzelt sind, wenig Anreiz, nach Deutschland umzuziehen. Das gilt vor allem, wenn eine aufgebaute Existenz aufgegeben werden muss, um in einer fremden Sprache und Umgebung neu zu beginnen. Dieses Muster verändert sich, wenn Menschen aus anderen Motiven, z.B. wegen Unzufriedenheit mit der politischen Situation oder wegen fehlender Arbeits- und Lebensperspektive, das eigene Land verlassen und in Deutschland ein attraktives Zuwanderungsland sehen. Die Erfolge in Ausbildungsprogrammen zeigen, dass es sich sehr bewährt, zuwanderungsinteressierten Menschen in Deutschland gezielt eine Ausbildung zu ermöglichen. Durch die betriebliche Ausbildung kann der Lebensunterhalt z. B. in der Pflege oder im Kitabereich überwiegend selbst gesichert werden. Der Weg über eine Ausbildung ist daher für viele Menschen ein realistischer Weg. Um diesen zu erleichtern, müssen rechtliche und bürokratische Hürden weitestgehend abgebaut werden, wie z. B. die Zustimmungspflicht der Bundesagentur für Arbeit zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausbildungsaufnahme gemäß § 16a AufenthG.

Familiennachzug erleichtern

Die Verbände der BAGFW setzen sich seit langem grundsätzlich für Erleichterungen bei der Familienzusammenführung ein. Der Familiennachzug zu Arbeitskräften hängt derzeit von zahlreichen Voraussetzungen ab, zu denen Kenntnisse der deutschen Sprache bei nachziehenden Gatt:innen und Kindern zwischen 16-18 Jahren gehören sowie die Lebensunterhaltssicherung für die ganze Familie und zudem der Nachweis von ausreichendem Wohnraum.

Für diejenigen, die erwägen, zu Erwerbszwecken nach Deutschland zu kommen, wird es eine zentrale Rolle spielen, ob bzw. unter welchen Bedingungen sie hier mit ihren Familienangehörigen zusammenleben können. Bei der Weiterentwicklung des Einwanderungsrechts gilt es, die Fehler der „Gastarbeiteranwerbung“ nicht zu wiederholen. Ziel muss es regelmäßig sein, für Migrant:innen eine langfristige Perspektive in Deutschland zu schaffen. Auch aus diesem Aspekt bedarf es einer Einwanderungspolitik, bei der Deutschland Familien gewinnt, nicht nur individuelle Arbeitskräfte. Damit dies gelingt, ist es aus Sicht der Verbände der BAGFW notwendig, die oben genannten Hürden bei der Familienzusammenführung zu überprüfen und zu senken, wie es ja etwa auch bei der Einführung des Chancen Aufenthaltsrechts schon teilweise umgesetzt wurde.

Die Vermeidung prekärer Wohnverhältnisse und Lebensbedingungen sind aus Sicht der Verbände grundsätzliche zentrale sozialpolitische Herausforderungen. Diese zentralen Anliegen dürfen aber nicht das Recht, in Deutschland mit der Familie zusammenleben zu können, einschränken.

Strukturförderung

Um zusätzliche Arbeitskräfte zu gewinnen, müssen wir die Menschen tatsächlich auch erreichen können, daher sind ausreichend Integrations- und Beratungsstrukturen bereitzuhalten. Ab 2026 soll ein bundesweites, unentgeltliches und niedrigschwelliges Beratungsangebot zu arbeits- und sozialrechtlichen Fragen regelfinanziert werden, das sich an Neuzuwandernde und bereits in Deutschland aufhältige Drittstaater:innen sowie an solche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt (noch) im Ausland haben, richtet. Geplant ist auch eine Zentrale Erstansprechstelle für Fragen zu Einreise und Aufenthalt zu Bildungs- oder Erwerbszwecken im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Diese geplante Erweiterung und Verstetigung von Beratungsangeboten begrüßt die BAGFW.

Um an die Integrationskurse zu vermitteln und als Verweisberatung zu spezialisierten Beratungsstellen (z. B. zu arbeitsrechtlichen Fragen), hat sich das Angebot der vom Bund geförderten Migrationsberatung für Erwachsene Zuwanderer (MBE) und die Jugendmigrationsdienste für junge Menschen von 12 bis 27 Jahren (JMD) der Verbände der BAGFW bewährt.

Beide Dienste haben sich bei der Begleitung von Zugewanderten bewährt und fördern das Ankommen und ein nachhaltiges Einleben in Deutschland. Wir befürchten, dass die Dienste der BAGFW die neu Ankommenden nicht angemessen betreuen können, wenn es nicht zu einer entsprechenden Aufstockung der Mittel kommt. Mit großer Sorge haben wir zur Kenntnis genommen, dass, anders als noch im Eckpunktepapier angedacht, eine Stärkung der bewährten Angebote sich nicht im Erfüllungsaufwand des Gesetzes wiederfindet. Spätestens bei einer Erweiterung des Mandats der MBE und JMD ist eine Erhöhung der Mittel zwingend.