Das Politische Jahr 2021

Mit dem Jahreswechsel wechselte turnusgemäß auch die Federführung in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege vom Deutschen Roten Kreuz mit Präsidentin Gerda Hasselfeldt zur Diakonie Deutschland mit Pfarrer Ulrich Lilie als neuem Präsidenten der BAGFW.


Die bestimmenden Themen des Jahres 2021 waren auch weiterhin die Corona-Pandemie und ihre Folgen einerseits und auf der anderen Seite die Vorbereitung der Bundestagswahl und die nachfolgenden Aktivitäten. Die Gespräche und Aktivitäten zur Pandemie ziehen sich wie ein roter Faden durch das gesamte Jahr. Hier ging es vor allem um den Schutz von vulnerablen Gruppen innerhalb und außerhalb der Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege. Es ging um Test- und Impfstrategien und unsere Beteiligung daran. Aber es ging auch um die Aufrechterhaltung und Verlängerung der Schutzschirme für die Einrichtungen und Dienste der Freien Wohlfahrtspflege, die ursprünglich Mitte des Jahres auslaufen sollten und inzwischen bis weit in das Jahr 2022 hinein verlängert worden sind. Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier hat uns im Mai zu einem eingehenden Austausch über die Pandemiefolgen für die Gesellschaft und für unsere Einrichtungen und Dienste und die Zielgruppen der Freien Wohlfahrtspflege eingeladen.

Im Zusammenhang mit der Wahl zum Deutschen Bundestag haben wir in 16 Einzelpapieren unsere klaren Erwartungen an die Bundespolitik der neuen Legislaturperiode formuliert und diese den Parteien und Abgeordneten, aber auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Kurz nach der Wahl haben wir uns in einem gemeinsamen Brief aller Spitzenverbände mit einigen konkreten Forderungen an die potentiellen Koalitionäre gewandt. Der Koalitionsvertrag der neuen “Ampel-Regierung“ aus SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP enthält viele inhaltliche Punkte, für die wir uns als Freie Wohlfahrtspflege eingesetzt haben und bei deren Umsetzung wir die neue Bundesregierung konstruktiv - kritisch unterstützen werden. Dies haben wir unmittelbar nach der Wahl auch im Rahmen einer Bundespressekonferenz deutlich gemacht. In den Glückwunschschreiben an die neu gewählten Politiker und Politikerinnen haben wir dazu erste konkretere Vorschläge und Gesprächsangebote unterbreitet. Es hat uns gefreut, dass die Freie Wohlfahrtspflege an zwei Stellen im Koalitionsvertrag ausdrücklich positive Erwähnung findet.

Das Thema Digitalisierung begleitet uns weiter und gewinnt zunehmende Bedeutung für unsere Arbeit in der BAGFW und in den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege. Im Rahmen einer neu gegründeten Ad-hoc Arbeitsgruppe haben wir uns intensiv mit der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) befasst und hierbei auch die Ligen der Freien Wohlfahrtspflege in den Bundesländern einbezogen. Die im OZG geplante Digitalisierung einiger hundert Verwaltungsleistungen wird die Freie Wohlfahrtspflege an verschiedenen Stellen massiv betreffen. Insbesondere dort, wo die Planungen für eine sogenannte “Sozialplattform“ vorangetrieben werden, über die soziale Dienstleistungen bezogen werden können.

Die Geschäftsstelle der BAGFW nimmt darüber hinaus weiterhin die Koordination und Abstimmung im Projekt “Zukunftssicherung der Freien Wohlfahrtspflege durch Digitalisierung” wahr. Hier wurden eine Reihe von Workshops und zuletzt eine Digitalmesse durchgeführt, die eine gute Gelegenheit bot, sich über die Projekte der Spitzenverbände und andere digitale Entwicklungen in der Freien Wohlfahrtspflege auszutauschen. Dieses Projekt, das lässt sich mittlerweile feststellen, hat die Digitalisierung in der BAGFW und in den Spitzenverbänden entscheidend vorangetrieben. Wir haben die klare Erwartung, dass es sich auch über das Jahr 2022 hinaus fortsetzen wird; eine Verstetigung und ein entsprechender Aufwuchs dieser Mittel ist eine Voraussetzung dafür, dass sich diese Erfolge nachhaltig stabilisieren lassen. Ein weiterer Aspekt ist die zunehmende Einbindung der Pflege in die Telematikinfrastruktur. Dieser Prozess wird durch die Geschäftsstelle und den Fachausschuss Altenhilfe begleitet. Es geht darum die Vorteile der Telematikinfrastruktur auch für Bereiche außerhalb der medizinischen Versorgung sicherzustellen und zu nutzen. Hier ist erhebliches Spezialwissen erforderlich, das wir bisher nur in begrenztem Umfang zur Verfügung haben. Schließlich sollen die vorangeschrittenen Bemühungen zur Digitalisierung unseres Fördermittelmanagements nicht unerwähnt bleiben, insbesondere im Hinblick auf die Abwicklung der Lotterie „GlücksSpirale“. Die Digitalisierung des Fördermittelmanagements wird es erlauben, bisher für Verwaltung eingesetzte Ressourcen in Zukunft anderweitig im Interesse unserer Zielgruppen nutzen zu können.

Auch der Megatrend Klimawandel und Nachhaltigkeit wird durch die BAGFW und die Spitzenverbände zunehemnd als eine gemeinsame Gestaltungsaufgabe im Sinne der Umsetzung der SDGs der Vereinten Nationen wahrgenommen. Dazu gab es einen intensiven Austausch mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Bundesumweltministerium. Letzteres hat im Laufe des Jahres auch zwei Förderprogramme zur Elektromobilität und zu Klimaanpassungsmaßnahmen aufgelegt, die in der Freien Wohlfahrtspflege gut angenommen werden. In den Gesprächen geht es überwiegend um die Frage der sozialen Verträglichkeit von Klimaschutzmaßnahmen so etwa die Folgen einer steigenden CO2-Bepreisung. Im Zuge der Lückenfüllung, die durch die Verschiebung des Kongresses der Sozialwirtschaft auf 2022 im Berichtsjahr entstanden war, haben wir zu Beginn des Jahres eine Diskussionsveranstaltung mit dem Umweltforscher Professor Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker durchgeführt, in der es um die Frage der Verantwortung der Freien Wohlfahrtspflege für den Klimaschutz ging.

Die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen – auch eine Folge des voranschreitenden Klimawandels - hat uns im Hinblick auf den Schutz besonders betroffener Gruppen, aber auch im Hinblick auf die Sicherung unserer eigenen Einrichtungen betroffen.

Das zum Jahresende auslaufende „Empowermentprojekt“ des BMFSFJ für die Förderung der muslimischen Wohlfahrtspflege hat auch in der BAGFW die Diskussion zur zukünftigen Gestaltung des Verhältnisses zwischen den Spitzenverbänden und der muslimischen Wohlfahrtspflege beflügelt. Hier hat die Mitgliederversammlung zuletzt eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die dazu ein Positionspapier erarbeiten soll. Unstrittig ist, dass die Bemühungen der muslimischen Einrichtungen, kultur- und religionssensible soziale Angebote zu unterbreiten, unterstützenswert sind und auch die strukturelle Entwicklung positiv unterstützt werden soll.

Gemeinsam mit dem BMFSFJ konnten wir in 2021 zwei größere gemeinsame Vorhaben abschließen. Die Arbeit der bereits im letzten Jahr eingesetzten Arbeits- und Steuerungsgruppe zu Transparenz und Compliance in der Freien Wohlfahrtspflege mündete in entsprechende Standards der BAGFW und in gemeinsame FAQs zur Erläuterung dieser Standards. Wir sind als Freie Wohlfahrtspflege damit erneut und gemeinsam einen weiteren Schritt bei der Umsetzung von mehr Transparenz und Compliance gegangen.

Das andere Vorhaben betrifft die Verständigung über Wirksamkeitskontrolle und Wirksamkeitsmessung in den Projekten der Freien Wohlfahrtspflege. Hierzu konnte mit Unterstützung des Zentrums für soziale Investitionen der Universität Heidelberg ebenfalls eine gemeinsame Positionierung erreicht werden, die nunmehr Grundlage der Antragstellung und der Umsetzung von Projekten der Freien Wohlfahrtspflege im Rahmen ihres zentralen Titels beim BMFSFJ sein wird. In beiden Fällen freuen wir uns, dass differenzierte Debatten nunmehr zu einem guten und einvernehmlichen Ergebnis geführt werden konnten.

Ähnlich konstruktiv verlief auch ein Gespräch zwischen den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege und den kommunalen Spitzenverbänden auf Präsidentenebene zu Fragen der Pandemie und der Weiterentwicklung der Pflegeversicherung. Es wurde verabredet, solche Gespräche auf dieser Ebene in Zukunft regelmäßiger zu führen und insbesondere gemeinsame Postionen bei der Reform der Pflegeversicherung auch öffentlich gemeinsam zu formulieren.

Im Stiftungsrat der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt waren wir im Berichtszeitraum durch Frau Gerda Hasselfeldt vertreten; in Zukunft soll diese Funktion an den Vorsitz der SK II gekoppelt werden. Die Arbeitsaufnahme durch die Stiftung war für uns unter anderem auch Anlass unsere eigene Positionierung aus dem Jahr 2013 zum Bürgerschaftlichen Engagement einer Überprüfung zu unterziehen und sie im Ergebnis neu zu fassen. Diese Position soll in der Mitgliederversammlung im nächsten Jahr beschlossen werden und als Grundlage für die weitere konzeptionelle Arbeit in diesem Feld dienen. Anfang Dezember haben wir uns in einem gemeinsamen Workshop mit der DSEE zur Zusammenarbeit und zu den jeweiligen Auffassungen hinsichtlich der Rolle der Stiftung und der Freien Wohlfahrtspflege ausgetauscht und verständigt.

Das bewährte Format des Sozialmonitorings mit der Bundesregierung haben wir Mitte des Jahres fortgeführt und gemeinsam mit dem BMAS eine abschließende positive Würdigung der Bemühungen der ablaufenden Legislaturperiode vorgenommen. In der Tat handelt es sich hier um ein sehr effizientes Instrument des unmittelbaren Austausches zwischen Freier Wohlfahrtspflege und Bundesregierung über ungewollte Nebenwirkungen von Gesetzen. Wir hoffen und gehen davon aus, dass wir dieses Format im nächsten Jahr wieder aufnehmen und es in der neuen Legislaturperiode fortsetzen werden.

Noch eine deutlich längere Tradition hat die Verleihung des Deutschen Sozialpreises für die BAGFW. Diesmal wurde der Preis zum 50. Mal vergeben.  Kulturstaatsministerin, Frau Prof. Monika Grütters hielt die medienpolitische Festrede in einer coronakonformen Präsenzveranstaltung am 20. Oktober. Die Mitgliederversammlung hat inzwischen aus Kostengründen beschlossen, den Sozialpreis nur noch im zweijährlichen Rhythmus zu vergeben.

Auch die erfolgreiche Arbeit der Regiestelle im ESF-Programm „rückenwind3“ werden wir in der neuen Förderperiode des ESF bis 2027 fortsetzen können. Die entsprechenden Gespräche mit dem BMAS konnten erfolgreich abgeschlossen werden, der Zuwendungsbescheid mit Gültigkeit ab Januar 2022 liegt inzwischen bereits vor.

Wegen des weiterhin bestehenden strukturellen Defizits der BAGFW- Geschäftsstelle hat die Mitgliederversammlung erneut eine Arbeitsgruppe gebildet, die im Rahmen einer Perspektivendebatte Szenarien für die Zukunft der Geschäftsstelle entwickeln und dafür ein entsprechendes Konzept bzw. Vorschläge vorlegen soll.

Wie sich abzeichnet, wird der Jahresabschluss 2021 positiver ausfallen als geplant, Hintergrund sind pandemiebedingten Einsparungen aber zum Teil auch Mehreinnahmen. Wegen der Pandemie konnten bedauerlicherweise weder die geplante Mitgliederversammlung in Brüssel Anfang Dezember noch die für den Herbst geplante gemeinsame Reise nach Israel durchgeführt werden. Beides soll im nächsten Jahr nachgeholt werden.

Wir freuen uns über neue Mitglieder in der BAGFW-Mitgliederversammlung. In der Nachfolge von Wolfgang Stadler verstärken uns der neue Vorstandsvorsitzende des AWO Bundesverbandes, Herr Professor Dr. Jens M. Schubert und zum Ende des Jahres, nach dem Ausscheiden von Prälat Dr. Peter Neher aus der Mitgliederversammlung, nunmehr in der Rolle der Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Frau Eva Maria Welskop-Deffaa und gemeinsam mit ihr Herr Steffen Feldmann. Prälat Dr. Peter Neher und Wolfgang Stadler wurden bei einem Abendessen mit großem Dank und außerordentlicher Anerkennung für ihr langjähriges Engagement und ihre Verdienste verabschiedet.